Archaeopteryx-Treffen

Wie muß man sich das Aufeinandertreffen zwei Flugsaurier vorstellen? Auf jeden Fall mit viel Fliegen, geradezu obszönen Mengen an rotem Fleisch und ebenso viel Bier. Wir lernen hier in La Rioja das argentinische Pendant zum deutschen Hugo kennen: Hugo Aguila, Drachen- und Gleitschirmpilot, Ausbilder, Weltmeisterschaftsteilnehmer und mit über dreißig Jahren aktiver Flugerfahrung ein ebensolcher Dino in der Szene wie Hugo.

2015-02-21 19 36 30

La Rioja ist eine untouristische Kleinstadt an den Ausläufern der Anden, unspektakulär, da sie keine großartigen Monumente oder andere kulturhistorische Highlights vorzuweisen hat, aber dafür umso authentischer. Sie zählt zu den ältesten Städten Argentiniens und ihre Gründungsstätte ist heute noch ihr Zentrum. Bei unserer Suche nach dem Landeplatz fahren wir durch auffallend schöne Wohngebiete. Geschmackvolle, weiß getünchte Villen im Fincastil mit lackierten Dachziegeln, die das Sonnenlicht reflektieren, oder puristische Designerhäuser aus Stein und Glas stehen auf großen, mit altem Baumbestand bewachsenen Grundstücken. Gärtner fegen Laub zusammen, sprengen den Rasen oder beschneiden die Bäume, ansonsten ist kaum jemand zu sehen, als wir durch die Straßen fahren. Später erfahren wir, daß hier Teile der politischen Oberschicht Buenos Aires einen Zweitwohnsitz haben.

Am nahegelegenen Landeplatz, dessen Gelände sich bereits seit vielen Jahren im Besitz des Aeroclubs befindet und dank der bevorzugten Lage bestimmt auch finanziell für den Club eine gute Investition ist, schlagen wir unser Quartier auf. Unsere einzigen Nachbarn sind Herr Esel und Frau Pferd.

Nach einigen Flügen mit dem Gleitschirm möchte Hugo sich endlich einmal wieder unter seinen alten Drachen hängen, den wir die ganze Zeit auf dem Dach spazieren fahren. Die thermischen Bedingungen passen gut, also wird das alte blaue Möfchen seit dem Flug über die große Sanddüne von Iquique in Chile das erste Mal auf dieser Reise wieder ausgepackt. Aus der Verpackung genommen entfaltet der Drachen vorsichtig wie ein aus seiner Verpuppung schlüpfender Schmetterling die Flügel. Trotz manch wilder Pistenrumpelei ist das Material unversehrt, Hugo stürzt sich vom Berg und kann einen schönen intensiven Flug in den Abendstunden genießen. Anschließend wechselt der alte Drachen spontan den Besitzer – er wandert von Hugo an Hugo. Für uns lohnt es nicht, den Drachen wieder zurück nach Europa zu transportieren, zumal zuhause der schnelle Atos ungeduldig wartet und geflogen werden will.

Abends lädt uns Hugo zusammen mit einer Handvoll argentinischer Piloten zur parrilla zu sich nach Hause um die Ecke ein. Ein Industriedesigner, ein Modedesigner, ein Elektroingenieur, ein Unternehmer ohne Unternehmen … die Runde ist bunt, das offene Feuer nach unseren europäischen Maßstäben gigantisch. Der asador, der Grillmaster, darf oben ohne am Feuer brutzeln; ihm in seine alle Hingabe und Konzentration fordernde Aufgabe hinein zu reden ein wäre ein unverzeihliches Sakrileg.

Vor 23.00 Uhr, bis die Gluthitze des Tages nachgelassen hat, wird hier nicht zu Abend gegessen. Als Vorspeise gibt es verschiedene Sorten Wurst, darunter morcilla, eine Art argentinische Flöns mit vielen Gewürzen, die beim Grillen fast zu Bröseln zerfällt und nach einem Hauch von Weihnachten schmeckt – sehr lecker. Als Hauptgang gibt es Unmengen an Fleisch, Fleisch und noch mal Fleisch… und zum Dessert … Fleisch. Dazu wird chimichurri gereicht, ein Dip aus Olivenöl, Knoblauch und Petersilie. Die Jungs trinken aus einem gut zwei Liter fassenden Becher eine gruselige Mischung aus Cola und Fernet Branca, ich bleibe lieber dem guten Malbec treu.

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Von irgendwoher zaubert plötzlich jemand eine Gitarre an den Tisch und die Jungs beginnen zu singen. Von Folksongs über Pop bis zu fetzigem argentinischem Rap reicht ihr Repertoire, alle haben eine tolle Stimme und scheinen auch textsicher zu sein. Respekt. Unsere Frage, ob sie in einer Band singen, wird verneint, und Perro Verde – warum er sich selbst Grüner Hund nennt bleibt auch in dieser Nacht sein Geheimnis – erklärt, daß in der Region Catamarca, aus der sie stammen, alle Menschen singen können und für die Musik leben. Irgendwann, es ist schon fast Morgen, fallen wir in unsere Koje.

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