Archiv der Kategorie: Argentinien

Ende Gelände

Unser Tagesziel haben wir schon fast erreicht, als unsere Weiterfahrt abrupt durch eine Straßenblockade aus Menschentrauben und brennenden Autoreifen beendet wird. Geduldig warten wir eine Weile, dann fragen wir nach, ob es eine Chance gibt, durchzukommen. Es gibt keine, und die Blockade dauert nun schon drei Wochen.

P1230376

Die Menschen hier in den Regionen Catamarca, Tucuman und La Rioja leben von der Landwirtschaft, die Böden sind fruchtbar, Obst, Getreide, Tabak und Gemüse gedeihen prächtig und überall entlang der Fernstraße sitzen große Agrarunternehmen mit modernen Bürogebäuden, großen Hallen und Silos. Trotzdem bleibt den Landarbeitern kaum Geld zum Leben übrig. Das Gefälle zwischen Arm und Reich ist groß in Argentinien, und hier, südlich von San Miguel de Tucuman, ist es besonders offensichtlich. Armselige Hütten, wie wir sie in Peru zuletzt gesehen haben, säumen die Straße. Mit der Blockade hoffen die Landarbeiter, in Buenos Aires höhere Löhne erringen zu können, nur: Welchen Politiker in der Hauptstadt interessiert es, wenn zwischen San Fernando de Catamarca und San Miguel de Tucuman die Ruta 60 blockiert wird?

Wir sind gezwungen, einen Umweg von über 70 Kilometern zu fahren, der in weiten Teilen über holprige Feldwege und durch Zuckerrohr- und Maisfelder führt. In der Nacht hatte es geregnet, und an manchen mit Wasser gefüllten Schlaglöchern sammeln sich Schwärme kleiner gelber Schmetterlinge. Von den Vibrationen des Unimogs aufgeschreckt fliegen sie auf und tanzen einen Moment wie Konfetti vor unserer Windschutzscheibe. Immer wieder huschen flinke Feldhamster panisch über die Piste und manchmal auch ein kleines Gürteltier mit seinem knöchernen Panzer, aus dem lange borstige Haare sprießen.

Auf den Karten von MapsWithMe hatten wir gesehen, daß wir den Rio Seco (Trockener Fluß) queren müssen. Als wir an die betreffende Stelle gelangen, ist von einer Brücke keine Spur zu sehen. Normalerweise könnten wir den Fluß mit dem Unimog einfach durchfahren, aber in den vergangenen Tagen hat es in der westlich gelegenen Sierra Aconouija heftige Regenfälle gegeben und der jetzt schnell fließende Fluß führt seinem Namen zum Trotz sehr viel Wasser und roten Schlamm. Da reicht auch die Unimog-Wattiefe von 1,30 Meter nicht aus. Für uns heißt es, zum zweiten Mal an diesem Tag, Ende Gelände und es geht viele Kilometer weiter über einsame Wege durch die Felder, in denen verstreut und abgelegen winzige Farmhäuser liegen, deren Bewohner in Shorts und Unterhemd draußen auf einem Plastikstuhl sitzen und die Zeit vorbeiziehen lassen.

P1230383

Archaeopteryx-Treffen

Wie muß man sich das Aufeinandertreffen zwei Flugsaurier vorstellen? Auf jeden Fall mit viel Fliegen, geradezu obszönen Mengen an rotem Fleisch und ebenso viel Bier. Wir lernen hier in La Rioja das argentinische Pendant zum deutschen Hugo kennen: Hugo Aguila, Drachen- und Gleitschirmpilot, Ausbilder, Weltmeisterschaftsteilnehmer und mit über dreißig Jahren aktiver Flugerfahrung ein ebensolcher Dino in der Szene wie Hugo.

2015-02-21 19 36 30

La Rioja ist eine untouristische Kleinstadt an den Ausläufern der Anden, unspektakulär, da sie keine großartigen Monumente oder andere kulturhistorische Highlights vorzuweisen hat, aber dafür umso authentischer. Sie zählt zu den ältesten Städten Argentiniens und ihre Gründungsstätte ist heute noch ihr Zentrum. Bei unserer Suche nach dem Landeplatz fahren wir durch auffallend schöne Wohngebiete. Geschmackvolle, weiß getünchte Villen im Fincastil mit lackierten Dachziegeln, die das Sonnenlicht reflektieren, oder puristische Designerhäuser aus Stein und Glas stehen auf großen, mit altem Baumbestand bewachsenen Grundstücken. Gärtner fegen Laub zusammen, sprengen den Rasen oder beschneiden die Bäume, ansonsten ist kaum jemand zu sehen, als wir durch die Straßen fahren. Später erfahren wir, daß hier Teile der politischen Oberschicht Buenos Aires einen Zweitwohnsitz haben.

Am nahegelegenen Landeplatz, dessen Gelände sich bereits seit vielen Jahren im Besitz des Aeroclubs befindet und dank der bevorzugten Lage bestimmt auch finanziell für den Club eine gute Investition ist, schlagen wir unser Quartier auf. Unsere einzigen Nachbarn sind Herr Esel und Frau Pferd.

Nach einigen Flügen mit dem Gleitschirm möchte Hugo sich endlich einmal wieder unter seinen alten Drachen hängen, den wir die ganze Zeit auf dem Dach spazieren fahren. Die thermischen Bedingungen passen gut, also wird das alte blaue Möfchen seit dem Flug über die große Sanddüne von Iquique in Chile das erste Mal auf dieser Reise wieder ausgepackt. Aus der Verpackung genommen entfaltet der Drachen vorsichtig wie ein aus seiner Verpuppung schlüpfender Schmetterling die Flügel. Trotz manch wilder Pistenrumpelei ist das Material unversehrt, Hugo stürzt sich vom Berg und kann einen schönen intensiven Flug in den Abendstunden genießen. Anschließend wechselt der alte Drachen spontan den Besitzer – er wandert von Hugo an Hugo. Für uns lohnt es nicht, den Drachen wieder zurück nach Europa zu transportieren, zumal zuhause der schnelle Atos ungeduldig wartet und geflogen werden will.

Abends lädt uns Hugo zusammen mit einer Handvoll argentinischer Piloten zur parrilla zu sich nach Hause um die Ecke ein. Ein Industriedesigner, ein Modedesigner, ein Elektroingenieur, ein Unternehmer ohne Unternehmen … die Runde ist bunt, das offene Feuer nach unseren europäischen Maßstäben gigantisch. Der asador, der Grillmaster, darf oben ohne am Feuer brutzeln; ihm in seine alle Hingabe und Konzentration fordernde Aufgabe hinein zu reden ein wäre ein unverzeihliches Sakrileg.

Vor 23.00 Uhr, bis die Gluthitze des Tages nachgelassen hat, wird hier nicht zu Abend gegessen. Als Vorspeise gibt es verschiedene Sorten Wurst, darunter morcilla, eine Art argentinische Flöns mit vielen Gewürzen, die beim Grillen fast zu Bröseln zerfällt und nach einem Hauch von Weihnachten schmeckt – sehr lecker. Als Hauptgang gibt es Unmengen an Fleisch, Fleisch und noch mal Fleisch… und zum Dessert … Fleisch. Dazu wird chimichurri gereicht, ein Dip aus Olivenöl, Knoblauch und Petersilie. Die Jungs trinken aus einem gut zwei Liter fassenden Becher eine gruselige Mischung aus Cola und Fernet Branca, ich bleibe lieber dem guten Malbec treu.

P1230364

Von irgendwoher zaubert plötzlich jemand eine Gitarre an den Tisch und die Jungs beginnen zu singen. Von Folksongs über Pop bis zu fetzigem argentinischem Rap reicht ihr Repertoire, alle haben eine tolle Stimme und scheinen auch textsicher zu sein. Respekt. Unsere Frage, ob sie in einer Band singen, wird verneint, und Perro Verde – warum er sich selbst Grüner Hund nennt bleibt auch in dieser Nacht sein Geheimnis – erklärt, daß in der Region Catamarca, aus der sie stammen, alle Menschen singen können und für die Musik leben. Irgendwann, es ist schon fast Morgen, fallen wir in unsere Koje.

Ischigualasto oder Ein Champignon in der Wüste

Wie eine langgezogene Oase zieht sich das grüne Valle Fertíl durch die ansonsten karge, jetzt im Sommer mit über 40 Grad bullenheiße Landschaft. Die Straße ist entgegen allen Informationen asphaltiert, ähnelt aber einer Berg- und Talbahn und bringt Unimoppel so richtig in Wallung. Die kleinen Dörfer sind für die betuchteren Einwohner des 250 Kilometer entfernten San Juans eine Art Sommerfrische, aber der Tourismus findet auf ganz kleinem Niveau statt und so haben die Orte ihre Beschaulichkeit, um nicht zu sagen verschlafene Verträumtheit, noch nicht eingebüßt.

Unser Ziel ist der Parque Provincial Ischigualasto, eine ausgedehnte Erosionslandschaft, ein Mekka der Dinojäger und ein Paradies für Fossiliensucher aus aller Welt. Vor 250 bis 199 Millionen Jahren, während der Trias, war hier Saurierland. Die Anden waren noch nicht aufgeschoben, so daß der vom Pazifik kommende Regen für üppige tropische Vegetation und Nahrung sorgte. Die Schichten der Trias liegen hier nicht viele Kilometer tief in der Erde, sondern offen und für das bloße Auge erkennbar. Hier entdeckten Paläontologen unter anderem den ältesten Dinosaurier der Welt, einen Eoraptor mit 228 Millionen Jahren, und auch heute noch gibt es jährlich neue spektakuläre Funde. Auch die kleinen bißwütigen Freunde mit den spitzen Zähnen, die in Jurassic Park die Küche zu einem so ungastlichen Ort machen, finden sich hier in großen Zahlen. Das kleine naturwissenschaftliche Museum am Parkeingang zeigt einige Saurierfunde und gibt Auskunft über die Entstehungsgeschichte dieser Landschaft.

Um die Einzigartigkeit der bizarren, aber sensiblen Landschaft nicht zu zerstören fährt man hier mit dem eigenen Fahrzeug im Konvoi einem ausgebildeten Parkführer hinterher, der an markanten Punkten sehr kenntnisreich über die geologische Evolution informiert. Er nimmt uns mit auf eine faszinierende Zeitreise; es geht viele Jahrmillionen in der Erdgeschichte zurück. Nur zehn Prozent des 630 Quadratkilometer großen Parks sind für die Öffentlichkeit zugänglich; über Sandpiste fahren wir in gut drei Stunden rund vierzig Kilometer. Der backofenheiße Wind bläst unentwegt und die Felsformationen scheinen in der Hitze zu regelrecht zu glühen. An manchen Tagen, wenn der sogenannte zonda mit über sechzig Grad und hoher Geschwindigkeit von den Anden herab durch die Landschaft fegt, muß der Park geschlossen werden, weil vor lauter Staub die Piste nicht mehr sichtbar ist.

Mit im Konvoi fährt eine „Motorradgang“, deren eigenwillig dekorierte Maschinen eher Kunstwerken gleichen.

Besonders markante Stellen im Park tragen Namen. Die Formation Los Rastros (= Die Spuren) zeigt anschaulich die verschiedenen Stufen der Evolution: Die sandigen Schichten zeugen von einem immer trockener gewordenen Klima, nachdem die Andenkette von den Erdkräften wie eine Klimabarriere aufgeschoben war; wohingegen die unteren Schichten mit ihren Fossilien und versteinerten Farnen Zeugen der vorangegangenen tropischen Zeit sind. Auch heftige Vulkanausbrüche, die sich vor Millionen Jahren ereignet haben, sind in Form von schwarzen Streifen auf ewig dokumentiert.

Giorgia O´Keeffe hätte an den skulpturenhaften Felsformationen ihre Freude gehabt. Auch wenn die Landschaft lebensfeindlich zu sein scheint ist sie Heimat einiger Tierarten, die mit wenig Wasser auskommen. Wir sehen Guanakos, die uns neugierig beäugen, und sogar einen Fuchs, dessen geschecktes Fell farblich mit den Pastelltönen der Umgebung zu verschmelzen scheint.

P1230179

Das Valle Pintado, das bemalte Tal, ist eine viele Kilometer lange polychrome Felsformation, deren Farben in der nachmittaglichen Sonne zu leuchten scheinen. Wir blicken in das weite Tal, aus dem die Stille wie Rauch aufzusteigen scheint.

Das Spiel der Farben im Licht ist so schön, daß selbst die beinharten Rocker, die „Verfluchten Ratten“, andächtig schauen und zu sprachlosen Softies mutieren.

P1230089

Im Flussbett des Rio Seco, des trockenen Flusses, findet man unzählige Felskugeln verschiedener Größe, die wie in die Ebene katapultierte eiserne Kanonenkugeln ausschauen. Die Gesteinsbrocken erhielten ihre kugelige Gestalt aufgrund ihrer besonderen Metallhaltigkeit. Werden sie in klaren Nächten vom Mondlicht angestrahlt, beginnen sie zu fluoreszieren.

Star des Parks aber ist ein Monolith, „El Hongo“, der wie ein riesiger Champignon in den blauen Himmel ragt und trotz der häufigen Erdbeben in dieser Region noch immer nicht umgefallen ist.

P1230216

Wir hoffen, er stürzt nicht gerade jetzt um, wo wir daneben stehen.

 

 

Difunta Correa

Entlang der Straßen in Argentinien, aber auch in Chile, haben wir immer wieder kleine Altärhäuschen gesehen, die von Hunderten oder gar Tausenden Plastikflaschen umgeben waren. Dachten wir anfangs noch an punktuelle Vermüllung und eine unverzeihliche Umweltsünde in den sonst recht sauberen Ländern, so wurde schnell klar, daß es sich dabei um einen religiösen Brauch handelt.

P1220832

Viele Argentinier und Chilenen glauben an den Schutz der Difunta Correa, der Schutzpatronin für Verkehr und Reisen. Von der katholischen Kirche ist sie nicht anerkannt, also auch keine Heilige, aber an jedem Busbahnhof steht sie in einer Vitrine und wird wie eine Heilige verehrt. Entlang der Fernstraßen haben Menschen kleine Altäre errichtet, vor denen Reisende, Brummifahrer, Motorradfahrer und Busfahrer gefüllte Wasserflaschen abstellen und um ihren Schutz beten.

65 Kilometer östlich von San Juan und fast unmittelbar an unserer Strecke liegt der Wallfahrtsfahrtsort der Difunta Correa. Nachdem wir so viel darüber gehört und so viele Straßenaltäre gesehen haben statten wir dem für unseren Geschmack etwas befremdlich anmutenden Ort einen Besuch ab.

P1220956

Und so geht die Geschichte: Maria Antonia Deolinda y Correa folgte mit ihrem Säugling auf dem Arm zu Zeiten des Bürgerkriegs 1841 ihrem von Soldaten verschleppten Mann. Nach 34 Kilometern Fußmarsch auf der Straße verdurstete sie hier in der Wüste. Tage später fanden Maultiertreiber ihre Leiche, aber wie durch ein Wunder lebte der Säugling noch und nuckelte an den nach wie vor Milch spendenden Brüsten der Verstorbenen. Ein Wunder, ohne Zweifel.

P1220958

Wer immer eine Reise oder längere Fahrt plant erbittet den Schutz der Difunta Correa, und wer immer von ihr aus einer gefährlichen Situation gerettet wurde stattet ihrem Grab zum Dank einen Besuch ab. Der Wallfahrtsort ist eine Anhäufung aus kleinen Hotels, Restaurants und verschiedenster Devotionalien. An kleinen Kiosken kann man gegen Bares neben bunt bemalten Gipsmodellen der liegenden Difunta Correa mit ihrem Säugling an der Brust rote Stoffbänder mit Vordruck erstehen: Beschütze meinen Honda oder Beschütze meinen Mercedes oder Beschütze meine Suzuki oder Beschütze meinen IVECO…

P1220967

Autofahrer hinterlassen an der Grabstätte ihre KFZ-Schilder, verbogene Felgen oder geplatzte Autoreifen, Straßenbauarbeiter ihre Helme oder Schuhe. Brummifahrer stellen Modelle ihrer LKW ab, die in einem eigenen Raum ausgestellt werden, oder hängen Fotos ihrer bei einem Unfall demolierten Wagen auf, denen sie Dank Difunta Correas Beistand heil entstiegen sind. Da auch die Ehe als lange Reise betrachtet wird geben Bräute ihre weißen Kleider nach der Vermählung sicherheitshalber auch ab. Und überall auf dem Gelände stehen Abertausende Plastikwasserflaschen. Im Schrein selbst liegt eine fast lebensgroße Statue der Difunta Correa.

P1220977

Vieles ist hart an der Grenze zum Kitsch und für uns befremdlich, trotzdem beeindruckt der unbeirrbare Glaube der Menschen auf seine Weise.

Mendoza

Unsere Fahrt führt zu Füßen der Andenkette zur Puente del Inca, einer 21 Meter langen schönen Naturbrücke aus schwefelhaltigem rot-gelbem Gestein, dann weiter durch eine polychrome Landschaft immer entlang des Rio Mendoza. Das kleine, auf knapp 1.800 Metern gelegene Uspallata überrascht mit üppigem Grün und unzähligen hohen Pappeln, die die Straßen beidseitig säumen. Hier in dieser Region der Anden wurden Teile der Außenaufnahmen des Filmes „Sieben Jahre Tibet“ mit Brad Pitt, der Heinrich Harrer darstellt, gedreht, und Kulissen des Filmes findet man heute noch im Cafe Tibet.

Dann erreichen wir Mendoza, die Hauptstadt des argentinischen Weines. Hier wird ungefähr ein Viertel aller argentinischen Weine produziert und kaum ein Quadratmeter wird nicht mit Weinstöcken bepflanzt. Die einst hier lebenden Indios hatten bereits in prähispanischen Zeiten ausgeklügelte Bewässerungskanäle von den Bergen in die Ebene angelegt, die vom Schmelzwasser der Anden gespeist wurden. Wie praktisch für die Kolonialherren, die hier ab Mitte des 16ten Jahrhunderts einfielen. Architektonische Zeugen aus dieser Zeit existieren heute nicht mehr, da ein Erdbeben im Jahr 1861 die Stadt dem Erdboden gleichmachte. Ein französischer Architekt wurde einbestellt, und er legte nach Pariser Vorbild die Grundsteine für das heutige Mendoza mit seinen breiten begrünten Avenidas, den großzügigen Plätzen und den zahlreichen Kühlung spendenden Brunnen.

Die Landschaft um Mendoza ist hügelig, steigt zur Andenkette hin an, wobei die Berge wie die Schuppen einer gepanzerten Echse aussehen.

P1220953

Die Weinreben reichen bis fast in die Stadt hinein, die auch ansonsten durch sehr viel Grün positiv auffällt. Die Bebauung ist flach, die meisten Häuser haben nur ein oder zwei Stockwerke, und die Straßen sind alleeartig mit großen schattenspendenden Platanen bepflanzt. Überall gibt es kleine belebte plazas, auf denen Brunnen plätschern und die Menschen Zeit für einen Plausch finden..

P1220951

Kein Licht ohne Schatten, so ist es auch in Mendoza. Obwohl die Stadt ruhig und sicher erscheint gibt es hier viel Einbruch- und Diebstahlkriminalität. Wir beschließen, kein Risiko einzugehen. Statt den Wagen im Zentrum zu parken gehen wir lieber auf einen Campingplatz etwas außerhalb der Stadt und für die Fahrten ins Zentrum rufen wir ein Taxi oder Remis. Eine doppelt gute Entscheidung, denn es stellt sich heraus, daß der noch junge Betreiber des schön angelegten Campings selbst Gleitschirmpilot ist und so gleich den Kontakt zur örtlichen Flugszene herstellen kann. Der Landeplatz ist nicht weit entfernt, hat sogar eine Bar mit eisgekühltem Landebier, die Sonne scheint vor dem gezackten Scherenschnitt der Anden, die Thermik stimmt auch, alles ist gut, aber kaum hat man das Gefühl, die ganze Welt in den Händen zu halten, beißt sie einen in den Finger: Der Campingplatz ist mückenverseucht und die Biester sind so winzig, daß sie selbst durch das enge Mesh der Moskitonetze schlüpfen. Nach der ersten Nacht zähle ich über achtzig Stiche, die besonders an den Füßen sehr schmerzhaft sind und sich in kürzester Zeit zu dicken Blasen entzünden.

Hugo verbringt Zeit in der Luft und wird sich noch lange an die schönen Flüge erinnern, aber nach ein paar Tagen heißt es für uns weiter Richtung Nordargentinien.

P1220945

Parque Nacional Lanin

Unsere weitere Fahrt führt uns ein Stück durch den schönen und abwechslungsreichen Nationalpark zu Füßen des erloschenen Vulkans Lanín. Hier wachsen noch zahlreiche Exemplare der fast ausgestorbenen Araukarie, der Andentanne, die wegen ihres Wuchses auch als Regenschirmtanne bezeichnet wird. Die Bäume mit den starken Nadeln werden so streng geschützt, daß Straßen um sie herum gebaut werden.

In den kugeligen weiblichen Blütenzapfen reifen vier bis fünf Zentimeter lange Pinienkerne, die verzehrt werden können.

P1220636

Über allem thront der knapp 3.800 Meter hohe Lanín mit seinem perfekten Schneekegel vor wolkenlos blauem Himmel, der schönste Vulkan Argentiniens, und gibt uns das Gefühl, durch eine fast schon kitschige Postkartenidylle zu fahren.

Argentinische Schweiz

Mit der wenig verlockenden Aussicht auf einige kulinarisch eher karge Tage schlemmen wir in El Chaltén ein letztes butterweiches, perfekt Englisch gegrilltes bife de lomo mit Malbec, schaffen danach noch frisch gebackene Waffeln mit lila Calafate-Eis und kehren dann dem Fitz-Roy-Massiv mit dem Versprechen wiederzukommen den Rücken zu. Bis El Bolsón, unserem nächsten Ziel, liegen 1.300 Kilometer einsame Pampa vor uns. Der Name Pampa stammt aus der Quechua-Sprache und bedeutet „baumlose Ebene“ und wirklich, während der nächsten drei Tage wirft kein Baum oder Strauch seinen Schatten. Die Sonne brennt erbarmungslos den ganzen Tag vor dem azurblauen argentinischen Himmel, aber ein kalter Wind fegt von Nord nach Süd über die ungeschützte Ebene. Trifft er in voller Stärke frontal auf den Unimog, verlieren wir in dem flachen Gelände bis zu fünfzehn kmh an Geschwindigkeit.

Die Pampa trägt in dieser Gegend bezeichnende Namen: Meseta la Siberia, Pampa Asador (Bratspieß) oder Meseta da la Muerte (Todesebene). Letztere heißt vermutlich so, weil man hier vor Langeweile umkommt. Hier gibt es nicht einmal mehr Guanacos, die etwas Bewegung in das sonst statische Bild der Landschaft bringen und mit ihren umherstreifenden Herden für den Moment des Vorbeifahrens den ermüdeten Sinnen eine willkommene Abwechslung bieten.

Wir fahren Stunde um Stunde, Kilometer um Kilometer, ohne daß sich die Landschaft ändert; bis zum Horizont liegt in alle Richtungen eine endlose einheitsbraune Fläche unter einem endlosen einheitsblauen Himmel. Außer dem Wind ist kein Laut zu hören. Täglich grüßt das Murmeltier … wir fahren und fahren und haben trotzdem das Gefühl, uns nicht von der Stelle zu bewegen. Kaum ein anderes Auto ist hier unterwegs und Ortschaften, die etwas Abwechslung in den Tag bringen würden, gibt es auf Hunderten von Kilometern keine. Wenn der Abend naht versuchen wir, für die Nacht einen halbwegs geschützten Platz zu finden und den Mog aus dem Wind zu nehmen. Jeder noch so kleine Geröllhaufen wäre uns recht, aber die Suche ist vergeblich und so bleiben wir irgendwann einfach mitten in der Pampa abseits der Piste stehen.

Zur Stärkung von Moral und Sitzmuskel gibt es morgens eine doppelte Portion Apfelpfannkuchen, die Synapsen werden mit starkem Kaffee in Schwung gebracht, dann wird aufgesessen und der Ritt durch die gelb-braune Wüste geht weiter. Kurz bevor die Monotonie beginnt, Geist und Hirn zu zersetzen, tauchen schemenhaft die ersten Berge auf. Rund fünfzehn Kilometer vor El Bolsón biegen wir zum türkisfarbenen Lago Puelo im gleichnamigen Nationalpark ab und spekulieren auf einen verschwiegenen Stellplatz am dicht bewaldeten Seeufer. Unserem Optimismus wird durch die Massen an Menschen und Autos abrupt Einhalt geboten. Es ist Hauptferienzeit in Argentinien und dem nahen, nur durch den Andenkamm getrennten Chile. Uns sind es zu viele Menschen auf einmal, wir sind diesen Trubel nicht mehr gewohnt, daher fällt uns die Entscheidung zur Weiterfahrt nach El Bolsón nicht schwer. Nach einer kurzen Orientierungsfahrt durch das 30.000 Einwohner zählende Örtchen finden wir bei Anbruch der Dunkelheit einen ruhigen Platz an der Pferderennbahn. Erst am nächsten Morgen entdecken wir, daß wir mit unserem Gerümpel auf dem Dach um Haaresbreite die Stromversorgung der Anlage gekappt hätten.

P1220573

Die Gegend um El Bolsón hat ein warmes Mikroklima, welches Obst und Gemüse besonders gut gedeihen lässt. Es ist Erntezeit, und überall an kleinen Straßenständen gibt es in großen Mengen und bester Qualität Erdbeeren, Himbeeren, Birnen, Kirschen und Äpfel oder auch hausgemachte Marmelade und frischgepreßte Säfte zu kaufen. Auch Hopfen gedeiht hier gut, so daß sich im Laufe der Jahre ein Zentrum der Bierbrauerei herausgebildet hat. Zahlreiche Restaurants betreiben Microbrauereien und überraschen mit einer kreativen Vielfalt an guten Biersorten.

Für Paraglider ist El Bolsón ein Hot Spot und wir ziehen mit samt dem Wagen zum Landeplatz oberhalb des Städtchens um. Hier weiden einige Pferde mit ihren Fohlen und eine Herde von Schafen, die von einem schwarz-weißen Border Collie gehütet wird, der über unbegrenzte Energien zu verfügen scheint und ganz offensichtlich Spaß daran hat, neben seinem Job mit seiner Schnauze große runde Steine über die Wiese zu kullern. Die Thermik passt und Hugo genießt schöne Flüge bis spät in die Abendstunden.

Dann sehen wir im Süden plötzlich dunkle Rauchwolken aufsteigen. Wir erfahren, daß am dicht bewaldeten Lago Puelo ein Feuer ausgebrochen ist. Unablässig fliegen vier kleine, mit Wassertanks ausgestattete Maschinen vom kleinen Flughafen in El Bolsón tagelang Einsätze. Die Sommer hier sind trocken und sehr heiß, und durch Leichtsinn und Unachtsamkeit kommt es in jedem Jahr zu Waldbränden, obwohl mit großformatigen Plakaten überall unübersehbar auf die große Gefahr hingewiesen wird. Selbst wenn ein Brand oberflächlich vollständig gelöscht ist kann es passieren, daß sich das Feuer über das Wurzelwerk in der staubtrockenen Erde fortsetzt und nach Stunden oder Tagen erneut entflammt. Allerdings wird unter den Einheimischen auch gemunkelt, mancher Brand sei von der Berufsfeuerwehr bewusst gelegt, da die Feuerwehrleute bei einem Brandeinsatz zusätzlich zum Gehalt Prämien in Höhe eines Monatseinkommens erhalten.

Neben Gleitschirmfliegen, Marmeladeneinkäufen und dem Genuß gastronomischer Leckerlies haben wir noch einen anderen Grund, in El Bolsón zu sein: Wir statten Klaus und seiner Frau, die mit ihren beiden Kindern seit etlichen Jahren ein paar Kilometer außerhalb der Stadt auf einer Farm in einem wunderschönen Tal mit eigenem Fluß leben, einen kurzen Besuch ab. Klaus ist unser „Unimog-Versicherungsmakler“ für Südamerika und wir holen uns nach einem Jahr dann doch mal unsere Papiere im Original ab. Zu bewegten Zielen lässt sich schlecht Post schicken, daher sind wir bisher nur mit Farbausdrucken gereist, die wir aber nur bei den polizeilichen Checks in Bolivien vorzeigen mußten. Bei einem Schwatz in Klaus´ Wohnzimmer tauschen wir Erfahrungen aus, decken uns mit hausgemachtem Apfelsaft und Himbeermarmelade ein und setzen anschließend unsere Fahrt nach Norden zum Parque Nacional Nahuel Huapi , dem ältesten Nationalparks Argentiniens, fort.

Mit San Carlos de Bariloche am Südostufer des Lago Nahuel Huapi erreichen wir das Tor zur sogenannten Argentinischen Schweiz und wirklich, Landschaft und Baustile der 130.000 Einwohner zählenden Stadt mit ihren großen Chalets und Hotelburgen ähneln denen des Originals sehr. Der direkt am kobaltblauen See gelegene Ort ist von einem Kranz aus Berggipfeln umgeben und mit bis zu zwei Meter Schneehöhe der bedeutendste Wintersportort des Landes. Die Besucherzahl überschreitet die Millionenmarke und auch jetzt zur Sommerferienzeit droht er aus allen Nähten zu platzen. Leider kommt der Ort auch in einem anderen, wenig schönen Punkt auf die Top 10 Liste der Superlative: Kriminalität – Bariloche ist bekannt für Einbrüche und Autodiebstähle, und so quartieren wir uns ausnahmsweise auf einem fünfzehn Kilometer außerhalb der Stadt gelegenen Campingplatz am See ein. Es ist unglaublich heiß und schwül, auch das nächtliche Gewitter bringt kaum Abkühlung.

P1220600

Bei einer Runde über den landschaftlich schönen, entlang des südwestlichen Seeufers führenden Circuito Chico entdecken wir den Ort Colonia Suiza, und – über den Punkt echter Verwunderung sind wir längst hinaus – an einem Aussichtspunkt einen waschechten Bernhardiner inklusive Fässchen um den Hals. Für umgerechnet 10 Euro kann man Che als molliges Model für Fotoshots buchen, wobei man die Auswahl zwischen verschiedenen Posen mit oder ohne Basecap und/oder Sonnenbrille hat. Eine Geschäftsidee, die zu funktionieren scheint: Trotz des hohen Preises stehen die argentinischen und chilenischen Urlauber Schlange und schwitzen geduldig in der Sonne. Vielleicht sollte ich mich mal mit einem Llama namens Dieter an die Kö stellen… Das Pärchen, welches an der Reihe ist, als wir zuschauen, entscheidet sich für die Variante Sitzbank + Pfötchen auf Schulter + Sonnenbrille auf Hundenase. Che scheint es nicht zu gefallen, er streckt dem Fotografen die Zunge raus. Der arme Hund.

P1220604

Wir verlassen das überlaufene Bariloche und fahren nach Villa Angostura, einem ruhigeren und historisch interessanten Ort am Nordufer des Sees, den jeder Argentinier kennt. Nach dem Staatsstreich der Militärs, die sie ihres Amtes enthoben, lebte Isabel Perón – nicht Evita, sondern die zweite Frau Juan Peróns – hier ab 1976 in Schutzhaft in einem Herrenhaus. Von hier aus nehmen wir die rund einhundert Kilometer lange Ruta de los Siete Lagos, die „Straße der Sieben Seen“, die uns nach San Martin de los Andes bringt. Die kurvenreiche Fahrt führt durch wildromantische Berglandschaften mit dichtem Urwald und vorbei an stillen tiefdunkelblauen Seen. Die Straße ist wider Erwarten geteert und windet sich wie eine Schlange aus Asphalt durch die ansonsten unberührte Natur. Wir empfinden sie als Fremdkörper im Urwald, aber kaum haben wir den Gedanken ausgesprochen, da endet der Asphaltbelag und es geht über Schotterpiste weiter.

Das von dichten Wäldern und Bergen umgebene San Martin de los Andes an der östlichen Spitze des Lago Lacar ist neben Bariloche das zweite renommierte Wintersportzentrum des Landes. Es wirkt mit seinen eleganten Chalets etwas aufgeräumter als der Nachbarort mit seinen unübersehbaren Bausünden, aber wir halten uns nicht auf, sondern starten durch. Wir wollen in das rund tausend Kilometer nördlich gelegene Mendoza, eines der bedeutendsten Weinanbaugebiete Südamerikas. Da die Region auf der argentinischen Seite der Anden auf dieser Strecke wenig Attraktives bietet beschließen wir, doch noch einmal nach Chile zu wechseln und dabei noch einen kleinen Abstecher ans Meer zu machen. Schöne Nebenwirkung dieser Entscheidung ist, daß eine gute Chance auf ein Treffen mit Celi und seiner Frau Brigitte in Santiago besteht, bevor die beiden zurück nach Spanien fliegen. Mit Celi verbindet uns ein gemeinsames Schicksal: Er war mit uns an Bord der Grande San Paolo während der sechswöchigen Reise von Hamburg nach Montevideo und wir haben Freud und Leid der Überfahrt geteilt.

Zauberwald

Wir fahren von unserem Stellplatz im Wald bei El Chaltén die Schotterpiste zum Lago del Desierto, bis sie nach rund vierzig Kilometern am See endet. Eine Tour zum kleinen Gletscher Huemul führt uns durch einen märchenhaften Laubwald, der – wie auch der Gletscher selbst – Teil des Nationalparks und somit geschützt, aber in Privatbesitz ist. Offensichtlich kann man sich auch einfach einen Gletscher kaufen.

P1220458

Der Weg ist uneben, Bäume und Steine sind dick mit Moos und Flechten besetzt, Äste und Wurzeln sind ineinander verschlungen.Die Baumkronen mit den kleinen hellgrünen Blättern leuchten im Sonnenlicht.

P1220473

Entlang des Pfades fließt rauschend ein Bach, der vom Gletscher gespeist wird.

P1220463

P1220471

P1220466

Nach einer Stunde Kletterei erreichen wir ein kleines Plateau, welches oberhalb eines türkis leuchtenden See und dem Gletscher direkt gegenüber liegt.

Fitz Roy

Nördlich von El Calafate, aber ebenfalls Teil des Parque Nacional Los Glaciares, liegt der kleine beschauliche Ort El Chaltén mit seinen zwanglosen rustikalen Mischung aus Adobe-Bauweise und Western Style. Der Grundstein für den Ort wurde erst 1985 gelegt und nicht aus touristischen, sondern einzig militärischen Gründen, da Argentinien meinte, seinen territorialen Anspruch gegenüber Chile durch bewaffnete Präsenz zu demonstrieren. Bis heute ist der Grenzverlauf in der gesamten Region rund um das Fitz-Roy-Massiv nicht final geklärt und auf allen Karten und Navis somit auch nicht eingezeichnet.

P1220551

Lange Zeit ein Geheimtipp, hat sich das Gebiet rund um die mächtigen, mehr als dreitausend Meter hohen steinernen Nadeln im Laufe der Jahre zu einem Traumziel für Wanderer und Alpinisten aus aller Welt gemausert. Von Lago O´Higgins in Chile, dort, wo wir an Heiligabend den O´Higgins-Gletscher per Boot besucht haben, gibt es seit einigen Jahren einen leicht begehbaren, legalen Wanderweg über die Berge, der über Candelario Manzilla zur argentinischen Laguna Del Desierto bei El Chaltén führt. Die Grenzquerung zu Fuß oder per Mountainbike ist problemlos machbar: Erst fährt man per Boot über den Lago O´Higgins, dann wandert man ein Stück und auf den letzten vierzig der insgesamt 130 Kilometer wird ein Bus eingesetzt

Bei unserer Anfahrt aus der baumlosen Pampa nach El Chaltén zeichnet sich die Silhouette der gewaltigen Berglandschaft mit den markanten Zacken schon weithin sichtbar in der Ebene ab.

P1220410

Wer hier unterwegs ist und das Panorama genießen möchte, MUSS wandern, und so nehmen wir uns ein paar Tage Zeit, die Landschaft rund um die Granitobelisken zu Fuß zu erkunden. Das Fitz-Roy-Massiv ist durch die Nähe des südpatagonischen Eisfeldes als unberechenbar und launisch bekannt, oft verbirgt es sein Gesicht hinter dichten Wolkenbergen. Tagelang bekommt man die bizarren Felsnadeln nicht zu Gesicht, im schlimmsten Fall halten Regen und Sturm wochenlang an. Wir haben unverschämtes Glück, das gute Wetter mit blauem Himmel und wenigen weißen Wolken hält konstant und wir haben fast immer freie Sicht auf die Gipfel. Die mitunter anstrengende Kraxelei durch lichte Wälder, andine Tundra und entlang kristallklarer Bäche oder türkisfarbener Lagunen wird mit spektakulären Ausblicken belohnt.

Wir lernen ein französisches Paar kennen, beide gestandene Alpinisten mit viel Erfahrung und Kondition, die mit Spikes und Schneeschuhen in sechs Tagen die große Umrundung des Fitz-Roy-Massivs gemacht haben. Sie berichten uns begeistert von ihren Erlebnissen. Ein besonders anstrengender Tag führt über acht Stunden lang in Schneeschuhen über die windumtosten Gletscher des Eisfeldes, rundherum nur blendendes Weiß. Übernachtet wird in einem kleinen Zelt, Lebensmittel für die gesamte Zeit – mindestens zehn Tage – werden im Rucksack mitgenommen. Wir lassen uns von der Begeisterung anstecken und schon ist ein neuer Traum geboren.

P1220562

Parque Nacional Los Glaciares

Wir verlassen Chile über die kleine Grenzstation Cerro Castillo und fahren dem nächsten Juwel entgegen, um es unserer Reiseschmuckschatulle hinzuzufügen, in der schon reichlich kostbare Beute ruht. Das südliche Tor zum Parque Nacional Los Glaciares, seit 1982 von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt, ist El Calafate, benannt nach dem hier wachsenden Calafate-Strauch mit seinen blauen, herb-süßen Beeren, die zu Likör, Marmelade oder Eis verarbeitet werden.

P1220450

Die Fahrt führt östlich der Anden wieder einmal durch unendlich einsame, leicht hügelige Pampa.

P1220253

Viele der patagonischen Gletscher sind hier rund um den milchig-blauen Lago Argentino und den Lago Viedma zu finden: der Viedma-Gletscher, der Huemul-Gletscher, der Spegazzini-Gletscher, die Gletscher Marconi, Onelli, Agassiz und Bolado und natürlich die beiden bekanntesten Gletscher, der Perito Moreno und der Uppsala.

Als wir uns El Calafate nähern werden wir von einer Gruppe australischer Oldtimer überholt, die wie kleine bunte Käfer fröhlich über den Asphalt flitzen.

P1220279

Ehemals ein staubiges Handels- und Versorgungszentrum für die umliegenden Schaffarmen ist El Calafate heute mit 250.000 Besuchern pro Jahr ein touristisches Mekka. Innerhalb von zehn Jahren nach Eröffnung des kleinen Flughafens hat sich die Einwohnerzahl des Ortes mehr als verdreifacht, trotzdem wirkt er lange nicht so überfüllt wie wir in der Hochsaison erwartet haben. Die Infrastruktur stimmt: Viele Geschäfte mit hochwertiger Outdoor-Bekleidung und sehr gute Restaurants mit kulinarischen Spezialitäten der Region säumen die Hauptflaniermeile Libertador. Wir genießen eine in Malbec und mit Pflaumen geschmorte Lammkeule und haben pro Person mindestens ein halbes Kilo zartes Fleisch auf dem Teller. Köstlich!

Der unbestrittene Star unter den Gletschern ist der Perito Moreno, rund sechzig Kilometer von El Calafate entfernt und eine der vielen blau-weißen Zungen des südlichen patagonischen Eisfeldes, welches sich über fünfhundert Kilometer entlang der Grenze von Chile und Argentinien erstreckt. Dieses Inlandeis mit einer Fläche von 13.000 Quadratkilometern speist über fünfzig Gletscher, von denen dreizehn auf der Ostflanke der Anden in argentinische Seen münden. Der Perito Moreno ist nicht nur von atemberaubender Schönheit, sondern einer der wenigen Gletscher weltweit, die entgegen dem Trend des Gletschersterbens derzeit an Masse zulegen.

Attraktiv macht ihn auch seine leichte Erreichbarkeit. Von den Holz- und Stahlstegen gegenüber der Zunge kann man das Eis fast berühren. Von der untersten Plattform lässt sich die Abbruchkante der fünf Kilometer breiten und über sechzig Meter hohen Gletscherzunge sehr schön und ohne Risiko beobachten.

Große Tafel warnen vor dem Überklettern der Absperrung: Immer wieder kommt es zu tödlichen Unfällen durch die spektakulär mit viel Getöse herabstürzende Eisbrocken, teilweise von der Größe eines Hauses. In zwanzig Jahren haben durch Leichtsinn auf diese Weise 32 Menschen ihr Leben verloren.

Das Eis des Perito Moreno ist makellos, da es kaum schmutzig-graue Spuren von Moränen gibt. An Stellen, wo das Eis alt und extrem komprimiert ist, schimmert es in einem unwirklich leuchtenden Blau, als ob es von innen heraus angestrahlt würde. Die Oberfläche des Gletschers sieht mit ihren weißen Spitzen wie die Eischneedecke eines lime pie aus.

Der Tag unter dem strahlend blauen Himmel ist mehr als perfekt, als dann noch ein Kondor über dem Gletscher majestätisch seine Kreise zieht.

Auch wenn der Perito Moreno derzeit noch wächst: Das heutige Sterben der Gletscher in einem nie dagewesenen Tempo ist verstörend und beängstigend. Der studierte Geomorphologe James Balog, der lange Zeit selbst nicht richtig an das Gletschersterben durch Klimawandel glauben konnte und daher der Frage wissenschaftlich auf den Grund ging, hat  Belege des Massensterbens gesammelt und in seinem Film- und Fotoprojekt Chasing Ice eindrucksvoll dokumentiert. Seine Zeitrafferaufnahmen von Gletschern in aller Welt machen den Klimawandel sichtbar und unstrittig. Der Film überzeugt und macht betroffen. Vielleicht sind Gletscher in naher Zukunft nur noch kalte Erinnerungen.

Mehr Informationen zum Film unter http://www.zeit.de/kultur/film/2013-11/film-doku-chasing-ice-james-balog

Estancia Haberton

Bevor wir uns vom Ende der Welt verabschieden statten wir der Estancia Haberton noch einen Besuch ab. Von Ushuaia fahren wir über eine Piste 75 Kilometer durch Urwald und entlang großer Weideflächen nach Osten. Unterwegs bieten sich wunderschöne Ausblicke auf die Bergkette der chilenischen Isla Navarino und Puerto Williams. Vereinzelt stehende zerzauste Bäume zeigen unmissverständlich die vorherrschende Windrichtung an.

P1210595

Die älteste estancia im argentinischen Teil Feuerlands liegt in einer wunderschönen Bucht des Beagle-Kanals und wurde 1999 zum Nationaldenkmal erklärt. Gegründet wurde sie 1886 von dem britischen Missionar Reverend Thomas Bridges, ein britisches Waisenkind, der das Land von Präsident Roca geschenkt bekam. Wie kommt man zu einem so üppigen Geschenk? Thomas Bridges war als Missionar bereits auf den Falklandinseln tätig gewesen und hatte dort die Sprache der Yámana, der Ureinwohner, – Yaghan – erlernt. 1870 gründete er die anglikanische Mission in Ushuaia und begann, sich noch stärker für die Kultur und Sprache der Ureinwohner zu interessieren. Im Verlauf seiner Forschung erstellte er ein Wörterbuch der Yaghan-Begriffe, welches insgesamt 32.000 Einträge umfasst. Bridges verdanken wir das umfangreiche Wissen über die Ureinwohner, die einstmals die Kanäle mit ihren Kanus befuhren und heute ausgestorben sind. Als Dank für sein Lebenswerk schenkte ihm Präsident Roca das grasbewachsene, sanft-hügelige Land an der windgeschützten Bucht. Ein recht großzügiges Dankeschön, denn der Besitz ist immerhin 20.000 Hektar groß.

P1210604

Bridges benannte das Land nach dem englischen Städtchen Haberton, aus welchem seine Frau stammte. Die Kirche mit ihrem großen Portemonnaie und wie immer nicht kleinlich, wenn es um den Fang neuer Seelen geht, finanzierte den Bau eines Wohnhauses, welches in England erst errichtet, dann wieder abgebaut, mit einem Segelschiff nach Südamerika verschifft und dort wieder neu zusammengesetzt wurde.

P1210608

Die Ureinwohner, Yámana und Mannekenk, waren auf der estancia immer willkommen und auch etliche Wissenschafter, Goldsucher und Schiffbrüchige fanden hier ein vorübergehendes Zuhause. Aufgrund des regen Betriebes entstand hier der erste Gemischtwarenlanden Feuerlands, der die Menschen mit Fleisch und Gemüse, aber auch mit Importwaren versorgte. Heute kann man den botanischen Garten, die Werkstatt, den Schafscherschuppen, das Bootshaus und einige renovierte Holzgebäude besichtigen. Im historischen Haupthaus leben die Nachfahren von Bridges, die Familie Goodall, daher ist dort der Zutritt nur für die sogenannte „Teestube“ mit ihrer kleinen Ausstellung zu den Yámana möglich. Auch besagtes umfangreiches Wörterbuch liegt dort aus und man kann darin blättern. Nachdem ein strenger Winter die ehemals 9.000 Schafe der estancia auf 1.000 dezimiert hatte wurde die Schafzucht vor einigen Jahren ganz eingestellt.

Wir finden auf dem Rückweg an einem Fluß einen schönen Nachtplatz und sehen am nächsten Morgen einen Schwarm der kleinen, grün-rot gefiederten patagonischen Smaragd-Papageien, die genauso lärmend wie ihre brasilianische Verwandschaft durch den Wald ziehen.

Parque Nacional Tierra del Fuego

Am Beagle-Kanal, neunzehn Kilometer westlich von Ushuaia, endet die Ruta 3 und wir haben den wirklich allerletzten Meter der Panamericana in Südamerika erreicht. Hier geht es auch mit dem Unimog nicht weiter, denn hier beginnt der Nationalpark Tierra del Fuego. Das nördliche Ende der PanAm, laut Tafel rund 18.000 Kilometer entfernt in Alaska, werden wir uns auf einer weiteren Tour auch noch erfahren.

P1210451

Die PanAm – als längste Straße der Welt bekannt – ist keine kontinuierlich zusammenhängende Strecke, sondern ein transkontinentales System von miteinander verbundenen Schnell- und Fernstraßen. Ihr Verlauf ist also nicht eindeutig, sondern eher unbestimmt und jeder darf sich ein bisschen seine persönliche PanAm basteln.

Von den 63.000 ha des 1960 eingerichteten Naturparks dürfen nur 2.000 besucht werden, der Rest ist für uns Menschen strikt tabu. Wir wandern zwei Tage durch den Park, entlang der Fjorde, vorbei an stillen Lagunen und Torfmooren und sehen auch einige Biberdämme.

Die Tiere mit den langen Zähnen sind hier in Patagonien nicht endemisch, sondern wurden 1948 zur Pelzgewinnung aus Kanada eingeführt. Da sie hier keine natürlichen Feinde haben wurden seitdem aus 25 Biberpaaren über 100.000 Tiere, die erheblichen Schaden am Urwald anrichten. Wir sehen überall angenagte und abgenagte Baumstämme. Um das Problem zu beheben kam ein besonders schlauer Kopf auf die Idee, Wiesel und Füchse ebenfalls einzuführen, aber die haben keine Lust, sich nasse Füsse zu holen und jagen statt der Biber lieber die Vögel im Park. Um die Bestände zumindest halbwegs unter Kontrolle zu bekommen hat die Regierung jetzt drastische Maßnahmen gegriffen und ein Kopfgeld für erlegte Biber ausgeschrieben. In Restaurants und Cafes entdecken wir immer wieder „Wanted“-Schilder.

In der Bahia Ensenada und Bahia Lapataia sehen wir neben schwimmenden Seelöwen und Seeottern unzählige schön gezeichnete Wasservögel, die hier in den Kelpbetten entlang der geschützten Küste ihre Jungen großziehen.

Die Senda Costera führt die Küste entlang durch dichten Urwald mit immergrünen Scheinbuchen, Lenga-Gehölzen und der Winterrinde mit ihren rötlichen Stämmen und Blüten, die einen angenehmen Duft verströmen. In vielen Bäumen sitzen kleine Parasitenpflanzen, die phantasievolle Namen tragen: Die hellgrünen Flechten, die wie Gazestreifen von den Ästen wehen, heißen „Altherrenbart“, die golfballgroßen gelben Kugeln heißen „Chinesische Laternen“ und die häufig in Astgabeln sitzenden Pilze nennt man „Indianerbrot“. Die Erdschicht ist hier am Ende der Welt sehr dünn und das Wurzelwerk der Bäume und Sträucher wie Spaghetti ineinander verwoben, um den heftigen Winden mehr Kraft entgegensetzen zu können. Der Sommer ist spürbar und sichtbar; auf den Lichtungen im Wald blühen viele Gräser und Blumen.

Natürlich versäumen wir es nicht, uns im angeblich „südlichsten Postamt der Welt“ in der Bahia Ensenada einen Stempel in den Reisepaß zu holen. Ist ein bisschen geschummelt, denn die Chilenen unterhalten auf der Insel Kap Hoorn, die etwas weiter südlich liegt, ebenfalls ein Postamt, aber soweit reisen die meisten Besucher dann doch nicht.

Kap Hoorn

Wer möchte und über das erforderliche Kleingeld verfügt kann von Ushuaia aus die südlichste Insel Amerikas, das Ende der Welt, wo Atlantik und Pazifik mit bis zu zwanzig Meter hohen Wellenbergen aufeinander prallen, überfliegen. Mit einem gecharterten Helikopter ist sogar eine Landung möglich, vorausgesetzt, das unberechenbare Wetter spielt mit.

P1210569

Auf der Insel gibt es eine kleine chilenische Marinebasis und auf einer Anhöhe ein Denkmal, welches zum Gedenken an die Seeleute erbaut wurde, die bei der Umrundung Kap Hoorns ihr Leben ließen. Es ist eine rautenförmige Metallplatte mit dem Umriß eines Albatros, Symbolvogel aller Kap Hoorniers, und eine Marmortafel mit einem Gedicht der chilenischen Poetin Sara Vial:

Ich bin der Albatros, der auf dich wartet
am Ende der Welt.
Bin die vergessene Seele der toten Seeleute,
die Kap Hoorn umsegelten,
von allen Meeren der Erde.
Aber sie sind nicht gestorben
in den tobenden Wellen.
Heute fliegen sie auf meinen Schwingen
in die Ewigkeit,
im letzten Wellental der antarktischen Winde.

P1210571

Heute eines der Once in a lifetime-Traumziele aller Segler und Kreuzfahrer war Kap Hoorn einst der Schrecken aller Seeleute. Die Passage konnte Tage und Wochen dauern, manchmal scheiterte sie ganz. Rund 800 Schiffe zerschellten an den Felsküsten und unterseeischen Riffen der Costa de los Naufragios, der Isla de los Estados oder an einer der Inseln im Wollaston-Archipel. Über 10.000 Seeleute fanden hier ihr kaltes, nasses Grab. Nicht immer waren die eisigen Stürme und hohen Wellen Schuld; manche Reederei, die ihre Flotte und Ladung sehr gut versichert hatte, ließ das ein oder andere Schiff mit Absicht untergehen und sanierte sich damit.

P1210570

Im Gefängnis

Das heutige Museo Maritimo erzählt von den Anfängen und der Vergangenheit Ushuaias als Strafkolonie. Ende des 19ten Jahrhunderts wurden Hunderte der übelsten Kriminellen Argentiniens, aber auch politische Gefangene oder sozial Unerwünschte kurzerhand ans Ende der Welt deportiert. Zu seinen Boomzeiten beherberte das Gefängnis 600 Strafgefangene in 380 Zellen, darunter psychopatische Massenmörder und Anarchisten.

P1210565

Ein nicht renovierter Flügel veranschaulicht das damalige Knastleben in beklemmender Weise. Die Zellen waren winzig, düster und nicht beheizt; pro Trakt gab es lediglich zwei Öfen in den Gängen, die auch nur tagsüber beheizt wurden. Zu lebenslanger Haftstrafe verurteilte Mörder wurden in strikter Einzelhaft gehalten, erhielten pro Mahlzeit nur die halbe Ration und hatten keinen Zugang zu Büchern. Die wenigsten Häftlinge haben das Gefängnis lebend verlassen, denn sie mussten trotz der miserablen Bedingungen harte Arbeit verrichten: Holz fällen, Piers bauen und eine Zugtrasse für die Häftlingseisenbahn, deren Lokomotive heute vor dem Museum steht. Sie trugen damit nicht unwesentlich zum wirtschaftlichen Aufschwung Ushuaias bei.

In den besucherfreundlich grün-weiß renovierten Flügeln des Gefängnisses sind heute Artefakte und Dokumentationen über Ushuaias maritime Vergangenheit ausgestellt. Es ist ein wildes, aber interessantes thematisches Sammelsurium: Das Spektrum reicht von Schiffsmodellen wie Magellans Trinidad, Darwins Beagle und Amundsen Fram über alte Seekarten, Zeichnungen der antarktischen Tierwelt und Schriftstücken der Pioniere der geographischen Erforschung der Region bis hin zu ausgestopften Pinguinen und Seevögeln.

Trotzdem, wir sind froh, als wir wieder entlassen und draußen sind :-)!

Ushuaia

Es wird Abend und wir haben schon fast das Ende der „Straße zum Ende der Welt“ erreicht. Wir möchten ausgeruht in Ushuaia ankommen und suchen uns einen ruhigen Stellplatz im Wald einige Kilometer oberhalb der Stadt. Über Nacht fällt Schnee und am Morgen sind nur wenige Hundert Meter über uns die Bergflanken weiß gepudert.

Wir fahren die letzten Kilometer, vorbei an den südlichsten Skipisten und Liftanlagen der Welt, dann liegt die 65.000 Einwohner zählende Stadt traumhaft schön in der großen Bucht am Beagle-Kanal unterhalb der frisch verschneiten Gipfel der Sierra Alvear und des Cordón Vinciguerra vor uns.

P1210134

Ursprünglich als eine Mischung aus Missionsstation, Staatsgefängnis und Versorungsposten von Goldsuchern und Schafzüchtern gegründet, erlebte Ushuaia einen regelrechten Boom während der Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983, als die Landesregierung willige Siedler mit Vergünstigungen lockten. Hintergrund waren ewige Grenzquerelen mit dem Nachbarn Chile in Südpatagonien und zunehmendes – auch internationales – Interesse an der Antarktis. Es hieß Präsenz zu zeigen. Heute hat sich die Stadt aufgrund ihrer Lage zu einem Touristenmagneten mit über 300.000 Besuchern pro Jahr aus aller Welt und zum Tor zur Antarktis entwickelt. Rund 40 Prozent der internationalen Gäste sind Kreuzfahrer, die meist nur ein bis zwei Tage im Ort bleiben und wenig Gelegenheit haben, die landschaftliche Schönheit kennen zu lernen.

Hoch über der Playa Larga, einem langen Strand, finden wir einen Stellplatz mit Blick auf die Stadt, die zu Chile zählende Isla Navarino im Süden und den weiten Arm des Beagle-Kanals, dessen spiegelglatte Wasseroberfläche wie poliertes Silber glänzt.

P1210148

Wir haben Glück mit dem Wetter; keine Spur von Sturmböen, die die Nähe zur Antarktis spüren lassen, oder Regenschauern, welche in ihrer Heftigkeit die Tropfen horizontal treiben. Wir frösteln nicht einmal. Es ist fast windstill, und ab und an bricht die Sonne sogar für längere Zeit durch die Wolkendecke. Auch die Thermik stimmt und so nutzt Hugo die sich hier sehr selten ergebende Chance für einen Flug mit dem Gleitschirm.

Verlaufen kann man sich in Ushuaia nicht: Wie in fast allen Städten Argentiniens – und auch Chiles – ist das überschaubare Zentrum in Blocks aufgeteilt und die wichtigen Straßen verlaufen parallel zum Ufer. Wir bringen unsere Wäsche in die lavanderia, auch hier zum praktischen Kilopreis, bummeln durch die Stadt und entlang der Uferpromenade, genießen in einer uralten, ganz mit Holz getäfelten Konditorei am Hafen einen submarino, wie hier eine heiße Schokolade genannt wird.

P1210557

Im Segelhafen liegen einige Yachten, die die furious fifties, screaming sixties und die stürmische Umrundung Kap Hoorns bereits überstanden haben oder sich darauf vorbereiten. Alte, bunt bemalte Holzhäuschen und Bauten aus der Gründerzeit stehen einträchtig neben Cafés in trendigem Design, wie man es auch in Mailand, New York oder Berlin findet. Es gibt viele Outdoor-Ausstatter und Touranbieter, die Ausflüge in die Umgebung, zu Pinguin-Kolonien, Segeltörns auf dem Beagle-Kanal oder Reisen in die Antarktis anbieten. Die Touren sind immer dieselben, die Preise auch. Die Restaurants, in deren Schaufenstern ganze Lämmer über offenem Feuer gegrillt werden, lassen uns im Vorbeigehen das Wasser im Mund zusammenlaufen.

P1210589

Die Atmosphäre ist lebhaft und modern, ohne bei all der touristischen Prosperität an Beschaulichkeit eingebüßt zu haben. Ushuaia macht auf uns alles andere als einen verstaubten oder vergessenen Eindruck, es gefällt uns gut hier in der südlichsten Stadt der Welt, die diesen Namen eigentlich zu Unrecht trägt, denn das chilenische Puerto Williams auf der gegenüber liegenden Isla Navarino liegt noch südlicher. Aber man hat einen Kompromiß gefunden, zumindest vorläufig: Ushuaia darf, da deutlich größer, den Titel „Südlichste Stadt der Welt“ tragen, Puerto Williams mit seinen gerade einmal 2.000 Einwohnern den Titel „Südlichster Ort der Welt“. Auch am Ende der Welt werden Haare gespalten.

Nachdem wir uns Appetit erlaufen haben dürfen wir auch hemmungslos der lokalen Kulinarik frönen. Hugo gönnt sich ein immens großes, butterzartes Steak und ich freue mich auf die feuerländische Spezialität, frische centolla.

P1210586

Die roten Königskrabben, auch Meeresspinnen genannt, sind mit ihrer Spannweite von fast einem Meter riesig. Anders als bei anderen Krebsarten kann man die langen dünnen Beine und Scheren beim Essen ignorieren. Das Fleisch wird aus dem Körper gezupft, bis zu 300 Gramm pro Krabbe, und schmeckt fantastisch. Die Portion bereits ausgelösten Fleisches, die mir zusammen mit geschmolzener Butter und mehreren Dips serviert wird, ist mehr als reichlich.

Feuer. Land.

Fernando de Magallanes, der Portugiese, der mit dem Auftrag des spanischen Königs Karl V. um die Welt segelte, einen westlichen Seeweg nach Indien und zu den Gewürzinseln zu finden, war der erste Europäer, der den schiffbaren Kanal zwischen der Inselgruppe und dem Kontinent entdeckte und 1520 seinen Fuß auf Feuerland setzte. Francis Drake war rund sechzig Jahre später auch nur an der zeitsparenden Passage und weniger an dem kargen, stets windigen Land interessiert. Zwei holländische Kapitäne, Willem Cornelisz Schouten und Jacob Le Maire aus Kap Hoorn, entdeckten dann 1615, daß Feuerland kein mit dem Südpol verbundenes Festland ist, wie man bis dahin glaubte, sondern eine Inselgruppe. Sie gaben dem südlichsten Punkt den Namen ihres holländischen Heimathafens. Kapitän Fitz Roy, Kommandant der Beagle, mit der Charles Darwin um die Welt reiste, entdeckte dann 1834 den nach seinem Schiff benannten Beagle-Kanal, der nördlich von Kap Hoorn zwischen der Hauptinsel und der Isla Navarino verläuft und einen Weg in geschützte, vergleichsweise ruhige Gewässer eröffnete.

P1210050

Aber es war ein Deutscher, der Flugpionier Günther Plüschow, der den Archipel erstmals aus der Luft sah. Am 3ten Dezember 1928 brachte er mit seiner offenen, einmotorigen Doppeldecker-Maschine vom Typ Heinkel He 24 W mit der Kennung „Tsingtau D 1313“ die erste Luftpost von Punta Arenas nach Ushuaia. Drei Jahre später verunglückte er zusammen mit seinem Bordmechaniker Ernst Dreblow nahe des Perito-Moreno-Gletschers am Fitz- Roy-Massiv tödlich, als das Flugzeug in den Rio Brazo stürzte. Noch heute wird Plüschow auf Feuerland sehr verehrt; Straßen tragen häufig seinen Namen, in Museen findet man umfangreiche Dokumentationen über ihn und auf dem Gelände des Aeroclub von Ushuaia ist seit 2011 eine originalgetreue Replik seines Doppeldeckers ausgestellt, der leider beim letzten Sturm eine der Tragflächen abgebrochen ist. Seine Eindrücke hat Plüschow in seinem abenteuerlichen Reisebericht „Silberkondor über Feuerland: Mit Segelkutter und Flugzeug ins Reich meiner Träume“ dokumentiert, ein auch heute noch sehr lesenswertes und faszinierendes Buch. Die ersten bewegten Bilder aus der Luft von der überwältigenden Schönheit Südpatagoniens und Feuerlands zeigte sein gleichnamiger Film.

Wie kam Feuerland zu seinem Namen? Der Chronist Magellans, Pigafetta, behauptet, bei der Ankunft seien schon aus großer Entfernung überall entlang der Küste die lodernden Feuer der einheimischen Völker zu sehen gewesen. Andere wiederum sagen, die Inseln tragen den Namen aufgrund des sich im Herbst leuchtend-rot verfärbenden Waldes. Wir sagen, wer Feuerland einmal erlebt hat, ist „Feuer und Flamme“, so wie wir. Vielleicht sind es aber auch die spektakulären Sonnenuntergänge, die die Kulisse majestätischer schneebedeckter Berge an langen Sommerabenden in sanftes, geradezu magisches Licht tauchen, die der Inselgruppe den Namen geben.

P1210423

Der Norden Feuerlands besteht aus flachem Tafelland mit kargem Bewuchs, der Süden hingegen erinnert uns stark an das bergige chilenische Patagonien mit undurchdringlichen Wäldern, welches wir schon kennen. Hier finden sich die letzten Ausläufer der Anden-Kordillere mit vergletscherten Gipfeln bis zu 2.500 Metern Höhe.

Kilometer um Kilometer fahren wir auf der Ruta 3, der Panamericana, weiter in den sich immer mehr verjüngenden Zipfel dieser Wundertüte namens Südamerika. Wir haben die Landkarte des riesigen Kontinents vor unserem geistigen Auge und das Gefühl, über die immer schmaler werdende Landmasse zu rutschen und in die eisigen antarktischen Fluten zu stürzen, wenn wir Unimoppel nicht rechtzeitig zum Stehen bringen.

Welthauptstadt der Forelle

Ushuaia am südlichsten Ende Feuerlands liegt noch ca. 450 Kilometer entfernt und wir müssen ein Stück durch Chile fahren, um dorthin zu kommen. In Monte Aymond verlassen wir Argentinien und reisen wieder in Chile ein. Die Pan Am trägt hier den schönen Namen „Ruta del Fin del Mundo“ – Straße zum Ende der Welt. Genau da möchten wir hin.

P1210039

Die chilenischen Grenzformalitäten kennen wir schon im Schlaf und haben wieder eine Banane, eine Zwiebel und ein paar Kartoffeln strategisch gut auffindbar im Wagen platziert. Diesmal heißt es jedoch mit einem verschmitzten Grinsen des Grenzbeamten „Eat banana“, was Hugo prompt erledigt. Zwiebeln und Kartoffeln wandern abends vermutlich in den Kochtopf des Grenzers, der gute Chia-Samen usw. bleibt uns erhalten :-).

Eine Fähre setzt uns in einer halben Stunde über die Magellan-Straße, dann sind wir auf Feuerland angekommen. Der Archipel mit seiner Hauptinsel und zahlreichen vorgelagerten Eilanden ist der südlichste Punkt der Erde, der nicht von ewigem Eis überlagert ist. Der deutlich größere Teil gehört zu Chile, aber der argentinische Teil ist erheblich dichter besiedelt. Über einige Jahre lockte die Regierung Argentiniens Unternehmen und Siedler mit Steuerfreiheit und anderen Vergünstigungen, die inzwischen aber wieder abgeschafft wurden. Die Menschen sind Wind und Wetter zum Trotz geblieben.

P1210056

Die staubtrockene Pampa mit ihrem ewig gelben Büschelgras, den Schafen und Guanacos setzt sich auch auf Feuerland fort und die „Straße zum Ende der Welt“ fühlt sich im chilenischen Teil genauso an, wie man sich eine „Straße zum Ende der Welt“ vorstellt: als eine von abgrundtiefen Schlaglöchern übersäte schlechte Piste. Trotz Luftablassens ist die Fahrt streckenweise eine Tortur und wir kommen nur langsam voran. In San Sebastian wechseln wir dann wieder von Chile nach Argentinien; die Genzübergänge liegen durch zwanzig Kilometer Niemandsland voneinander getrennt. Als wir am argentinischen Posten aus dem Wagen steigen huscht neben uns ein kleines Gürteltier durchs Gras. Die PanAm ist ab hier wieder geteert und wir steuern Rio Grande, eine windzerzauste Hafenstadt an der Atlantikküste an, um Lebensmittel und Diesel zu bunkern. Am großen Kreisverkehr vor der Stadt staunen wir nicht schlecht:

P1210070

Wir sind in der „Welthauptstadt der Forelle“ angekommen und wie wir im Laufe des Tages auf Bildern sehen, die überall hängen, werden hier Exemplare mit bis zu 17 Kilo Gewicht gefischt. An dieser Stelle Gruß an Thomas: Die Meßlatte in puncto Forellen liegt jetzt natürlich deutlich höher!

Angler und Fliegenfischer schwärmen über die gewichtigen Meerforellen, die hier in den kalten Küstenflüssen gefangen werden können. Die Forelle ist kein endemischer Fisch in Feuerland, sondern erste Exemplare der Lachsforelle wurden von John Goodall 1935 eingeführt, fanden reiche Nahrung in den Flüssen und wanderten ins Meer hinaus. Da die Bestände kontrolliert werden ist wildes Angeln nicht erlaubt, sondern man muß zuvor eine nicht ganz billige Angellizenz erstehen. Amerikanische Spezialveranstalter wie The Fly Shop bieten Pauschalarrangements mit Aufenthalt auf einer der umliegenden estancias an, die pro Woche gerne auch mal USD 5000 kosten – ohne Flug, wohlgemerkt.

Der Wind hier auf Feuerland ist mörderisch. Für die Nacht suchen wir eine geschützte Stelle außerhalb von Rio Grande hinter einem Felsenhügel in den grasbewachsenen Dünen am Atlantik. Der Tidenhub beträgt hier bis zu 15 Metern, also fahren wir nicht bis ans Wasser. Viele Wasservögel sind hier zuhause oder im hiesigen Sommer zu Gast; einige der schön gefiederten Schnepfen- und Gänsearten kommen aus der arktischen Tundra und legen auf ihrer Reise über 17.000 km pro Strecke zurück. Wir sehen viele dieser Langstreckenflieger, die hier in den Dünen und Lagunen entlang des Ozeans ihren Nachwuchs großziehen.

P1210010

Hinter Rio Grande geht die Fahrt durch die Steppenlandschaft weiter, dann ändert sich die Landschaft allmählich. Nach langer Zeit – seit unserer Abreise aus Coyhaique vor einer Woche – sehen wir erstmals wieder Flächen mit Bäumen, wenig später wird es bergig.

P1210085

Happy Feet

Kurz hinter Rio Gallegos biegen wir von der PanAm auf eine unbefestigte Piste ab, die uns 130 Kilometer weit zur Reserva Natural Cabo Virgenes führt, dem südlichsten Punkt des patagonischen Festlandes. Eine Entscheidung, die, was wir noch nicht wissen, einen Umweg von rund 200 unbequemen Kilometern für uns bedeuten wird, die wir aber nicht ansatzweise bereuen, denn wir werden mit einem besonders schönen Erlebnis belohnt.

Die lange Fahrt durch die Pampa, die hier bis ans Meer reicht, führt an einem halben Dutzend verstreut liegenden, aber auffallend schön herausgeputzten estancias vorbei. Haupt- und Nebengebäude sind strahlend-weiß verputzt, tragen rote Dächer und sind wie ein kleines Dorf angelegt; sogar ein winzige Kirche mit Glockenturm ist vorhanden. Die Einfahrten sind mit alten, gut restaurierten großen Wagenrädern aus schwarz lackiertem Holz geschmückt, die einen Durchmesser von zwei Metern und mehr haben. Wir wundern uns, welches Vermögen in dieser Abgeschiedenheit offensichtlich mit Schafzucht erworben werden kann. Aber wenn etwas zu schön scheint, um wahr zu sein, dann ist es das auch meistens nicht. So auch hier. Wir wiegen uns nur wenige Kilometer in der Illusion, dann entdecken wir in der Pampa die schwarzen, sich behäbig auf und ab bewegenden Ölpumpen und die oberirdisch verlaufenden Gasleitungen. Die estancias stehen auf flüssigem Gold, die Schafe sind nur noch Dekoration, Hobby oder eine Verneigung vor der Vergangenheit und den ersten Siedlern, die mit ihrem Mut, ihrer Zähigkeit und ihrer ehemals spartanischen Lebensweise den Grundstein für das heutige Vermögen gelegt haben. Für unsere Weiterfahrt am Nachmittag wird das Konsequenzen haben, an die wir zu diesem Zeitpunkt im Traum nicht denken.

Hier am Cabo Virgenes, ganz in der Nähe des Leuchtturms, findet sich jedes Jahr für sechs Monate eine große Kolonie von Magellan-Pinguinen ein; bis zu einer halben Million der nur 30 bis 40 cm großen und nur 4 kg schweren Tierchen sind schon gezählt worden. Trotz der Öl- und Gasvorkommen wurde das Gebiet offiziell als strikte Schutzzone deklariert und bislang scheint das Nebeneinander von Petrochemie und Naturschutz ohne Störfälle zu funktionieren.

P1200854

Pinguinpaare sind lebenslang monogam und die Partner finden sich hier jedes Jahr ab September für sieben bis acht Monate wieder zusammen, um in Strandnähe das gleiche Nest im Boden unter den Calafate- und Senecio-Büschen wie im Vorjahr zu beziehen. Jedes Weibchen legt zwei Eier, die vierzig Tage ausgebrütet werden, wobei die Eltern sich abwechseln. Die possierlichen Küken mit ihrem flaumigen grauen Federkleid wiegen beim Schlüpfen gerade einmal 80 Gramm, sind die ersten Tage blind, schreien dafür aber um so lauter nach Nahrung. Unentwegt marschieren die Eltern auf ihren happy feet zum Meer, um Fische für ihren Nachwuchs zu fangen, und müssen dabei mehrmals am Tag Strecken von bis zu 800 Metern bis zum Strand und wieder zurück zurücklegen. Jetzt, um diese Jahreszeit, beginnt gerade der Gefiederwechsel bei den Küken und einige sehen etwas gerupft aus. Erst wenn dieser abgeschlossen und das dichte, kälteisolierende Federkleid gewachsen ist können die Jungtiere ins Meer, um selbständig Nahrung zu suchen. Die größte Gefahr für die Kleinen lauert in der Luft: Für die Raubmöwen sind sie ein Leckerbissen.

P1200931

Wir können uns kaum losreißen. Die Tiere zeigen überhaupt keine Scheu oder Angst vor uns. Ein neugieriger Pinguin kommt auf mich zugetappst und zupft mit seinem Schnabel immer wieder vorsichtig an meinem Hosenbein.

P1200913

Als ich leise mit ihm spreche, schaut er mich aufmerksam an und legt den Kopf abwechselnd erst auf die eine, dann auf die andere Seite, immer wieder, so würde er das Gesagte abwägen. Blicke, die trotz des eiskalten Windes, der über den Strand und die Kolonie fegt, jedes Herz zum Schmelzen bringen.

Unter fast jedem Busch gibt es eine Erdhöhle, die von Pinguinpaaren und ihrem Nachwuchs bewohnt ist. Auf dem Weg zum Strand gibt es regelrechte Pinguin-Highways, wo die Tiere zu Tausenden mit herausgedrücktem Brustkorb miteinander quatschend entlang watscheln und dabei aussehen wie vornehme, in feine Fracks gekleidete Gäste der Bayreuther Festspiele. Der Geruch hält sich überraschend in Grenzen, aber die Lautstärke in der Kolonie ist schon enorm. Wenn Pinguine etwas zu sagen haben, dann legen sie den Kopf weit in den Nacken, wackeln mit ihren Stummelflügeln, als wollten sie einen Raketenstart hinlegen, holen einmal ganz tief Luft und legen dann los. Was herauskommt hört sich ungefähr so an wie ein sehr lauter sehr langer Eselsschrei.

P1200905

In unmittelbarer Nähe zum Brutgebiet der Pinguine liegen an Land und im Meer einige Gas- und Erdölförderanlagen, die – hoffentlich – strengen Überwachungsrichtlinien unterliegen. Nicht auszudenken, wenn es hier zu einem Leck käme. In kürzester Zeit wäre die gesamte Kolonie dahin und die Schäden für das sensible Ökosystem von Cabo Virgenes wären irreparabel.

Nachdem wir ein 500.000faches Adoptionsverfahren eingeleitet haben reißen wir uns von den happy feet endlich los und machen wir uns auf die Weiterfahrt. Laut Karten und sämtlicher uns zur Verfügung stehender Navis gibt es entlang der Küste eine Piste, eine offizielle Landstraße, die uns auf kürzestem Weg bis unmittelbar vor den argentinisch-chilenischen Grenzübergang Monte Aymond bringt. Guter Dinge fahren wir los, finden aber die Abzweigung nicht. Wir fahren ein kleines Stück zurück und stellen fest, daß die Weggabelung im schmucken „Dorf“ der Estancia El Condor liegt. Leider wird sie durch ein massives, abgeschlossenes Tor versperrt. Also gut, dann fragen wir halt nach…

Wir suchen das Verwaltungsgebäude der Farm, klopfen an die Tür mit „administracion“, die von einem jungen bebrillten Mann geöffnet wird. Ich erkläre ihm unser Anliegen, er sieht unseren Wagen und macht große Augen, aber er kennt noch nicht einmal die Straße, die wir suchen. Er bittet mich, einen Moment zu warten und kommt zurück mit dem JR der Pampa. Ein stattlicher, stolzer älterer Herr mit gepflegtem Schnurrbart in blankgeputzten Reitstiefeln aus Leder, hellbraunen Breeches, dezent grün-kariertem Flanellhemd und farblich abgestimmter Weste mit lederbezogenen Knöpfen gibt mir die Hand. Sehr aufrecht mit durchgedrücktem Rücken steht er wie ein General vor mir und schaut mich prüfend an. Ob er der Besitzer oder der Verwalter der estancia ist kann ich im Gespräch nicht herausfinden, auf jeden Fall scheint er wichtig zu sein. Ich erkläre ihm freundlich unsere Suche nach der Abkürzung und unseren Wunsch, bleibe aber mit unserem Anliegen erfolglos. Die Piste gibt es zwar, gehört aber seit über zwanzig Jahren zum Privatbesitz der estancia, und darf von Außenstehenden nicht befahren werden. Öl und Gas auf dem Grund und Boden, da lässt man sich wohl nicht so gerne in die Karten schauen. Wir verhandeln noch ein bisschen hin und her, aber er bleibt hart und ich muß unverrichteter Dinge wieder gehen. Für uns bedeutet das eine 130 km lange Rückfahrt auf einer mäßig guten Piste bis kurz vor Rio Gallegos, um dann auf die PanAm Richtung Süden abzubiegen – ein Umweg, der uns Stunden kostet.

Pamparitt oder Pampalapapp

Unser nächstes Etappenziel ist Puerto San Julian an der Atlantikküste und die Fahrt dorthin wird uns quer durch Argentinien über die zentrale Hochebene führen. Das erste Teilstück, die Ruta 40 bis Gobernador Gregores, hat einen guten Asphaltbelag und wir jagen mit schwindelerregenden 75 km/h über die Straße. Anschließend liegen rund 200 Kilometer Piste vor uns. Je tiefer wir ins Landesinnere vordringen desto einsamer und wüstenhafter wird die Landschaft. Winzige Ortschaften mit nicht mehr als einer Hand voll Häuser liegen einhundert Kilometer und mehr auseinander. Die Pampa in dieser Region östlich der Andenkette ist auf den ersten Blick zwar eintönig, aber noch nicht langweilig. Die Perspektive ändert sich von Moment zu Moment und aus der wüstenhaften Ebene erheben sich Tafelberge, die wie überdimensionale Ziegelsteine in der Sonne rostrot bis aubergine schimmern. Wir sehen die schneebedeckten Gipfel der Anden wie große, am Horizont treibende Eisberge gemächlich vorbeiziehen.

P1200750

Da sich die Landschaft vordergründig kaum verändert scheint es, als wäre ein Kulissenschieber am Werk. Es sind die gleichen Gipfel, auf deren regnerischer Pazifikseite wir schon bis zum Ende der Carretera Austral gefahren sind. Auf ihrer argentinischen Seite liegen der Monte Fitz Roy und, weiter im Süden, der Nationalpark Los Glaciares mit dem Gletscher Perito Moreno und der Nationalpark Torres Del Paine. Wir lassen diese Highlights zunächst rechts liegen und heben sie uns für die Rückfahrt auf.

P1200741

Während wir mit Höchstgeschwindigkeit über die Ruta 40 zu fliegen scheinen sehen wir immer wieder kleine und größere Herden von Guanakos, die zu Tausenden die Savanne bevölkern und auf der Suche nach Nahrung umherstreifen. Um diese Jahreszeit sind viele halbwüchsige Jungtiere dabei.

P1200760 - Kopie (2)

Die ausgewachsenen Tiere mit den ausdrucksvollen dunklen Augen haben das Schultermaß eines kleinen Pferdes, aber einen deutlich schmaleren Körperbau. Auf dem steinigen Boden der Pampa gedeiht nicht viel, aber die Tiere sind sehr genügsam und das wenige Wasser, was sie benötigen, ziehen sie aus den Pflanzen.

Die zum Schutz der Autofahrer vor Wildunfällen beidseitig eingezäunte Ruta 40 führt durch ihr Weiderevier, aber die Zäune halten die Tiere mit ihren langen Beinen nicht vom Wechsel ab. Auch in der Pampa scheint das Gras auf der anderen Seite grüner zu sein…

Wir sehen Guanakos an der Straße, auf der Straße, vor dem Zaun, hinter dem Zaun und leider auch häufig über dem Zaun. Immer wieder geschieht es, daß Tiere beim Versuch, die hohen Zäune zu überspringen, mit ihren langen Hinterläufen am Draht hängenbleiben, nicht mehr freikommen und dann elendig verhungern oder sich zu Tode strampeln. Übrig bleiben nur die Knochen und das Fell.

P1200729

Lustig anzuschauen sind dagegen die Familien der flugunfähigen Nandus, die hier in Argentinien Rhea heißen. Mütter mit bis zu zwanzig Jungen picken seelenruhig am Straßenrand in den Gräsern, sprinten aber blitzartig los, sobald sie das Brummen des Unimogs hören oder seine Vibrationen spüren. Mit ihren langen, kräftigen Beinen sind sie sehr schnell und liefern sich ein regelrechtes Wettrennen mit uns.

P1200743

Gobernador Gregores entpuppt sich als staubiges Drecknest, das nicht zum Verweilen einlädt. Durch den ständigen Wind verteilt sich der Müll besonders effizient und die vielen dünnen Plastiktüten verteilen sich Kilometer weit in die Steppe hinein, bis sie an einem der niedrigen Büsche hängenbleiben und dort für Jahrzehnte wie rosa Fähnchen im Wind wehen. Bis Puerto San Julian liegen jetzt noch rund zweihundert Kilometer Piste vor uns, die zunehmend schlechter wird. Auf den letzten siebzig Kilometern bis zur ersehnten Atlantikküste wechselt Wellblech zu tiefen Spurrillen im groben Kies und betonhartem trockenen Schlamm. Dazu bläst unaufhörlich der Wind. Die Fahrerei ist mühsam; Spaß geht anders. Dazu hat die Landschaft auf 360 Grad die Farbe von aufgewärmter Erbsensuppe angenommen und ist an Monotonie kaum noch zu übertreffen. Wir haben nach Stunden den Eindruck, wie auf einem Simulator auf der Stelle gefahren und keinen Meter vorwärts gekommen zu sein. Auge und Geist sind irgendwann völlig erschöpft, das Gehirn hat sich im Leerlauf heiß gelaufen und wir haben jedes Gefühl für Zeit und Raum verloren. Die einzige Abwechslung ist eine große Herde wilder Pferde, die fast geisterhaft plötzlich aus dem braungelben Einerlei auftaucht, vor uns gelassen die Piste überquert, um dann galoppierend am Horizont zu verschwinden.

Wir sind froh, als wir am späten Nachmittag die weite Bucht von Puerto San Julian türkisfarben vor uns liegen sehen. Im März 1520 lief hier die Flotte Magellans zum Überwintern ein und in Erinnerung an diese Zeit liegt heute an der Uferpromenade eine Replik der Nao Victoria in Originalgröße. Mit 25 Metern Länge war der Segler nicht mehr als eine Nussschale, aber sie kehrte 1522 als einziges der fünf Schiffe mit knapper Not und wurmzerfressen von der ersten vollständigen Weltumsegelung nach Andalusien zurück. Ruhm und Opfer waren gleichermaßen groß: Von insgesamt 256 Seeleuten hatten nur 18 die Expedition überlebt.

Nach einem Bummel über die windumtoste Promenade setzen wir unsere Fahrt durch die Pampa mit dem nächsten Etappenziel Rio Gallegos in 350 Kilometern Entfernung fort. Wir sind wieder auf der Panamericana unterwegs, die wir bis zu ihrem letzten Meter bis Ushuaia fahren werden. Aber bevor wir mit der Fähre über die Magellanstraße nach Feuerland übersetzen gönnen wir uns noch einen Besuch bei den … Happy Feet.