Agrargigantismus

Wenn wir bisher gedacht haben, die Agrarflächen, die wir unterwegs gesehen haben, seien groß gewesen, dann werden wir jetzt eines Besseren belehrt. Wir fahren durch einen Ozean aus Mais, Zuckerrohr, Soja und manchmal Baumwolle; Felder, die nicht fünf oder zehn Kilometer lang sind, sondern zwanzig, dreißig Kilometer, teilweise sogar noch länger. Die grünen Flächen reichen bis zum Horizont und sind in ihrer Dimension wahrscheinlich vom Mond aus mit bloßem Auge sichtbar. In ihrer Schlichtheit sind sie beängstigenderweise schon fast wieder schön: Monochrome geometrische Flächen vor einem dreidimensionalen weiß-blauen Himmel.

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Wie frisch aufgerissene Wunden in der roten Erde scheinen die Fahrwege für die Landmaschinen und ja, der Mensch ist hier in seiner grenzenlosen Gier nach großen Profiten mit seinen John Deeres´und New Hollands´wie ein Raubtier über das Land hergefallen. Abgeerntet bleiben öde braune Flächen zurück, die Erde auf Jahre ausgeblutet.

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Erst hat man diesem Land seine angestammten Bewohner genommen, so daß man in großem Maßstab Sklaven aus Afrika importieren mußte, mit denen man dann das an Bodenschätzen so reiche Land um sein Gold und Silber gebracht, danach hat man den wertvollen Kautschuk aus den Bäumen gezapft, später wurden die Bäume dann für die Felder und das Vieh gefällt und jetzt nimmt man dem Boden seine Kraft. Irgendwann ist Schluß.

Wir sind im Land von Shell, BR, Dow Chemical und BASF & Co. angekommen, die der Natur mit langen Fingern in die Tasche greifen. Die Mengen an Mais und Zuckerrohr sind nicht etwa für den Verzehr durch den Menschen bestimmt, nicht einmal für die Rinderzucht, sondern alles wandert in die Tanks nimmersatter Autos. Die Rohstoffe werden hier direkt vor Ort in riesigen Fabriken zu Ethanol verarbeitet, dann in große Tanklaster abgefüllt und abtransportiert. Ganze Güterzüge fahren direkt bis in die Felder hinein, Kolonnen von Tanklastwagen stehen wartend auf den großen Parkplätzen vor den Unternehmen. „Bio“-Ethanol ist in Brasilien der mit Abstand billigste Treibstoff und rund 30% günstiger als Diesel. Mobilität bedeutet Fortschritt, in Brasilien wie in jedem anderen Land der Welt. Aber zu welchem Preis für die Natur?

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Abends erreichen wir im letzten Licht Rondonopolis, eine Kleinstadt mit 180.000 Einwohnern und einer der logistischen Mega-Hubs. Hier kommen pro Tag Tausende von Trucks aus allen Winkeln Brasiliens zusammen und verteilen sich neu in alle Himmelsrichtungen. Die Fernstraße führt als Tangente an der Stadt vorbei und ist über mehrere Kilometer gesäumt von Reifenhändlern, Werkstätten, Tankstellen, kleinen und großen Lanchonetes. Alles dreht sich hier um das Thema LKW und seinen Bedarf. Die Trucks kommen teilweise von sehr weit her und sind restlos schmutz- und schlammverkrustet von der terra rossa. Unimoppel und wir selbst sind auch nicht mehr die Frischesten und so mogeln wir uns auf einer Tankstelle wieder zwischen zwei LKW.

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Über der Stadt hängt ein dichter Schleier aus dem vom Schwerverkehr meterhoch aufgewirbelten Staub der rostroten Erde. Im Licht der untergehenden Sonne entsteht optisch Endzeitstimmung und ich erwarte jeden Moment, daß Bruce Willis lässig aus einem Truck steigt und sagt: „Volltanken, bitte.“

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