Argentinische Schweiz

Mit der wenig verlockenden Aussicht auf einige kulinarisch eher karge Tage schlemmen wir in El Chaltén ein letztes butterweiches, perfekt Englisch gegrilltes bife de lomo mit Malbec, schaffen danach noch frisch gebackene Waffeln mit lila Calafate-Eis und kehren dann dem Fitz-Roy-Massiv mit dem Versprechen wiederzukommen den Rücken zu. Bis El Bolsón, unserem nächsten Ziel, liegen 1.300 Kilometer einsame Pampa vor uns. Der Name Pampa stammt aus der Quechua-Sprache und bedeutet „baumlose Ebene“ und wirklich, während der nächsten drei Tage wirft kein Baum oder Strauch seinen Schatten. Die Sonne brennt erbarmungslos den ganzen Tag vor dem azurblauen argentinischen Himmel, aber ein kalter Wind fegt von Nord nach Süd über die ungeschützte Ebene. Trifft er in voller Stärke frontal auf den Unimog, verlieren wir in dem flachen Gelände bis zu fünfzehn kmh an Geschwindigkeit.

Die Pampa trägt in dieser Gegend bezeichnende Namen: Meseta la Siberia, Pampa Asador (Bratspieß) oder Meseta da la Muerte (Todesebene). Letztere heißt vermutlich so, weil man hier vor Langeweile umkommt. Hier gibt es nicht einmal mehr Guanacos, die etwas Bewegung in das sonst statische Bild der Landschaft bringen und mit ihren umherstreifenden Herden für den Moment des Vorbeifahrens den ermüdeten Sinnen eine willkommene Abwechslung bieten.

Wir fahren Stunde um Stunde, Kilometer um Kilometer, ohne daß sich die Landschaft ändert; bis zum Horizont liegt in alle Richtungen eine endlose einheitsbraune Fläche unter einem endlosen einheitsblauen Himmel. Außer dem Wind ist kein Laut zu hören. Täglich grüßt das Murmeltier … wir fahren und fahren und haben trotzdem das Gefühl, uns nicht von der Stelle zu bewegen. Kaum ein anderes Auto ist hier unterwegs und Ortschaften, die etwas Abwechslung in den Tag bringen würden, gibt es auf Hunderten von Kilometern keine. Wenn der Abend naht versuchen wir, für die Nacht einen halbwegs geschützten Platz zu finden und den Mog aus dem Wind zu nehmen. Jeder noch so kleine Geröllhaufen wäre uns recht, aber die Suche ist vergeblich und so bleiben wir irgendwann einfach mitten in der Pampa abseits der Piste stehen.

Zur Stärkung von Moral und Sitzmuskel gibt es morgens eine doppelte Portion Apfelpfannkuchen, die Synapsen werden mit starkem Kaffee in Schwung gebracht, dann wird aufgesessen und der Ritt durch die gelb-braune Wüste geht weiter. Kurz bevor die Monotonie beginnt, Geist und Hirn zu zersetzen, tauchen schemenhaft die ersten Berge auf. Rund fünfzehn Kilometer vor El Bolsón biegen wir zum türkisfarbenen Lago Puelo im gleichnamigen Nationalpark ab und spekulieren auf einen verschwiegenen Stellplatz am dicht bewaldeten Seeufer. Unserem Optimismus wird durch die Massen an Menschen und Autos abrupt Einhalt geboten. Es ist Hauptferienzeit in Argentinien und dem nahen, nur durch den Andenkamm getrennten Chile. Uns sind es zu viele Menschen auf einmal, wir sind diesen Trubel nicht mehr gewohnt, daher fällt uns die Entscheidung zur Weiterfahrt nach El Bolsón nicht schwer. Nach einer kurzen Orientierungsfahrt durch das 30.000 Einwohner zählende Örtchen finden wir bei Anbruch der Dunkelheit einen ruhigen Platz an der Pferderennbahn. Erst am nächsten Morgen entdecken wir, daß wir mit unserem Gerümpel auf dem Dach um Haaresbreite die Stromversorgung der Anlage gekappt hätten.

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Die Gegend um El Bolsón hat ein warmes Mikroklima, welches Obst und Gemüse besonders gut gedeihen lässt. Es ist Erntezeit, und überall an kleinen Straßenständen gibt es in großen Mengen und bester Qualität Erdbeeren, Himbeeren, Birnen, Kirschen und Äpfel oder auch hausgemachte Marmelade und frischgepreßte Säfte zu kaufen. Auch Hopfen gedeiht hier gut, so daß sich im Laufe der Jahre ein Zentrum der Bierbrauerei herausgebildet hat. Zahlreiche Restaurants betreiben Microbrauereien und überraschen mit einer kreativen Vielfalt an guten Biersorten.

Für Paraglider ist El Bolsón ein Hot Spot und wir ziehen mit samt dem Wagen zum Landeplatz oberhalb des Städtchens um. Hier weiden einige Pferde mit ihren Fohlen und eine Herde von Schafen, die von einem schwarz-weißen Border Collie gehütet wird, der über unbegrenzte Energien zu verfügen scheint und ganz offensichtlich Spaß daran hat, neben seinem Job mit seiner Schnauze große runde Steine über die Wiese zu kullern. Die Thermik passt und Hugo genießt schöne Flüge bis spät in die Abendstunden.

Dann sehen wir im Süden plötzlich dunkle Rauchwolken aufsteigen. Wir erfahren, daß am dicht bewaldeten Lago Puelo ein Feuer ausgebrochen ist. Unablässig fliegen vier kleine, mit Wassertanks ausgestattete Maschinen vom kleinen Flughafen in El Bolsón tagelang Einsätze. Die Sommer hier sind trocken und sehr heiß, und durch Leichtsinn und Unachtsamkeit kommt es in jedem Jahr zu Waldbränden, obwohl mit großformatigen Plakaten überall unübersehbar auf die große Gefahr hingewiesen wird. Selbst wenn ein Brand oberflächlich vollständig gelöscht ist kann es passieren, daß sich das Feuer über das Wurzelwerk in der staubtrockenen Erde fortsetzt und nach Stunden oder Tagen erneut entflammt. Allerdings wird unter den Einheimischen auch gemunkelt, mancher Brand sei von der Berufsfeuerwehr bewusst gelegt, da die Feuerwehrleute bei einem Brandeinsatz zusätzlich zum Gehalt Prämien in Höhe eines Monatseinkommens erhalten.

Neben Gleitschirmfliegen, Marmeladeneinkäufen und dem Genuß gastronomischer Leckerlies haben wir noch einen anderen Grund, in El Bolsón zu sein: Wir statten Klaus und seiner Frau, die mit ihren beiden Kindern seit etlichen Jahren ein paar Kilometer außerhalb der Stadt auf einer Farm in einem wunderschönen Tal mit eigenem Fluß leben, einen kurzen Besuch ab. Klaus ist unser „Unimog-Versicherungsmakler“ für Südamerika und wir holen uns nach einem Jahr dann doch mal unsere Papiere im Original ab. Zu bewegten Zielen lässt sich schlecht Post schicken, daher sind wir bisher nur mit Farbausdrucken gereist, die wir aber nur bei den polizeilichen Checks in Bolivien vorzeigen mußten. Bei einem Schwatz in Klaus´ Wohnzimmer tauschen wir Erfahrungen aus, decken uns mit hausgemachtem Apfelsaft und Himbeermarmelade ein und setzen anschließend unsere Fahrt nach Norden zum Parque Nacional Nahuel Huapi , dem ältesten Nationalparks Argentiniens, fort.

Mit San Carlos de Bariloche am Südostufer des Lago Nahuel Huapi erreichen wir das Tor zur sogenannten Argentinischen Schweiz und wirklich, Landschaft und Baustile der 130.000 Einwohner zählenden Stadt mit ihren großen Chalets und Hotelburgen ähneln denen des Originals sehr. Der direkt am kobaltblauen See gelegene Ort ist von einem Kranz aus Berggipfeln umgeben und mit bis zu zwei Meter Schneehöhe der bedeutendste Wintersportort des Landes. Die Besucherzahl überschreitet die Millionenmarke und auch jetzt zur Sommerferienzeit droht er aus allen Nähten zu platzen. Leider kommt der Ort auch in einem anderen, wenig schönen Punkt auf die Top 10 Liste der Superlative: Kriminalität – Bariloche ist bekannt für Einbrüche und Autodiebstähle, und so quartieren wir uns ausnahmsweise auf einem fünfzehn Kilometer außerhalb der Stadt gelegenen Campingplatz am See ein. Es ist unglaublich heiß und schwül, auch das nächtliche Gewitter bringt kaum Abkühlung.

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Bei einer Runde über den landschaftlich schönen, entlang des südwestlichen Seeufers führenden Circuito Chico entdecken wir den Ort Colonia Suiza, und – über den Punkt echter Verwunderung sind wir längst hinaus – an einem Aussichtspunkt einen waschechten Bernhardiner inklusive Fässchen um den Hals. Für umgerechnet 10 Euro kann man Che als molliges Model für Fotoshots buchen, wobei man die Auswahl zwischen verschiedenen Posen mit oder ohne Basecap und/oder Sonnenbrille hat. Eine Geschäftsidee, die zu funktionieren scheint: Trotz des hohen Preises stehen die argentinischen und chilenischen Urlauber Schlange und schwitzen geduldig in der Sonne. Vielleicht sollte ich mich mal mit einem Llama namens Dieter an die Kö stellen… Das Pärchen, welches an der Reihe ist, als wir zuschauen, entscheidet sich für die Variante Sitzbank + Pfötchen auf Schulter + Sonnenbrille auf Hundenase. Che scheint es nicht zu gefallen, er streckt dem Fotografen die Zunge raus. Der arme Hund.

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Wir verlassen das überlaufene Bariloche und fahren nach Villa Angostura, einem ruhigeren und historisch interessanten Ort am Nordufer des Sees, den jeder Argentinier kennt. Nach dem Staatsstreich der Militärs, die sie ihres Amtes enthoben, lebte Isabel Perón – nicht Evita, sondern die zweite Frau Juan Peróns – hier ab 1976 in Schutzhaft in einem Herrenhaus. Von hier aus nehmen wir die rund einhundert Kilometer lange Ruta de los Siete Lagos, die „Straße der Sieben Seen“, die uns nach San Martin de los Andes bringt. Die kurvenreiche Fahrt führt durch wildromantische Berglandschaften mit dichtem Urwald und vorbei an stillen tiefdunkelblauen Seen. Die Straße ist wider Erwarten geteert und windet sich wie eine Schlange aus Asphalt durch die ansonsten unberührte Natur. Wir empfinden sie als Fremdkörper im Urwald, aber kaum haben wir den Gedanken ausgesprochen, da endet der Asphaltbelag und es geht über Schotterpiste weiter.

Das von dichten Wäldern und Bergen umgebene San Martin de los Andes an der östlichen Spitze des Lago Lacar ist neben Bariloche das zweite renommierte Wintersportzentrum des Landes. Es wirkt mit seinen eleganten Chalets etwas aufgeräumter als der Nachbarort mit seinen unübersehbaren Bausünden, aber wir halten uns nicht auf, sondern starten durch. Wir wollen in das rund tausend Kilometer nördlich gelegene Mendoza, eines der bedeutendsten Weinanbaugebiete Südamerikas. Da die Region auf der argentinischen Seite der Anden auf dieser Strecke wenig Attraktives bietet beschließen wir, doch noch einmal nach Chile zu wechseln und dabei noch einen kleinen Abstecher ans Meer zu machen. Schöne Nebenwirkung dieser Entscheidung ist, daß eine gute Chance auf ein Treffen mit Celi und seiner Frau Brigitte in Santiago besteht, bevor die beiden zurück nach Spanien fliegen. Mit Celi verbindet uns ein gemeinsames Schicksal: Er war mit uns an Bord der Grande San Paolo während der sechswöchigen Reise von Hamburg nach Montevideo und wir haben Freud und Leid der Überfahrt geteilt.

2 Gedanken zu „Argentinische Schweiz

    1. Daniela Rameil-Erdl Beitragsautor

      Der hat in La Rioja den Besitzer gewechselt und gehört jetzt einem anderen Hugo. Den Gegenwert haben wir schon in Steaks, Wein und Eis umgesetzt 🙂

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