Parque Nacional das Emas

Paul Theroux hat den schönen Satz gesagt: „Tourists don’t know where they’ve been, travelers don’t know where they’re going.” Spontan beschließen wir mal wieder eine Kursänderung und machen einen Abstecher zu einem Biosphärenreservat weiter östlich im Bundsstaat Goias, also in die entgegengesetzte Richtung. Überschlägig rechnen wir abends einen Umweg von rund 400 km aus, das Garmin sagt uns am nächsten Tag, daß es locker über 700 km sind, aber wir fahren trotzdem. Die Fahrt dorthin zieht sich – wieder einmal – entlang Mais- und Zuckerrohrfelder, die zunehmend größer werden. Der Parque Nacional das Emas, benannt nach den großen flugunfähigen Emas (Nandus), ist einer der bedeutendsten Nationalparks in der brasilianischen Buschsteppe und weltweit ein Hot Spot in Bezug auf Biodiversität. Biologen und Wissenschaftler sind hier auf der Suche nach Pflanzen, die zukünftig für Medikamente und Kosmetika eingesetzt werden können. Wir sind gespannt, was uns erwartet.

Aus der Ebene geht es bis über 900 m auf ein immens großes, fast vollständig ebenes Hochplateau hinauf. Oben angekommen, finden wir auf der einen Seite der Fernstraße weiterhin gentechnisch perfektionierte Mais- und Zuckerrohrfelder, auf der anderen Seite den 132.000 ha großen Nationalpark, beide Gebiete nur getrennt durch die zweispurige BR 341. Wir erfahren, daß der Zutritt zum Park nur mit Genehmigung der ICMBio und in Begleitung eines Führers (gibt es sogar auch englischsprachig) möglich ist, aber es ist kein Problem, beides für den nächsten Tag zu organisieren. Am nächsten Morgen finden wir uns am nördlichen Eingang des Parks ein, wo außer dem „Portier“ niemand da ist. Dieser radelt mit seinem Fahrrad los und kommt kurze Zeit später zurück, um uns mitzuteilen, daß gleich jemand käme. Zwanzig Minuten später kommt auch jemand, der schon recht offiziell ausschaut und uns mitteilt, daß gleich der „Guide“ käme. Wiederum zwanzig Minuten später kommt dann auch jemand vorgefahren und stellt sich als unser Parkführer vor, allerdings der englischen Sprache dann doch nicht mächtig ist. Er fragt, woher wir kommen… aus Deutschland … ich frage ihn, ob er vielleicht Italienisch versteht … nein …. dann vielleicht Spanisch … nein … vielleicht eine andere Sprache… Französisch … nein und nochmals nein. Okay, dann wurschteln wir uns halt so durch.

Wir fahren auf Erdpisten in den Park, der Teil der Serra do Calapo ist, der Wasserscheide zwischen dem Amazonas-, Platino- und Pantanalbecken. Schon nach den ersten wenigen Kilometern haben wir den Eindruck, in ein post-apokalyptisches Szenario einzutauchen.

PDE 9 Doc

Die eigenwillige Landschaft ist zu einem großen Teil mit bis zu drei Meter hohem Gras bedeckt, dazwischen prägen Abertausende von Termitenkegeln und knorrige, weit auseinander stehende und oftmals gänzlich unbelaubte Bäume von wenigen Metern Höhe das Bild. Würde nicht ein leiser Windhauch durch die Spitzen des Grases streichen, man würde denken, die Landschaft sei „gefriergetrocknet“ oder durch einen Atomschlag erstarrt.

PDE 1 Doc

Wir können keine Bewegung und fast keinen Laut wahrnehmen, außer dem Pfeifen einiger versteckter Vögel. Kaum zu glauben, daß diese Landschaft Heimat vieler seltener Tiere und Pflanzen ist: Mähnenwölfe, Ameisenbären, Tapire, Pecaris, Lanzenotter, Hirsche, Gürteltiere. Allein 90 verschiedene Säugetierarten sind hier zuhause, insgesamt über 3.000 Species. Wir fahren langsam die 45 Kilometer von Nord nach Süd durch den Park bis zum entgegengesetzten Eingang und dann nach kurzer Pause wieder zurück. Außer Hirschen, Nandus und ein paar anderen Vögeln bekommen wir keine Tiere zu sehen, aber wir sind auch viel zu spät dran. Die beste Zeit ist frühmorgens von 5 bis 7 Uhr; in der Hitze der Mittagszeit dösen die Tiere alle im Schatten, perfekt getarnt durch das hohe Gras. Trotzdem, die spröde Eigenwilligkeit der Landschaft ist beeindruckend. Schaut man genauer hin und nimmt einen Quadratmeter Boden „unter die Lupe“, dann entdeckt man selbst als Laie die Vielfalt.

PDE 12 Doc

Unzählige Pflanzen und Pflänzchen drängen sich auf kleinem Raum, manchmal auf den ersten Blick leblose Äste oder einzelne Blätter, die aus dem Boden wachsen, manchmal nur trockenes Gestrüpp, welches beim nächsten Regen erneut zu Leben erwacht. Zur Trockenzeit fällt hier ein halbes Jahr lang kein Tropfen Wasser und so verfügen viel Pflanzen über ausgeklügelte Fähigkeiten, sich am Leben zu erhalten.

Ich denke an die Mais- und Zuckerrohrfelder auf der anderen Straßenseite. Vor gar nicht einmal allzu langer Zeit hat das gesamte Hochplateau noch so ausgesehen und kurz vor knapp hat zum Glück jemand die unschätzbaren Ressourcen erkannt, die Reißleine gezogen und der völligen Vernichtung dieser einzigartigen Fauna und Flora Einhalt geboten.

Kurz vor Sonnenuntergang sind wir zurück am Nordtor. Unser „Guide“ hat freiwillig während der gesamten Zeit so gut wie keine Informationen gegeben; wenn wir etwas wissen wollten , dann mussten wir dies mühselig erfragen und die Antworten waren dann einsilbig und alles andere als zufriedenstellend. Nachdem wir abschließend den Parkeintritt – den wir ganz offiziell quittiert bekommen – und die Gebühr für den Guide – die wir nicht quittiert bekommen – gezahlt haben, kann der Mensch plötzlich sprechen, und zwar recht verständlich auf Deutsch! Er erzählt uns brühwarm, daß seine Großeltern aus Deutschland stammen und nach Brasilien ausgewandert sind. Ich bekomme Schnappatmung, zwinge mich dann aber dazu, diesen Vorfall mit buddhistischer Gelassenheit über mich hinwegrauschen zu lassen, weil ich uns den ansonsten schönen Tag nicht versauen möchte. Auf solche Idioten trifft man leider ab und zu, aber zum Glück ausgesprochen selten.

Wieder zurück auf der Straße, die Nationalpark von Agrarland trennt, fahren wir am späten Nachmittag Richtung Nordwesten weiter und entdecken zu unserem Entsetzen zwischen den Feldern immens große Gruben mit Müll, primär Plastik. Nach dem Motto „Aus den Augen aus dem Sinn“ schieben große Bagger einfach einen Meter rote Erde darüber und das war es. Wir sind etwas fassungslos. Naturschutz auf der einen Seite, und dann dieses…wie passt das zusammen?

In Alto Taquari finden wir abends an einer Tankstelle wieder einen Schlafplatz und quetschen uns zwischen die großen 80-Tonner-Trucks. 7-, 8- und 9-Achser, die Doppeltanks beladen mit jeweils 60.000 Litern Treibstoff. Um uns herum stehen davon 10 bis 12, irgendwie kein gutes Gefühl und den Gedanken „Was ist eigentlich wenn…“ schieben wir schnell beiseite.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert