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La Cumbre

Irgendwann haben wir es trotz der Wassermassen und aufgeweichten Straßen geschafft. Wir erreichen die hübsche kleine Stadt La Cumbre, auf rund 1.300 Meter in den Sierras gelegen und eines der Ausflugsziele für die in Cordoba lebenden Großstädter. Im Sommer, wenn es in der Ebene erdrückend heiß ist, weht hier in den Sierras immer noch ein erfrischendes Lüftchen, und so haben zahlreiche Familien hier einen Zweitwohnsitz. Der Baustil ihrer Häuser reicht von einfachem Holzhaus bis hin zur Villa im englischen Landhausstil; alles ist sehr gepflegt. Der kleine Ort strahlt Ruhe und Gelassenheit aus.

Wir legen einen Stopp am ehemaligen Bahnhof ein. Beim Bummel durch das Städtchen lernen wir ein Arztehepaar Anfang 60 aus Buenos Aires kennen. Nach dem üblichen Geplänkel woher, wohin, wie lange, wie gefällts kommen die beiden von sich aus auf die politisch und wirtschaftlich desolaten Zustand Argentiniens zu sprechen. Nur wenn wir so offen auf diese Themen angesprochen werden gehen wir darauf ein; ansonsten halten wir uns sehr bedeckt.

Die beiden Ärzte beklagen die marode Wirtschaft des Landes. Die Bevölkerung wird mit Regierungspropaganda überhäuft: „Hier entsteht die 210te neue Schule „Nestor Kirchner“… hier wird der 320te Fußballplatz „Nestor Kirchner“ errichtet …. überall entlang der Hauptstraßen ist das überdimensionale Konterfei Christina Kirchners mit „frohen Botschaften“ für das Volk unübersehbar präsent. Faktisch interveniert die Regierung in die Wirtschaft und unterbindet alle Anreize für unternehmerisches Engagement. In Folge bleiben dringend erforderlich Investitionen aus. Besonders der Energiesektor leidet stark darunter; Argentinien wird zunehmend abhängiger von Importen und die eigenen Wirtschaftspotenziale liegen brach.

Schattenhaushalte führen zu unkontrolliertem Wachstum der Staatsausgaben, das Gesetz wird ausgehebelt, liberale Bürgerrechte ausgehebelt, die Pressefreiheit zunehmend eingeschränkt, Korruption bei Politikern und Beamten bleibt meistens ungeahndet. Interessant: Seit 2003 der mittlerweise verstorbene Nestor Kirchner zum Präsidenten gewählt wurde hat sich innerhalb von nur sieben Jahren das Privatvermögen der Kirchners nachweislich von 1,8 Mio EURO auf 13,2 Mio Euro vermehrt. Rechenschaft darüber legt Christina Kirchner nicht ab; der Verdacht auf zwielichte Geschäfte liegt nahe.

Das Arztehepaar zeichnet ein düsteres Bild der argentinischen Wirtschaft und Demokratie, bleibt aber erstaunlich gelassen. Wir fragen, ob sie sich von den Wahlen im Oktober 2015 Änderungen versprechen. Sie zucken mit den Achseln und meinen nur: „Ach wissen Sie, wir Argentinier leben einfach damit. Mal geht es zehn Jahre rauf, dann mal zehn Jahre runter. Wir Leute von der Straße können es doch nicht beeinflussen“. Doch, könnt ihr!

Fünfzehn Kilometer außerhalb von La Cumbre liegt der Start- und Landeplatz für Gleitschirmflieger, nur 350 Meter höher als die Umgebung, aber der Ausblick ist gigantisch. Weit kann der Blick in die Ferne schweifen, durch das grüne Tal windet sich der Rio Pinto, vor unseren Augen kreisen zwei Kondore. Hugo kann einige schöne Flüge genießen; einmal kreist er in einem Abstand von nur fünf Metern mit einem Kondor in einem Thermikbart.

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Vor Anbruch der Dämmerung fahren wir eine enge Schotterpiste die Berge hinunter zum Rio Pinto, wo wir die Nacht verbringen wollen. Durch die Regenfälle der letzten Tage sind alle Bäche gut mit Wasser gefüllt und so liegen auf der kurzen Strecke ins Tal mehr als zehn holprige Wasserdurchfahrten.

Wir finden einen schönen Stellplatz im Gebüsch am Ufer des Flusses. In den Bäumen rundum leben kleine grüne Papageien und andere Vögel, und vor unseren Füßen hüpfen Microfrösche von einem Zentimeter Größe durch den Sand. Am nächsten Morgen sitzen wir noch vor dem Frühstück gemütlich im glasklaren Wasser des Rio Pinto und genießen die Abgeschiedenheit in der Natur. Außer den lärmenden Papageien ist niemand da, der uns stören könnte. Dumm nur, daß meine Flipflops von einer Welle erwischt und davon gespült werden.

Sintflut

Wir verlassen, dieses Mal endgültig, die Valles Calchaquiés und stürzen uns fast zweitausend Meter tief in Serpentinen durch die dicht bewaldeten Yungas bis in die fruchtbare und dicht besiedelte Ebene von Tucumán. Hier erstreckt sich die einzige nicht wüstenhafte Region des argentinischen Nordwestens.

Ab hier liegt eine lange Strecke über asphaltierte Fernstraßen durch ländliche Gebiete vor uns. Die Straßen sind relativ frei von Schlaglöchern, aber dafür voller Zentimeter tiefer Spurrillen, die die schweren LKW in den von der Sonne angeschmolzenen Asphalt gegraben haben. Wir fahren an Soja-, Bohnen-, Mais- und Zuckerrohrfeldern vorbei, die schon fast die Ausmaße der Plantagen in Brasilien haben. Jardín del país, Garten des Landes, nennen die Argentinier dieses Stückchen Erde.

In den Hochtälern zwischen der Kordillere und dem Andenhauptkamm brannte die Sonne, hier dagegen ist der Himmel über uns von großen grauen Wolken bedeckt, die von der Andenkordillere am Weiterziehen gehindert werden und sich an ihrer Ostflanke stauen. Die ersten Vorboten der Schlechtwetterfront hatten wir schon in Salta gesehen, jetzt entladen sich die himmlischen Wasserspeicher und es regnet fast nonstop. Die Salinas Grandes und Salinas de Ambargasta nördlich von Cordoba stehen bereits unter Wasser, als wir zwischen ihnen hindurch fahren.

Am frühen Abend erreichen wir die nördliche Peripherie des Großraums Cordoba. Es regnet noch immer. Wir haben vor, noch rund siebzig Kilometer weiter nach La Cumbre zu fahren, um dort die nächsten Tage in den Sierras zu fliegen, aber die Anfahrt gestaltet sich als schwierig bis unmöglich. Unser erster Versuch scheitert, weil alle Straßen östlich der Sierras von der Polizei bereits gesperrt sind. Flüsse sind über die Ufer getreten und führen roten, aufgewühlten Schlamm in ihren Fluten, Felder und Wiesen stehen komplett unter Wasser, die Pisten sind zu Matsch aufgeweicht und in den Bergen drohen Erdrutsche, Schlammlawinen und Steinschlag. Wir fahren zurück und suchen eine weiträumige Umgehung.

Als die Sonne fast untergegangen ist färbt sich der Himmel in einem bedrohlichen Grün-Schwarz. Minuten später ist die Gewitterfront mit voller Wucht da. Vor uns am Horizont zuckt ein gewaltiger Blitz aus den Wolken, steht wie ein glühender Pfeil in der Luft und teilt den Himmel sekundenlang in zwei Hälften, bevor er in den Boden einschlägt. Der Strahl aus purer Energie muß mehrere Meter breit gewesen sein und der Donnerschlag, der darauf folgt, ist ohrenbetäubend laut.

Wir versuchen, trotz des vielen Wassers von oben, uns unserem Ziel La Cumbre irgendwie zu nähern, aber der Umweg erweist sich ebenfalls als nicht fahrbar, auch nicht mit 4×4 oder Unimog. Die Polizisten an den neuralgischen Verkehrspunkten haben die Straßen in die Richtung komplett abgeriegelt und raten uns zu einer anderen, noch weiträumigeren Umfahrung von Cordoba, um auf die andere, die westliche Seite der Sierras zu gelangen. Von dort könnten wir dann von Süden her La Cumbre ansteuern. Weiträumig bedeutet einen Umweg von mindestens 150 bis 200 Kilometern… Inzwischen ist es stockfinster, und so beschließen wir, die Nacht an der Tanke zu verbringen und abzuwarten, was der neue Tag bringt. Über Nacht setzt sich der Regen in unverminderter Stärke fort und trommelt in lautem Stakkato auf unser Kabinendach. Als ich am nächsten Morgen aus dem Kabinenfenster schaue traue ich meinen Augen nicht: Wo gestern noch die Straße war … schwimmt heute eine Ente! Ohne Quatsch. Die Fernstraße hat sich in einen braunen Fluß verwandelt, der Schlamm, Äste und Gestrüpp mit sich führt. Der potenzielle Umweg ist somit auch verbaut, wir sitzen vorläufig fest. Einige andere Wagen hat das gleiche Schicksal ereilt.

Bei einem Kaffee an der Tankstelle tauscht man sich aus, alle sind unaufgeregt und nehmen die Situation mit Gelassenheit. Von der Polizei, die eine „Einsatzzentrale“ direkt an der Tankstelle eingerichtet hat, erfahren wir, daß die Überschwemmungen bisher ungekannte Ausmaße angenommen haben. Die gesamten Provinzen Santiago del Estero, Salta, Tucuman, Santa Fe und Cordoba sind von der Katastrophe betroffen, ganze Straßenabschnitte wurden weggespült, Brücken sind eingestürzt, das Handynetz ist ausgefallen, WiFi geht nicht mehr… Bei den Einsatztruppen herrscht höchste Alarmbereitschaft.

Beim Frühstück stellen wir Überlegungen an, wie wir den Unimog am geschicktesten zu einer Arche Noah umbauen. Am besten fällen wir mit unserer Axt und Säge ein paar der umstehenden großen Bäume, schnallen den Wagen einfach auf das improvisierte Floß und sammeln dann paarweise die Tiere: zwei Llamas, zwei Esel, zwei Schafe, zwei Gürteltiere, zwei Papageien, zwei Schlangen…

Es ist leicht, zu frotzeln, wenn man wie wir sicher und im Trockenen sitzt. Wenn wir an die Menschen und ihre einfachen Behausungen auf dem Land entlang der gefahrenen Strecke denken, wird uns ganz anders zumute. Tausende bringen sich vor den Fluten in Sicherheit, zwölf Menschen verlieren ihr Leben. Tage später schickt uns DerNachbar einen Link; auch in Deutschland wurde über die Katastrophe berichtet:

http://www.spiegel.de/fotostrecke/argentinien-hochwasserkatastrophe-in-cordoba-fotostrecke-124490.html

Im Laufe des Tages lässt der Regen nach und das Wasser beginnt abzulaufen. Gegen 18.00 Uhr gibt die Polizei Teilentwarnung. Auch wenn die Straßen noch unter Wasser stehen: PKW müssen weiterhin warten, aber LKW mit großen Reifen dürfen fahren, und so starten wir den Motor in der Hoffnung, heute La Cumbre zu erreichen.

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Quebrada de las Flechas

Von Cachi bis Cafayate wurde eine kurvenreiche Sand- und Schotterpiste rund 180 Kilometer mitten durch die bizarren Felsformationen der Quebrada de las Flechas geschoben, was „Schlucht der Speere“ bedeutet. Ein bisschen erinnert die Landschaft mit ihren in der gleißenden Sonne grau, orange und weiß leuchtenden Felsen an das Monument Valley in Utah. Über allem wacht der 6.380 Meter hohen Nevado de Cachi vor dem azurblauen Himmel Nordargentiniens.

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Es gibt immer wieder Engstellen, Brücken mit nur einer schmalen Fahrbahn und ohne „Geländer“ und blinde Kurven, in denen wir inständig hoffen, daß Gegenverkehr ausbleibt, da es neben der Piste bedenklich weit abwärts geht. Teilweise rumpeln wir mit nur 20 kmh voran. Öffentlichen Busverkehr, der die Dörfer miteinander verbindet, gibt es auf dieser Strecke nicht; die Piste ist gänzlich unbefestigt und einfach zu schlecht. Prompt treffen wir unterwegs auf einen 4×4, der in einer Kurve seitlich weggerutscht ist und sich im Sand eingegraben hat. Zum Glück ist niemandem etwas passiert. Wir bieten an, den Wagen mit der Winde aus dem Sand zu ziehen, aber ein örtlicher Trecker steht schon bereit.

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An manchen Stellen schlägt die Piste unvermittelt eine Haken um einzelne Häuser herum, dann wird es auf baumbestandenen Alleen sehr eng, Ziegen oder Esel springen plötzlich über die Fahrbahn, oder am linken Pistenrand befindet sich ein gut gefüllter Bewässerungskanal und am rechten eine wuchernde Hecke. Und nirgendwo Platz zum Ausweichen. Hugo fährt mit äußerster Konzentration.

Heller Sandstein prägt das enge Tal, und die Felsen ragen schräg und spitz wie Speere aus dem Boden. Die Landschaft ist karg, gleicht einer Marslandschaft; aber entlang des schmalen, ganzjährig Wasser führenden Flusses wächst viel Grün. Viele Feldfrüchte gedeihen in dem heißen Klima mit 350 Sonnentagen pro Jahr bestens und die Orte können sich nicht nur selbst versorgen, sondern die Produkte auch in andere Landesteile exportieren.


Unterwegs treffen wir auf kleine Ortschaften, pueblitos, die meist aus nicht mehr als einer Handvoll Häusern und einer kleinen Kirche mit Glockenturm bestehen. Die schönsten Kirchen sehen wir in Los Sauces, San Rafael, La Mercad und Santa Rosa.

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Die einfachen, eingeschossigen Häuser der Bauern sind fast ausnahmslos in der Farbe des sie umgebenden puderfeinen Staubes getüncht, eine verwaschene Mischung aus Rosa und Beige. Einige von ihnen fallen uns durch ihren besonderen Baustil auf: Sie verfügen auf der Frontseite über eine großzügige Veranda in der gesamten Breite des Hauses, die von mächtigen Säulen geziert wird. Ein Stil, den wir auf unserer Reise nirgendwo anders gesehen haben und der schon fast griechisch anmutet. Der Anteil der Mestizen und Indios an der hier lebenden Bevölkerung ist auffällig hoch, meist trifft man auf Angehörige des Volks der Diaguita-Calchaquíes. Es sind schöne Gesichter, die uns freundlich und neugierig anlächeln. Massentourismus gibt es in dieser Abgeschiedenheit noch nicht.

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In vielen Ortschaften sehen wir schon von weitem rotleuchtende „Flicken“ in der ansonsten beigefarbenen Landschaft. Es ist gerade Erntezeit für die Chilischoten, die hier pimientos heißen, und die Früchte liegen in großen Flächen ausgebreitet zum Trocknen in der Sonne. Sie sind weniger scharf als ihre mexikanischen Verwandten.

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Außerhalb der Dörfer liegen die Friedhöfe und wirken in der Landschaft leicht surreal. Die Gräber sind zum Teil schon sehr alt und verfallen, die neueren hingegen sind mit grellbunten Plastikblumen geschmückt, die weithin leuchten. Häufig liegen die letzten Ruhestätten auf kleinen Hügeln, damit es die Verstorbenen nicht so weit in den Himmel haben.

In der heraufziehenden Dämmerung ziehen große Raubvögel auf der Suche nach Mäusen, Chinchillas und anderen Kleintieren über dem Tal und den Bergen ihre Kreise, Papageien fliegen laut schnarrend in Scharen zwischen den Bäumen umher. Wir sehen zwei Füchse umherstreichen, und aus dem Tal klingt die durchdringende Musik der Frösche und Zikaden bis zu uns hinauf. Unglaublich, welchen Krach diese kleinen Tiere machen können. Die Nacht verbringen wir abseits der Piste in einem Kakteenfeld. Die haushohen Pflanzen werden von den Indigenas cardónes genannt, Wächter. Die Legende sagt, daß jeder cardón ein Verstorbener ist, der über das Hochland wacht. Irgendwann, wenn ihre Zeit gekommen ist, erwachen diese Ahnen und erheben sich, um das Blutbad der spanischen Konquistadoren zu rächen, welches diese einst angerichtet hatten.

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Die Abendgeräusche der Tiere um uns herum halten noch lange an, aber als ich gegen zwei Uhr morgens vor die Türe trete, herrscht absolute Stille. Kein Laut ist zu hören, eine Stille, so dick, daß sie in den Ohren widerzuhallen scheint. Und über mir offenbart sich der klarste Sternenhimmel, den ich bisher gesehen habe. Myriaden von großen und kleinen Lichtpunkten funkeln um die Wette.

Am nächsten Tag setzen wir die Fahrt über die schönen ruhigen Hochtäler von Amaicha und Tafi del Valle fort, die wir bereits besucht haben. Es ist immer wieder das klare Licht, das die Fahrt durch die Anden zu einem besonderen Erlebnis macht, wenn die Schatten der Wolken über die Straßen und die mit Hartbüschelgras bewachsenen, weiten Ebenen wandern.

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Ornella über den Wolken

Wir fahren nochmals in die Hochtäler der Valles Calchaquíes, diesmal von Salta kommend aus einer anderen Richtung. Die Fahrt nach Cachi, dem schneeweißen Dorf auf knapp 2.300 Metern am Fuße des ständig weiß beschneiten Vulkans Nevado de Cachi, führt über eine unbefestigte Piste mit vielen, vom Regen gut gefüllten Schlaglöchern. Wieder klettern wir Meter um Meter unter Felsüberhängen durch den Matsch und das grüne Dickicht der Yungas in die Höhe, bis wir irgendwann vollständig vom Nebel verschluckt werden. Die Sicht beträgt keine zwanzig Meter.

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Nachdem wir die Wand aus Wolken hinter uns gelassen und die heiße trockene Wüstenlandschaft der puna erreicht haben verflüchtigen sich allmählich die Nebelfetzen und geben den Blick auf die endlosen Kakteenwüste des Parque Nacional El Cardón frei.


Bevor wir Cachi selbst anfahren machen wir spontan noch einen Abstecher nach Cachi Dentro, welches als autarke Oase an einem schmalen Fluß in einem abgelegenen Seitental liegt. Der Weg lässt ein bisschen zu wünschen übrig, macht aber Spaß, weil man nie weiß, was als Nächstes kommt 🙂


Als wir am nächsten Morgen die Tür aufmachen sind wir von unzähligen Schafen umringt, die auch unter dem Unimog in aller Ruhe grasen.

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Cachi selbst ist zauberhaft, wenngleich mit 37 Grad sehr heiß. Der kleine Ort mit etwas über 2.000 Einwohnern strahlt im Sonnenlicht, die Architektur aus flachen, weiß getünchten Häusern ist harmonisch, und selbst das Zentrum besticht durch seine Ruhe. Wir haben das Gefühl, in eine andere, gelassenere Welt einzutauchen. Hier ist es schön, ein Platz, der zum Bleiben verführt.


An der plaza steht eine massig wirkende, aber schlichte neugotische Kirche aus dem 17ten Jahrhundert, deren Altar, Decke und Beichtstuhl aus dem offenporigen, aber haltbaren Holz der Kandelaberkakteen, dem cardón, gefertigt wurden.


Und wer schon immer einmal davon geträumt hat, Ornella Muti zu vernaschen, kann das hier in Cachi tun, wenngleich nur in Form einer Pizza für 140 Pesos in Oliver´s Café. Immerhin das Teuerste auf der Karte. Wem eine ganze Ornella zu viel ist, der kann auch eine halbe bekommen, für 73 Pesos…

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La Vieja Estación

Erst mit Einbruch der Nacht, wenn sich die größte Hitze des Tages gelegt hat, leben die südamerikanischen Städte richtig auf. Straßen und Plätze beginnen sich mit Menschen zu füllen, die Cafés und Restaurants werben mit flotten Sprüchen um flanierende Passanten. So auch in Salta, der Wiege und heimlichen Hauptstadt der argentinischen Folklore. In der Balcarce, der Ausgehmeile der Stadt, liegen die penas mit ihres bekannten Folkloreshows. Ein Muß für jeden Salta-Besucher, egal ob Argentinier oder gringo. Für uns heißt das: Nichts wie hin!

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Wir haben uns das Restaurant La Vieja Estación empfehlen lassen, welches sowohl für die Qualität der Shows als auch die ausgezeichnete Küche bekannt sein soll. Um 22.00 Uhr ist das Lokal mit dem schönen rustikalen Ambiente brechend voll. Wir wählen unser Menu und einen samtigen Malbec dazu, das Essen wird serviert, dann beginnt auf der kleinen Holzbühne die Show mit Tanz und Live-Musik. Nein, keine Panflötendudelmusik und auch kein Tango! In den penas wird nach Gaucho-Manier getanzt und Latin-Folk auf der Gitarre gespielt, das heißt mit Energie und Schmackes, bis die Bohlen beben! Gato, Escondido und Chacarera heißen die Tänze, die mit Gitarre und Trommel gespielt werden. Beim Malambo, eine Art wilder Stepptanz, der nur von Männern getanzt wird, bewundern wir deren schnelle Beinarbeit. Riverdance wäre für die Herren in den weiten schwarzen Hosen und Lederstiefeln höchstens eine Übung zum Aufwärmen.

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Schon nach kurzer Zeit springen die argentinischen Gäste auf und beginnen Paso Valseado und Zamba zu tanzen, bei dem Taschentücher – möglichst sauber und nicht von Tempo – mit viel Grazie geschwungen werden. Auch Cumbia und Merengue wird mit sattem Hüftschwung getanzt. So viel Elan steckt an, eine Weile später sind wir selbst „reif“. Die Musiker sind sehr talentiert und involvieren die Gäste mit so viel Charme und Nonchalance, daß jeder Kreuzfahrtdirektor vor Neid erblassen würde. In den frühen Morgenstunden gehen wir nach Hause, auch wenn es in der pena noch weiterbebt.

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Die Kinder von Llullaillaco

Wir besuchen das MAAM, das Museo de Arqueologia de Alta Montana in Salta, in welchem die in Europa fast unbekannten Ninos de Llullaillaco ausgestellt sind, die besterhaltenen Mumien der Welt. Erst 1999 wurden sie auf dem Gipfel des 400 km entfernt liegenden Vulkans Llullaillaco (6.739 m) an der Grenze zu Chile ausgegraben. Archäologen und Bergsteiger einer National Geographic Expedition bargen aus dem Boden drei tiefgefrorene, ca. 500 Jahre alte Kindermumien. Das Team arbeitete 13 Tage unter widrigen Umständen, wie Schneestürmen und Kälte bis -37 °C, und legte neben den Mumien zahlreiche aufschlussreiche Artefakte frei

Wir hatten über das Museum gelesen und waren zunächst skeptisch. Wollen wir uns wirklich einen argentinischen Ötzi anschauen?

Im Zentrum der Ausstellung steht ein Ritual der Inka, in welchem Kinder von „hoher Geburt“ aus den vier Landesteilen des Inka-Reiches nach Cusco entsandt und dort miteinander – und damit symbolisch mit den Göttern – „verheiratet“ wurden. Zweck dieses Rituals war eine Festigung des Inkareichs mit seinen gewaltigen Ausdehnungen. Anschließend kehrten die Kinder in ihre Heimat zurück und wurden dort geopfert. Das Erbringen von Menschenopfern war damals üblich und wurde capacocha genannt.

Das Museum stellt das Ritual in einen kulturhistorischen Kontext und beschönigt dabei nichts. Zu sehen sind neben Ausrüstungsgegenständen und Bekleidung der Expedition von 1999 auch gut erhaltene Grabbeigaben, Fotodokumente und vieles mehr. Höhepunkt des Besuches ist jedoch unzweifelhaft die Ausstellung je einer der drei gefundenen Kindermumien. Heute ist es „The Lightning Girl“, das kleine Mädchen. Die Museumsräume sind andächtig still, die Temperatur ist kühl. Gegen Ende des Rundganges erreicht man eine Art gläserne Kapsel mit dem kleinen, erst sechs Jahre alten Mädchen, den zerbrechlichen Körper eingehüllt in rostbraune Stoffbahnen, die Beine untergeschlagen. Ihre Gesichtszüge sind gut zu erkennen, der Mund ist leicht geöffnet, die Augen sind geschlossen. Trotzdem hat man das Gefühl, das Mädchen schaue einen anklagend an. Auf einer Gesichtshälfte ist eine Brandverletzung zu erkennen, die durch einen Blitzschlag nach dem Tod verursacht wurde.

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Im gleichen Grab wurden ein siebenjähriger Junge und ein ungefähr 15jähriges Mädchen gefunden. Ihr Zustand ist gleichfalls unversehrt. Die Mumien werden heute nach dem Verfahren der Cryopreservation konserviert.

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Videos berichten ausführlich über die bisherige Arbeit und die Ergebnisse der internationalen Wissenschaftler, die die Mumien seit dem spektakulären Fund untersucht haben. Zwischen den Zähnen der Ältesten fanden die Forscher Reste von Coca-Blättern; außerdem konnten sie Restspuren einer alkoholischen Substanz, vermutlich Chicha, Maisbier, nachweisen. Die Inka glaubten, daß Rauschzustände einen Zugang zur Welt der Geister ermöglichen. Bis kurz vor ihrem Tod bekamen die Kinder berauschende Substanzen verabreicht, vermutlich auch, um sie ruhig zu stellen.

Schrecklich, darüber nachzudenken, wie die kleinen Wesen vor einem halben Jahrtausend in eisiger Kälte auf fast 7.000 Metern Höhe gestorben sind. Wir verlassen das Museum nachdenklich und aufgewühlt und freuen uns einmal mehr, in diese heutige Welt hinein geboren worden zu sein, und dann noch auf der Sonnenseite.

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Wolkenspiel

So schön … und so böse…

Zu Gast bei der „Hübschen“

In den abgeschiedenen Hochtälern hat es uns ausnehmend gut gefallen, aber jetzt ist uns nach etwas städtischem Trubel und wir steuern Salta an, mit einer halben Million Einwohner die größte Stadt im Norden und die vielleicht schönste Kolonialstadt Argentiniens. Im Norden liegt nur ein paar Hundert Kilometer entfernt schon Bolivien, hinter der Andenkette die Atacama-Wüste.

Durch die dichten nebligen Wälder der Yungas stürzen wir uns also wieder Tausend Meter bergab in die Ebene und erreichen „La Linda“, die „Hübsche“, wie die Stadt auch genannt wird, am späten Nachmittag. Das Wolkenspiel am azurblauen Himmel ist gigantisch, Kilometer hoch türmen sich gewaltige Cumulonimbuswolken über der Stadt. Es ist wunderschön anzusehen, verheißt aber nichts Gutes und soll noch Spätfolgen haben, wie wir wenige Tage später erfahren werden.

Wir finden einen Platz im örtlichen Freibad, mal etwas ganz Neues, und über Nacht setzen wie erwartet Gewitter und Regen ein. Es blitzt und donnert nonstop.

Auch am nächsten Tag nieselt es noch leicht vor sich hin, aber wir nehmen ein Remis ins historische Stadtzentrum. Die Kolonialarchitektur rund um die mit hohen Palmen bestandene Plaza 9 Juglio ist auch bei Regen schön und sehr gut erhalten.

Wir besuchen die mächtige Kathedrale mit ihren hohen Bögen und gewaltigen Kronleuchtern. Ihr vergoldeter Altar gleicht einer Supernova.

Der Fußboden – eine aufwändige Verlegearbeit aus verschiedenfarbigem Stein – scheint wie von M. C. Escher entworfen zu sein. Bei zu langem und zu intensivem Daraufschauen verschwimmt das dreidimensional wirkende Muster und wird mir schwummerig.

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Auch unsere vierbeinigen Freunde, die vielen heimatlosen Straßenhunde, sind in der Kathedrale willkommen und schlummern friedlich zu Füßen der mächtigen Pfeiler.

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In einem umgestalteten kolonialen Prachtbau gibt die Stadt jungen lokalen Designern im Erdgeschoß eine Ausstellungsplattform, im Obergeschoß sind Meetingräume angesiedelt. Der Prunk alter Zeiten ist noch spürbar.


Die Iglesia San Francisco ein paar Straßenzüge entfernt wirkt mit ihrer bunten Farbgebung sehr fröhlich und ganz anders als die Kirchen, die wir bisher in Südamerika besucht haben. Leider ist sie geschlossen und wir müssen uns mit einem Blick durch den Zaun begnügen.

Als es Abend wird haben wir uns reichlich Appetit angelaufen und lassen uns in einem Restaurant unter den Arkaden an der plaza nieder. Je später es wird desto mehr Menschen strömen auf den Platz, die Kathedrale wird in stimmungsvolles rosa scheinendes Licht getaucht, Schuhputzer bieten uns an, das Leben unserer Schuhe zu retten. Ja, Salta ist hübsch.

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Quebrada de Cafayate

Zwischen Cafayate und Salta erstreckt sich entlang des Rio de las Conchas über rund achtzig Kilometer die Quebrada de Cafayate, eine orange-braune Landschaft, die ein bisschen an den Grand Canyon erinnert. Die Sandsteinfelsen sind hier ganz unterschiedlich aufgeschoben, mal diagonal, mal vertikal, bilden tiefe Schluchten und haben durch Erosion teilweise bizarre Formen angenommen. Wie ein Chamäleon wechselt die Landschaft ihr Gesicht und ihre Farben, und im Minutentakt verschlägt es uns die Sprache.

Durch das tiefe Tal des Rio de las Conchas zieht sich eine fruchtbare Oase wie ein grünes Band.

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Wir legen an besonders markanten Punkten Stopps ein, manchmal auch unfreiwillig, weil eine Ziegen- oder Eselherde gemächlich die Straße kreuzt. Selbst hier in der Abgeschiedenheit der Quebrada leben Menschen mit ihren Ziegen und Llamas in einfachsten Verhältnissen und verkaufen selbstgebackenes Brot.

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Cafayate

Wir haben Cafayate erreicht, das höchstgelegene Weinanbaugebiet der Welt, und fallen hungrig wie die Wölfe erst einmal in einem Restaurant an der von der großen Kathedrale bewachten plaza ein. Der Tag war lang und gespickt mit Erlebnissen, so daß wir Bauch und Hirn dringend mit neuer Energie versorgen müssen. Geschafft wie wir sind bekommen wir nicht mit, daß wir unseren Wagen im eigentlich unübersehbar gekennzeichneten Parkverbot abstellen. Die lokale Polizei weist uns charmant darauf hin und bittet uns freundlich, ihn um die Ecke zu parken. No worries – alles ganz entspannt hier.

Mit einem ordentlichen Steak auf dem Teller und eisgekühltem Rosé im Glas geht es uns dann gleich besser.

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Hier in Cafayate garantieren viele Sonnentage und das trockene Klima perfekte Bedingungen für den Weinbau; die Reblaus hat hier keine Chance. Gekeltert werden vorwiegend Malbecs und Cabernet-Sauvignons, aber auch Torrontes, ein strohgelber fruchtig-trockener Weißwein.
Auf der Straße kommen wir mit einem argentinischen Paar aus Santa Fe ins Gespräch, die schon mehrfach diese Weinregion bereist haben und die ansässigen bodegas gut zu kennen scheinen. Wir lassen uns von den beiden einige Empfehlungen geben und gehen dann Wein „shoppen“. Zwei Rote, zwei Weiße und zwei Rosés finden später ihren vorübergehenden Platz in unserer Bordbar.

Das Dorf mit rund 12.000 Einwohnern ist mit seiner flachen Bebauung aus getünchten Häusern und gut erhaltenen Resten von Kolonialarchitektur sehr hübsch, die mit viel Grün bepflanzten Straßen spenden Schatten und die plaza lädt mit kleinen Cafés und Restaurants unter Arkaden zum Verweilen ein. In einer Seitenstraße hat der Künstler Manuel Cruz sein Haus mit einer Hauswand, die man guten Gewissens als „tierisch“ bezeichnen darf.

Aber hier in Cafayate wird in den rund dreißig bodegas nicht nur Wein produziert, sondern es gibt auch eine ortsansässige cerveceria, eine Bierbrauerei. Prompt spricht uns am Unimog der Braumeister an, ein Deutscher, der seit dreißig Jahren hier lebt und arbeitet. Das Hallo ist groß, und in der nächsten Stunde wir viel gedeutschelt.

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Ruinas de Quilmes

Ein kulturhistorisches Highlight jagt an diesem Tag das andere: Auf dem Weg nach Cafayate legen wir trotz unerträglicher Mittagshitze einen Stopp bei den auf 5.000 Jahre alt geschätzten Ruinen von Quilmes ein.

Die ehemalige Befestigungsanlage vom Volk der Quilmes zählt zu den bedeutendsten Funden Argentiniens. Ursprünglich wurde sie zum Schutz vor den kriegerischen Übergriffen der Inkas errichtet und diente dann im 16ten und 17ten Jahrhundert bei den blutigen Auseinandersetzungen mit den Spaniern als Schutzanlage. Schlußendlich setzten die Spanier die Felder in Brand und hungerten die Quilmes aus, bis ihr Widerstand gebrochen war.

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Die Anlage bzw. das, was heute noch davon steht, zieht sich an einer mit riesigen Kakteen bewachsenen Bergflanke mit prächtigem Blick über das Tal hoch. Im Hintergrund winken die schneeweißen Gipfel der umliegenden Sechstausender.

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Museo Pachamama

Der Kunsthandwerker Hector Cruz, der mit dem Anfertigen von Teppichen und Wandteppichen ein Vermögen verdiente, nutzte dieses für den Bau des bedeutendsten Kulturmuseums dieser Region, das Museo Pachamama im kleinen Amaichá.

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Bevor wir das Museum besuchen recherchieren wir, was dieser auch heute noch in den indigenen Gemeinden tief verwurzelte Glaube eigentlich bedeutet. Von Bolivien bis Peru, im Norden Chiles und jetzt hier im andinen Argentinien: Immer wieder kamen wir während der Reise in Berührung mit dem Pachamama-Glauben. Wir finden im Internet eine, wie wir finden, recht gute und ausführliche Beschreibung unter www.missio-hilft.de. Für alle, die mehr wissen möchten, hier der Link:

https://www.missio-hilft.de/media/thema/theologie/thew/4/ThEW_4-5-3_Caero.pdf

Zusammengefaßt ist nach dem Verständnis der Andenvölker die Pachamama die Mutter aller universellen Existenz. Der Name Pachamama setzt sich aus zwei Begriffen zusammen, nämlich Pacha und Mama. Das Wort Pacha als Eigenname in den beiden Andensprachen
Quechua und Aymara drückt die Gesamtheit der Zeit und des Raums aus und steht für
die Allheit der Existenz des Lebens. Das Wort Mama als das bekannteste Wort verschiedener Sprachen und Völker bedeutet das Bewusstsein, Mutter zu sein. Zusammengenommen bedeutet also Pachamama , Mutter der Gesamtheit aller lebenden und universellen Existenz
zu sein.

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Hector Cruz errichtete das Museum mit viel Liebe zum Detail und verwendete neben den in der Region vorkommenden natürlichen Materialien wie Stein und Kaktusholz traditionelle Motive der indianischen Kultur. Das schön angelegte Museum mit Blick über das Tal nimmt in moderner Form die traditionelle Steinbauweise der Indianer auf und zeigt in thematisch abgegrenzten Räumen die geologische Evolution der Valles Calchaquies in den vergangenen 600 Millionen Jahren sowie Kunsthandwerk, Werkzeuge, Musikinstrumente und die nachhaltige Lebensweise der präkolumbianischer Völker dieser Region.

Die überdimensionalen Steinmännchen hätten Erich von Däniken bestimmt begeistert und zu neuen wilden Paläo-SETI-Hypothesen verführt…

Besonders die Vielfalt der ausgestellten Steine ist beeindruckend: Hier kann man die wasserlösliche Wüsten- oder Sandrose, Halbedelsteine und Mineralien wie grün schimmerndes Malachit und auch versteinerte Baustämme bestaunen.

In einer Art Puppenhaus wird das präkolumbianische Leben der hier beheimateten Andenvölker geradezu liebevoll dargestellt: Von der ergrauten Großmutter am Spinnrad über die webende Mutter mit Baby auf dem Rücken bis zu wollenen Bonsai-Llamas, es fehlt nichts.

In großen Vitrinen werden die Feldfrüchte und die Tiere der Region, darunter auch das Gürteltier, welches wir schon des öfteren gesehen haben, ausgestellt.

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Respekteinflößend ist auch der Knochenfund einer Säbelzahnkatze, die einst hier in Nordargentinien beheimatet war.

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Die Themenvielfalt und ihre Präsentation sind unterhaltsam und lehrreich – wir halten uns viel länger auf als erwartet – und das Museum selbst ist ein gelungenes Gesamtkunstwerk.

Amaichá del Valle

Irgendwann ist die Detour zu Ende und wir können unserem geplanten Routing wieder folgen. Bevor es nach Salta geht möchten wir die abgelegenen Valles Calchaquies besuchen, eine 300 Kilometer lange Kette zusammenhängender Hochtäler am Osthang der Anden. In Serpentinen geht es durch die Yungas, den nebelverhangenen Urwald mit tropischer Vegetation, nonstop 1.500 Meter bergan bis auf über 2.000 Meter. Viele Urwaldriesen tragen Röckchen“ aus Parasitenpflanzen oder ganze Vorhänge aus Lianen. Die spektakuläre Fahrt führt auf nur wenigen Kilometern durch vier Klimazonen und über eine tiefe Schlucht.

Dann öffnet sich vor uns ein weites Tal mit einem großen Stausee. Wir passieren Tafi del Valle, das Tor zu den Dörfern in den Hochtälern, anschließend steigt die Straße weitere tausend Meter an und wir erreichen auf dem Paso Infernillo die 3.000 Meter-Marke. Nach dem Scheitelpunkt schlängelt sich das Asphaltband in großen Schleifen wieder bergab und wir haben einen fantastischen Blick auf das vor uns liegende, mit großen Kakteen bewachsene Tal von Amaichá mit der gigantischen Andenkette im Hintergrund, der Cordillere.

Auch jetzt am Nachmittag bei sengender Sonne hat sich der Nebel an den Hängen noch nicht vollständig verflüchtigt.

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Aimaichá del Valle liegt auf knapp 2.000 Metern und ist eine Comunidad Indigena, eine Gemeinde von Ureinwohnern vom Stamm der Calchaquies. Das Land hier gehört der Gemeinde und darf weder an Privatpersonen noch an Unternehmen, weder an Ausländer noch an Einheimische verkauft werden, man kann es lediglich befristet pachten. Argentiniern und dauerhaft in Argentinien ansässigen Ausländer kann von der comunidad ein Bleiberecht auf Lebenszeit gewährt werden.

Der kleine Ort, dessen 5.000 Einwohner großflächig verteilt in einfachen, aber sehr gepflegten Häsuern leben, ist ruhig und idyllisch. Keine laute Musik, wenig Verkehr, keine Hektik. Wir parken direkt im Zentrum an der kleinen plaza und die Menschen begegnen uns gelassen, sehr freundlich und unaufgefordert hilfsbereit. Einer sagt uns, wo es das beste Brot zu kaufen gibt, der nächste empfiehlt uns einen Metzger für das beste Fleisch, wieder einer möchte uns zu einer bekannten Holzstatue führen, die hier anscheinend große Bedeutung besitzt. Wir werden hier, obwohl wir bestimmt ein unübersehbarer Fremdkörper sind, herzlich aufgenommen und fühlen uns sofort wohl. Die Menschen hier haben Zeit füreinander, und so komme ich beim Rundgang um die plaza mit einer älteren Indigena ins Gespräch. Sie erzählt von sich und ihrem Leben hier, daß Amaicha 350 Sonnentage im Jahr hat, aber im Winter kurzzeitig auch manchmal so viel Schnee fällt, daß die Busse ihren Betrieb einstellen müssen. Der Nebel reicht, um hier im Hochtal alles wachsen zu lassen, und so kann sich Amaichá weitestgehend vollständig selbst versorgen. Auf den ersten Blick wirkt die Landschaft trocken, aber unterirdisch gibt es viele Wasserquellen, mit denen die Felder bewirtschaftet werden. Die plaza ist rundum mit einfach getünchten und manchmal kreativ bemalten Häuschen bebaut. In einem davon erstehen wir einen kleinen Topf reinen Kaktusblütenhonig, süß-herb und von fast schwarzer Farbe. Er paßt wunderbar zum hausgemachten Ziegenkäse diese Region.

Auf einigen Gebäuden sind bunte Handabdrücke zu finden, die Ausdruck des hier noch stark gelebten indianischen Glaubens an Pachamama sind. Er besagt, daß die Arbeit, die Gedanken und die Weisheiten die Hände der Pachamama sind, der zu Ehren hier in Amaichá ein Museum errichtet wurde.

Ende Gelände

Unser Tagesziel haben wir schon fast erreicht, als unsere Weiterfahrt abrupt durch eine Straßenblockade aus Menschentrauben und brennenden Autoreifen beendet wird. Geduldig warten wir eine Weile, dann fragen wir nach, ob es eine Chance gibt, durchzukommen. Es gibt keine, und die Blockade dauert nun schon drei Wochen.

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Die Menschen hier in den Regionen Catamarca, Tucuman und La Rioja leben von der Landwirtschaft, die Böden sind fruchtbar, Obst, Getreide, Tabak und Gemüse gedeihen prächtig und überall entlang der Fernstraße sitzen große Agrarunternehmen mit modernen Bürogebäuden, großen Hallen und Silos. Trotzdem bleibt den Landarbeitern kaum Geld zum Leben übrig. Das Gefälle zwischen Arm und Reich ist groß in Argentinien, und hier, südlich von San Miguel de Tucuman, ist es besonders offensichtlich. Armselige Hütten, wie wir sie in Peru zuletzt gesehen haben, säumen die Straße. Mit der Blockade hoffen die Landarbeiter, in Buenos Aires höhere Löhne erringen zu können, nur: Welchen Politiker in der Hauptstadt interessiert es, wenn zwischen San Fernando de Catamarca und San Miguel de Tucuman die Ruta 60 blockiert wird?

Wir sind gezwungen, einen Umweg von über 70 Kilometern zu fahren, der in weiten Teilen über holprige Feldwege und durch Zuckerrohr- und Maisfelder führt. In der Nacht hatte es geregnet, und an manchen mit Wasser gefüllten Schlaglöchern sammeln sich Schwärme kleiner gelber Schmetterlinge. Von den Vibrationen des Unimogs aufgeschreckt fliegen sie auf und tanzen einen Moment wie Konfetti vor unserer Windschutzscheibe. Immer wieder huschen flinke Feldhamster panisch über die Piste und manchmal auch ein kleines Gürteltier mit seinem knöchernen Panzer, aus dem lange borstige Haare sprießen.

Auf den Karten von MapsWithMe hatten wir gesehen, daß wir den Rio Seco (Trockener Fluß) queren müssen. Als wir an die betreffende Stelle gelangen, ist von einer Brücke keine Spur zu sehen. Normalerweise könnten wir den Fluß mit dem Unimog einfach durchfahren, aber in den vergangenen Tagen hat es in der westlich gelegenen Sierra Aconouija heftige Regenfälle gegeben und der jetzt schnell fließende Fluß führt seinem Namen zum Trotz sehr viel Wasser und roten Schlamm. Da reicht auch die Unimog-Wattiefe von 1,30 Meter nicht aus. Für uns heißt es, zum zweiten Mal an diesem Tag, Ende Gelände und es geht viele Kilometer weiter über einsame Wege durch die Felder, in denen verstreut und abgelegen winzige Farmhäuser liegen, deren Bewohner in Shorts und Unterhemd draußen auf einem Plastikstuhl sitzen und die Zeit vorbeiziehen lassen.

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Archaeopteryx-Treffen

Wie muß man sich das Aufeinandertreffen zwei Flugsaurier vorstellen? Auf jeden Fall mit viel Fliegen, geradezu obszönen Mengen an rotem Fleisch und ebenso viel Bier. Wir lernen hier in La Rioja das argentinische Pendant zum deutschen Hugo kennen: Hugo Aguila, Drachen- und Gleitschirmpilot, Ausbilder, Weltmeisterschaftsteilnehmer und mit über dreißig Jahren aktiver Flugerfahrung ein ebensolcher Dino in der Szene wie Hugo.

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La Rioja ist eine untouristische Kleinstadt an den Ausläufern der Anden, unspektakulär, da sie keine großartigen Monumente oder andere kulturhistorische Highlights vorzuweisen hat, aber dafür umso authentischer. Sie zählt zu den ältesten Städten Argentiniens und ihre Gründungsstätte ist heute noch ihr Zentrum. Bei unserer Suche nach dem Landeplatz fahren wir durch auffallend schöne Wohngebiete. Geschmackvolle, weiß getünchte Villen im Fincastil mit lackierten Dachziegeln, die das Sonnenlicht reflektieren, oder puristische Designerhäuser aus Stein und Glas stehen auf großen, mit altem Baumbestand bewachsenen Grundstücken. Gärtner fegen Laub zusammen, sprengen den Rasen oder beschneiden die Bäume, ansonsten ist kaum jemand zu sehen, als wir durch die Straßen fahren. Später erfahren wir, daß hier Teile der politischen Oberschicht Buenos Aires einen Zweitwohnsitz haben.

Am nahegelegenen Landeplatz, dessen Gelände sich bereits seit vielen Jahren im Besitz des Aeroclubs befindet und dank der bevorzugten Lage bestimmt auch finanziell für den Club eine gute Investition ist, schlagen wir unser Quartier auf. Unsere einzigen Nachbarn sind Herr Esel und Frau Pferd.

Nach einigen Flügen mit dem Gleitschirm möchte Hugo sich endlich einmal wieder unter seinen alten Drachen hängen, den wir die ganze Zeit auf dem Dach spazieren fahren. Die thermischen Bedingungen passen gut, also wird das alte blaue Möfchen seit dem Flug über die große Sanddüne von Iquique in Chile das erste Mal auf dieser Reise wieder ausgepackt. Aus der Verpackung genommen entfaltet der Drachen vorsichtig wie ein aus seiner Verpuppung schlüpfender Schmetterling die Flügel. Trotz manch wilder Pistenrumpelei ist das Material unversehrt, Hugo stürzt sich vom Berg und kann einen schönen intensiven Flug in den Abendstunden genießen. Anschließend wechselt der alte Drachen spontan den Besitzer – er wandert von Hugo an Hugo. Für uns lohnt es nicht, den Drachen wieder zurück nach Europa zu transportieren, zumal zuhause der schnelle Atos ungeduldig wartet und geflogen werden will.

Abends lädt uns Hugo zusammen mit einer Handvoll argentinischer Piloten zur parrilla zu sich nach Hause um die Ecke ein. Ein Industriedesigner, ein Modedesigner, ein Elektroingenieur, ein Unternehmer ohne Unternehmen … die Runde ist bunt, das offene Feuer nach unseren europäischen Maßstäben gigantisch. Der asador, der Grillmaster, darf oben ohne am Feuer brutzeln; ihm in seine alle Hingabe und Konzentration fordernde Aufgabe hinein zu reden ein wäre ein unverzeihliches Sakrileg.

Vor 23.00 Uhr, bis die Gluthitze des Tages nachgelassen hat, wird hier nicht zu Abend gegessen. Als Vorspeise gibt es verschiedene Sorten Wurst, darunter morcilla, eine Art argentinische Flöns mit vielen Gewürzen, die beim Grillen fast zu Bröseln zerfällt und nach einem Hauch von Weihnachten schmeckt – sehr lecker. Als Hauptgang gibt es Unmengen an Fleisch, Fleisch und noch mal Fleisch… und zum Dessert … Fleisch. Dazu wird chimichurri gereicht, ein Dip aus Olivenöl, Knoblauch und Petersilie. Die Jungs trinken aus einem gut zwei Liter fassenden Becher eine gruselige Mischung aus Cola und Fernet Branca, ich bleibe lieber dem guten Malbec treu.

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Von irgendwoher zaubert plötzlich jemand eine Gitarre an den Tisch und die Jungs beginnen zu singen. Von Folksongs über Pop bis zu fetzigem argentinischem Rap reicht ihr Repertoire, alle haben eine tolle Stimme und scheinen auch textsicher zu sein. Respekt. Unsere Frage, ob sie in einer Band singen, wird verneint, und Perro Verde – warum er sich selbst Grüner Hund nennt bleibt auch in dieser Nacht sein Geheimnis – erklärt, daß in der Region Catamarca, aus der sie stammen, alle Menschen singen können und für die Musik leben. Irgendwann, es ist schon fast Morgen, fallen wir in unsere Koje.

Ischigualasto oder Ein Champignon in der Wüste

Wie eine langgezogene Oase zieht sich das grüne Valle Fertíl durch die ansonsten karge, jetzt im Sommer mit über 40 Grad bullenheiße Landschaft. Die Straße ist entgegen allen Informationen asphaltiert, ähnelt aber einer Berg- und Talbahn und bringt Unimoppel so richtig in Wallung. Die kleinen Dörfer sind für die betuchteren Einwohner des 250 Kilometer entfernten San Juans eine Art Sommerfrische, aber der Tourismus findet auf ganz kleinem Niveau statt und so haben die Orte ihre Beschaulichkeit, um nicht zu sagen verschlafene Verträumtheit, noch nicht eingebüßt.

Unser Ziel ist der Parque Provincial Ischigualasto, eine ausgedehnte Erosionslandschaft, ein Mekka der Dinojäger und ein Paradies für Fossiliensucher aus aller Welt. Vor 250 bis 199 Millionen Jahren, während der Trias, war hier Saurierland. Die Anden waren noch nicht aufgeschoben, so daß der vom Pazifik kommende Regen für üppige tropische Vegetation und Nahrung sorgte. Die Schichten der Trias liegen hier nicht viele Kilometer tief in der Erde, sondern offen und für das bloße Auge erkennbar. Hier entdeckten Paläontologen unter anderem den ältesten Dinosaurier der Welt, einen Eoraptor mit 228 Millionen Jahren, und auch heute noch gibt es jährlich neue spektakuläre Funde. Auch die kleinen bißwütigen Freunde mit den spitzen Zähnen, die in Jurassic Park die Küche zu einem so ungastlichen Ort machen, finden sich hier in großen Zahlen. Das kleine naturwissenschaftliche Museum am Parkeingang zeigt einige Saurierfunde und gibt Auskunft über die Entstehungsgeschichte dieser Landschaft.

Um die Einzigartigkeit der bizarren, aber sensiblen Landschaft nicht zu zerstören fährt man hier mit dem eigenen Fahrzeug im Konvoi einem ausgebildeten Parkführer hinterher, der an markanten Punkten sehr kenntnisreich über die geologische Evolution informiert. Er nimmt uns mit auf eine faszinierende Zeitreise; es geht viele Jahrmillionen in der Erdgeschichte zurück. Nur zehn Prozent des 630 Quadratkilometer großen Parks sind für die Öffentlichkeit zugänglich; über Sandpiste fahren wir in gut drei Stunden rund vierzig Kilometer. Der backofenheiße Wind bläst unentwegt und die Felsformationen scheinen in der Hitze zu regelrecht zu glühen. An manchen Tagen, wenn der sogenannte zonda mit über sechzig Grad und hoher Geschwindigkeit von den Anden herab durch die Landschaft fegt, muß der Park geschlossen werden, weil vor lauter Staub die Piste nicht mehr sichtbar ist.

Mit im Konvoi fährt eine „Motorradgang“, deren eigenwillig dekorierte Maschinen eher Kunstwerken gleichen.

Besonders markante Stellen im Park tragen Namen. Die Formation Los Rastros (= Die Spuren) zeigt anschaulich die verschiedenen Stufen der Evolution: Die sandigen Schichten zeugen von einem immer trockener gewordenen Klima, nachdem die Andenkette von den Erdkräften wie eine Klimabarriere aufgeschoben war; wohingegen die unteren Schichten mit ihren Fossilien und versteinerten Farnen Zeugen der vorangegangenen tropischen Zeit sind. Auch heftige Vulkanausbrüche, die sich vor Millionen Jahren ereignet haben, sind in Form von schwarzen Streifen auf ewig dokumentiert.

Giorgia O´Keeffe hätte an den skulpturenhaften Felsformationen ihre Freude gehabt. Auch wenn die Landschaft lebensfeindlich zu sein scheint ist sie Heimat einiger Tierarten, die mit wenig Wasser auskommen. Wir sehen Guanakos, die uns neugierig beäugen, und sogar einen Fuchs, dessen geschecktes Fell farblich mit den Pastelltönen der Umgebung zu verschmelzen scheint.

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Das Valle Pintado, das bemalte Tal, ist eine viele Kilometer lange polychrome Felsformation, deren Farben in der nachmittaglichen Sonne zu leuchten scheinen. Wir blicken in das weite Tal, aus dem die Stille wie Rauch aufzusteigen scheint.

Das Spiel der Farben im Licht ist so schön, daß selbst die beinharten Rocker, die „Verfluchten Ratten“, andächtig schauen und zu sprachlosen Softies mutieren.

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Im Flussbett des Rio Seco, des trockenen Flusses, findet man unzählige Felskugeln verschiedener Größe, die wie in die Ebene katapultierte eiserne Kanonenkugeln ausschauen. Die Gesteinsbrocken erhielten ihre kugelige Gestalt aufgrund ihrer besonderen Metallhaltigkeit. Werden sie in klaren Nächten vom Mondlicht angestrahlt, beginnen sie zu fluoreszieren.

Star des Parks aber ist ein Monolith, „El Hongo“, der wie ein riesiger Champignon in den blauen Himmel ragt und trotz der häufigen Erdbeben in dieser Region noch immer nicht umgefallen ist.

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Wir hoffen, er stürzt nicht gerade jetzt um, wo wir daneben stehen.

 

 

Difunta Correa

Entlang der Straßen in Argentinien, aber auch in Chile, haben wir immer wieder kleine Altärhäuschen gesehen, die von Hunderten oder gar Tausenden Plastikflaschen umgeben waren. Dachten wir anfangs noch an punktuelle Vermüllung und eine unverzeihliche Umweltsünde in den sonst recht sauberen Ländern, so wurde schnell klar, daß es sich dabei um einen religiösen Brauch handelt.

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Viele Argentinier und Chilenen glauben an den Schutz der Difunta Correa, der Schutzpatronin für Verkehr und Reisen. Von der katholischen Kirche ist sie nicht anerkannt, also auch keine Heilige, aber an jedem Busbahnhof steht sie in einer Vitrine und wird wie eine Heilige verehrt. Entlang der Fernstraßen haben Menschen kleine Altäre errichtet, vor denen Reisende, Brummifahrer, Motorradfahrer und Busfahrer gefüllte Wasserflaschen abstellen und um ihren Schutz beten.

65 Kilometer östlich von San Juan und fast unmittelbar an unserer Strecke liegt der Wallfahrtsfahrtsort der Difunta Correa. Nachdem wir so viel darüber gehört und so viele Straßenaltäre gesehen haben statten wir dem für unseren Geschmack etwas befremdlich anmutenden Ort einen Besuch ab.

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Und so geht die Geschichte: Maria Antonia Deolinda y Correa folgte mit ihrem Säugling auf dem Arm zu Zeiten des Bürgerkriegs 1841 ihrem von Soldaten verschleppten Mann. Nach 34 Kilometern Fußmarsch auf der Straße verdurstete sie hier in der Wüste. Tage später fanden Maultiertreiber ihre Leiche, aber wie durch ein Wunder lebte der Säugling noch und nuckelte an den nach wie vor Milch spendenden Brüsten der Verstorbenen. Ein Wunder, ohne Zweifel.

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Wer immer eine Reise oder längere Fahrt plant erbittet den Schutz der Difunta Correa, und wer immer von ihr aus einer gefährlichen Situation gerettet wurde stattet ihrem Grab zum Dank einen Besuch ab. Der Wallfahrtsort ist eine Anhäufung aus kleinen Hotels, Restaurants und verschiedenster Devotionalien. An kleinen Kiosken kann man gegen Bares neben bunt bemalten Gipsmodellen der liegenden Difunta Correa mit ihrem Säugling an der Brust rote Stoffbänder mit Vordruck erstehen: Beschütze meinen Honda oder Beschütze meinen Mercedes oder Beschütze meine Suzuki oder Beschütze meinen IVECO…

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Autofahrer hinterlassen an der Grabstätte ihre KFZ-Schilder, verbogene Felgen oder geplatzte Autoreifen, Straßenbauarbeiter ihre Helme oder Schuhe. Brummifahrer stellen Modelle ihrer LKW ab, die in einem eigenen Raum ausgestellt werden, oder hängen Fotos ihrer bei einem Unfall demolierten Wagen auf, denen sie Dank Difunta Correas Beistand heil entstiegen sind. Da auch die Ehe als lange Reise betrachtet wird geben Bräute ihre weißen Kleider nach der Vermählung sicherheitshalber auch ab. Und überall auf dem Gelände stehen Abertausende Plastikwasserflaschen. Im Schrein selbst liegt eine fast lebensgroße Statue der Difunta Correa.

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Vieles ist hart an der Grenze zum Kitsch und für uns befremdlich, trotzdem beeindruckt der unbeirrbare Glaube der Menschen auf seine Weise.