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Abschied von Unimoppel

Sandra und Enrique haben sich bereit erklärt, uns zur Fähre nach Colonia del Sacramento zu bringen. Wir stellen Unimoppel im hohen gelben Gras in der Nähe des Haupthauses ab und übergeben ihn samt Schlüsseln, Papieren und einigen Erklärungen an die beiden. Es fühlt sich ein bißchen so an, als übergebe man ein Haustier, an dem das Herz sehr hängt. Ich kann mich jedenfalls bei der Abfahrt nicht umdrehen, der Kloß im Hals drückt zu sehr und ich muß einen langen Moment in den Himmel gucken.

Mit der Übergabe des Wagens wird uns unvermeidlich klar, daß das jetzt nun wirklich das Ende unserer Reise mit dem Unimog ist. Der Moment des Abschieds, von dem wir vor einem Jahr noch nicht wußten wie schnell er kommen würde, ist da. Die Zeit, die wir uns geschenkt haben, unser „Luxusjahr“, ist um.

Ein ganzes Jahr war Unimoppel unser Zuhause. In den Wüsten und den Tropen, auf den Gipfeln der Anden und an den Küsten der Meere, bei Sonne, Regen und Temperaturen deutlich unter Null, auf Sand, Salz, Schotter, Schlamm und Asphalt. Er hat geächzt und gestöhnt, zeitweilig schwarzen Rauch ausgepustet, sich und uns manches Mal gewaltig durchgegeschüttelt, aber er hat uns nie im Stich gelassen. Leben auf nur 7,5 Quadratmetern, aber es hat uns an nichts gefehlt.

Es wird ihm gut gehen hier auf der Farm in Uruguay. Hier, als einzigem Land in Südamerika, darf er bis zu einem Jahr stehen bleiben, ohne das teure Zollgebühren fällig werden. Sollten wir bis dahin keine Gelegenheit zu einer weiteren Reise mit ihm haben, wird Enrique ihn mal kurz über die Grenze nach Brasilien oder Argentinien und wieder zurück fahren. Danach kann er ein weiteres Jahr stehen bleiben. Für den Fall, daß wir Unimoppel doch nach Europa holen möchten, weil wir ihn zu sehr vermissen, buchen wir eine Überfahrt und Enrique wird ihn in Montevideo auf einen Frachter setzen.

Das Terminal im Hafen von Colonia ist topmodern, wir checken uns und unser Gepäck – mit Gleitschirmausrüstung, Drachengurtzeug, Helm usw. immerhin üppige 100 Kilo – wie auf einem Flughafen ein, und schon kurze Zeit später startet die voll besetzte Fähre, um uns in 1 ½ Stunden über den Rio de la Plata auf die argentinische Seite zu bringen. Der Wind bläst seit ein paar Tagen heftig, der Wellengang in der Flußmündung ist stark und die Fähre schaukelt gewaltig. Der Aufenthalt an Deck wird untersagt, die Türen geschlossen, vorbei ist es mit der frischen Luft. Gut, daß wir uns für die schnelle, wenngleich etwas teurere Fähre entschieden haben: Das reguläre Schiff benötigt für die Überfahrt die doppelte Zeit.

Mit dem Taxi geht es nach der offiziellen Einreise in Argentinien weiter zum internationalen Flughafen von Buenos Aires und von dort … nein, noch immer nicht nach Hause. Wir schieben, wo wir nur können :-). Wir haben uns gegen einen vierzehnstündigen Flug in einer Sardinenbüchse mit minimaler Beinfreiheit, Dudelmusik und müffelnden Mitreisenden entschieden. Nach unserer langen Tour durch Natur und Einsamkeit befürchten wir außerdem einen lebensbedrohlichen Kulturschock, wenn wir in Deutschland völlig übernächtigt und mit Jetlag ungebremst in den Alltag purzeln. Wir sind mit dem Schiff gekommen und kehren jetzt auch mit dem Schiff nach Europa zurück, haben aber den spartanischen Frachter gegen ein komodes Kreuzfahrtschiff ausgetauscht. Über Nacht und via Sao Paulo fliegen wir nach Rio de Janeiro.

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Countdown

Irgendwann kommt das Unvermeidliche: Bis zuletzt haben wir diesen Zeitpunkt hinausgezögert, aber jetzt müssen wir zusammenpacken und nach Colonia del Sacramento, 180 Kilometer westlich von Montevideo, aufbrechen. Dort werden wir Unimoppel auf der Farm von Sandra – einer Deutschen – und ihrem urugayischen Mann Enrique bis zum nächsten Einsatz stehen lassen, gut betreut und im Kreis von rund fünfzehn anderen, ebenfalls temporär geparkten Overlandern aus aller Herren Ländern.

In Montevideo gibt es bei einem Zwischenstopp noch ein feines Babybeef in einer Parrilla in den Markthallen am Hafen. Genau dort haben wir mit Celi, Brigitte und einer Freundin der beiden zu Beginn unserer Reise gegessen. Für Menschen, die auf Paläodiät schwören, ein Paradies, für Vegetarier schlichtweg die Hölle. Bei einem kurzen Stadtbummel durch das historische Zentrum zeigt sich, daß Montevideo einst eine sehr wohlhabende Stadt gewesen sein muß. Heute sind einige Viertel schon arg mitgenommen und verfallen, aber die alte Pracht in der ciudad vieja, der Altstadt, läßt sich noch erahnen.

Colonia del Sacramento ist die älteste europäische Siedlung in Uruguay und wurde einst von den Portugiesen als Gegenpol zu Buenos Aires auf dem östlichen Ufer des Rio de la Plata gegründet. Das historische Zentrum mit seinen geduckten Kolonialbauten, dem holprigen Kopfsteinpflaster, den schmiedeeisernen Gittern und den verschwiegenen Plätzen mit viel Grün zählt heute zum UNESCO Weltkulturerbe. Die schlamm-braunen Fluten des Rio de la Plata, nicht der längste, aber der breiteste Fluß der Welt, münden hier in den blauen Atlantik. Der Fluß ist so breit, daß man die gegenüberliegende Seite und Buenos Aires nicht sehen kann. Man hat den Eindruck, an einem braunen Meer zu stehen.

Auf der Farm von Sandra und Enrique klären wir die Formalitäten und offenen Fragen, bevor wir an einen kleinen Strand zum Übernachten fahren. Außer vielen Vögeln und ein paar Fischern sind wir hier völlig allein.

Am nächsten Tag fahren wir zum Fähranleger in Colonia und kaufen zwei Tickets für die Schnellfähre nach Buenos Aires drei Tage später. Wenige Kilometer von der Farm entfernt können wir uns auf einem außerhalb der Saison fast völlig verwaisten Campingplatz mit hohen Bäumen und unzähligen Vögeln einrichten, um den Wagen zu überholen. Der Campingplatzbetreiber ist überaus zuvorkommend und stellt uns sogar seinen Hochdruckerreiniger zur Verfügung.

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Bevor wir den Wagen bei Sandra und Enrique abstellen ist eine Grundüberholung erforderlich: Der Sand und Schlamm muß abgespült, die Trinkwassertanks entleert und desinfiziert, Roststellen entfernt und überstrichen, etliche Dinge im Wagen umgeräumt und gesichert werden. Wir bauen immer mehr um den Wagen herum auf – Matratzen, Schlafsäcke, Werkzeugkisten, Ersatzteile, Schläuche, Kanister, Gummistiefel –, in kürzester Zeit ist unser gesamtes Hab und Gut verteilt und es sieht ziemlich chaotisch aus. Gut, daß niemand anderers da ist und wir viel Platz haben. Ich frage mich, ob wir bis zur Abreise alles wieder an den richtigen Platz schaffen.

Bei all dem wüsten Treiben haben wir zwei neugierige Besucher: Unter einer Holzpalette kommen um die Mittagszeit, wenn sie offensichtlich ausgeschlafen haben, zwei große Geckos von ungefähr 1,50 Metern Länge hervor und beäugen uns neugierig. Wir können uns ihnen bis auf ungefähr einen Meter nähern, bevor sie davon flitzen. Kekse mögen sie nicht, aber rohe Eier…

Dann ist es geschafft: Unimoppel ist blitzsauber und glänzt wie neu, na ja, fast jedenfalls. Wir fahren ein letztes Mal durch die Felder zu Sandra und Enrique.

Weißt du noch…?

Wir zockeln über die gut ausgebaute Costanera aus Montevideo hinaus mit dem Ziel Punta del Este und biegen dann auf die alte, den Strand entlang führende schmale Straße ab. In Maldonado, dem mondänen Vorort Puntas, besuchen wir für eine Nacht den „Weihnachtsmann“. Wir haben Glück, Franz und seine Frau sind in ihrem Feriendomizil auf dem Campingplatz zuhause und freuen sich über das Wiedersehen genauso sehr wie wir. Bei Wein und Käse bedanken wir uns für die vielen hilfreichen Tipps für Südbrasilien, die er uns vor einem Jahr gegeben hat, und seine großzügige Einladung nach Gramado, wo wir einige Tage bei seinem Hotel stehen durften und von Shanie, seiner Tochter, liebevoll mit dem schönsten Frühstück umsorgt wurden.

In Punta del Este fahren wir noch einmal die schönsten Stellen an der Küste ab, unterhalten uns mit vielen „weißt du noch?“ im Text und geben uns ein letztes Mal einer Sushi-Orgie hin. Wie schon im Jahr zuvor ist die Stadt recht ruhig, die weißen Sandstrände sind fast menschenleer. In „unserem“ Supermarkt kaufen wir noch ein paar Lebensmittel ein und auf der Strandpromenade in Piriapolis gönnen wir uns noch einmal ein großes Eis in „unserer“ Eisdiele… weißt du noch? Vor einem Jahr haben wir am gleichen Platz gesessen, auf das gleiche Meer geschaut, und plötzlich sind die alten Gefühle wieder da, dieses Nichtwissen, was während unserer Reise auf uns zukommt, diese angespannte, alles umfassende Vorfreude. Zwei glückselige Kinder am Abenteuerheiligabend.

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In den Dünen finden wir einen schönen Stellplatz mit Panoramablick. Die Sonne schenkt uns spektakuläre Auf- und Untergänge und in der Dämmerung hoppeln wilde Meerschweinchen um uns herum, sonst ist kaum jemand hier.

Hugo sammelt Treibholz und kurz darauf brennt ein romantisches Lagerfeuer.

Der Kreis schließt sich

Wir durchqueren die grüne, wenig abwechslungsreiche Landschaft von Entre Rios und erreichen das Ufer des Rio Uruguay, den „Fluß des bunten Vogels“, der die Grenze zu Uruguay bildet. Über eine steile Brücke geht es hinüber auf die andere Seite, dann erfolgt die unkomplizierte Aus-/Einreise beim Grenzübergang Fray Bentos.

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Hier, an diesem einfachen Grenzübergang, stauen sich lange Schlangen von LKW, die überwiegend mit landwirtschaftlichen Gütern und Holz beladen sind. In den Nischen zwischen den unzähligen, völlig eingestaubten Wagen floriert der heimliche Tauschhandel: Säckeweise finden hier Zwiebeln, Orangen, Mais und auch manches Handy einen neuen Besitzer. Die Offiziellen schauen weg oder mischen munter mit. Mit unserem Unimog sind wir schnell mit den Menschen in Gespräche verwickelt, werden in der Abfertigungsschlange zuvorkommend vorgewunken und sind schwupps dort, wo alles für uns begann.

Wir sind wieder in Uruguay und unser Reisekreis hat sich nach einem Jahr fast geschlossen. Wir erledigen die Grenzformalitäten mit erstaunlich wenig Papierkram, dann knallt der Gedanke an das bevorstehende Ende unserer Tour mit Wucht in unser Bewußtsein und nimmt uns für einem Moment die Luft. Ziemlich schweigsam verbringen wir die nächsten Stunden. Ist die Zeit unserer Reise wirklich und wahrhaftig schon um? Ja, fast. Ein paar Tage bleiben uns noch.

Vor uns liegen noch gut vierhundert Kilometer quer durch das Land bis nach Montevideo. Die Fahrt ist schön, die Ortschaften, die wir passieren, sind einfach und authentisch und tragen so schöne Namen wie Dolores, Mercedes oder Rosario. Uruguay hat uns am Anfang unserer Reise mit seiner Aufgeräumtheit, seiner Gelassenheit schon positiv überrascht und dieser erste Eindruck verstärkt sich jetzt noch.

Nach weiteren zwei Tagen durch sanft-hügelige Felder, Wiesen und Weiden liegen das Blau des Atlantik und das Häusermeer Montevideos vor uns.

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Wir fahren die doppelspurige Uferstraße entlang, vorbei am Hafen und dem großen Tor, durch das wir ein Jahr zuvor mit unserem Unimoppel nach 46 Tagen Atlantiküberfahrt von Bord der Grande San Paolo rollten, voller Spannung, voller Erwartungen, voller Neugier, was dieser Kontinent für uns bereit halten würde. Wie wird das Jahr wohl werden? Wird alles klappen? Alles gutgehen? Greenhorns, die wir damals waren, hatten wir bei unserer Ankunft in Südamerika nur ein kleines Vorgefühl, wie reich an schönen Erlebnissen wir ein Jahr später sein würden.

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Jetzt müssen wir uns entscheiden, wie und wo wir unsere letzten Tage verbringen möchten. Ein paar Tage Stadt mit Tango, Kultur, Nightlife und Sightseeing in Buenos Aires erleben oder die Reise doch lieber in der Abgeschiedenheit der Dünen entlang der Atlantikküste ausklingen lassen? Wir hören auf unsere innere Stimme und entscheiden uns spontan für letzteres. Stadtleben, überfüllte Straßen, ein pralles Konsumangebot und die damit verbundene Hektik werden wir in Deutschland wieder früh genug haben. Längst ist entschieden, daß Unimoppel hier in Uruguay bleibt für eine weitere Reise und so kann Buenos Aires locker warten bis zum nächsten Mal.

Von Stränden und Steaks…

Mit Uruguay haben wir ein in vieler Hinsicht unterschätztes Land kennengelernt. Die Küste von Montevideo über Punta del Este in Richtung Brasilien ist gesäumt von unzähligen einsamen Stränden und in den kleinen Fischerdörfern ist die Zeit vor 50 Jahren stehen geblieben. Das mondäne Seebad Punta del Este dagegen mutet mit seiner modernen Skyline aus Glas wie Klein-Miami an, aber wenige Kilometer später verlieren sich die Touristen, überwiegend aus dem benachbarten Argentinien und Brasilien, auch schon.

Skyline Punta del Este/Uruguay

Skyline Punta del Este/Uruguay

Bis zur östlichen Grenze des Landes dann nur Traumstrände, an denen die Surfer auf die perfekte Welle warten.

Strand bei Aguas Dulces/Uruguay

Strand bei Aguas Dulces/Uruguay

Die Uruguayer scheinen das entspannteste Volk der Welt zu sein. Von Hektik keine Spur. Mit Thermoskanne in der einen und Mate-Tee-Becher in der anderen Hand schlendern sie gemächlich durch den Tag, immer offen für einen kleinen Plausch, auch mit uns Fremden. Gespräche ergeben sich wie von selbst. Würde man einen Uruguayer nach der Bedeutung des Wortes „Burnout“ fragen, so erhielte man als Antwort, das sei das letzte Glimmen der Glut beim Grillen. Apropos: Gegrillt wird hier unentwegt; bereits ab mittags ziehen die Rauchfahnen und Aromen in die Nase. Bestes Fleisch erhält man hier zu ganz kleinen Preisen und so schwelgen wir in Entrecote und Filet samt herzhaften Saucen und passenden Weinen der Region. Da zwingend ein gustatorischer Kontrapunkt gesetzt werden muß gibt es als Dessert Dulce de leche, natürlich die kleine Doppelportion. Für Hugo ist das natürlich gar nichts;-)))

Steaks vom Grill in Uruguay

Steaks vom Grill in Uruguay

Hasta luego!

Endlich geht es los…

Nach einem guten halben Jahr intensivster Vorbereitungen gingen wir mit unserem Unimoppel am 28.2.2014 in Hamburg an Bord der Grande San Paolo. Sechs lange Wochen und über 10.000 Seemeilen später erreichten wir am 14.4.2014 Montevideo/Uruguay. Unterwegs hatten wir in Leixoes/Portugal, Casablanca/Marokko, Dakar/Senegal, Luanda/Angola, Paranagua/Brasilien und Zarate/Argentinien angelegt, teilweise mit Aufenthalten von bis zu sieben Tagen. Neben dem Leben an Bord eines Frachters mit über 4.000 Autos und mehr als 1.100 Containern haben wir den Atlantik in allen Schattierungen kennengelernt, von ruhig bis stürmisch, von leuchtendblau am Äquator über smaragdgrün vor der Küste Brasiliens bis tropisch-braun im Parana-Delta. Zeitweise begleiteten uns Delfine und Wale auf unserer Seereise. Die ersten Tage in Uruguay verbrachten wir an einsamen Stränden, bevor wir uns dann durch die Weite der Pampa Richtung Brasilien aufmachten, wo wir inzwischen angekommen sind.

Luanda/Angola

Luanda/Angola