Böse Überraschung

Wir sind gerade einmal eine Stunde in Peru, da kommt, was irgendwann in Südamerika kommen muß. Wir parken unseren Wagen mittags vor dem mitten im Stadtzentrum von Tacna gelegen Krankenhaus, um bei einer uns empfohlenen Agentur eine gesonderte Haftpflichtversicherung abzuschließen, da die bestehende Mercosur-Versicherung nur Anrainerstaaten von Argentinien umschließt und Peru sowie Ecuador, die wir auch besuchen wollen, ausklammert. Nach kaum zehn Minuten kommen wir zurück und halten den Atem an: Die Scheibe auf der Beifahrerseite ist eingeschlagen und der Wagen ausgeraubt.

Die wichtigsten Dinge wie Dokumente, Kreditkarten, Kamera usw. haben wir zum Glück entweder dabei oder im Bordversteck, aber die bösen Jungs machen trotzdem fette Beute. Wir sind um einen Laptop, einen Kindle, diverses Computerzubehör, ein i-phone, drei Sonnenbrillen, einen Rucksack und eine Tasche erleichtert. Es ist nicht, als hätten wir nicht um die Gefahr gewusst, aber Fahrlässigkeit wird in Südamerika umgehend bestraft, auch am helllichten Tag.

Binnen weniger Minuten erscheint ein hilfsbereiter Einheimischer am Tatort und ruft die Polizei herbei; kurz darauf stellt er sich als Journalist einer lokalen Tageszeitung vor – was für ein seltsamer Zufall?!?!?!? Die beiden Polizisten befragen uns, steigen vorne ein, steigen hinten ein, steigen wieder vorne ein, finden den Unimog ganz toll … und sprechen mit dem Journalisten, der die Zeit für ein paar Fotos genutzt hat. Dann werden wir gebeten, ihnen mit unserem Fahrzeug ein paar Hundert Meter zur zentralen Wache zu folgen, wo wir die nächsten Stunden damit verbringen, zehn verschiedenen Beamten zu erklären – nacheinander und auf Spanisch, da niemand ein einziges Wort Englisch spricht, wohlgemerkt -, was wir während der Tat wo und warum gemacht haben und was genau gestohlen wurde. Erst fragt der Eine, dann werden wir ins nächste Zimmer gereicht, dann kommt die Spurensicherung dazu und will wissen, ob wir die Türen und die Fenster nach der Tat schon angefasst haben. Nein, haben wir nicht, aber ihre Kollegen dafür umso reichlicher undsoweiterundsofort… Alle sind ausnehmend freundlich und geben sich große Mühe, aber die Abwicklung ist, gelinge ausgedrückt, etwas merkwürdig und konfus.

Nachdem ungefähr zehn handschriftliche Protokolle von unterschiedlichen Personen angefertigt wurden nimmt man meine Fingerabdrücke, damit später bewiesen werden kann, das ich die Anzeige höchstpersönlich vor Ort gemacht habe. Wird immer lustiger! Zwischendurch kommt noch eine Dame von der sogenannten Touristenpolizei, die im Haus nebenan angesiedelt ist, drückt mit weit aufgerissenen Augen in einem Kauderwelsch aus Spanisch, Französisch und einigen englischen Brocken ihre Betroffenheit über die Tat aus und verteilt nonstop parlierend bunte Flyer über Tacna, Arequipa, Cusco und Lima an uns. Peru sei ja sooooooooo ein schönes Land und Tacna sooooooooooo eine schöne Stadt! Das ganze entwickelt sich immer mehr zu einer liebenswerten Komödie und ich muß schon fast lachen.

Dina hat inzwischen den Polizeichef dazu bewogen, ihr seinen fast die gesamte Raumbreite einnehmenden Schreibtisch und den Computer mit Internetanschluß zu überlassen, da sie ihr Handy usw. sperren möchte. Als Stunden später ein Polizist sie anspricht, weil der den Computer wohl selbst benötigt, faucht sie ihn – ganz in ihrer digitalen Welt versunken – mit „No es possible!“ an. Ich ziehe den Kopf ein, aber nichts passiert, der junge Mann zuckt nur mit den Schultern und trollt sich brav und ohne Widerspruch davon. Aus den zehn verschiedenen handschriftlichen Protokollen wird eine weitere, elfte, handschriftliche Version erstellt, die dann wiederum von einem jungen Polizisten im Zweifingersuchsystem in meinem Beisein auf einem Computer abgetippt und mit einem weiteren Fingerprint von mir bezeugt werden muß. Wie ich später erfahre, gibt Hugo in dieser Zeit dem lokalen Fernsehsender, der zwischenzeitlich vor dem Eingang ebenfalls aufgetaucht ist, draußen ein Interview.

Als wir mit dem Prozedere fertig sind ist es schon später Nachmittag und viel zu spät zum Weiterfahren, zumal die Scheibe auf der Beifahrerseite erst ersetzt werden muß. Wir suchen uns ein Hotel und nachdem wir unsere prekäre Situation an der Rezeption des Holiday Suites erklärt haben dürfen wir den Parkplatz hinter hohen Mauern als Stellplatz für die Nacht nutzen. Als wir später den Parkplatz zu Fuß durch die kleine Tür, die im großen Portal eingelassen ist, verlassen wollen, um Essen zu gehen, stellen wir fest, daß nicht die bösen Jungs hinter Gittern sitzen, sondern wir. Man hat uns eingesperrt. Durch ein kleines vergittertes Fenster in der Tür versuchen wir, Passanten auf uns aufmerksam zu machen, aber dann erscheint nach ein paar Minuten jemand von der Rezeption und schließt die Tür für uns auf. Der Parkplatz wird videoüberwacht und man hat uns herumzappeln sehen. Wer den Schaden hat…

Am nächsten Morgen sitze ich wartend in der Lobby des Hotels, blättere in einer der herumliegenden Tageszeitungen und entdecke prompt einen Artikel über den Diebstahl inklusive Foto von Unimoppel und Hugo.

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Der überaus freundliche Chef des Hotels kennt die Geschichte offensichtlich ebenfalls, hat zwei und zwei schon zusammengezählt, lädt uns zum Frühstück ein und bietet uns dann ein Zimmer zu einem großzügigen Sonderpreis für die folgende Nacht an; ein Angebot, welches wir unmöglich abschlagen können ohne unhöflich sein. Wir sagen zu und freuen uns darauf, nach einem halben Jahr mal wieder mehr als 7,5 qm zur Verfügung zu haben. Aber es soll noch besser kommen… Die Paparazzi verfolgen offenbar unsere Schritte und finden uns – wer da wohl gegen ein paar Scheinchen geplaudert hat – auch auf dem abgeriegelten Parkplatz, denn einen Tag später entdecken wir in der Tageszeitung einen weiteren Artikel.

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Bei der Suche nach einer Glaserei, die unser Fenster kurzfristig ersetzen kann, lernen wir Paul kennen, einen Deutschen, der seit zehn Jahren hier in Tacna lebt und mit Guadeloupe, einer Zahnärztin, verheiratet ist. Eines ergibt das andere, mittags sitzen wir mit ihm und seiner Frau bei einer Suppe und anschließendem Kaffee auf seiner Terrasse, nachmittags unterzieht sich Hugo in Guadeloupes Praxis einer längst fälligen Wurzelbehandlung und abends treffen wir uns bei Pisco Sour in einer Bar hoch über den Dächern von Tacna, um unsere neue Freundschaft zu besiegeln. Alles ist gut.

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