So ist das Leben

Hugos Infektion am Zeh wird nicht deutlich spürbar besser, der Tunga am anderen Fuß muß auch entfernt werden, bevor er größeren Schaden anrichtet, und so planen wir vor dem Grenzübertritt nach Bolivien einen Arztbesuch in Cuiabá ein.

Bei Unimoppel haben wir zudem ein „Gelenkleiden“ festgestellt: Die Manschetten an der Lenkstange sollten besser ersetzt werden, bevor wir in wenigen Wochen im Gebirge die langen Pässe fahren. Wir steuern in Cuiabá eine Mercedes LKW-Werkstatt an, wo man unser Problem lösen kann und will. Da es Originalteile hier nicht gibt, muß improvisiert werden und das dauert. Wir verbringen die Nacht vor der großen Niederlassung, in der gerade an die vierzig LKWs in Stand gesetzt werden. Die Werkstatt ist blitzsauber, perfekt mit allen Werkzeugen und Maschinen ausgestattet und bestens durchorganisiert und das Zuschauen bei den Reparaturarbeiten an den Trucks, die wie große Tiere in der Halle stehen, ist auch für uns interessant.

Cuiabá ist tagsüber ein Glutofen und auch nachts sinkt die Temperatur nicht. Es weht nicht der geringste Lufthauch durch die große Stadt und so schwitzen wir vor uns hin. Am nächsten Morgen geht die Schicht bei Mercedes zwar früh los, aber das Ersatzteil lässt auf sich warten. Hugo verbringt die Zeit mit kleineren Wartungsarbeiten am Unimog; ich mit Lesen und brasilianischen Telenovelas im Aufenthaltsraum für die Fernfahrer. Zwischendurch gibt es Kaffee und Sandwiches, mittags werden wir in die Betriebskantine zu Schmorhühnchen eingeladen. Die Zeit tröpfelt in der Hitze dahin, nichts geschieht. Am späten Nachmittag ist das Ersatzteil dann plötzlich da und wird fix und gekonnt montiert.

Inzwischen ist es zu dunkel, um noch eine größere Strecke zu fahren, und wir beschließen, uns einen Übernachtungsplatz an einer der Tankstellen an den großen Ausfallstraßen der Stadt zu suchen. Der Platz, den wir aufsuchen, übertrifft in seiner Rohheit alles bisher dagewesene. Das Wort wüst beschreibt es vielleicht am Besten. Eine riesige Fläche am Rand der sechsspurigen Fernstraße, die rote Erde, die nachts schwarz zu sein scheint, plattgewalzt von Tausenden schwerer LKWs, die kreuz und quer geparkt sind, eine kleine Lanchonete mit roten Plastiktischen und -stühlen, eine zweite mit gelben Stühlen. Das Angebot ist bei beiden identisch: Auf einem kleinen Grill werden draußen Spieße mit Fleisch, Hühnerherzen oder Bacon zubereitet, alles entweder mit Maniok oder Reis aus dem großen Plastikeimer, dazu Bier, Cola oder Wasser.

Mückenumschwirrte Neonlampen tauchen unbarmherzig das Geschehen in einen ungesunden grün-schwarzen Schimmer; außerhalb ihres Lichtkegels verschluckt die Dunkelheit nach wenigen Metern alles. Fernfahrer sitzen erschöpft, einsam und schweigend vor ihrem Bier. Kaum jemand unterhält sich. Professionelle ziehen von Tisch zu Tisch und hoffen auf ein schnelles Geschäft. An der Kreuzung steht dauerhaft ein Krankenwagen mit eingeschaltetem Blaulicht und offener Tür; davor fährt ein Junge mit rot-weißem Ringelpulli auf einem Fahrrad unaufhörlich im Kreis. Ein paar Hundert Meter entfernt sehen wir die mit Stacheldraht bewehrten Mauern eines großen Gefängnisses.

Wir lassen uns an einem Tisch nieder, bestellen Fleischspieße und lassen die Szenerie, die einem der surrealistisch-düsteren Filme David Lynchs´entsprungen sein könnte, auf uns wirken. Sie wäre in ihrer Trostlosigkeit bedrückend, geradezu gespenstisch, vielleicht sogar bedrohlich, wäre da nicht die Musik, die aus der Juke Box tönt. Brasilianischer Country-Pop, eine Mischung aus Fröhlichkeit und Saudade, der sanften brasilianischen Melancholie, nimmt dem Moment alle Düsternis und verleiht der Atmosphäre eine unbeschreibliche Leichtigkeit. Eso es la vida.

Als wir am nächsten Morgen abfahren hören wir die Insassen der Strafanstalt laut singen und klatschen.

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