Happy Feet

Kurz hinter Rio Gallegos biegen wir von der PanAm auf eine unbefestigte Piste ab, die uns 130 Kilometer weit zur Reserva Natural Cabo Virgenes führt, dem südlichsten Punkt des patagonischen Festlandes. Eine Entscheidung, die, was wir noch nicht wissen, einen Umweg von rund 200 unbequemen Kilometern für uns bedeuten wird, die wir aber nicht ansatzweise bereuen, denn wir werden mit einem besonders schönen Erlebnis belohnt.

Die lange Fahrt durch die Pampa, die hier bis ans Meer reicht, führt an einem halben Dutzend verstreut liegenden, aber auffallend schön herausgeputzten estancias vorbei. Haupt- und Nebengebäude sind strahlend-weiß verputzt, tragen rote Dächer und sind wie ein kleines Dorf angelegt; sogar ein winzige Kirche mit Glockenturm ist vorhanden. Die Einfahrten sind mit alten, gut restaurierten großen Wagenrädern aus schwarz lackiertem Holz geschmückt, die einen Durchmesser von zwei Metern und mehr haben. Wir wundern uns, welches Vermögen in dieser Abgeschiedenheit offensichtlich mit Schafzucht erworben werden kann. Aber wenn etwas zu schön scheint, um wahr zu sein, dann ist es das auch meistens nicht. So auch hier. Wir wiegen uns nur wenige Kilometer in der Illusion, dann entdecken wir in der Pampa die schwarzen, sich behäbig auf und ab bewegenden Ölpumpen und die oberirdisch verlaufenden Gasleitungen. Die estancias stehen auf flüssigem Gold, die Schafe sind nur noch Dekoration, Hobby oder eine Verneigung vor der Vergangenheit und den ersten Siedlern, die mit ihrem Mut, ihrer Zähigkeit und ihrer ehemals spartanischen Lebensweise den Grundstein für das heutige Vermögen gelegt haben. Für unsere Weiterfahrt am Nachmittag wird das Konsequenzen haben, an die wir zu diesem Zeitpunkt im Traum nicht denken.

Hier am Cabo Virgenes, ganz in der Nähe des Leuchtturms, findet sich jedes Jahr für sechs Monate eine große Kolonie von Magellan-Pinguinen ein; bis zu einer halben Million der nur 30 bis 40 cm großen und nur 4 kg schweren Tierchen sind schon gezählt worden. Trotz der Öl- und Gasvorkommen wurde das Gebiet offiziell als strikte Schutzzone deklariert und bislang scheint das Nebeneinander von Petrochemie und Naturschutz ohne Störfälle zu funktionieren.

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Pinguinpaare sind lebenslang monogam und die Partner finden sich hier jedes Jahr ab September für sieben bis acht Monate wieder zusammen, um in Strandnähe das gleiche Nest im Boden unter den Calafate- und Senecio-Büschen wie im Vorjahr zu beziehen. Jedes Weibchen legt zwei Eier, die vierzig Tage ausgebrütet werden, wobei die Eltern sich abwechseln. Die possierlichen Küken mit ihrem flaumigen grauen Federkleid wiegen beim Schlüpfen gerade einmal 80 Gramm, sind die ersten Tage blind, schreien dafür aber um so lauter nach Nahrung. Unentwegt marschieren die Eltern auf ihren happy feet zum Meer, um Fische für ihren Nachwuchs zu fangen, und müssen dabei mehrmals am Tag Strecken von bis zu 800 Metern bis zum Strand und wieder zurück zurücklegen. Jetzt, um diese Jahreszeit, beginnt gerade der Gefiederwechsel bei den Küken und einige sehen etwas gerupft aus. Erst wenn dieser abgeschlossen und das dichte, kälteisolierende Federkleid gewachsen ist können die Jungtiere ins Meer, um selbständig Nahrung zu suchen. Die größte Gefahr für die Kleinen lauert in der Luft: Für die Raubmöwen sind sie ein Leckerbissen.

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Wir können uns kaum losreißen. Die Tiere zeigen überhaupt keine Scheu oder Angst vor uns. Ein neugieriger Pinguin kommt auf mich zugetappst und zupft mit seinem Schnabel immer wieder vorsichtig an meinem Hosenbein.

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Als ich leise mit ihm spreche, schaut er mich aufmerksam an und legt den Kopf abwechselnd erst auf die eine, dann auf die andere Seite, immer wieder, so würde er das Gesagte abwägen. Blicke, die trotz des eiskalten Windes, der über den Strand und die Kolonie fegt, jedes Herz zum Schmelzen bringen.

Unter fast jedem Busch gibt es eine Erdhöhle, die von Pinguinpaaren und ihrem Nachwuchs bewohnt ist. Auf dem Weg zum Strand gibt es regelrechte Pinguin-Highways, wo die Tiere zu Tausenden mit herausgedrücktem Brustkorb miteinander quatschend entlang watscheln und dabei aussehen wie vornehme, in feine Fracks gekleidete Gäste der Bayreuther Festspiele. Der Geruch hält sich überraschend in Grenzen, aber die Lautstärke in der Kolonie ist schon enorm. Wenn Pinguine etwas zu sagen haben, dann legen sie den Kopf weit in den Nacken, wackeln mit ihren Stummelflügeln, als wollten sie einen Raketenstart hinlegen, holen einmal ganz tief Luft und legen dann los. Was herauskommt hört sich ungefähr so an wie ein sehr lauter sehr langer Eselsschrei.

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In unmittelbarer Nähe zum Brutgebiet der Pinguine liegen an Land und im Meer einige Gas- und Erdölförderanlagen, die – hoffentlich – strengen Überwachungsrichtlinien unterliegen. Nicht auszudenken, wenn es hier zu einem Leck käme. In kürzester Zeit wäre die gesamte Kolonie dahin und die Schäden für das sensible Ökosystem von Cabo Virgenes wären irreparabel.

Nachdem wir ein 500.000faches Adoptionsverfahren eingeleitet haben reißen wir uns von den happy feet endlich los und machen wir uns auf die Weiterfahrt. Laut Karten und sämtlicher uns zur Verfügung stehender Navis gibt es entlang der Küste eine Piste, eine offizielle Landstraße, die uns auf kürzestem Weg bis unmittelbar vor den argentinisch-chilenischen Grenzübergang Monte Aymond bringt. Guter Dinge fahren wir los, finden aber die Abzweigung nicht. Wir fahren ein kleines Stück zurück und stellen fest, daß die Weggabelung im schmucken „Dorf“ der Estancia El Condor liegt. Leider wird sie durch ein massives, abgeschlossenes Tor versperrt. Also gut, dann fragen wir halt nach…

Wir suchen das Verwaltungsgebäude der Farm, klopfen an die Tür mit „administracion“, die von einem jungen bebrillten Mann geöffnet wird. Ich erkläre ihm unser Anliegen, er sieht unseren Wagen und macht große Augen, aber er kennt noch nicht einmal die Straße, die wir suchen. Er bittet mich, einen Moment zu warten und kommt zurück mit dem JR der Pampa. Ein stattlicher, stolzer älterer Herr mit gepflegtem Schnurrbart in blankgeputzten Reitstiefeln aus Leder, hellbraunen Breeches, dezent grün-kariertem Flanellhemd und farblich abgestimmter Weste mit lederbezogenen Knöpfen gibt mir die Hand. Sehr aufrecht mit durchgedrücktem Rücken steht er wie ein General vor mir und schaut mich prüfend an. Ob er der Besitzer oder der Verwalter der estancia ist kann ich im Gespräch nicht herausfinden, auf jeden Fall scheint er wichtig zu sein. Ich erkläre ihm freundlich unsere Suche nach der Abkürzung und unseren Wunsch, bleibe aber mit unserem Anliegen erfolglos. Die Piste gibt es zwar, gehört aber seit über zwanzig Jahren zum Privatbesitz der estancia, und darf von Außenstehenden nicht befahren werden. Öl und Gas auf dem Grund und Boden, da lässt man sich wohl nicht so gerne in die Karten schauen. Wir verhandeln noch ein bisschen hin und her, aber er bleibt hart und ich muß unverrichteter Dinge wieder gehen. Für uns bedeutet das eine 130 km lange Rückfahrt auf einer mäßig guten Piste bis kurz vor Rio Gallegos, um dann auf die PanAm Richtung Süden abzubiegen – ein Umweg, der uns Stunden kostet.

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