La Cumbre

Irgendwann haben wir es trotz der Wassermassen und aufgeweichten Straßen geschafft. Wir erreichen die hübsche kleine Stadt La Cumbre, auf rund 1.300 Meter in den Sierras gelegen und eines der Ausflugsziele für die in Cordoba lebenden Großstädter. Im Sommer, wenn es in der Ebene erdrückend heiß ist, weht hier in den Sierras immer noch ein erfrischendes Lüftchen, und so haben zahlreiche Familien hier einen Zweitwohnsitz. Der Baustil ihrer Häuser reicht von einfachem Holzhaus bis hin zur Villa im englischen Landhausstil; alles ist sehr gepflegt. Der kleine Ort strahlt Ruhe und Gelassenheit aus.

Wir legen einen Stopp am ehemaligen Bahnhof ein. Beim Bummel durch das Städtchen lernen wir ein Arztehepaar Anfang 60 aus Buenos Aires kennen. Nach dem üblichen Geplänkel woher, wohin, wie lange, wie gefällts kommen die beiden von sich aus auf die politisch und wirtschaftlich desolaten Zustand Argentiniens zu sprechen. Nur wenn wir so offen auf diese Themen angesprochen werden gehen wir darauf ein; ansonsten halten wir uns sehr bedeckt.

Die beiden Ärzte beklagen die marode Wirtschaft des Landes. Die Bevölkerung wird mit Regierungspropaganda überhäuft: „Hier entsteht die 210te neue Schule „Nestor Kirchner“… hier wird der 320te Fußballplatz „Nestor Kirchner“ errichtet …. überall entlang der Hauptstraßen ist das überdimensionale Konterfei Christina Kirchners mit „frohen Botschaften“ für das Volk unübersehbar präsent. Faktisch interveniert die Regierung in die Wirtschaft und unterbindet alle Anreize für unternehmerisches Engagement. In Folge bleiben dringend erforderlich Investitionen aus. Besonders der Energiesektor leidet stark darunter; Argentinien wird zunehmend abhängiger von Importen und die eigenen Wirtschaftspotenziale liegen brach.

Schattenhaushalte führen zu unkontrolliertem Wachstum der Staatsausgaben, das Gesetz wird ausgehebelt, liberale Bürgerrechte ausgehebelt, die Pressefreiheit zunehmend eingeschränkt, Korruption bei Politikern und Beamten bleibt meistens ungeahndet. Interessant: Seit 2003 der mittlerweise verstorbene Nestor Kirchner zum Präsidenten gewählt wurde hat sich innerhalb von nur sieben Jahren das Privatvermögen der Kirchners nachweislich von 1,8 Mio EURO auf 13,2 Mio Euro vermehrt. Rechenschaft darüber legt Christina Kirchner nicht ab; der Verdacht auf zwielichte Geschäfte liegt nahe.

Das Arztehepaar zeichnet ein düsteres Bild der argentinischen Wirtschaft und Demokratie, bleibt aber erstaunlich gelassen. Wir fragen, ob sie sich von den Wahlen im Oktober 2015 Änderungen versprechen. Sie zucken mit den Achseln und meinen nur: „Ach wissen Sie, wir Argentinier leben einfach damit. Mal geht es zehn Jahre rauf, dann mal zehn Jahre runter. Wir Leute von der Straße können es doch nicht beeinflussen“. Doch, könnt ihr!

Fünfzehn Kilometer außerhalb von La Cumbre liegt der Start- und Landeplatz für Gleitschirmflieger, nur 350 Meter höher als die Umgebung, aber der Ausblick ist gigantisch. Weit kann der Blick in die Ferne schweifen, durch das grüne Tal windet sich der Rio Pinto, vor unseren Augen kreisen zwei Kondore. Hugo kann einige schöne Flüge genießen; einmal kreist er in einem Abstand von nur fünf Metern mit einem Kondor in einem Thermikbart.

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Vor Anbruch der Dämmerung fahren wir eine enge Schotterpiste die Berge hinunter zum Rio Pinto, wo wir die Nacht verbringen wollen. Durch die Regenfälle der letzten Tage sind alle Bäche gut mit Wasser gefüllt und so liegen auf der kurzen Strecke ins Tal mehr als zehn holprige Wasserdurchfahrten.

Wir finden einen schönen Stellplatz im Gebüsch am Ufer des Flusses. In den Bäumen rundum leben kleine grüne Papageien und andere Vögel, und vor unseren Füßen hüpfen Microfrösche von einem Zentimeter Größe durch den Sand. Am nächsten Morgen sitzen wir noch vor dem Frühstück gemütlich im glasklaren Wasser des Rio Pinto und genießen die Abgeschiedenheit in der Natur. Außer den lärmenden Papageien ist niemand da, der uns stören könnte. Dumm nur, daß meine Flipflops von einer Welle erwischt und davon gespült werden.

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