Archiv der Kategorie: Brasilien

Maceio

Wir liegen mit Blick auf die Syline der Millionenstadt am Pier; durch die Panoramascheiben des Fitnesscenter können wir eine Stunde lang Delfine beobachten, die unmittelbar neben dem Schiff im türkisfarbenen Wasser spielen. Später schlendern wir den endlosen, mit hohen Palmen bewachsenen Bilderbuchstrand entlang und genießen lokale Fischküche in einem der Restaurants. Es fühlt sich wie Ferien an. Alles ist friedlich, aber es täuscht. Maceio ist – zumindest statistisch betrachtet – die gefährlichste Stadt Brasiliens: Alle zwei Stunden ein Mord.

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Salvador de Bahia

Auf den Besuch dieser Stadt haben wir uns sehr gefreut, denn sie ist ein Highlight Brasiliens. Hier beginnt das afrikanische Brasilien; die Herkunft der Bewohner – alle Nachkommen von ehemaligen Sklaven – ist unverkennbar. Farbe und Musik bestimmen hier den Alltag. Der volle Name der Stadt ist São Salvador da Bahia de Todos os Santos (Heiliger Erlöser von der Bucht der Allerheiligen). Sie liegt an der Allerheiligenbucht, benannt nach dem Tag der Ankunft der ersten Seefahrer, dem 1. November 1501.

Salvador ist auf verschiedenen Ebenen einer Bergkette gebaut, welche die Stadt in eine Oberstadt  – cidade alta – und in eine 70 Meter tiefer gelegene Unterstadt – cidade baixa – teilt. Die Stadt ist bunt, die pastellfarbenen Häuser im Zentrum sind gut erhalten und gepflegt. Man setzt ganz klar auf Tourismus.

Buzios

Das Dorf an der Costa do Sol liegt rund 200 km nördlich von Rio de Janeiro auf einer hügeligen Halbinsel. Nach wie vor ist der Fischfang dort zuhause, aber seit Jacques Cousteau und Brigitte Bardot den Ort Anfang der 60er Jahre für sich entdeckt hatten hat sich zunehmend der internationale Tourismus etabliert. Wir bummeln die endlos lange Promenade entlang. Die Strände sind unverbaut, kein Gebäude höher als maximal zwei Stockwerke, Bettenburgen gibt es nicht, stattdessen kleine private Pousadas. Schöne gestaltete Boutiquen und Gastronomie auf hohem Niveau verleihen dem Dorf einen Hauch von Cote d´Azur.

Rio de Janeiro

Dichte Wolken liegen über der Stadt, die grünen, dicht bewachsenen Berge sind regenverhangen, zweitweise gießt es in Strömen. Der Regen ist warm und hält uns nicht davon ab, die Copacabana entlang zu bummeln. Der weltberühmte Strand mit dem Zuckerhutpanorama schmiegt sich kilometerlang in die weitläufige Bucht. In den kleinen Strandbars tobt trotz des Regenwetters das Leben: Es wird getrommelt und barfuß getanzt, gelacht und gesungen, gegessen und getrunken. Zum Glücklichsein und Spaß haben muß man hier weder schön noch reich sein. Niemand trägt Designerkleidung, niemand hat die Silhouette eines Models. Ein keckes Hütchen auf dem Kopf, werden zum Sambarhythmus der Band ausladende Hüften geschwungen, egal ob schwarz oder weiß. Die Atmosphäre ist locker, der Caipirinha lecker.

Abschied von Brasilien

Dafür, daß Brasilien für unsere erste Tour nicht vorgesehen war, haben wir es ganz schön lange ausgehalten: Insgesamt zwei Monate waren wir hier unterwegs und haben es trotzdem nur gestreift, nur einen Bruchteil dieses großen und großartigen Landes kennenlernen können.

Es hat uns in vielerlei Hinsicht überrascht. Dieses Land ist ein Gigant, der vor Kraft und Energie nur so strotzt. Weltweit unter den TOP TEN der Wirtschaftsmächte hat es den Sprung vom Entwicklungsland längst geschafft und verfügt über immense Ressourcen, sowohl was Rohstoffe als auch was manpower angeht. Viele Märkte werden dominiert von starken brasilianischen Marken, zum Beispiel die Bekleidungs- oder Möbelindustrie. Die „üblichen Verdächtigen“ namens Hilfiger, Calvin Klein, Benetton usw. findet man hier selten, wenn überhaupt, dann nur in den Malls sehr großer Städte. In Design und Qualität reichen die einheimischen Textilien, Schuhe usw. an die amerikanischen oder europäischen locker heran. In anderen Bereichen wie zum Beispiel der Elektroindustrie gibt es – noch – qualitative Unterschiede, aber diese Lücken werden sicherlich schnell geschlossen werden. Knowhow läßt sich im Zweifel einkaufen.

Im wirtschaftlich weniger starken Norden des Landes sieht es derzeit vielleicht noch etwas anders aus, aber trotzdem: Brasilien benötigt keine Unterstützung von außen mehr. Die verbleibende Lücke, das letzte Quentchen, muß und kann es aus eigener Kraft schaffen, indem innenpolitisch die Stellschrauben entsprechend justiert werden. Jeder Entwicklungshilfeminister, der bei einem Besuch durch die Favelas von Rio geschleust wird und aufgrund dessen dem Land noch Gelder zusagt, gehört gehauen.

Wir reisen über Cacéres aus und müssen dazu bei der lokalen Polizeistation offiziell auschecken, rund 100 km vor dem eigentlichen Grenzübergang nach Bolivien. Die Straße ist gut ausgebaut, sehr wenig befahren und endet mitten in der Landschaft an einem einfachen Schlagbaum und einem Holzhäuschen vom Format eines Dixie-Klos.

Brasilianische Traumfrau gesucht

Spricht man bei uns zuhause gemeinhin von Der Brasilianerin hat man gleich das Bild eines milchschokolade- oder zartbitterfarbenen Geschöpfes mit Endlosbeinen und Wespentaille vor Augen, jedes der wenigen Pfunde wohlproportioniert und an genau der richtigen Stelle, um im Stringtanga am Strand vor den bewundernden Blicken aller lässig und raubtiergleich spazierengeführt zu werden. Insbesondere die Herren der Schöpfung schließen bei der Vorstellung genießerisch die Augen und manch einer reagiert wie die Pawlowschen Hunde mit unkontrolliertem Sabbern.

Graffity Girl

Graffity Girl

Wir sind nun seit über zwei Monaten in Brasilien unterwegs und suchen diese Traumfrau noch immer. Die Wahrheit ist, daß Die Brasilianerin weder langbeinig noch wohlproportioniert ist. Sie ist eher klein und rundlich, um nicht zu sagen, drall. Milchkaffeebraun ist sie auch nicht unbedingt.

Im Gegensatz zur Mode für Mollige in unseren Breitengraden mit allerlei die Kurven und Kilos sanft umspielenden Hängerchen steht Die Brasilianerin jedoch zu jedem einzelnen ihrer Pfunde und betont diese so gut sie kann. Heißt, die Kleidung wird so engsitzend wie eben möglich getragen, am besten so, daß es richtig schön spackig aussieht. Shirts, die oberhalb des Bauchnabels enden und den Rettungsringen um die Mitte herum die bei dieser Hitze nötige Frischluftzufuhr gewähren. Jackets, die mit einem Knopf direkt unter der Brust geschlossen werden, wobei der Knopf mit Angelschnur angenäht sein muß, da er sonst abzusprengen droht. Die Schößchen der Jackets stehen vom Körper ab wie kleine Flügelchen. Apropos Brust: Hier gelten zwei Prinzipen: „Je höher desto besser“ und „Je mehr desto höher“. Es wird gepusht und geschnallt was das Elastanband hergibt, bis kurz vor dem Zerreißen, möglichst hoch, am besten bis unters Kinn.  Luft holen braucht Die Brasilianerin anscheinend nicht. Das Outfit ergänzt sie gekonnt durch hautenge Slim Jeans oder knallbunte Leggins sowie High Heels mit nagelspitzen 16 cm Absätzen, die die ohnehin in alle Richtungen rundlichen Popos noch besser ins rechte Licht rücken.

Wie dem auch sein, Die Brasilianische Traumfrau mit Modelmaßen und Glutaugen à la Shakira ist hier genauso selten zu finden wie bei uns zuhause die Claudia Schiffers oder Eva Padbergs.

Also Mädels, entspannt Euch, wir können locker mithalten. Was wir allerdings von Der Brasilianerin lernen können ist ihr Selbstbewußtsein. Auch ohne Modelmaße sind sie/wir schön!

Und Jungs: Träumt ruhig weiter!

 

Hugos Tunga-Tunga-Party

Die brasilianische Fußballmannschaft kämpft noch im Elfmeterschießen gegen Chile, als wir die Klinik Santa Rosa in Cuiabá anlaufen. Als wir dort ankommen wissen wir durch die Böllerei in den Straßen, daß Brasilien das Spiel knapp, aber immerhin gewonnen hat. Im Krankenhaus begrüßt uns die Belegschaft folglich bestens gelaunt und ein kleiner, witziger Anästhesist nimmt sich umgehend Hugos Füße an. Als er den Tunga entdeckt juchzt er vor Begeisterung auf, hüpft wie ein Flummi auf und ab und trommelt sofort die halbe Belegschaft zum Zuschauen zusammen. Anscheinend ist der Tunga = Sandfloh ein Prachtexemplar. Heroisch verzichtet Hugo auf die ihm angebotene lokale Betäubung und der Arzt macht sich mit dem Skalpell an das Entfernen des Parasiten. Nachdem das schwarze „Ding“ ausgeschabt ist und auf einem Gazestreifen liegt, haben der Arzt und sein Team helle Freude daran, Hugo ein ziemliches Loch unter dem Fuß und ich bin einer Ohnmacht nahe.

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So ist das Leben

Hugos Infektion am Zeh wird nicht deutlich spürbar besser, der Tunga am anderen Fuß muß auch entfernt werden, bevor er größeren Schaden anrichtet, und so planen wir vor dem Grenzübertritt nach Bolivien einen Arztbesuch in Cuiabá ein.

Bei Unimoppel haben wir zudem ein „Gelenkleiden“ festgestellt: Die Manschetten an der Lenkstange sollten besser ersetzt werden, bevor wir in wenigen Wochen im Gebirge die langen Pässe fahren. Wir steuern in Cuiabá eine Mercedes LKW-Werkstatt an, wo man unser Problem lösen kann und will. Da es Originalteile hier nicht gibt, muß improvisiert werden und das dauert. Wir verbringen die Nacht vor der großen Niederlassung, in der gerade an die vierzig LKWs in Stand gesetzt werden. Die Werkstatt ist blitzsauber, perfekt mit allen Werkzeugen und Maschinen ausgestattet und bestens durchorganisiert und das Zuschauen bei den Reparaturarbeiten an den Trucks, die wie große Tiere in der Halle stehen, ist auch für uns interessant.

Cuiabá ist tagsüber ein Glutofen und auch nachts sinkt die Temperatur nicht. Es weht nicht der geringste Lufthauch durch die große Stadt und so schwitzen wir vor uns hin. Am nächsten Morgen geht die Schicht bei Mercedes zwar früh los, aber das Ersatzteil lässt auf sich warten. Hugo verbringt die Zeit mit kleineren Wartungsarbeiten am Unimog; ich mit Lesen und brasilianischen Telenovelas im Aufenthaltsraum für die Fernfahrer. Zwischendurch gibt es Kaffee und Sandwiches, mittags werden wir in die Betriebskantine zu Schmorhühnchen eingeladen. Die Zeit tröpfelt in der Hitze dahin, nichts geschieht. Am späten Nachmittag ist das Ersatzteil dann plötzlich da und wird fix und gekonnt montiert.

Inzwischen ist es zu dunkel, um noch eine größere Strecke zu fahren, und wir beschließen, uns einen Übernachtungsplatz an einer der Tankstellen an den großen Ausfallstraßen der Stadt zu suchen. Der Platz, den wir aufsuchen, übertrifft in seiner Rohheit alles bisher dagewesene. Das Wort wüst beschreibt es vielleicht am Besten. Eine riesige Fläche am Rand der sechsspurigen Fernstraße, die rote Erde, die nachts schwarz zu sein scheint, plattgewalzt von Tausenden schwerer LKWs, die kreuz und quer geparkt sind, eine kleine Lanchonete mit roten Plastiktischen und -stühlen, eine zweite mit gelben Stühlen. Das Angebot ist bei beiden identisch: Auf einem kleinen Grill werden draußen Spieße mit Fleisch, Hühnerherzen oder Bacon zubereitet, alles entweder mit Maniok oder Reis aus dem großen Plastikeimer, dazu Bier, Cola oder Wasser.

Mückenumschwirrte Neonlampen tauchen unbarmherzig das Geschehen in einen ungesunden grün-schwarzen Schimmer; außerhalb ihres Lichtkegels verschluckt die Dunkelheit nach wenigen Metern alles. Fernfahrer sitzen erschöpft, einsam und schweigend vor ihrem Bier. Kaum jemand unterhält sich. Professionelle ziehen von Tisch zu Tisch und hoffen auf ein schnelles Geschäft. An der Kreuzung steht dauerhaft ein Krankenwagen mit eingeschaltetem Blaulicht und offener Tür; davor fährt ein Junge mit rot-weißem Ringelpulli auf einem Fahrrad unaufhörlich im Kreis. Ein paar Hundert Meter entfernt sehen wir die mit Stacheldraht bewehrten Mauern eines großen Gefängnisses.

Wir lassen uns an einem Tisch nieder, bestellen Fleischspieße und lassen die Szenerie, die einem der surrealistisch-düsteren Filme David Lynchs´entsprungen sein könnte, auf uns wirken. Sie wäre in ihrer Trostlosigkeit bedrückend, geradezu gespenstisch, vielleicht sogar bedrohlich, wäre da nicht die Musik, die aus der Juke Box tönt. Brasilianischer Country-Pop, eine Mischung aus Fröhlichkeit und Saudade, der sanften brasilianischen Melancholie, nimmt dem Moment alle Düsternis und verleiht der Atmosphäre eine unbeschreibliche Leichtigkeit. Eso es la vida.

Als wir am nächsten Morgen abfahren hören wir die Insassen der Strafanstalt laut singen und klatschen.

Zwei Flops in Flip-Flops

Frage: Was passiert, wenn man in Flip-Flops im Pantanal durch die Büsche schleicht?
Antwort: Man fängt sich einen Tunga ein, der sich in die Haut unter den Zehen verbeißt und dort böse wütet… siehe Hugo.

Frage: Was passiert, wenn man in Flip-Flops mit der Kamera in der Hand durch Poconé bummelt und bonbonfarbene Häuser ablichtet?
Antwort: Man tritt mit Schmackes vor die Bordsteinkante und bricht sich einen Zeh … so Daniela.

Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort.

PS: Hat sich trotzdem gelohnt!

Transpantaneira

Perforiert und blutleer brechen wir vom Portal Paraiso in die Transpantaneira auf. Die Dammpiste mit über 120 Holzbrücken in mehr oder weniger gutem Zustand führt über zahlreiche Tümpel, Flüsse, Lagunen und Bäche von Poconé bis Puerto Jofre am Rio Cuiabá. Während der Regenzeit ist die Piste auch für 4×4 unpassierbar, aber das meiste Wasser ist hier im Norden inzwischen fast abgelaufen. Bevor man in die Piste einsteigt sollte man sich noch einen Moment im Spiegel bewundern und über den schön gebräunten, gesunden Teint freuen. Auf den nächsten 145 Kilometern wird die Gesichtsfarbe unwillkürlich ständig wechseln: von kreideweiß ob des völlig maroden Zustandes einiger Brücken bis hin zu seekrankgrün aufgrund des nicht weniger katastrophalen Pistenzustandes (entspricht in der Schifffahrt etwa Windstärke 10). Bis Pixaim auf ungefähr halber Strecke geht es noch, aber dann kommt die erste desolate Brücke, die bei uns ernsthafte Zweifel aufkommen lässt: Drüberfahren oder besser nicht?

TP Brücke 12

TP Brücke 3

Wir entscheiden uns für „besser nicht“ und nehmen eine Furtdurchfahrt, bei der wir allerdings dann fast im zähen Schlamm steckenbleiben.

TP Furt 2

Dann kommt die zweite Brücke in ähnlich marodem Zustand, nur schlimmer. An der Brückenauffahrt bricht links und rechts die Befestigung weg, so daß die Reifen für einen Moment in der Luft hängen. Auf der Brücke selbst fehlen sowohl Längs- als auch Querbretter, auch hier wieder große Luftlöcher mit Blick in den zwei bis drei Meter tiefer liegenden Sumpf. Diesmal gibt es keine Alternative in Form einer Furt, sondern nur eine, die „Umkehren“ heißt. Das wollen wir aber nicht, also Augen zu und D R Ü Ü Ü Ü Ü B E R!!! Unser Puls rast, die Brücke hält.

So geht es noch eine Weile weiter, als plötzlich eine Staubwolke vor uns auftaucht. Uns kommt ein MAN entgegen … und wir treffen Ruth und Jürgen wieder, die ersten Deutschen seit wir Hamburg verlassen hatten. Wir hatten die beiden in Chapada auf der ewigen Suche nach Wi-Fi kennengelernt und die Gelegenheit natürlich für einen Schwatz genutzt. Wir beschließen spontan, einen gemeinsamen Stellplatz für die Nacht zu suchen. Gesagt getan, das Lagerfeuer brennt, die Steaks bruzeln, der Wein schmeckt hervorragend und Geschichten aus dem alten und dem neuen Leben werden ausgetauscht. Nach einem gemeinsamen Kaffee am nächsten Morgen trennen sich unsere Wege und wir sind wieder allein.

MAN Ruth und Jürgen

Entlang der Transpantaneira wechselt das Bild ständig zwischen undurchdringlichem Dschungel, mit Termitenhügeln übersätem Weideland, Sümpfen und Landschaften, die an einen englischen Park erinnern.

 

Wir sehen wieder viele Vögel. Highlight ist das Nest zweier Jabirus in einem Baum direkt am Straßenrand und beide Eltern sind gerade zuhause. Der Nachwuchs scheint noch nicht da zu sein.

 

Auf der Rückfahrt Richtung Poconé nehmen wir die Holzbrücken dann schon flott nach dem Motto: Et hätt noch emmer joot jejange…

Blutrausch

There´s no free lunch – auch dieses echte Paradies hat leider einen Makel, und zwar einen, der gewaltig juckt. Eine Hölle, die Dante in seinem Inferno wohl zu erwähnen vergessen hat und in der Hugo und ich, aus welchen Gründen auch immer, nun wohl oder übel schmoren müssen: die Moskitohöllehöllehölle. Zwischen 16.30 und 20.30 Uhr fällt sämtliches Stechgetier des Pantanals im Blutrausch erbarmungslos über uns her. Gringoblut scheint den Insekten hier besonders gut zu schmecken. Egal ob drinnen oder draußen, wir sind chancenlos; unser gesamtes Waffenarsenal an Chemiekeulen versagt kläglich. In den zwei Glasteelichtern auf unserem Tisch draußen sammeln sich so viele Mücken und Falter, daß plötzlich der gesamte Inhalt wie auf dem Scheiterhaufen lichterloh zu brennen beginnt. Auch die feinmaschigen Moskitonetze halten leider nicht alle Insekten ab; irgendwie finden sie immer noch einen Weg, sich von draußen ins Innere des Unimogs zu beamen.

Mit der Fliegenklatsche richten wir – inzwischen selbst völlig entfesselt und im Blutrausch – auf den weißen Wänden im Unimoppel ein regelrechtes Massaker an und erlegen dabei leider auch ein verirrtes Glühwürmchen, welches sein Leben aushaucht und dann noch zwei Stunden lang nachglüht. Das nennt man wohl Kollateralschaden.

Paradiespforte

In Chapada verbringen wir die Nacht an der Abbruchkante zum Pantanalbecken und erleben am nächsten Tag einen wunderschönen Sonnenaufgang. Die Tiefebene wird noch von einer geschlossenen Nebeldecke verhüllt, während darüber auf 800 Metern Höhe schon bei klarem Himmel die Sonne scheint. Nicht bedacht haben wir, daß wir auf dem Plateau wie auf dem Präsentierteller stehen: Es ist noch nicht einmal neun Uhr morgens, da haben wir schon drei Fotoshootings, unter anderem mit der lokalen Feuerwehr, hinter uns. Um doch noch halbwegs zeitig vom Platz wegzukommen wendet Hugo sein probates Mittel an, die intensive brasilianische Kommunikation mit einem Satz zu erschlagen: „Do you speak English?“

Chapada

Fauchend fallen wir etliche Stunden und Kilometer später im Paradies ein. Wir haben die Fazenda Portal Paraiso erreicht, kurz hinter dem Anfang der Transpantaneira. Bei Unimoppel hat sich ein Druckluftkabel durchgescheuert und er pfeift wie ein alter Wasserkessel. Alle Flickbemühungen schlagen fehl, also steht ein Werkstattbesuch in Poconé an, der letzten Ortschaft, bevor es tiefer ins Pantanal hinein geht.

Auf der Fazenda werden wir – ich kann es wieder kaum fassen – von acht lautstark krakelenden Hyazinth-Aras in einem großen Baum begrüßt. Wir richten unseren Stellplatz weit ab vom Haupthaus ein und freuen uns über die Einsamkeit und Stille. Wir sind allein.

Stellplatz Portal Paraiso 2

In der Abenddämmerung kommt ein großer Ameisenbär gemächlich aus dem Dickicht auf der Suche nach Termiten. Auch hier gibt es wieder viele Vögel, die in den Bäumen nisten, Früchte finden oder in den Tümpeln nach Fischen und Schnecken suchen. Von einer kleinen Plattform aus Holz lässt sich das Geschehen 360 Grad verfolgen. Nachmittags krabbelt ein Baby-Caiman durchs Gras. So, wie er auf dem Rücken ausschaut, scheint er unter einer Kuh gedöst zu haben.

Baby Caiman von vorne

Wie auf ein geheimes, für uns nicht wahrnehmbares Zeichen hin strömen im letzen Abendlicht von überall her plötzlich die Pferde, Wasserbüffel, Rinder und Ziegen der Fazenda zusammen. Die Nacht werden sie geschützt in einer großen Koppel nahe dem Haupthaus verbringen, bevor sie sich frühmorgens wieder in den Urwald und das Grasland verstreuen, Tag für Tag im gleichen Rhythmus. Vögel ziehen in großen Schwärmen oder paarweise über uns hinweg und suchen für die Nacht ihre Schlafbäume auf. Dann wird es still.

Lagerfeuer Portal Paraiso

Wir sitzen im Stockfinsteren draußen vor dem Unimog und bewundern den Sternenhimmel und die vielen Glühwürmchen, als wir plötzlich ein Mampfen und Rupfen hören. Im Schein der Taschenlampe sehen wir acht Capivaras, die keine zehn Meter von uns entfernt genüsslich grasen und sich von uns nicht stören lassen.

Capivaras by night

Am nächsten Morgen stehe ich in aller Frühe im Evakostüm in der Dusche, als hinter der Holztür, die ich zum Glück offen stehen gelassen hatte, eine fingerdicke, ungefähr einen Meter lange rotbraune Schlange mit dreieckigem Kopf hervorlugt. Ich rühre mich nicht vom Fleck und sie schlängelt sich im Abstand von 20 cm an meinen nackten Füßen vorbei langsam nach draußen. Auch wenn wir im Paradies sind: Einen Apfel bietet sie mir nicht an.

Nabelschau

Von Rondonopolis aus sind wir auf dem Weg nach Chapada dos Guimaraes, einem Gebirgsplateau mit vielen Schluchten bei Cuiaba. Ganz in der Nähe liegt zwar nicht der Nabel der Welt, aber immerhin der geodätische Mittelpunkt Südamerikas. Da es noch früher Nachmittag ist machen wir uns auf die Suche und treffen prompt auf ein altes Holzschild mit eingeschnitzten Koordinationen und einem Pfeil, der eindeutig nach rechts zeigt. In ein Maisfeld. Okay, es führt dort eine Piste hinein und Pisten mussten wir schon des Öfteren fahren, um irgendwohin zu kommen, warum also nicht? Wir biegen rechts ab und fahren, bis wir an eine nicht weiter beschilderte Kreuzung kommen. Links oder rechts? Wir entscheiden uns für „grobes Richtungsfahren“ und biegen nach links ab. Dann die nächste Kreuzung, diesmal mit drei Optionen, ein Schild ist nirgendwo zu entdecken. So geht es eine ganze Weile mit Kreuzungen weiter bis wir uns inmitten des kilometerlangen Maisfeldes komplett verfranst haben. Bei fast drei Meter hoch gewachsenen Maisstauden rechts und links, vorne und hinten ist es mit der optischen Orientierung dann auch nicht mehr weit her. Also bleibt nur eine Lösung, wenn wir nicht den Track zurückverfolgen wollen: Solange weiterfahren, bis wir wieder auf eine befestigte Straße kommen. Der Nabel Südamerikas ist uns inzwischen egal. Es geht weiter durch endlosen Mais, über eine Holzbrücke, die uns zum Glück trägt und irgendwann haben wir die asphaltierte Straße wieder erreicht.

Wir sind einige Kilometer gefahren, als die Vegetation am Straßenrand plötzlich vollständig weicht und den Blick auf das rund 800 Meter tiefer liegende Pantanalbecken frei gibt. Dann sehen wir ein uns entgegenkommenden Auto rechts abbiegen und fahren hinterher. Wenige Minuten später stehen wir am Nabel Südamerikas und können bei klarem Wetter Hunderte Kilometer weit in die Tiefebene blicken. Ein Panorama, das uns den Atem raubt.

Chapada 2

Chapada 7

Aber der Tag wird noch besser. An der Kante des Plateaus entdecken wir eine Gruppe von Gleitschirmfliegern bei ihren Startvorbereitungen. So schnell, wie Hugo auf dem Dach des Unimogs bei seinem Gurtzeug ist, habe ich noch keine Affen auf die Bäume flüchten sehen! Nach dem obligatorischen Erfahrungsaustausch mit den lokalen Piloten kann es losgehen. Einzige wirkliche Herausforderung ist, daß zwingend top-gelandet werden muß. Hat man kein Steigen und versenkt sich in die Tiefebene, dann landet man unweigerlich im Dschungel des Pantanals und eine Rückholung bzw. Rettung ist langwierig, wenn nicht sogar aufgrund des unzugänglichen Geländes unmöglich. Bei jedem gelungenen Start jubeln die zuschauenden Brasilianer frenetisch und klatschen Beifall. Dann geht Hugo raus und genießt bei soften Luftverhältnissen einen Traumflug entlang der Steilkante.

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Nach einer guten Stunde landet er – zum Glück oben – und strahlt wie ein Honigkuchenpferd.

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Kurz vor Anbruch der Dunkelheit erreichen wir unser Nachtquartier, einen winzigen Camp Ground im Ort Chapada dos Guimaraes. Die Einfahrt gestaltet sich schwierig, da die Stromleitungen für Unimoppel viel zu tief hängen. Wir versuchen, sie mit unserer Angel hochzuschieben, aber es reicht nicht. Dann klettert der Verwalter aufs Autodach, um die Strippen hochzuhalten. Auf meine Frage, ob das auch sicher sei, sagt er nur: „Si si!“ Ich glaube ihm, bis ich später den Duschkopf sehe: Offen liegende Kabel! Egal, wir bekommen Unimoppel jedenfalls auf den Camp Ground rangiert, dessen Fassungsvermögen damit zu 80% ausgelastet ist, und machen uns vorläufig keine Gedanken darüber, wie wir hier wieder rauskommen. Als ich Hugo zum Abendessen dann noch Nudeln mit Bröseln und Spiegelei serviere ist er der glücklichste Mann der Welt.

Agrargigantismus

Wenn wir bisher gedacht haben, die Agrarflächen, die wir unterwegs gesehen haben, seien groß gewesen, dann werden wir jetzt eines Besseren belehrt. Wir fahren durch einen Ozean aus Mais, Zuckerrohr, Soja und manchmal Baumwolle; Felder, die nicht fünf oder zehn Kilometer lang sind, sondern zwanzig, dreißig Kilometer, teilweise sogar noch länger. Die grünen Flächen reichen bis zum Horizont und sind in ihrer Dimension wahrscheinlich vom Mond aus mit bloßem Auge sichtbar. In ihrer Schlichtheit sind sie beängstigenderweise schon fast wieder schön: Monochrome geometrische Flächen vor einem dreidimensionalen weiß-blauen Himmel.

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Wie frisch aufgerissene Wunden in der roten Erde scheinen die Fahrwege für die Landmaschinen und ja, der Mensch ist hier in seiner grenzenlosen Gier nach großen Profiten mit seinen John Deeres´und New Hollands´wie ein Raubtier über das Land hergefallen. Abgeerntet bleiben öde braune Flächen zurück, die Erde auf Jahre ausgeblutet.

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Erst hat man diesem Land seine angestammten Bewohner genommen, so daß man in großem Maßstab Sklaven aus Afrika importieren mußte, mit denen man dann das an Bodenschätzen so reiche Land um sein Gold und Silber gebracht, danach hat man den wertvollen Kautschuk aus den Bäumen gezapft, später wurden die Bäume dann für die Felder und das Vieh gefällt und jetzt nimmt man dem Boden seine Kraft. Irgendwann ist Schluß.

Wir sind im Land von Shell, BR, Dow Chemical und BASF & Co. angekommen, die der Natur mit langen Fingern in die Tasche greifen. Die Mengen an Mais und Zuckerrohr sind nicht etwa für den Verzehr durch den Menschen bestimmt, nicht einmal für die Rinderzucht, sondern alles wandert in die Tanks nimmersatter Autos. Die Rohstoffe werden hier direkt vor Ort in riesigen Fabriken zu Ethanol verarbeitet, dann in große Tanklaster abgefüllt und abtransportiert. Ganze Güterzüge fahren direkt bis in die Felder hinein, Kolonnen von Tanklastwagen stehen wartend auf den großen Parkplätzen vor den Unternehmen. „Bio“-Ethanol ist in Brasilien der mit Abstand billigste Treibstoff und rund 30% günstiger als Diesel. Mobilität bedeutet Fortschritt, in Brasilien wie in jedem anderen Land der Welt. Aber zu welchem Preis für die Natur?

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Abends erreichen wir im letzten Licht Rondonopolis, eine Kleinstadt mit 180.000 Einwohnern und einer der logistischen Mega-Hubs. Hier kommen pro Tag Tausende von Trucks aus allen Winkeln Brasiliens zusammen und verteilen sich neu in alle Himmelsrichtungen. Die Fernstraße führt als Tangente an der Stadt vorbei und ist über mehrere Kilometer gesäumt von Reifenhändlern, Werkstätten, Tankstellen, kleinen und großen Lanchonetes. Alles dreht sich hier um das Thema LKW und seinen Bedarf. Die Trucks kommen teilweise von sehr weit her und sind restlos schmutz- und schlammverkrustet von der terra rossa. Unimoppel und wir selbst sind auch nicht mehr die Frischesten und so mogeln wir uns auf einer Tankstelle wieder zwischen zwei LKW.

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Über der Stadt hängt ein dichter Schleier aus dem vom Schwerverkehr meterhoch aufgewirbelten Staub der rostroten Erde. Im Licht der untergehenden Sonne entsteht optisch Endzeitstimmung und ich erwarte jeden Moment, daß Bruce Willis lässig aus einem Truck steigt und sagt: „Volltanken, bitte.“

Parque Nacional das Emas

Paul Theroux hat den schönen Satz gesagt: „Tourists don’t know where they’ve been, travelers don’t know where they’re going.” Spontan beschließen wir mal wieder eine Kursänderung und machen einen Abstecher zu einem Biosphärenreservat weiter östlich im Bundsstaat Goias, also in die entgegengesetzte Richtung. Überschlägig rechnen wir abends einen Umweg von rund 400 km aus, das Garmin sagt uns am nächsten Tag, daß es locker über 700 km sind, aber wir fahren trotzdem. Die Fahrt dorthin zieht sich – wieder einmal – entlang Mais- und Zuckerrohrfelder, die zunehmend größer werden. Der Parque Nacional das Emas, benannt nach den großen flugunfähigen Emas (Nandus), ist einer der bedeutendsten Nationalparks in der brasilianischen Buschsteppe und weltweit ein Hot Spot in Bezug auf Biodiversität. Biologen und Wissenschaftler sind hier auf der Suche nach Pflanzen, die zukünftig für Medikamente und Kosmetika eingesetzt werden können. Wir sind gespannt, was uns erwartet.

Aus der Ebene geht es bis über 900 m auf ein immens großes, fast vollständig ebenes Hochplateau hinauf. Oben angekommen, finden wir auf der einen Seite der Fernstraße weiterhin gentechnisch perfektionierte Mais- und Zuckerrohrfelder, auf der anderen Seite den 132.000 ha großen Nationalpark, beide Gebiete nur getrennt durch die zweispurige BR 341. Wir erfahren, daß der Zutritt zum Park nur mit Genehmigung der ICMBio und in Begleitung eines Führers (gibt es sogar auch englischsprachig) möglich ist, aber es ist kein Problem, beides für den nächsten Tag zu organisieren. Am nächsten Morgen finden wir uns am nördlichen Eingang des Parks ein, wo außer dem „Portier“ niemand da ist. Dieser radelt mit seinem Fahrrad los und kommt kurze Zeit später zurück, um uns mitzuteilen, daß gleich jemand käme. Zwanzig Minuten später kommt auch jemand, der schon recht offiziell ausschaut und uns mitteilt, daß gleich der „Guide“ käme. Wiederum zwanzig Minuten später kommt dann auch jemand vorgefahren und stellt sich als unser Parkführer vor, allerdings der englischen Sprache dann doch nicht mächtig ist. Er fragt, woher wir kommen… aus Deutschland … ich frage ihn, ob er vielleicht Italienisch versteht … nein …. dann vielleicht Spanisch … nein … vielleicht eine andere Sprache… Französisch … nein und nochmals nein. Okay, dann wurschteln wir uns halt so durch.

Wir fahren auf Erdpisten in den Park, der Teil der Serra do Calapo ist, der Wasserscheide zwischen dem Amazonas-, Platino- und Pantanalbecken. Schon nach den ersten wenigen Kilometern haben wir den Eindruck, in ein post-apokalyptisches Szenario einzutauchen.

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Die eigenwillige Landschaft ist zu einem großen Teil mit bis zu drei Meter hohem Gras bedeckt, dazwischen prägen Abertausende von Termitenkegeln und knorrige, weit auseinander stehende und oftmals gänzlich unbelaubte Bäume von wenigen Metern Höhe das Bild. Würde nicht ein leiser Windhauch durch die Spitzen des Grases streichen, man würde denken, die Landschaft sei „gefriergetrocknet“ oder durch einen Atomschlag erstarrt.

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Wir können keine Bewegung und fast keinen Laut wahrnehmen, außer dem Pfeifen einiger versteckter Vögel. Kaum zu glauben, daß diese Landschaft Heimat vieler seltener Tiere und Pflanzen ist: Mähnenwölfe, Ameisenbären, Tapire, Pecaris, Lanzenotter, Hirsche, Gürteltiere. Allein 90 verschiedene Säugetierarten sind hier zuhause, insgesamt über 3.000 Species. Wir fahren langsam die 45 Kilometer von Nord nach Süd durch den Park bis zum entgegengesetzten Eingang und dann nach kurzer Pause wieder zurück. Außer Hirschen, Nandus und ein paar anderen Vögeln bekommen wir keine Tiere zu sehen, aber wir sind auch viel zu spät dran. Die beste Zeit ist frühmorgens von 5 bis 7 Uhr; in der Hitze der Mittagszeit dösen die Tiere alle im Schatten, perfekt getarnt durch das hohe Gras. Trotzdem, die spröde Eigenwilligkeit der Landschaft ist beeindruckend. Schaut man genauer hin und nimmt einen Quadratmeter Boden „unter die Lupe“, dann entdeckt man selbst als Laie die Vielfalt.

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Unzählige Pflanzen und Pflänzchen drängen sich auf kleinem Raum, manchmal auf den ersten Blick leblose Äste oder einzelne Blätter, die aus dem Boden wachsen, manchmal nur trockenes Gestrüpp, welches beim nächsten Regen erneut zu Leben erwacht. Zur Trockenzeit fällt hier ein halbes Jahr lang kein Tropfen Wasser und so verfügen viel Pflanzen über ausgeklügelte Fähigkeiten, sich am Leben zu erhalten.

Ich denke an die Mais- und Zuckerrohrfelder auf der anderen Straßenseite. Vor gar nicht einmal allzu langer Zeit hat das gesamte Hochplateau noch so ausgesehen und kurz vor knapp hat zum Glück jemand die unschätzbaren Ressourcen erkannt, die Reißleine gezogen und der völligen Vernichtung dieser einzigartigen Fauna und Flora Einhalt geboten.

Kurz vor Sonnenuntergang sind wir zurück am Nordtor. Unser „Guide“ hat freiwillig während der gesamten Zeit so gut wie keine Informationen gegeben; wenn wir etwas wissen wollten , dann mussten wir dies mühselig erfragen und die Antworten waren dann einsilbig und alles andere als zufriedenstellend. Nachdem wir abschließend den Parkeintritt – den wir ganz offiziell quittiert bekommen – und die Gebühr für den Guide – die wir nicht quittiert bekommen – gezahlt haben, kann der Mensch plötzlich sprechen, und zwar recht verständlich auf Deutsch! Er erzählt uns brühwarm, daß seine Großeltern aus Deutschland stammen und nach Brasilien ausgewandert sind. Ich bekomme Schnappatmung, zwinge mich dann aber dazu, diesen Vorfall mit buddhistischer Gelassenheit über mich hinwegrauschen zu lassen, weil ich uns den ansonsten schönen Tag nicht versauen möchte. Auf solche Idioten trifft man leider ab und zu, aber zum Glück ausgesprochen selten.

Wieder zurück auf der Straße, die Nationalpark von Agrarland trennt, fahren wir am späten Nachmittag Richtung Nordwesten weiter und entdecken zu unserem Entsetzen zwischen den Feldern immens große Gruben mit Müll, primär Plastik. Nach dem Motto „Aus den Augen aus dem Sinn“ schieben große Bagger einfach einen Meter rote Erde darüber und das war es. Wir sind etwas fassungslos. Naturschutz auf der einen Seite, und dann dieses…wie passt das zusammen?

In Alto Taquari finden wir abends an einer Tankstelle wieder einen Schlafplatz und quetschen uns zwischen die großen 80-Tonner-Trucks. 7-, 8- und 9-Achser, die Doppeltanks beladen mit jeweils 60.000 Litern Treibstoff. Um uns herum stehen davon 10 bis 12, irgendwie kein gutes Gefühl und den Gedanken „Was ist eigentlich wenn…“ schieben wir schnell beiseite.

Und Schweine können doch fliegen

Von Campo Grande aus fahren wir nordwärts und nähern uns immer mehr dem geographischen Mittelpunkt Südamerikas. Wir legen einen Stopp auf der Fazenda Cachoeira das Palmeiras hinter Coxim ein, wo wir … die Überraschung ist perfekt … Ursi und Urs wiedertreffen, die aus dem Norden kommen und jetzt in einem ziemlichen Ritt zurück nach Montevideo müssen, um ihren Heimflug Ende Juni zu bekommen.

Urs und Ursi Doc

Unser Stellplatz auf der Fazenda liegt sehr schön in der Nähe eines kleinen Wasserfalls, der nicht sehr hoch, aber dafür schön breit ist. Außer uns sind noch einige Brasilianer da, die im Fluß angeln wollen.

Cachoeira das Palmeiras  Stellplatz Doc

Zur Fazenda gehören neben den vielen Rindern auch Pferde, Hühner, eine Katze und ein Schwein, welches wir den ganzen Nachmittag immer wieder grunzen hören, aber nicht zu Gesicht bekommen. In den Bäumen des nahen Waldes springen einige Äffchen von Baum zu Baum und im dichten Unterholz rascheln einige Tiere von der Größe eines Hasen, die wir sehen, aber nicht kennen. Nachmittags fliegen lautstark drei Gelbbrust-Aras ein, um die Früchte in den großen Palmen zu verspeisen und eine Art Specht klopft sich seine Mahlzeit aus einem Baum.

Cachoeira das Palmeiras  Gelb Ara  Doc

Abends streunt Hugo weiträumig über das Gelände, um Holz für unser Lagerfeuer zu sammeln, aber auch er kann das grunzende Schwein immer noch nicht entdecken.

Cachoeira das Palmeiras Unimoppel Doc

Wo versteckt es sich bloß? Wir vermuten sogar, daß es vielleicht ein Wildschwein ist; der Wald fängt direkt an unserem Stellplatz an. Irrtum! Am nächsten Morgen sitzt das Schwein über uns im Baumwipfel und hat einen gelben Schnabel.

Marmitex

Es ist Mittagszeit und wir steuern eines der einfachen, aber gut besuchten Straßenrestaurants in Downtown Campo Grande an. Eine Speisekarte am Tisch gibt es nicht, aber an der Wand hängt eine Tafel, auf der sieben oder acht Gerichte aufgeführt sind. Was sich hinter den eigenwilligen Namen verbirgt erschließt sich uns auch bei intensivem Nachdenken nicht, noch nicht einmal ob Fleisch, Fisch oder Huhn, daher entscheide ich mich für das mit dem lustigsten Namen: Marmitex. Es gibt auch noch Marmitex Special, aber das ist – vemute ich – bestimmt eine große Portion von Marmitex und so groß ist mein Hunger auch wieder nicht. Hugo schließt sich mir an und dann wird es wirklich lustig.

Ich bestelle beim Kellner in perfektem Brasilianisch- das schaffe ich inzwischen schon ganz gut – zwei Mal Marmitex und eine große Flasche Cola. Er schaut mich leicht irritiert an und stellt mir eine Frage. Die zu enträtseln schaffe ich dann schon nicht mehr ganz so gut. Ich meine zu verstehen, daß er wissen möchte, ob wir an diesem Tisch essen möchten, und ich denke: „Was für eine doofe Frage: Erstens hast du uns gerade erst diesen Tisch zugewiesen und zweitens sind alle anderen im Restaurant besetzt“, aber ich schenke ihm mein strahlendstes Lächeln und sage selbstbewußt: „Si, cierto!“ Woraufhin er mich erst recht verständnislos anschaut und seine Kollegin zur Hilfe holt, die dann ihren etwa 18jährigen Sohn hinzuzieht. Erwartungsvoll schauen die beiden mich an und noch immer lächelnd wiederhole ich unseren Wunsch und denke mir nichts dabei: Zwei Marmitex und eine große Flasche Cola und ja, hier an diesem Tisch, bitte.

Die Kollegin lächelt mich unverändert an, zieht zeitverzögert dann die Unterlippe zwischen die Zähne und die Augenbrauen hoch, schaut nachdenklich erst zum Kellner, dann zu mir, zu Hugo, wieder zum Kellner, in ihren Augen unverkennbar große Fragezeichen. Sie zuckt hilflos mit den Achseln, offensichtlich bleibt es ihr ein Rätsel, was wir wünschen. Der Junge sieht seinen Einsatz kommen, zückt hilfsbereit sein Handy, tippt in atemberaubender Geschwindigkeit wie es nur Teenager können etwas auf brasilianisch in das Übersetzungsprogramm und hält Hugo dann das Display vor die Nase. Der liest laut den folgenden Satz vor: „Even if you serve the food.“

??? Heißt das, wir sollen uns am Buffet selbst bedienen??? Nein, auch damit liege ich falsch. Wir grinsen uns an, erst Hugo und ich, dann wir alle fünf. Inzwischen amüsieren sich auch die Gäste an den Nachbartischen über die beiden Gringos. Mittlerweile ist klar, daß sie hier gerade Zeugen eines mittleren Kommunikationsgaus sind. Ich kann mich vor Lachen kaum noch halten, nehme nochmals einen Anlauf, erst auf italienisch, dann auf spanisch, der Kellner und seine Kollegin versuchen es gemeinsam mit wilder, aber bezeichnender Gestik und dann macht es plötzlich „Bingo“ in meinem Kopf! Marmitex bedeutet Take Away! Ist doch ganz klar, oder? Wir signalisieren, daß wir endlich verstanden haben, und bestellen dann für Hugo “irgendetwas mit carne! (Fleisch) und für mich „irgendetwas mit frango“( Hühnchen) und bekommen beides prompt serviert. Geht also doch…

Anpfiff in Campo Grande

Wieder zurück auf der Fernstraße nehmen wir Kurs auf Campo Grande und fahren rund 280 km ostwärts. Eigentlich interessieren uns die großen Städte nicht sonderlich und wir wollen in der Nähe von Campo Grande nur eine Tankstelle als Zwischenstopp und Übernachtungsplatz ansteuern. Als wir ankommen ist es noch früh und wir beschließen, einmal die Ost-West-Achse, die Avendia Afonso Pena, mitten durch das Stadtzentrum zu fahren. Ist der erste Eindruck positiv, dann bleiben wir, wenn nicht, dann fahren wir „hinten“ wieder raus aus der 750.000-Einwohner-Stadt.

Die Entscheidung fällt nicht schwer: Campo Grande präsentiert sich von der besten Seite. Sehr sauber, modern und tiefenentspannt. Wir bleiben, und finden zentrumsnah einen Stellplatz an der Straße vor einem Hostel, etwas laut, aber dafür sicher. Von hier aus können wir alles gut zu Fuß und mit dem Bus erreichen. Nach so viel Natur in den letzten Tagen ist uns jetzt nach etwas Kultur und quirligem Leben: Wir besuchen den überdachten Mercado Publico mit seinen unzähligen Ständen und erstehen verschiedene Gewürze, die wir nicht kennen, und die fünfte (!) scharfe Soße. Anschließend kaufen wir spontan zwei Bustickets und fahren zum Parque das Nacoes Indigenas am anderen Ende der Stadt, um das Museu das Culturas Dom Bosco zu besuchen, welches mit über 5.000 Exponaten einen Einblick in das Leben der Ureinwohner dieser Region gibt. Wir sind begeistert von dem kleinen, feinen Museum. In gut überlegtem, zurückhaltendem Ambiente werden handgefertigte Waffen, filigraner Schmuck, Musikinstrumente, Gefäße und Werkzeuge der Indianer ausgestellt. Dazu Kopfschmuck aus Federn, der schöner nicht sein könnte. Philip Tracey würde vor Neid erblassen! Auf großen Tafeln wird nicht nur die Geschichte der vielen unterschiedlichen Indio-Stämme erklärt, sondern auch die heutige geographische Verbreitung. Traurig zu sehen, daß einige Stämme ganz ausgestorben sind und es von manchen heute nur noch gerade einmal 600 Nachfahren gibt.

Auf dem Rückweg zur Busstation sehen wir, daß im Park eine große Leinwand und Lautsprecher aufgebaut werden. Morgen ist WM-Auftakt; Brasilien spielt gegen Kroatien. Im Vorfeld hatten wir immer wieder von schweren Massenausschreitungen gehört und entschieden, public viewings in großen Städten zu meiden, aber da auch der zweite Eindruck von Campo Grande eindeutig entspannt ist beschließen wir, das Spiel live im Kreise der Brasilianer mitzuverfolgen. Eine bessere Gelegenheit werden wir nicht mehr haben. Wir schmücken Unimoppel rechts und links mit grün-gelben Bannern und am nächsten Tag fahren wir zum Park.

Fan mit grüner Perücke Doc

Es ist eine einzige Show! Als wir ankommen, ertrinken wir in einem gelb-grünen Meer. Niemand, der nicht mindestens ein T-Shirt, eine Perücke, eine Flagge oder Gesichtsbemalung in den brasilianischen Nationalfarben trägt, am besten gleich mehreres zusammen. Mit meinem langweiligen schwarzen T-Shirt – und ja, wieder einmal den schwarzen Leggins – bin ich das sprichwörtliche scharfe Schaf und fühle mich wie ein Pickel auf Schneewittchens Teint. Als die brasilianischen Nationalspieler ins Stadion einlaufen bricht um uns herum infernalischer Jubel aus und die Sambatrommel dröhnt bis zur Copacabana. Die Brasilianerinnern haben sich aufgebrezelt wie für die Disco: Knappste Shirts, noch knappere Shorts und Ultrahighheels, aber zur Brasilianerin (und zum Brasilianer) verraten wir an anderer Stelle mehr.

Die Diven von hinten Doc

Hugo und ich sind so mit people watching beschäftigt, daß wir das 1:0 für Kroatien nicht mitbekommen. Bei allen Toren, die Brasilien schießt, bricht minutenlang frenetisches Gejubel aus. Als das Spiel vorbei ist, sind wir längst von der ausgelassenen Stimmung angesteckt und fahren laut hupend mit Unimoppel im Konvoi zurück in die Stadt.

PS: Mit Doppelclick auf die Bilder könnt Ihr sie öffnen und in vollem Format anschauen.

Zwei Girls und ein Mann Doc

Sackgasse

Der Abschied von der schönen Fazenda Sao Joao fällt uns schwer, aber wir wollen weiter bis Corumba und begeben uns wieder auf die Estrada Parque do Pantanal. Wir kommen genau bis zur Curva do Leque, dann ist Schluß.

Curva do Leque Doc

Wir sprechen mit drei LKW-Fahrern, die ebenfalls nicht weiter kommen und umkehren müssen. Es steht noch zu viel Wasser in der verbleibenden Strecke, selbst mit Unimoppel, der Tiefen bis 120 cm durchwaten kann, ist es nicht zu schaffen. Maximal fünf Kilometer könnten wir noch fahren, aber der Damm selbst ist so durchweicht, daß wir den Wagen nicht mehr wenden könnten. Wir sehen ein, daß es hier nicht weitergeht, aber vielleicht ja in die andere Richtung? Es gibt noch einen alten Weg, der quer durch das Pantanal führt und für uns eine Abkürzung nach Coxim böte. Wir fragen nach, erhalten aber die gleiche Antwort: Ebenfalls noch viel zu viel Wasser für die Jahreszeit. Alle Fazendas in östlicher Richtung sind durch das Hochwasser komplett abgeschnitten. Die Regenzeit hat sich spürbar nach hinten verschoben; der Klimawandel macht auch vor dem Pantanal nicht halt. Wir sind einsichtig, kehren um und werden stattdessen den Pantanal über die BR 262 und BR163 großräumig umfahren, um über Coxim nach Cuiabá zu gelangen.

Tunnel Doc

Tiere des Pantanal

Der Pantanal ist in Südamerika das Gebiet mit der höchsten Tier- und Pflanzenartendichte. Naturkundlich registriert wurden bis jetzt: 1700 Pflanzenarten, 700 Vogelarten, 50 Reptilienarten, 278 Fischarten, darunter welche, die bis zu 120 kg schwer werden.

Trotz der immens hohen Tierdichte darf man keinen „Zoobesuch“ erwarten. Vögel sieht man sehr viele und sie machen auch immer lautstark auf sich aufmerksam, ansonsten ist der Pantanal leise und man muß sehr genau und geduldig hinsehen, um Tiere zu entdecken. Die größeren Säugetiere sind fast ausnahmslos nachtaktiv und so muß man entweder in den frühen Morgenstunden zwischen 5 und 7 Uhr losziehen oder aber abends nach Einbruch der Dunkelheit. Lediglich Capivaras, die „Wasserschweine“ und Jacarés = Kaimane gibt es häufig.

Caiman 1 Doc

Der Name „Jacaré“ entstammt der Sprache der Guarani-Indiander, der Ureinwohner des Pantanal. Für sie ist der Kaiman ein göttlicher Bruder und sie erzählen sich eine Legende, in der sich ein Guarani-Häuptling in einen Kaiman verwandelte, um die Natur zu schützen. Sie glauben, daß der Kaiman die göttliche Ordnung auf Erden aufrecht erhält und das Ende der Welt naht, wenn der Kaiman den Pantanal verlässt. Was die Apokalypse betrifft besteht zumindest im Augenblick kein Anlaß zur Sorge: Seit 1967 die Kaimanjagd verboten wurde hat sich der Bestand im Pantanal auf 35 Mio Kaimane erholt.

Tagsüber haben Hugo und ich bisher mehrfach den großen Ameisenbären, einen Pantanalhirsch, ein Opossum, ein Gürteltier, zahlreiche Affen und einen großen Keiler gesehen, und wir hoffen, auf einer organisierten Nachtbeobachtungstour noch mehr Tiere zu Gesicht zu bekommen. Auf der Fazenda Sao Francisco geht es im offenen Jeep abends für zwei Stunden los, die Augen durch übergroße Brillen gut geschützt vor den Unmengen an Moskitos und anderen Insekten. Im Scheinwerferlicht stieben vor unserem Wagen auf den Feldwegen unzählige Eulen unwillig im letzten Moment hoch, in ihren Fängen baumelt hilflos ihre Beute, meistens kleine Frösche. Wir sehen im Lichtkegel ein paar Capivaras, einen Pantanalhirsch, entdecken in einem Busch am Rande des Weges eine grüne Schlange und schrecken einen Ozelot auf, der prompt mit einem Satz im Gebüsch verschwindet.

Ozelot Doc

Auf der Fazenda Sao Francisco wird im Rahmen eines Reproduktionsprogrammes ein ausgewachsener männlicher Tapir gehalten. Sein Gehege ist groß, dicht und hoch bewachsen und die Chance, ihn zu sehen, sind eher gering, aber wir haben Glück. Als wir am späten Nachmittag aus dem Unimog treten sehen wir ihn, noch ganz verschlafen, aus seinem Stall kommen. Wir waren gewarnt worden, ihm zu nahe zu treten: Bei Bedrohung können Tapire ihren (vermeintlichen) Feind zielgenau über mehrere Meter Entfernung anpinkeln. Wir betrachten das seltsam anmutende Tier von der Größe eines Ponies aus gebührendem Abstand.

Tapir 1 Doc

Der größten Katze des südamerikanischen Kontinentes, dem Jaguar, zu begegnen ist eher unwahrscheinlich. Seit brasilianische Umweltschutzbeamte die Einhaltung des Arten-schutzabkommens streng überwachen hat sich zwar der Bestand des Jaguars im Pantanal wieder auf rund 8.000 Exemplare erhöht, aber leider bekommen wir in dieser Nacht keines dieser Raubtiere mit dem schön gezeichneten Fell zu sehen. Sie sind ausgesprochene Einzelgänger, sehr scheu und man wird ihnen vermutlich eher auf der Fifth Avenue oder der Kö zu begegnen, wo sie die Schultern einer rich bitch schmücken, mit der zweifelhaften Aufgabe ihr zu mehr Selbstbewusstsein und Anerkennung zu verhelfen.

Wir sehen in dieser Nacht jedenfalls keinen, sind aber nicht enttäuscht, weil die Fahrt durch den nächtlichen Pantanal auch so sehr lohnenswert ist. Wenn die Vögel schlafen ist die Stille fast physisch greifbar. Es gibt keine künstlichen Lichtquellen, keinen Lichtsmog, der den Millionen Sternen am Himmel Konkurrenz machten könnte. Man bekommt eine Vorstellung davon, wie es war, als der Mensch noch nicht da war.

Eine große Säugetierart gibt es hier im Pantanal allerdings zu Millionen und bedroht das Paradies immer stärker. Hugo nennt sie den „brasilianischen Butterhirsch“, naturwissenschaftlich korrekt heißen sie Charolez, Miura, Caracu, Longhorn oder Boi Pantaneiro, ich sage dazu einfach Rinder. Für die einträgliche Zucht roden die Fazenderos legal und illegal nach wie vor großflächig den Urwald, so daß die Rückzugsräume für die wilden Tiere immer kleiner werden. Viel Fleisch wird dabei nach Europa und Indien exportiert. Die Größe der Fazendas ist teilweise atemberaubend: Es gibt Farmen mit über 100.000 Tieren. Geschätzt werden zur Zeit allein im Pantanal ca. 8 Mio Rinder gehalten.

Butterhirsche 1 Doc

Vor Kurzem hatten wir im Blog die Benutzung des Begriffs „öko“ angesprochen, der hier in Brasilien unserem Empfinden nach inflationär eingesetzt wird. Inzwischen haben wir recherchiert und unser Eindruck wurde bestätigt: Von den Rund 1.250 Fazendas im Pantanal haben ganz drei (!) ein offizielles Öko-Zertifikat; der Rest schmückt sich also mit fremden Federn und bastelt sich seine Eco-Labels selbst. Trotzdem, globale Naturschutzorganisationen wie der WWF und auch die brasilianische Regierung haben erkannt, daß Ökotourismus ein sinnvolles Instrument ist, dieses Biotop zu erhalten und die Bemühungen gehen in die richtige Richtung.

Bewegte Bilder findet Ihr hier:

Schwein gehabt

Am Portico in Buraco das Piranhas verlassen wir die asphaltierte BR 262 und die Rote-Erde-Piste der Estrada Parque do Pantanal, die uns tiefer in das seit 2001 von der UNESCO geschützte Biosphärenreservat bringen soll, beginnt. In Urzeiten war das Pantanal eine große pazifische Meeresbucht, heute ist es das größte zusammenhängende Feuchtgebiet der Welt. Zum Vergleich: Die Everglades in Florida betragen gerade einmal 4% der Fläche des Pantanal. Die zweitweilig überschwemmte Landfläche ist oftmals so groß wie Dänemark, Niederlande, Belgien und Portugal zusammen. Wissenschaftler sprechen vom größten Schwamm der Erde: Ein halbes Jahr lang saugt der Pantanal die Wassermassen aus den Anden und dem Herzen Südamerikas auf, pro Stunde 178 Millionen Liter. Fein dosiert mit einer Geschwindigkeit von 1200 Kilometern in 180 Tagen gibt er das Wasser dann ganz langsam wieder ab. Alles hier ist vom diesem Wasserkreislauf abhängig und folgt den jahreszeitlichen Schwankungen, insbesondere die Tiere, die in diesem Labyrinth aus Flüssen, Seen, Sumpf, Savanne, Kanälen und Inseln ihren Lebensraum haben.

Land unter

Land unter

Die Dammpiste der Estrada Parque do Pantanal ist 117 km lang und überquert auf 87 Holzbrücken Wasserläufe und sumpfigen Grund. Wir sind überrascht: Die Brücken sind in tadellosem Zustand und offensichtlich nach Ende der regulären Regenzeit im April/Mai in Stand gesetzt worden. Unsere Chancen, die gesamte Strecke bis Corumba durchfahren zu können, steigen.

Estrada do Parque do Pantanal

Estrada do Parque do Pantanal

Übernachtungsziel ist die Fazenda Sao Joao zwischen Brücke 28 und 29. Es ist später Nachmittag, als wir ankommen, und wir sind sofort begeistert von der Atmosphäre dieses Ortes. Wir werden vom Verwalter sehr freundlich begrüßt, stellen Unimoppel drei Meter vom See auf einer Wiese ab, um uns herum grasen Pferde oder stehen im Wasser, in den Bäumen sehen und hören wir viele Vögel. Die Sonne sinkt bereits ab 17.00 Uhr und taucht die Landschaft in ein zart-rosa Licht, um 18.00 Uhr umgibt uns rabenschwarze Finsternis und Stille, bis das abendliche Konzert der Frösche und Zikaden einsetzt.

Stellplatz auf der Fazenda Sao Joao

Stellplatz auf der Fazenda Sao Joao

Vor dem Zubettgehen wollen wir noch die Sonnencreme und das Moskitospray von der Haut spülen. Es gibt zwanzig, dreißig Meter von Unimoppel entfernt eine Freiluftdusche ohne alles; heißt: kein warmes Wasser, keine Tür, kein Licht. Hugo marschiert als Erster los, die Stirnlampe leuchtet in der Finsternis wie ein umherirrendes Glühwürmchen. Ich räume inzwischen im Unimoppel ein bisschen herum. Dann plötzlich ohrenbetäubendes Wasserplatschen!!! Alarm!!! Adrenalin in einer Überdosis schießt im Bruchteil einer Sekunde durch meinen Körper, nur ein Gedanke rast durch meinen Kopf: Die Dusche ist nur zwei oder drei Meter vom See entfernt. Hat sich einer der bis zu drei Meter großen Kaimane, die den ganzen Abend vor unseren Augen im See geräuschlos das Ufer entlang patrouillierten, meinen knusprigen Ehemann zum Abendessen geschnappt?

Kaiman 1

Kaiman 1

Ich greife nach der Taschenlampe und jage Richtung Dusche. Es ist stockfinster, aber dann erkenne ich im Lichtkegel der Taschenlampe Hugo, der wie versteinert am Ufer steht, das Badelaken lässig um die Hüfte geschlungen, Stirnlampe und Augen gebannt auf das Wasser gerichtet. Mein Herzschlag verlangsamt sich spürbar. Ich drehe meine Taschenlampe um 90 Grad auf den See und sehe riesige Augen, die das Licht reflektieren. Für Kaimane leuchten die gelben Scheiben zu groß, für Pferde eindeutig zu niedrig über der Wasseroberfläche. Was sind das für Tiere? Dann erkennen wir eine große Familie Capivaras, Wasserschweine (… die richtigerweise Nager sind und zu den Ratten zählen), die fröhlich hintereinander her durchs Wasser plantschen. Schwein gehabt…

Capivara mit Krönchen

Capivara mit Krönchen

PS: Wir lernen später, daß Kaimane friedliche Tiere sind und wir Menschen ihnen nicht schmecken.