Archiv der Kategorie: Peru

KnusperKnusper

Hugo verbringt im Laufe der nächsten Tage etliche Stunden in der Praxis von Guadalupe, hat danach aber ein strahlend weißes Lächeln. Paul schenkt uns – trotz eigener Urlaubsvorbereitungen (es geht für fünf Wochen nach Europa) – seine ganze Zeit und Aufmerksamkeit und nimmt uns an die Hand. Er führt uns mit Taxi, zu Fuß und Collectivo von Ecke nach Ohr durch ganz Tacna. Je mehr Zeit wir hier verbringen desto besser gefällt uns die Stadt. Besonders ihre vielen mercados, die teilweise die Größe ganzer Stadtviertel einnehmen, sind sehenswert. Durch die Grenznähe und vergleichsweise günstigeren Preise kommen viele Chilenos zum Einkaufen hierher.

In seiner Gastfreundschaft lässt Paul es sich nicht nehmen, uns zum peruanischen Sonntagsbraten einzuladen.

Cuy1

Es gibt fritiertes cuy mit allem Drum und Dran. Die Meerschweinchen werden hier wie bei uns Kaninchen für den Verzehr gezüchtet. Es ist schön knusprig gebraten, das Fleisch ist zwar wenig, aber sehr zart, und ich finde es lecker. Angerichtet wird das cuy mit camote, einer gebackenen Süßkartoffel, Kartoffeln und dem typischen peruanischen Salat mit viel Zwiebel und Limonensaft. Hugo ist nicht so ganz überzeugt, ihm ist es zu „filigran“; er braucht halt ein „ordentliches Stück Fleisch“.

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Bürgermeisterwahlen

Am 5ten Oktober werden in ganz Peru die neuen Bürgermeister gewählt. Wählen ist hier Pflicht; wer nicht wählt, zahlt ein Strafgeld. Um gewalttätige Ausschreitungen zu verhindern gilt rund um die Wahlveranstaltung vom Samstag bis Montag auch absolutes Alkoholverbot, das sogenannte ley seca. Wer Alkohol ausschenkt macht sich strafbar und wird mit einem empfindlich hohen Bußgeld von 2000 Soles (ca. 600 EUR) belegt.

Die Wahlkampagnen beinhalten großformatige Plakate, aber auch eigene Wahlsongs, die überall auf den Straßen und den Radiosendern nonstop gedudelt werden. Vorausgesetzt, man verfügt über eine volle Kasse, gibt es auch Events mit populären Bands oder Prominenten. In den Städten besuchen die Kandidaten sehr gerne mit allerhand Versprechungen für die Zukunft die pueblos jovenes. Brot und Spiele, wie überall. Die Straßen und Häuserwände sind gepflastert mit Plakaten und in dem Meer von Kandidaten ist es schwer, einen Durchblick zu bekommen; es hat den Anschein, als könne sich jeder, der Lust hat, zur Wahl aufstellen lassen. Vielleicht ist es ja auch so.

Jeder Kandidat veröffentlicht auf seinem Werbeplakat einen einfachen, aber eingängigen Wahlspruch, sowie ein kleines lustiges Icon um zu zeigen, wo man beim Wahlgang sein Kreuzchen machen muß. Die Wahlsprüche übertreffen sich an Originalität und reichen von „Arbeit und Ehrlichkeit“ über „Für die Paprikabauern“ bis hin zu „Mit Drohnen gegen Einbrecher“. Letzteren habe ich in Lima gesehen und ich hätte garantiert den Kandidaten gewählt! 🙂

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Nichts für schwache Nerven

Zurück auf der Panamericana geht es durch die trockene Küstenwüste nach Ica, bekannt für seine Weinkellereien, Dattelpalmen und den Anbau von Mangos und grünem Spargel, der zum größten Teil exportiert wird, da die traditionelle peruanische Küche ihn nicht kennt.

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Die Oasenstadt liegt am Rand der höchsten Sanddünen Amerikas und hat ein sonniges, sehr heißes Klima. Auch hier sieht man noch immer die Spuren der schweren Verwüstungen des Erdbebens von 2007 mit der Stärke 8.0, bei dem in der Region Pisco rund tausend Menschen starben und 75.000 Häuser zerstört wurden. Auch entlang der PanAm verlaufen heute noch sichtbare große Verwerfungen.

Die kilometerlangen Geoglyphen von Nasca, deren Sinn und Herkunft bis heute von Archäologen nicht abschließend geklärt werden konnte, lassen wir links liegen, vielmehr durchschneiden sie, denn die PanAm führt durch den Schwanz der Eidechse hindurch.

Unterwegs sehen wir viele Streckenposten der Polizei, die uns aber immer freundlich durchwinken. Trotz der vielen Kontrollen trägt die PanAm in Südamerika den Namen „Carretera Criminal“, da es immer wieder zu brutalen Raubüberfällen kommt. Die Täter provozieren Unfälle und rauben dann die Opfer aus oder tarnen sich als falsche Polizisten. Nachtbusse auf der Strecke fahren inzwischen in Konvois von neun oder zehn Fahrzeugen, da die Täter selbst vor den Reisebussen nicht halt machen. Wir versuchen, Nachtfahrten soweit wie möglich zu vermeiden, zumal wir mit dem Mog nicht die Schnellsten sind.

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Hinter endlosen Kilometern in menschenleerer Wüsteneinsamkeit trifft die PanAm bei Puerto Lomas wieder aufs Meer und fast unberührte Strände. An der Mündung des Rio Yauca finden sich im gleichnamigen Ort unerwartet ausgedehnte grüne Haine mit knorrigen Olivenbäumen. Hinter dem kleinen Fischerort Chala führt die Traumstraße, die ihren Namen hier zu Recht trägt, dann hoch über dem grau-blauen Ozean eine spektakulären Steilküste entlang.

Für diese Teilstrecke der PanAm sollte man schwindelfrei und kein Hasenherz sein. Die kalten Wellen des Pazifik türmen sich meterhoch und brechen mit gewaltigem Donnern auf den Sandstrand direkt unter uns. Viele Pelikane und Raubvögel sind zu sehen, auch einen gestrandeten Wal entdecken wir am Strand. Die PanAm schraubt sich viele Hundert Meter hoch, eng an die Bergflanke geschmiegt, und wenn in einer Haarnadelkurve plötzlich ein schwer beladener Truck auf der eigenen Fahrbahn entgegenkommt, weil er mit zu hoher Geschwindigkeit aus der Spur getragen wurde oder weil er den Platz benötigt, um seine Fracht um einen Felsüberhang zu befördern, ja dann gibt’s auch mal kurzzeitig einen deutlich beschleunigten Herzschlag und Stress im Cockpit, denn einen knappen halben Meter weiter rechts geht es senkrecht ganz schnell nach unten. Es gibt’s nichts, was den Fall aufhalten könnte. Die Überlebenschance ist gleich Null: Wer sich bei dem Sturz noch nicht das Genick gebrochen hat, ertrinkt unten im Pazifik. Es ist erschreckend, wie viele der kleinen mit filigranen Kreuzen und Plastikblumen geschmückten Gedenkhäuschen die PanAm auf diesem Streckenabschnitt säumen. Das Foto habe ich vom Beifahrersitz aus während der Fahrt gemacht…

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Trotzdem, wir genießen die Fahrt entlang der Küste sehr.

Wir übernachten an einer 24h Tankstelle in der Oase Ocona. Hier, an der Mündung des Rio Ocona ins Meer, wird neben vielen Gemüse- und Obstsorten sogar Reis angebaut.

Am nächsten Tag führt die Fahrt noch eine Weile die Küste entlang, bevor die PanAm dann mit schönen Blicken auf die Vulkane Misti und Chachani ins Inland Richtung Arequipa ansteigt und damit wieder für viele Stunden in öde Wüste. Hinter La Reparticion entscheiden wir uns, die PanAm zu verlassen und wieder an die Küste zu fahren, um über Mollendo und Mejia und dann weiter am Wasser entlang bis Tacna zu fahren.

Rund 50 km vor dem wichtigsten Hafen Südperus, Islay, rollt uns wieder die weiße pazifische Nebelwand entgegen, die zunehmend dichter wird, je tiefer wir uns die Serpentinen hinunter zur Küste schrauben.

Kurz vor der Mautstation Matarani oberhalb der Stadt ist die Sicht fast Null und wir überlegen, die 70 km bis zur PanAm zurückzufahren, entscheiden uns dann aber dagegen und werden mit einer Fahrt durch wunderbare Küstenstädtchen belohnt.

Über das recht große Islay/Matarani wird der gesamte Güterverkehr vom Pazifik zur brasilianischen Atlantikseite abgewickelt. Die Fracht der Schiffe wird hier auf LKW umgeladen und dann über die Titicacasee-Route nach Brasilien transportiert. Sind ja auch nur ein paar Kilometer, nur eben einmal quer rüber über die Anden. Daneben ist Islay/Matarani Freihandelszone und Hafen für … Bolivien. Das Land, das seit der Unabhängigkeit 1825 rund 200 gewaltsame Machtwechsel durchlebt hat und damit den einsamen Weltrekord hält, hatte sich neben seinen dauernden innenpolitischen Wirren auch mit all seinen Nachbarn angelegt und dabei den Kürzeren gezogen: Im Salpeterkrieg um 1880 mußte es die Region Antofagasta an Chile abtreten und verlor damit den Zugang zum Pazifik. Gute zehn Jahre später streitet es sich mit Brasilien, verliert und muß die Region um Acre abtreten. Knappe dreißig Jahre später verliert Bolivien im Chaco-Krieg das Chaco-Gebiet an Paraguay. Im Laufe der Zeit verlor Bolivien so rund 50% seines ursprünglichen Staatsgebietes. Zum Glück sind die Peruaner verträgliche Nachbarn und schlossen 1992 großzügig einen Vertrag über die bolivianische Nutzung der Pazifikhäfen Ilo und Islay.

Mangels irgendeiner Beschilderung verfahren wir uns hoffnungslos im Stadtverkehr von Mollendo und fragen zwei Polizisten in einem Streifenwagen nach dem Weg Richtung Mejia. Robert der Niro in jungen Jahren und schick bemützt sagt daraufhin, wir sollen uns keine Sorgen machen, sondern ihm einfach folgen. Es sei ihm eine Ehre, uns den Weg zu zeigen. Galanter gehts nicht. Umgehend schaltet er sein Rotlicht auf dem Dach an, ein zweiter Wagen setzt sich hinter uns und nach wenigen Kilometern in Begleitung sind wir auf die richtige Spur gesetzt. Die Fahrt über die Costanera führt uns entlang der Laguna de Mejia, einem unter Naturschutz stehenden Feuchtgebiet mit Küstenlagunen, in dem zahlreiche Vogelarten dauerhaft zuhause sind und auch viele Zugvögel überwintern.

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In El Arenal wird es für uns dann langsam Zeit, einen Übernachtungsplatz zu suchen, und wir fragen widerum aus dem Auto heraus einen Polizisten, der gerade an einer Ecke ein Schwätzchen hält. Wir haben Glück: Er macht uns umgehend ganz offiziell zu Gästen der Polizei und winkt uns zum örtlichen Kommissariat durch. Einen so sicheren Stellplatz hatten wir bisher noch nie.

Am nächsten Tag ist es für unsere Verhältnisse nur noch ein Katzensprung bis Tacna und wir machen mittags noch einen Stopp in dem zur jetzigen Jahreszeit noch völlig verwaisten Badeort La Boca del Rio. Die Saison hat noch nicht angefangen, und so sind am Strand nur zwei Fischbuden geöffnet, wo wir aber fangfrische Seezunge und Chicharron de Pescado, eine Megaportion gebackener Fischfilets, essen.

Peninsula de Paracas

Die Peninsula de Paracas hat uns auf der Fahrt von Cusco nach Lima so gut gefallen, daß wir hier auf der Reise Richtung Süden nochmals einen Stopp einlegen und die Tour über die Halbinsel, die wegen Sandsturmes damals ausfiel, nachholen. Als wir abends an unserem alten Stellplatz eintreffen sind in der Bucht wieder zwei Delfine unterwegs, zeigen sich am nächsten Morgen aber nicht mehr.

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Die Fahrt über die holprigen Pisten und Wege, die keine sind, lohnt sich und die frische Meeresbrise, Ruhe und Natur tun Seele und Körper nach dem Stadtaufenthalt gut. Wir fahren die teilweise steile Küste mit ihren von der Brandung unterspülten Überhängen entlang, beobachten Inkamöwen, die in den Felswänden ihre Nester bauen, und verfransen uns prompt, da jegliche Beschilderung fehlt und es kaum alte Fahrspuren gibt. Unimoppel und Hugo sind keine Steigung zu steil und kein Sand zu tief und wir wühlen uns durch.

Die Landschaft im Inneren der Halbinsel scheint in Pastellfarben getaucht, die von zartgelb über blaß-rosa und hellblau bis violett reichen.

Das Naturreservat auf der Halbinsel und dem angrenzenden Festland ist erheblich größer als wir zunächst vermutet haben. Je weiter wir ins Innere fahren desto wüstenhaftiger wird die Landschaft. Sicheldünen aus feinstem weißen Sand liegen wie Vanillekipferl auf dunkelgrauem Split und bilden einen wunderschönen Kontrast.

Wir können uns kaum losreißen von soviel purer Schönheit.

Schnullibulli

Hugo kränkelt mit einem bösen Husten etwas vor sich hin und so verschnaufen wir ein paar weitere Tage in Miraflores. Dann wird es auch für uns Zeit, weiterzuziehen. Ursprünglich hatten wir auf dieser Reise vor, nach gesamt Peru auch Ecuador zu besuchen, aber wir planen spontan um. Der Sommer kommt jetzt langsam von Norden auf die Südhalbkugel und wir werden mit ihm in den nächsten Monaten ein paar Tausend Kilometer durch Chile und Argentinien südwärts bis ans Ende des Kontinentes ziehen. Wir freuen uns auf viel Küste, Fjordlandschaften, Gletscher und die immergrünen Urwälder Patagoniens, auch wenn es dort viel regnet und die Winde auch im Sommer sehr stürmisch sein können. Chan-Chan wird auch in ein paar Jahren noch stehen und die Blaufußtölpel auf Galapagos werden bestimmt auch noch da sein, also können Nordperu und Ecuador noch ein bisschen warten.

Wir suchen uns unseren Weg aus der Stadt und kommen in ihrer Peripherie wieder an den endlosen pueblos jovenes, den „jungen Dörfern“, wie die Elendsviertel hier in Peru verharmlosend genannt werden, vorbei. Die provisorischen Hütten aus Schilf, Pappkarton oder Wellblech und viele angefangene, aber nie fertig gestellt Bauten aus Ziegeln umschließen die Stadt wie ein Ring und ziehen sich etliche Kilometer die tristen Wüstenhügel hinauf. Rund die Hälfte der Einwohner Limas lebt in diesen Elendsvierteln, die sich am Stadtrand immer weiter ausdehnen; die letzten Hütten sehen wir 25 Kilometer außerhalb des Stadtzentrums entlang der PanAm. Fließendes Wasser, Müllentsorgung oder Stromversorgung gibt es hier nicht, auch keine Straßen oder Beleuchtung. Wasser wird mit Tanklastwagen herbeigeschafft, gekocht wird mit Gaskartuschen und nachts zündet man Kerosinlampen oder Kerzen an. Die Wege zu Schulen, Krankhäusern oder zu Arbeitsstätten, sofern man eine hat, dauern oft Stunden. Die Menschen leben hier in ihren meist nur 10 – 15 qm großen Hütten illegal, werden aber von der Regierung, die keine bessere Lösung bieten kann, zwangsweise toleriert.

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Die Gründe für die Landflucht sind vielfältig: Katastrophen wie Erdbeben zwingen die Menschen zur Umsiedlung, die Bevölkerung auf dem Land explodiert bei stagnierender Wirtschaft oder die Gräueltaten des „Leuchtenden Pfades“ in den achtziger Jahren. Als das TV in den Dörfern des Hochlandes Einzug hielt war die Bewegung weg vom Land in die Stadt nicht mehr aufzuhalten. Die Medien gaukelten in ihren schwülstigen Telenovelas den Menschen ein Leben in Lima in Saus und Braus vor, und Hunderttausende packten ihre Bündel, nahmen ihr weniges Geld und brachen in die Hauptstadt auf in der Hoffnung, dort paradiesische Verhältnisse vorzufinden und „reich“ zu werden wie ihre Vorbilder aus dem Fernsehen. Dort angekommen mussten sie feststellen, daß es keine Arbeit gab und die Mieten für Wohnungen in der Stadt unbezahlbar waren. Oftmals wurde alles Ersparte für die Suche nach Arbeit ausgegeben und schon bald reichte das Geld nicht mehr für eine Rückkehr in ihr altes Dorf.

Wann immer wir auf unseren Reisen durch solche Elendsviertel kommen, egal ob in Indien, Burma oder Namibia, spüren wir den Stachel im Bewußtsein ganz besonders tief, fast schon so wie ein schlechtes Gewissen. Und das ist auch gut so, denn so bleiben wir sensibel.

Was trennt uns von einem solchen Leben in bitterster Armut? Nur der Zufall. Der Zufall, daß wir auf der Sonnenseite des Lebens geboren wurden. Wir haben nichts für unser Schnullibulli-Leben in Sicherheit und Konsum im Überfluß getan, außer vielleicht unsere Chancen gut zu nutzen. Wir hatten einfach das unverschämte Glück, zu einer wirtschaftlichen Boomzeit in einen immer wohlhabender werdenden Staat hineingeboren zu werden und in Elternhäusern aufzuwachsen, die es uns an nichts fehlen ließen. Dank der klugen Umsicht und auch persönlichen Opferbereitschaft unserer Eltern konnten wir eine Erziehung und Bildung genießen, die uns eine gute Positionierung am Arbeitsmarkt und Wettbewerbsfähigkeit verschafft hat.

Bildung ist der Schlüssel für Erfolg und Entwicklung und so ist sie für die Kinder in Bolivien und Peru wie auch anderswo die einzig nachhaltige Chance auf ein besseres Leben. Ohne zumindest eine grundlegende Schulbildung gibt es kaum eine Möglichkeit, dem Elend zu entkommen und die Armut wird von Generation zu Generation weiter vererbt. Wir hatten einfach verdammt viel Glück, und das sollten wir uns immer wieder vor Augen führen.

Dazu auch das Bewusstsein, daß unser heutiger Wohlstand, unsere vermeintliche wirtschaftliche Sicherheit, an einem hauchdünnen Faden hängt. Tag für Tag vollbringen wir, die Industrienationen, einen wahren globalen Hochseilakt, indem wir versuchen, alle relevanten Wirtschaftsräder, Stellschrauben und Märkte am Laufen und zumindest halbwegs in der Balance zu halten, aber platzt die Konsumblase, fällt das gesamte Schnullibulli-System im Nu wie ein Kartenhaus ineinander. Unser von Konsum getriebenes Wirtschaftssystem ist nicht unkaputtbar – siehe 2008, als sich die Schuldenberge vieler Volkswirtschaften auf untragbare Höhen aufsummiert hatten und das Kartenhaus erstmals gewaltig in die Knie ging.

Das alles interessiert die Menschen in den pueblos jovenes verständlicherweise herzlich wenig. Sie leben von einem Tag zum nächsten, immer damit beschäftigt, ihr Überleben zu sichern. Haarshampoo-Päckchen gibt es zum Beispiel portionsweise an kleinen Kiosken zu kaufen, weil die Menschen sich eine ganze Flasche nicht leisten können. Auch Zigaretten und Bonbons gibt es einzeln zu kaufen. Manche Menschen zwacken ein bißchen von ihrem Wasser ab und befeuchten sich ihre Haare, bevor sie aus ihrem „Haus“ gehen, um in der Öffentlichkeit zumindest den Anschein zu erwecken, frisch geduscht zu sein. Es geht nicht nur ums Überleben, sondern auch um die Würde des Menschen. Trinkwasser MUSS als Grundrecht für alle Menschen verankert sein. Für uns fast nicht vorstellbar, keines zu haben, darum sei es hier mal gesagt.

Reality bites, aber die Freude am Reisen wird uns dadurch nicht genommen. Wir wissen, wir können die Welt nicht vor sich selbst retten und wir können nicht jedem, der uns um Geld bittet, helfen, aber es gibt besonders Bedürftige, wie zum Beispiel alte Frauen ohne Familie oder Behinderte, die überhaupt keine Chancen auf Arbeit haben. Diesen Menschen helfen wir gerne, ihre nächste Mahlzeit zu sichern, denn das größte Problem von vielen Millionen Menschen auf unserer Welt sind immer noch Hunger und Durst.

Am 16ten Oktober ist übrigens Welternährungstag. Zahlen, Daten, Fakten zu dem Thema finden sich unter http://de.wfp.org/hunger/hunger-statistik

Traurig

Sechs Wochen sind um. Sechs Wochen ist Dina mit uns gereist. Sechs Wochen haben wir auf 7,5 qm im Unimoppel zu Dritt gelebt. In der Hitze der Wüste, in der Weite des Salzsees, in der Enge der Städte und auch bei nächtlichen minus 15 Grad hoch auf über 4.000 m in den bolivianischen Anden. Nicht ideal, aber irgendwie ging es, mußte es gehen. Ganz klar, es gab Momente, wo die Stimmung zu kippen drohte, aber dann muß man halt sein Mütchen kühlen 🙂

Nach intensiven sechs Wochen mit Ups and Downs muß ich sie jetzt wieder abgeben nach Bayreuth und begleite sie zum Flughafen nach Callao. Dieser entpuppt sich als zwar nicht gerade groß für eine Hauptstadt, aber hypermodern – kein Wunder, steht er doch unter Leitung der Fraport AG.

Zum Check-in-Bereich werden nur die Passagiere zugelassen, nicht jedoch die Begleitung. Zwei Kontrollen, Männer in Uniform, sind erbarmungslos und verweigern mir den Zutritt, bei der Dritten, einer Frau in Uniform, fahre ich dann mein gesamtes Mama-Kind-Repertoire auf und darf schlußendlich mit durch. Dann ist es soweit, der Gang durch die Sicherheitskontrolle, ein letzter Blick und ein letztes Winken, und schwupps, ist sie weg … und ich bin traurig, aber für uns geht die Reise weiter.

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Lima

Nach der Abgeschiedenheit der Paracas-Halbinsel geht es über die PanAm an Pisco, der Heimat des pisco sour, vorbei nonstop weiter in die 8 bis 10-Millionen-Metropole Lima. Wir starten einen Versuch, auf dem Gelände des Deutschen Clubs unterzukommen, aber da dies nicht von Erfolg gekrönt ist stellen wir uns in den Hof eines Hostels im schönen Stadtteil Miraflores an der Steilküste hundert Meter über dem Pazifik. Hier wie auch in den benachbarten Stadtvierteln San Isidro und Surco, wo die wohlhabenden Peruaner und Expats wohnen, lebt man hinter hohen Mauern und gut bewacht; selbst im Frozen Yoghurt-Laden steht ein bewaffneter Wachmann.

Wie immer in den großen Städten verschaffen wir uns einen Überblick mit einer halbtägigen Bustour. Dabei wird das ganze Dilemma der Stadt sichtbar. Die einstige koloniale Pracht ist in Spuren überall zu sehen, die touristische Altstadt rund um die Plaza San Martin und die Plaza Mayor ist gut restauriert, aber die Elendsviertel, die plueblos jovenes, sind unübersehbar.

Wir besuchen das Convento de San Francisco mit seiner mächtigen Barockkirche und den schaurig-schönen Katakomben, wo bis heute die Gebeine von 25.000 Verstorbenen sorgfältig nach Größe sortiert aufgehoben werden. Über 300 Jahre dienten die Katakomben der Stadt als Friedhof, gerieten dann in Vergessenheit und wurden erst 1951 wiederentdeckt. Mit seinen bis zu vier Meter dicken Wänden und dem mit Bambusrohr verstärkten Gewölbe trotzt das Kloster seit Ende des 17ten Jahrhunderts allen Erdbeben. Besonders eindrucksvoll ist die Bibliothek, die eine kostbare Sammlung aus über 20.000 ledergebundenen Bänden und rund 6.000 Pergamenten aus der Zeit vom 15ten bis zum 18ten Jahrhundert beherbergt.

Archäologisch interessante Stätten inmitten der Wohngebiete sind Huaca Huallamarca in San Isidro, eine Pyramide aus unzähligen Lehmziegeln, und Huaca Pucllana in Miraflores, beide werden datiert auf die Prä-Inka-Zeit.

In Lima findet man keine freistehenden Wohnhäuser. Man baut Haus an Haus, nach dem amerikanischen Prinzip in Blöcken, sogenannten cuadras, und diese sind widerum durch hohe Mauern samt Elektrodraht gesichert. Entlang der Steilküste werden viele neue moderne Wohntürme aus Glas und Stahl hochgezogen, die Stadt gleicht ihr Gesicht mehr und mehr anderen internationalen Metropolen an.

 

Karibik oder Sahara?

Uns ist nach Meer. Wir ignorieren daher die Nasca-Linien und steuern stattdessen am späten Nachmittag für eine Zwischenübernachtung die Paracas-Halbinsel an, ein großes Meeresschutzgebiet, welches zahlreichen Tierarten wie Pelikanen, Kormoranen, Flamingos und Seelöwen einen idealen Lebensraum bietet.

Wir staunen nicht schlecht: Uns erwartet eine Mischung aus Buchten mit weißen Sandstränden und karibisch-türkisblauem Wasser an der Küste und einem sahara-artigen wüstenhaften Inselinneren, in dem es keinen Niederschlag gibt.

 

Am Strand liegen einige von der Strömung angetriebene Seelöwenkadaver. Kein schöner Anblick, aber der Tod hat nie ein schönes Gesicht.

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Am nächsten Morgen begrüßen uns noch vor dem Frühstück Delfine in der Bucht direkt vor unserem Stellplatz. Später entdecken wir auch Seelöwen, die in aller Ruhe zwischen den Fischerbooten planschen.

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Auf der Halbinsel liegt malerisch der winzige Fischereihafen Lagunillas mit seiner bunten Flotte. Hier passiert noch alles von Hand.

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Wir beobachten die Fischer beim Ausladen ihrer Boote; Attraktion des heutigen Vormittages ist der Fang eines größeren Hais. Die Pelikane warten geduldig, bis sie ihren Teil der Beute abbekommen.

Wir suchen uns aus, was eine Stunde später bei uns auf den Teller kommt: Jakobsmuscheln und Seezunge.

Und so schaut´s dann fertig aus; gratiniert und gebacken, einfach köstlich:

Nach dem Lunch starten wir voller Energie zu einer Fahrt über die Halbinsel, werden aber kurze Zeit später jäh ausgebremst, da ein Sandsturm aufzieht. Binnen Minuten sehen wir die Hand nicht mehr vor Augen und sind gezwungen abzuwarten.

Als die Sicht wieder besser wird, der Wind aber nicht wesentlich nachgelassen hat, kehren wir für die Nacht zu unserem alten Stellplatz oberhalb der Bucht zurück. Am nächsten Morgen haben sich Fischer in ihrem alten Bulli im Sand festgefahren und Hugo kann ENDLICH unsere starke Winde einsetzen. Ruckzuck ist der Wagen frei, die Fischer freuen sich und Hugo strahlt!

Nächtliches Treiben

Von Cusco aus machen wir uns gemeinsam mit Kathrin, Ronald und ihren beiden Kindern Lennert und Elli aus Berlin auf den Weg nach Lima. Ursprünglich hatten wir die Fahrt über Pisten durch die Berge und Täler geplant, die ehemals Hochburg des Sendero Luminoso, des „Leuchtenden Pfades“, waren, der viele Jahre immer wieder durch brutale Überfälle und terroristische Akte auf sich aufmerksam machte. Heute sind die kolonialen Dörfer in dieser Gegend friedlich und fast in ihren Dornröschenschlaf zurück gefallen. Leider reicht die Zeit für diese Strecke nicht, sonst würde Dina ihren Rückflug nach Deutschland verpassen, daher nehmen wir die Strecke über Nasca und dann über die PanAm nach Norden.

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Es geht nochmals richtig rauf auf fast 4.500 Meter, und auf der kargen und windigen Hochebene erwischt uns vormittags sogar ein Graupelschauer, aber zum Glück kein Schnee. Auf den Pässen kurbelt und schaltet Hugo wie ein Weltmeister, so daß sein rechter Arm abends dreimal so dick ist wie der linke. Einen sehr schönen, aber wie sich nächtens überraschend herausstellen soll, äußerst merkwürdigen Stellplatz für die Nacht finden bei den Thermen von Cconos, die tief im Tal an einem Fluß liegen. Mit unseren beiden Fahrzeugen schrauben wir uns eine unbefestigte und abenteuerlich schmale Piste ein paar Hundert Meter im Zickzack den Berg hinunter.

In die Thermalbecken strömt warmes Wasser tief aus dem Erdinneren, in dem etliche Peruaner fröhlich planschen. Wir gehen davon aus, daß wir den abgeschiedenen Platz nach Einbruch der Dunkelheit für uns haben und Ruhe einkehrt, sollen uns mit dieser Annahme aber gewaltig irren. Es hört und hört nicht auf. Immer neue Autos kommen und fahren irgendwann wieder, und selbst als ich mitten in der Nacht im Stundentakt aus dem Fenster schaue herrscht um uns herum reger Badebetrieb. So geht es die ganze Nacht, und dabei ist nicht einmal Wochenende. Uns stört es nicht weiter, wir finden es nur seltsam.

Am nächsten Tag führt uns die Route unter anderem durch ein Reservat für Vicunyas, die dort in der Einsamkeit auf über 4.000 Metern geschützt werden, und wir sehen Tausende dieser hübschen Tiere, bevor die Straße sich dann in Serpentinen aus den Bergen hinunter zur Küste windet.

Unglaublich, aber wahr

Wir haben auf unseren Reisen schon allerhand Skurilitäten erlebt, aber diese hier ist die Krönung und schlägt alles bisher dagewesene! Wir lassen uns nach der Rückfahrt von Machu Picchu mit dem Zug in Ollantaytambo von Ronaldo, dem Taxifahrer unseres Vertrauens vom Vortag, abholen. Es ist um die Mittagszeit und wir müssen in Cusco vor unserer Abreise Richtung Lima noch zur Bank. Ich erkläre Ronaldo während der Fahrt aus dem Fond des Wagens unsere Bitte und nenne ihm die Adresse, die auf unserem Weg zur Quinta Lala liegt. Ronaldo nickt – beide Hände fest in vorbildlicher Position am Lenkrad – und dann traue ich meinen Augen nicht. Er greift mit der rechten Hand in die Mittelkonsole, zieht dort einen dieser spitzen hölzernen Zahnstocher heraus und … pult sich damit intensiv im rechten Ohr. Mir wird vom Zusehen schon leicht übel, aber es wird noch besser. Mit dem dann am Zahnstocher klebenden Gemisch aus Ohrenschmalz und Cusco-Dreck – IGITTTTTTTIGITTTTTTTTIGITTTTTTT – schreibt er sich die dreistellige Hausnummer auf die linke Handoberfläche!!!!!

(Jetzt wird Euch allen schlecht, nicht wahr?)

Ich warne Dina und Hugo, und beim Abschied verzichten wir auf den sonst üblichen Händedruck.

Llama Love

Dina hat´s erwischt – akute Llamaitis…

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Sie sind aber auch zu niedlich…

 

… aber nicht zu unterschätzen: Auf dem schmalen Weg aus Kopfsteinpflaster kommt mir ein Llama entgegen und bleibt vor mir stehen. Ich mache einen Schritt auf es zu in der Annahme, daß es dann zur Seite weicht, aber es bleibt stur stehen. Ich gehe noch einen weiteren Schritt auf es zu und blicke ihm tief in die Augen … es hält meinem Blick stand und legt die Ohren an. Ich gebe nach und turne um es rum, denn mit Llama-Schleim besudelt durch Machu Picchu zu wandeln stelle ich mir nicht so prickelnd vor.

Entdecker oder Langfinger?

Genauso interessant und mysteriös wie die Geschichte Machu Picchus ist die heute nahezu gesicherte Vermutung, daß Hirem Bingham selbst den Ort bereits 1909, also zwei Jahre vor der offiziellen angegebenen Entdeckung, besucht und die wertvollen Fundstücke mit 60 Mulis heimlich über Bolivien und Peru in die USA verschifft und der Yale Universität zur Verfügung gestellt haben soll.

Professor Osvaldo Baca aus Cusco bestätigte jedenfalls, daß Bingham bei dessen Vater rund 200 Kisten, voll mit Fundstücken aus Machu Picchu, untergestellt habe, die bei der Yale/NGS-Expedition ausgegraben worden waren. Luis Valcarel von der Yale Universität bestätigt widerum, die Inhalte von Binghams Kisten selbst gesehen zu haben. Machu Picchu wäre demnach von Bingham kaltblütig geplündert worden.

Der über Jahrzehnte dauernde Disput zwischen den USA und Peru um die Herausgabe der Objekte verschärfte sich , wobei Yale letztendlich in 2010 einlenkte und einer Rückgabe zustimmte. Knapp 100 Jahre nach Binghams Expedition trafen am 30.3.2010 die ersten Objekte Machu Picchus in Lima ein. Sieh mal an!

Machu Picchu

Aufgrund unseres akuten Zeitmangels wird auch unser Machu Picchu Programm von fünf auf zwei Tage gestrafft. Tickets für Machu Picchu bekomme ich mit etwas Mühe online, ebenso die Zugtickets für den Vistadome hin und den Explorer von Perurail am nächsten Morgen zurück. Sowohl der Eintritt für Machu Picchu als auch die Zugtickets sind exorbitant teuer, hier wird – besonders für die pro Strecke rund dreistündige Bahnfahrt – hemmungslos abgezockt. Die Touristen zahlen im Zug den zehnfachen Preis wie die Einheimischen! Aber egal, es gibt keine Alternative, also zahlen wir und hoffen, daß unsere Erwartungen an den sagenumwobenen Ort nicht enttäuscht werden.

Pro Tag werden in Machu Picchu maximal 2.500 Besucher zugelassen. Die meisten kommen sehr frühmorgens mit dem ersten Zug nach Aguas Calientes und verlassen die Stätte mittags bereits wieder, um abends zurück in Cusco zu sein. Wir planen unsere Tour daher so, daß wir erst mittags in Machu Picchu ankommen, wenn die Masse der Besucher schon wieder geht:
– Morgens mit dem Taxi von der Quinta Lala zum Bahnhof nach Poroy
– Fahrt mit dem Vistadome nach Aguas Calientes, dann mit dem Bus hoch nach Machu Picchu
– Rundgang, dann spätnachmittags mit dem Bus wieder runter nach Aguas Calientes und Übernachtung im Hotel
– Am nächsten Tag frühmorgens Fahrt mit dem Explorer von Aguas Calientes bis Ollantaytambo
– Dort Abholung durch vorbestelltes Taxi und 2 Stunden Fahrt zurück nach Cusco

Der Vistadome fährt unter Führung der Venice-Simplon-Orient-Express Group und ist komfortabel ausgestattet. Wir bekommen sogar ein kleines Frühstück serviert, wobei uns die Hostess wortreich und mit ernstem Gesicht erklärt, daß es sich dabei um eine Banane, vier Erdbeeren und drei Pancakes mit einem Klecks Heidelbeermarmelade handelt.

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Hätten wir nicht erraten; wir sind äußerst dankbar für die Aufklärung und fühlen uns so umsorgt wie bei der lieben Lufthansa.

Die 3 ½-stündige Fahrt durch das immer enger werdende Tal des Rio Urubamba ist jedenfalls wunderschön. Je tiefer wir in die Bergwelt eindringen desto grüner wird die Umgebung. An der Böschung können wir im Vorbeifahren sogar wilde Orchideen sehen. In Gedanken versunken fragen wir uns, was uns in Machu Picchu erwartet. Mystischer Zauber oder Touristennepp à la Disneyland?

Zugegeben, ein bisschen aufgeregt sind wir schon und fühlen wir uns wie Indiana Jones auf der Suche nach dem Kristallschädel. So muß es wohl dem 36jährigen Expeditionsleiter Hiram Bingham gegangen sein, als er (offiziell) 1911 im Auftrag der National Geographic Society und der Yale Universität, geführt von einem jungen Campesino aus der Gegend, die Dschungelstadt Vilcabamba suchte, die der letzte Inka Manco als Versteck vor den Konquistadoren genutzt hatte. Stattdessen stieß Bingham unvermittelt auf die Ruinen Machu Picchus. Den Bewohnern der umliegenden Täler war der Ort immer bekannt gewesen, aber Bingham war der erste „Gringo“, der die Stadt sozusagen für die restliche Welt entdeckte. Seitdem besuchten unzählige Archäologen den Ort und entwickelten ebenso viele Theorien über die Entstehung, die Funktion und den Untergang der Stadt. Viele Bücher wurden herausgegeben, allein Hiram Bingham veröffentlichte drei. War Machu Picchu eine reine Festungsanlage? Oder diente es ausschließlich religiösen Zwecken? War es ein Tempel der Sonnenjungfrauen oder entspringt dies der überbordenenden Phantasie eines verzückten Historikers? Die Wahrheit wird immer im Verborgenen bleiben, da es keine schriftlichen Überlieferungen aus dieser Zeit gibt und somit keine gesicherten Erkenntnisse.

Wie dem auch sei, es spielt – zumindest für uns – nicht wirklich eine Rolle. Als wir nach stundenlanger Anreise durch den Eingang schreiten und die Kulisse Machu Picchus im Sonnenlicht vor uns liegen sehen, können wir gar nicht anders als von so viel Schönheit ergriffen zu sein. Der besonderen Atmosphäre dieses Ortes kann man sich nicht entziehen. Wie ein Adlerhorst thront Machu Picchu auf einem von den Inka künstlich geebneten Bergsattelrund 700 Meter über dem Rio Urubamba, der den Berg an drei Seiten umfließt.

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Vom Tal aus ist die Anlage nicht zu sehen. Hohe, an den Steilhängen mit undurchdringlichem Urwald bewachsene Berge umgeben Machu Picchu auf allen Seiten, in den tiefen Tälern hängen noch kleine Fetzen von Nebelwolken, die sich in der Sonne nicht auflösen wollen. In steilen grünen Terrassen, die wohl früher mit Mais und anderen Getreidearten bepflanzt waren, zieht sich der Komplex an den Bergflanken hinunter. Die Gassen zwischen den Gebäuden sind schmal, die Stufen teilweise hoch. Die mächtigen tonnenschweren Steine sind fugenlos ineinandergesetzt. Bis heute ist es ein Rätsel, wie genau die Inka diese Steine bewegt haben.

Niemand weiß, wie lange Bestand Machu Picchu noch haben wird, denn Geologen haben herausgefunden, daß sich der Berg durch die vulkanischen Aktivitäten in der Region um Cusco pro Monat um rund einen Zentimeter senkt.

 

Machu Picchu ist zweifellos wunderschön und hat alle unsere Erwartungen erfüllt, aber der Rest der Welt braucht sich nicht zu verstecken. Die beeindruckende Anlage der Inka wurde in der ersten Hälfte des 15ten Jahrhunderts erbaut. Zur ungefähr gleichen Zeit wurden in Rom der mächtige Petersdom errichtet, stand Notre-Dame bereits und auch die gewaltige Tempelanlage der Khmer, Angkor Wat in Kambodscha. Ein Besuch dieser Bauwerke ist ebenso schön und kostet deutlich weniger. Trotzdem ist Machu Picchu ein Muß – once in a lifetime.

Wahrheit oder Mythos?

Die Inka besaßen keine Schriftzeichen und verfügen daher auch nicht über beweiskräftige Aufzeichnungen. Zur Übermittlung von Daten hatten Inka-Gelehrte Quipus entwickelt, die aber kein Ersatz für eine Schrift waren, sondern ein mathematisches Knotenschnursystem, mit dem sich Einheiten, Zahlen, Mengen und Statistiken darstellen und festhalten ließen. Geschichten konnten damit jedoch nicht erzählt werden. Deshalb existiert bis heute kein geschichtlich geschlossenes Bild der Inka-Epoche. Vieles ist Vermutung, wenig ist bewiesen. Alle Aufzeichnungen wurden erst nach der Eroberung durch die Spanier von deren Chronisten auf Basis von Überlieferungen und Erzählungen angefertigt und sind entsprechend einseitig und unvollständig oder gehören ins Reich der Legenden.

Cusco

Der Sonnengott Inti sandte seine beiden Kinder, die ersten Inkas Manco Capac und Mama Ocllo, auf die Erde, um Kultur und Erleuchtung unter die Menschheit zu bringen. Von der Isla del Sol im Titicacasee begaben sie sich auf die Suche nach einem geeigneten Standort für ihr zukünftiges Wirken. Sie trugen einen goldenen Stab mit sich, und die Prophezeihung besagte, wo dieser sich fest in die Erde bohren würde, dort sollten sie sich niederlassen und ihr Reich gründen. Als sie die Stelle des heutigen Cusco erreichten, sank der Stab tief in den Untergrund. Das war das Zeichen, hier ihre Stadt zu gründen, die sie „Qosqo“ nannten, was Nabel der Welt bedeutet.

Eine schöne Geschichte, die gut zum Mythos um Machu Picchu passt.

Cusco, um 1200 gegründet und auf 3.400 Metern Höhe gelegen, zählt zu den schönsten und abwechslungsreichsten Städten Südamerikas. Die Nachfolger Manco Capacs und Mama Ocllos bauten in den folgenden 300 Jahren Cusco in vieler Hinsicht zum Zentrum aus. Hier kreuzten sich die beiden Hauptachsen des Inka-Reiches, hier errichtete man die wichtigsten Heiligtümer und Paläste, hier befanden sich die Residenzen der Adelsfamilien und des obersten Inka-Fürsten. Cusco war das Herz des Inka-Imperiums, das sich in der Blütezeit vom Süden des heutigen Kolumbiens bis nach Mittelchile erstreckte, und auch heutzutage fasziniert sie Hunderttausende mit ihrem kolonialen Glanz, der sich auf den schweren steinernen Fundamenten der Inka entfaltet. Von einem Bauerndorf entwickelte sich Cusco zu einer großen und wohlhabenden Stadt mit Palästen und Tempeln und rund 200.000 Einwohnern. Der Cusco-Experte Peter Frost schreibt in seinem Buch „Exploring Cusco“, daß die Stadt unter den Quechua-Indianern als Pilgerstätte einen ähnlich hohen Stellenwert besaß wie Mekka in der moslemischen Welt.

Dann kamen die Spanier. Als Francisco Pizarro und seine goldgierige Bande von Konquistadoren 1533 in Cusco einzog, war er überwältigt von den immensen Schätzen der Stadt. Wie schon vorher im Norden des Landes folgten einige Jahre kriegerische Auseinandersetzungen, in deren Folge die Spanier alles Gold und Silber der Stadt zusammenrafften, kurzerhand einschmolzen und zum größten Teil nach Spanien verschifften. Der letzte Inka-Herrscher, Manco, zog sich geschlagen in den Dschungel nach Vilcabamba zurück, die Stadt, die der junge Forscher Hiram Bingham suchte und stattdessen Machu Picchu fand.

Auf den von den Schlachten und Plünderungen unzerstörten Fundamenten der Inka-Bauten Cuscos errichteten die Spanier prachtvolle Kolonialbauten. Doch auch die neue Pracht war nicht von Dauer. Rund 80% der kolonialen Gebäude fielen dem großen Erdbeben von 1650 zum Opfer, wurden aber von den stolzen Cuscenos in ebensolchem Glanz neu errichtet. Ein eindrucksvolles und detailgenaues Bild des Erdbebens hängt, neben 400 weiteren wertvollen Gemälden der Escuela Cusquena, in der mächtigen Kathedrale an der Plaza de Armas, die auf den Grundmauern eines Inkatempels errichtet wurde. Der Hauptaltar besteht aus 180 Kilogramm massivem Silber, das von Sklaven aus den Minen von Potosi im heutigen Bolivien herbeigeschafft wurde. Rechts des Altares hängt das sehenswerte Bild „Das letzte Abendmahl“ vom Künstler Marcos Zapata, auf welchem ein knusprig gebratenes cuy (Meerschweinchen) auf dem reich gedeckten Tisch allen anderen die Schau stiehlt. Kein Scherz.

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Bemerkenswert ist auch ein Geschenk Kaiser Karls V., welcher der Stadt nach dem verheerenden Erdbeben mit der Figur „Senor de los Temblores“ einen Schutzpatron stiftete. Seit 1650 wird die Heiligenfigur in gold- und edelsteinverzierter Kleidung bei Prozessionen durch die Stadt getragen und ist vom Rauch der vielen Kerzen inzwischen ganz schwarz.
Leider dürfen wir in den prachtvoll ausgestatteten Innenräumen der Kathedrale mit unzähligen vergoldeten Seitenaltären nicht fotografieren.

Vor den großen Toren liegt die Plaza de Armas, der Mittelpunkt von Cusco, der auch das Herz der alten Inkastadt war. Der Platz ist fast vollständig von Arkadengängen, den Portales, umgeben und bietet dem bunten Publikum aus Einheimischen und Touristen eine friedliche Kulisse. Aber der Platz hat auch viel Blut gesehen, zuletzt die Hinrichtung des letzten Inca Tupac Amaru II im Jahre 1781.

Bei einem Bummel über das Kopfsteinpflaster der Innenstadt erleben wir gleichzeitig das Cusco von einst und von heute. Die Mischung aus Tradition und Moderne stimmt, auch wenn sich bereits einige der üblichen Verdächtigen namens Starbucks & Co an den dollarträchtigsten Punkten breitgemacht haben. Dort sitzen sie dann, die Traveller und Backpacker, mit ihren i-phones und Macs und skypen mit zuhause was das Zeug hält. Anscheinend haben sie alle Heimweh. Miteinander reden tun sie dagegen nicht.

Wir logieren mit Unimoppel auf der Quinta Lala, nur wenige Meter von der mächtigen Festungsanlage der Inka, Saksayhuama (ungefähr ausgesprochen wie „sexy woman“) entfernt unmittelbar über der Stadt und treffen dort einige Traveller wieder, die wir in La Paz kennen gelernt hatten: eine Familie aus Berlin, zwei Familien aus Frankreich, ein Pärchen aus Dänemark, eines aus den USA. Die Welt ist klein, das Hallo groß – an solchen Hot Spots trifft man sich wieder.

Nur noch 20% des ursprünglichen Saksayhuama sind heute noch erhalten, aber selbst das ist noch imposant. Das terrassenförmig angelegte Bollwerk besteht aus fast fugenlos ineinandergepassten gigantischen Steinblöcken, der größte wiegt ca. 350 Tonnen. Rund 30.000 Indios arbeiten 70 Jahre an der Festung, die nach der Eroberung Cuscos durch die Spanier als Steinbruch für ihre Kolonialbauten hemmungslos geplündert wurde.

Keine Zeit Keine Zeit

Jetzt wird es langsam wirklich eng mit dem Timing. Ein Muß für Dina und uns sind Cusco und Machu Picchu, aber um diese Highlights noch zu schaffen müssen wir unser Programm rigoros zusammendampfen. Canyon de Colca und Cruz del Condor werden gestrichen bzw. auf später vertagt, ebenso die abenteuerliche Piste durch die Berge, die wir eigentlich nach Cusco nehmen wollen. Stattdessen entscheiden wir uns für die asphaltierte „Rennstrecke“ über Juliaca, kilometermäßig zwar ein Umweg, aber trotzdem deutlich schneller und von Arequipa aus in zwei Tagen zu schaffen, wenn wir Gas geben und mit Unimoppels Maximalgeschwindigkeit von immerhin 80 kmh durch die Landschaft rasen.

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Die Straße bis Juliaca, einem wichtigen Knotenpunkt verschiedener Handelsstraßen nahe des Titicacasees, erweist sich nicht nur als Strecke mit schlechter Fahrbahn, sondern bietet landschaftlich auch nicht sehr viel, obwohl es wieder über hohe Pässe mit bis zu 4.500 Metern geht. Juliaca selbst, auf kühlen 3.800 Metern gelegen, scheint ausschließlich aus unfertigen Backsteinbauten zu bestehen und erweist sich trotz sogenannter Umgehungsstraße als verkehrstechnisches Inferno. Die Umgehungsstraße ist zu einem großen Teil inzwischen von der wuchernden Stadt umgeben und ein anderer Teil wurde gar nicht erst fertiggestellt, sondern verläuft buchstäblich im Nirvana. Die zahllosen überladenen Schwertransporter haben die Fahrbahn inzwischen so stark abgerieben, daß sie so gut wie nicht mehr vorhanden ist, sondern durch tiefe Rinnen und Schlaglöcher ersetzt wurde. Die Fahrt macht nicht wirklich Spaß.

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Zwischen den größeren Fahrzeugen flitzen dann noch Tausende dreirädrige blaue taxi cholos auf der erbitterten Jagd nach Kundschaft wie wildgewordene Mäuse auf Prozac umher.

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Außerdem scheint die geographische Nähe Boliviens abzufärben: Die Vermüllung an den Straßenrändern steht der im Nachbarland in nichts nach.

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Da die Fernstraße nicht sehr sicher sind verbringen wir die Nacht an einer 24h Tankstelle, die von einer mürrischen Alten, die prompt die Hand aufhält, und ihren fünf Hunden geführt wird. Nachdem wir Juliaca am nächsten Morgen mühsam umschifft haben bessert sich die Strecke nach Cusco merklich; wir sind wieder auf dem mit Büschelgras bewachsenen Altiplano, dem andinen Hochland, und auf den weiten kargen Ebenen entlang der Fahrbahn weiden Tausende von Llamas und Alpakas, die hier zur Woll- und Fleischgewinnung gehalten werden. Etwas entfernt blitzen die Gipfel der Eisriesen Cunurana und Chimboya in den blauen Andenhimmel und langsam freuen wir uns auf Cusco, den „Nabel der Erde“ wie die Stadt von den Inkas einst genannt wurde.

Santa Catalina

Es ist für uns heute kaum nachvollziehbar, daß über fast vier Jahrhunderte in der über 20.000 qm umfassenden Klosterstadt Santa Catalina in Arequipa Novizinnen und Nonnen des Katharinenordens ein spartanisches Leben abseits alles Weltlichen führten. Gegründet wurde das Kloster 1580 vom spanischen Mutterorden der Dominikaner.

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Aufgrund der starken Nachfrage von spanischen Familien, die ihre Töchter hier unterbringen wollten, wurde es im 17ten Jahrhundert auf die heutige Größe erweitert. Für reiche spanische Familien war es selbstverständlich, daß die zweite Tochter – natürlich mit makelloser Vergangenheit – für „Gott und das Himmelreich“ an ein Kloster abgetreten wurde. Dazu war als Mitgift die horrende Summe von tausend Goldpesos in Form von Goldmünzen, Porzellan, Silber, Schmuck usw. erforderlich.

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Wer nicht über genügend Barschaft verfügte, verkaufte seine Wertgegenstände auf dem Klostermarkt. Für die Lebenskosten der Tochter im Kloster mussten die Familien weiterhin in vollem Umfang aufkommen. Die erheblichen Geldmittel, die dem Kloster auf diese Weise zuflossen, ermöglichten die Anstellung von Dienstpersonal, auch von Männern, die im Kloster arbeiteten und insbesondere das umliegende Ackerland bearbeiteten. Was hinter den hohen Mauern aus Tuffgestein geschah, wie die rund 150 Nonnen und Novizinnen mit ihren 400 Dienstmädchen lebten, blieb der Öffentlichkeit über 300 Jahre weitestgehend verborgen. Verarmte eine Nonne oder deren Familie, so wurde sie gezwungen, ihr letztes Hab und Gut an andere Nonnen zu verkaufen. Alles im Namen Gottes und zu Ehren der Heiligen Katharina – die katholische Kirche gibt hier ein schönes Vorbild für spätere Sekten ab.

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Beim Eintritt ins Kloster mussten die Novizinnen ein absolutes Schweigegelübde ablegen. Über einen Zeitraum von ein bis vier Jahren musste die Novizin eine Probezeit allein im Noviciado absolvieren und durfte in dieser Zeit keinen Besuch empfangen. Nach der Probezeit konnte die Novizin einen notariellen Vertrag als Nonne mit dem Kloster abschließen und musste dann die Mitgift zahlen.

Nonnen war es gestattet, bei besonderen Gelegenheiten Besuch von Familienangehörigen zu erhalten. Dazu gab es im Kloster hinter dem Eingang sogenannte Lokutorien mit hölzernen Sprechgittern, die so konstruiert sind, daß der Angehörige die Nonne nicht sehen konnte, sie jedoch ihn. Berührungen waren nicht möglich. Für die Übergabe von Geschenken und Briefen gab es ein Drehregal, in welches die Dinge von außen gelegt und nach innen gedreht werden konnten. Eine Nonne hörte alle Besuchsgespräche mit und kontrollierte jedes Geschenk und jeden Brief.

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Die Wohnräume der Nonnen waren einfachst ausgestattet: Ein Bett mit Matraze, die manchmal zur Selbstkasteiung mit Steinen oder Stacheln gefüllt war, Tisch, Stuhl, Altar. Das Fenster musste immer offen stehen, damit eine Kontrolle jederzeit möglich war. Bei ihrem Tagwerk wurden die Nonnen von bis zu vier Dienstmädchen unterstützt, die für sie eingekauft, gewaschen, geputzt haben. Meist waren dies Mestizinnen, Indigena oder Afrikanerinnen. Alle Wohnräume besaßen über eine Treppe nach oben einen Ausgang in Freie, vermutlich als Fluchtweg bei Erdbeben oder Bränden. Vielleicht haben wir das aber auch mißverstanden und es war der Eingang für den Gärtner zum Blumengießen…

 

Um sich von allen Sünden, getan oder gedacht, frei sprechen zu lassen gab es dann noch eine ganze Reihe von Beichtstühlen.

Die sündige Nonne begab sich in die kleine Kammer hinter der Holztür und sprach in die von kleinen Löchern durchbrochene Wand, hinter welcher sich eine höhergestellte Nonne verbarg und zuhörte.

Alle Straßen des Klosters tragen in den Tuffstein gemeißelte spanische Namen wie Calle Granada, Calle Sevilla, Calle Cordoba usw. Die Mauern, ehemals weiß getüncht, sind heute hellblau, orange und rot gestrichen und bieten schöne Fotomotive.

 

Bis ins Jahr 1970 war das Kloster von der Außenwelt nahezu hermetisch abgeriegelt. Weder war es den Nonnen gestattet, das Kloster zu verlassen, noch waren Besucher erlaubt. Heute leben noch etwas fünfzig Ordensschwestern in Santa Catalina, die den Klosterbetrieb aufrechterhalten, aber die strengen Bestimmungen gelten für sie nicht mehr. Das Kloster ist weitestgehend der Öffentlichkeit zugänglich, auch die Klosterkirche steht den Besuchern offen und in der Pinakothek kann man rund achtzig Gemälde aus dem 16ten und 17ten Jahrhundert bewundern.

 

Nach soviel Kultur brauchen Dina und ich jetzt was Handfestes: ein Crepe mit Mango und eines mit Alpaka.

Arequipa – La Ciudad Blanca

Der uns aufgezwungene Aufenthalt in Tacna hat uns wertvolle Zeit gekostet. Dina fliegt am 27ten September von Lima aus nach Hause und wir müssen unser Programm etwas straffen. Über die Panamericana Sur geht es weiter nach Arequipa, eine der beeindruckendsten Kolonialstädte und mit rund 1,4 Mio Einwohnern zweitgrößte Stadt Perus auf angenehmen 2.400 Metern. Die Flußoase mit ihrer gut erhaltenen Altstadt rund um die Plaza de Armas liegt unmittelbar zu Füßen der mächtigen Vulkane Misti (5.822 m und aktiv), Chachani (6.075 m und weiß verschneit) und Pichu Pichu (5.425 m). Durch die Nähe zu weiteren aktiven Vulkanen werden in Arequipa täglich bis zu zwölf Erdbeben registriert.

An Stelle einer früheren Inka-Stadt gründeten die Spanier 1540 die „weiße Stadt“, die mit ihren Kirchen und Palästen aus weißem Sillar, einem vulkanischen Tuffstein, zu einer der schönsten Städte des Kolonialreiches erblühte. Manche Zungen behaupten, die Bezeichnung „weiße Stadt“ beziehe sich nicht auf den weißen Stein, sondern auf die Tatsache, das ehemals die Innenstadt ausschließlich von den weißen Kolonialherren bewohnt werden durfte, wohingegen die Sklaven, zumeist Indios und Schwarze, in den Randgebieten leben mussten. Kommt einem bekannt vor, oder?

Heute ist der Durchgangsverkehr aus den schmalen Gassen des historischen Zentrums verbannt und es sind kleine Fußgängerbereiche entstanden, die zum Bummeln und Verweilen einladen. Die schattenspendenden zweigeschossigen Arkaden rund um die begrünte Plaza de Armas sind mit Geschäften, Touranbietern und Restaurants bevölkert; lediglich die Nordseite des Platzes wird in ihrer gesamten Breite von der imposanten Kathedrale beherrscht, die sich im blankpolierten weißen Marmor des Vorplatzes spiegelt.

Böse Überraschung

Wir sind gerade einmal eine Stunde in Peru, da kommt, was irgendwann in Südamerika kommen muß. Wir parken unseren Wagen mittags vor dem mitten im Stadtzentrum von Tacna gelegen Krankenhaus, um bei einer uns empfohlenen Agentur eine gesonderte Haftpflichtversicherung abzuschließen, da die bestehende Mercosur-Versicherung nur Anrainerstaaten von Argentinien umschließt und Peru sowie Ecuador, die wir auch besuchen wollen, ausklammert. Nach kaum zehn Minuten kommen wir zurück und halten den Atem an: Die Scheibe auf der Beifahrerseite ist eingeschlagen und der Wagen ausgeraubt.

Die wichtigsten Dinge wie Dokumente, Kreditkarten, Kamera usw. haben wir zum Glück entweder dabei oder im Bordversteck, aber die bösen Jungs machen trotzdem fette Beute. Wir sind um einen Laptop, einen Kindle, diverses Computerzubehör, ein i-phone, drei Sonnenbrillen, einen Rucksack und eine Tasche erleichtert. Es ist nicht, als hätten wir nicht um die Gefahr gewusst, aber Fahrlässigkeit wird in Südamerika umgehend bestraft, auch am helllichten Tag.

Binnen weniger Minuten erscheint ein hilfsbereiter Einheimischer am Tatort und ruft die Polizei herbei; kurz darauf stellt er sich als Journalist einer lokalen Tageszeitung vor – was für ein seltsamer Zufall?!?!?!? Die beiden Polizisten befragen uns, steigen vorne ein, steigen hinten ein, steigen wieder vorne ein, finden den Unimog ganz toll … und sprechen mit dem Journalisten, der die Zeit für ein paar Fotos genutzt hat. Dann werden wir gebeten, ihnen mit unserem Fahrzeug ein paar Hundert Meter zur zentralen Wache zu folgen, wo wir die nächsten Stunden damit verbringen, zehn verschiedenen Beamten zu erklären – nacheinander und auf Spanisch, da niemand ein einziges Wort Englisch spricht, wohlgemerkt -, was wir während der Tat wo und warum gemacht haben und was genau gestohlen wurde. Erst fragt der Eine, dann werden wir ins nächste Zimmer gereicht, dann kommt die Spurensicherung dazu und will wissen, ob wir die Türen und die Fenster nach der Tat schon angefasst haben. Nein, haben wir nicht, aber ihre Kollegen dafür umso reichlicher undsoweiterundsofort… Alle sind ausnehmend freundlich und geben sich große Mühe, aber die Abwicklung ist, gelinge ausgedrückt, etwas merkwürdig und konfus.

Nachdem ungefähr zehn handschriftliche Protokolle von unterschiedlichen Personen angefertigt wurden nimmt man meine Fingerabdrücke, damit später bewiesen werden kann, das ich die Anzeige höchstpersönlich vor Ort gemacht habe. Wird immer lustiger! Zwischendurch kommt noch eine Dame von der sogenannten Touristenpolizei, die im Haus nebenan angesiedelt ist, drückt mit weit aufgerissenen Augen in einem Kauderwelsch aus Spanisch, Französisch und einigen englischen Brocken ihre Betroffenheit über die Tat aus und verteilt nonstop parlierend bunte Flyer über Tacna, Arequipa, Cusco und Lima an uns. Peru sei ja sooooooooo ein schönes Land und Tacna sooooooooooo eine schöne Stadt! Das ganze entwickelt sich immer mehr zu einer liebenswerten Komödie und ich muß schon fast lachen.

Dina hat inzwischen den Polizeichef dazu bewogen, ihr seinen fast die gesamte Raumbreite einnehmenden Schreibtisch und den Computer mit Internetanschluß zu überlassen, da sie ihr Handy usw. sperren möchte. Als Stunden später ein Polizist sie anspricht, weil der den Computer wohl selbst benötigt, faucht sie ihn – ganz in ihrer digitalen Welt versunken – mit „No es possible!“ an. Ich ziehe den Kopf ein, aber nichts passiert, der junge Mann zuckt nur mit den Schultern und trollt sich brav und ohne Widerspruch davon. Aus den zehn verschiedenen handschriftlichen Protokollen wird eine weitere, elfte, handschriftliche Version erstellt, die dann wiederum von einem jungen Polizisten im Zweifingersuchsystem in meinem Beisein auf einem Computer abgetippt und mit einem weiteren Fingerprint von mir bezeugt werden muß. Wie ich später erfahre, gibt Hugo in dieser Zeit dem lokalen Fernsehsender, der zwischenzeitlich vor dem Eingang ebenfalls aufgetaucht ist, draußen ein Interview.

Als wir mit dem Prozedere fertig sind ist es schon später Nachmittag und viel zu spät zum Weiterfahren, zumal die Scheibe auf der Beifahrerseite erst ersetzt werden muß. Wir suchen uns ein Hotel und nachdem wir unsere prekäre Situation an der Rezeption des Holiday Suites erklärt haben dürfen wir den Parkplatz hinter hohen Mauern als Stellplatz für die Nacht nutzen. Als wir später den Parkplatz zu Fuß durch die kleine Tür, die im großen Portal eingelassen ist, verlassen wollen, um Essen zu gehen, stellen wir fest, daß nicht die bösen Jungs hinter Gittern sitzen, sondern wir. Man hat uns eingesperrt. Durch ein kleines vergittertes Fenster in der Tür versuchen wir, Passanten auf uns aufmerksam zu machen, aber dann erscheint nach ein paar Minuten jemand von der Rezeption und schließt die Tür für uns auf. Der Parkplatz wird videoüberwacht und man hat uns herumzappeln sehen. Wer den Schaden hat…

Am nächsten Morgen sitze ich wartend in der Lobby des Hotels, blättere in einer der herumliegenden Tageszeitungen und entdecke prompt einen Artikel über den Diebstahl inklusive Foto von Unimoppel und Hugo.

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Der überaus freundliche Chef des Hotels kennt die Geschichte offensichtlich ebenfalls, hat zwei und zwei schon zusammengezählt, lädt uns zum Frühstück ein und bietet uns dann ein Zimmer zu einem großzügigen Sonderpreis für die folgende Nacht an; ein Angebot, welches wir unmöglich abschlagen können ohne unhöflich sein. Wir sagen zu und freuen uns darauf, nach einem halben Jahr mal wieder mehr als 7,5 qm zur Verfügung zu haben. Aber es soll noch besser kommen… Die Paparazzi verfolgen offenbar unsere Schritte und finden uns – wer da wohl gegen ein paar Scheinchen geplaudert hat – auch auf dem abgeriegelten Parkplatz, denn einen Tag später entdecken wir in der Tageszeitung einen weiteren Artikel.

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Bei der Suche nach einer Glaserei, die unser Fenster kurzfristig ersetzen kann, lernen wir Paul kennen, einen Deutschen, der seit zehn Jahren hier in Tacna lebt und mit Guadeloupe, einer Zahnärztin, verheiratet ist. Eines ergibt das andere, mittags sitzen wir mit ihm und seiner Frau bei einer Suppe und anschließendem Kaffee auf seiner Terrasse, nachmittags unterzieht sich Hugo in Guadeloupes Praxis einer längst fälligen Wurzelbehandlung und abends treffen wir uns bei Pisco Sour in einer Bar hoch über den Dächern von Tacna, um unsere neue Freundschaft zu besiegeln. Alles ist gut.

(Frucht-) Grenze

In Arica, der nördlichsten Stadt Chiles, verbringen wir eine Nacht am Strand mit seiner sanften Brandung unterhalb des knapp 300 Meter hohen Morros. Am nächsten Morgen geht es über die Grenze. Das Auschecken aus Chile geht ruckzuck, aber das Einchecken nach Peru hat dann wie erwartet seine Tücken und dauert insgesamt fast zwei Stunden. Erst Schlange stehen an dem einen Schalter, dann zur Passkontrolle, dann an einem weiteren Schalter in einem anderen Gebäude im zweiten Stock ein Formular kaufen (!), dann mit dem ausgefüllten Formular wieder runter zur Paßkontrolle, dann das ganze nochmals woanders um die Ecke für das Fahrzeug. Stempel hier, Stempel da, Hauptsache viele Stempel. Abschließend kommt dann noch der Zoll und durchsucht den Wagen, wenngleich auch nur oberflächlich.

Zum Schutz vor Fruchtfliegen- und anderem Schädlingsbefall befall hat Chile schon seit geraumer Zeit eine sogenannte Fruchtgrenze zu Bolivien und Peru, das heißt, es dürfen kein frisches Obst und Gemüse, keine frischen Fleischwaren, keine nicht pasteurisierten Milchprodukte und kein Honig eingeführt werden. Dies war uns bekannt. Nun hat auch Peru umgekehrt eine solche Fruchtgrenze eingeführt, ob aus echter Besorgnis oder aus Nickeligkeit gegenüber den „reichen“ Nachbarn sein mal dahin gestellt. Immerhin gehörte die Region um das chilenische Arica bis 1880 zu Peru. Auf jeden Fall nehmen uns die Zöllner die Bananen, Äpfel, Avocados, Kartoffeln und den Honig ab.