Quebrada de las Flechas

Von Cachi bis Cafayate wurde eine kurvenreiche Sand- und Schotterpiste rund 180 Kilometer mitten durch die bizarren Felsformationen der Quebrada de las Flechas geschoben, was „Schlucht der Speere“ bedeutet. Ein bisschen erinnert die Landschaft mit ihren in der gleißenden Sonne grau, orange und weiß leuchtenden Felsen an das Monument Valley in Utah. Über allem wacht der 6.380 Meter hohen Nevado de Cachi vor dem azurblauen Himmel Nordargentiniens.

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Es gibt immer wieder Engstellen, Brücken mit nur einer schmalen Fahrbahn und ohne „Geländer“ und blinde Kurven, in denen wir inständig hoffen, daß Gegenverkehr ausbleibt, da es neben der Piste bedenklich weit abwärts geht. Teilweise rumpeln wir mit nur 20 kmh voran. Öffentlichen Busverkehr, der die Dörfer miteinander verbindet, gibt es auf dieser Strecke nicht; die Piste ist gänzlich unbefestigt und einfach zu schlecht. Prompt treffen wir unterwegs auf einen 4×4, der in einer Kurve seitlich weggerutscht ist und sich im Sand eingegraben hat. Zum Glück ist niemandem etwas passiert. Wir bieten an, den Wagen mit der Winde aus dem Sand zu ziehen, aber ein örtlicher Trecker steht schon bereit.

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An manchen Stellen schlägt die Piste unvermittelt eine Haken um einzelne Häuser herum, dann wird es auf baumbestandenen Alleen sehr eng, Ziegen oder Esel springen plötzlich über die Fahrbahn, oder am linken Pistenrand befindet sich ein gut gefüllter Bewässerungskanal und am rechten eine wuchernde Hecke. Und nirgendwo Platz zum Ausweichen. Hugo fährt mit äußerster Konzentration.

Heller Sandstein prägt das enge Tal, und die Felsen ragen schräg und spitz wie Speere aus dem Boden. Die Landschaft ist karg, gleicht einer Marslandschaft; aber entlang des schmalen, ganzjährig Wasser führenden Flusses wächst viel Grün. Viele Feldfrüchte gedeihen in dem heißen Klima mit 350 Sonnentagen pro Jahr bestens und die Orte können sich nicht nur selbst versorgen, sondern die Produkte auch in andere Landesteile exportieren.


Unterwegs treffen wir auf kleine Ortschaften, pueblitos, die meist aus nicht mehr als einer Handvoll Häusern und einer kleinen Kirche mit Glockenturm bestehen. Die schönsten Kirchen sehen wir in Los Sauces, San Rafael, La Mercad und Santa Rosa.

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Die einfachen, eingeschossigen Häuser der Bauern sind fast ausnahmslos in der Farbe des sie umgebenden puderfeinen Staubes getüncht, eine verwaschene Mischung aus Rosa und Beige. Einige von ihnen fallen uns durch ihren besonderen Baustil auf: Sie verfügen auf der Frontseite über eine großzügige Veranda in der gesamten Breite des Hauses, die von mächtigen Säulen geziert wird. Ein Stil, den wir auf unserer Reise nirgendwo anders gesehen haben und der schon fast griechisch anmutet. Der Anteil der Mestizen und Indios an der hier lebenden Bevölkerung ist auffällig hoch, meist trifft man auf Angehörige des Volks der Diaguita-Calchaquíes. Es sind schöne Gesichter, die uns freundlich und neugierig anlächeln. Massentourismus gibt es in dieser Abgeschiedenheit noch nicht.

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In vielen Ortschaften sehen wir schon von weitem rotleuchtende „Flicken“ in der ansonsten beigefarbenen Landschaft. Es ist gerade Erntezeit für die Chilischoten, die hier pimientos heißen, und die Früchte liegen in großen Flächen ausgebreitet zum Trocknen in der Sonne. Sie sind weniger scharf als ihre mexikanischen Verwandten.

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Außerhalb der Dörfer liegen die Friedhöfe und wirken in der Landschaft leicht surreal. Die Gräber sind zum Teil schon sehr alt und verfallen, die neueren hingegen sind mit grellbunten Plastikblumen geschmückt, die weithin leuchten. Häufig liegen die letzten Ruhestätten auf kleinen Hügeln, damit es die Verstorbenen nicht so weit in den Himmel haben.

In der heraufziehenden Dämmerung ziehen große Raubvögel auf der Suche nach Mäusen, Chinchillas und anderen Kleintieren über dem Tal und den Bergen ihre Kreise, Papageien fliegen laut schnarrend in Scharen zwischen den Bäumen umher. Wir sehen zwei Füchse umherstreichen, und aus dem Tal klingt die durchdringende Musik der Frösche und Zikaden bis zu uns hinauf. Unglaublich, welchen Krach diese kleinen Tiere machen können. Die Nacht verbringen wir abseits der Piste in einem Kakteenfeld. Die haushohen Pflanzen werden von den Indigenas cardónes genannt, Wächter. Die Legende sagt, daß jeder cardón ein Verstorbener ist, der über das Hochland wacht. Irgendwann, wenn ihre Zeit gekommen ist, erwachen diese Ahnen und erheben sich, um das Blutbad der spanischen Konquistadoren zu rächen, welches diese einst angerichtet hatten.

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Die Abendgeräusche der Tiere um uns herum halten noch lange an, aber als ich gegen zwei Uhr morgens vor die Türe trete, herrscht absolute Stille. Kein Laut ist zu hören, eine Stille, so dick, daß sie in den Ohren widerzuhallen scheint. Und über mir offenbart sich der klarste Sternenhimmel, den ich bisher gesehen habe. Myriaden von großen und kleinen Lichtpunkten funkeln um die Wette.

Am nächsten Tag setzen wir die Fahrt über die schönen ruhigen Hochtäler von Amaicha und Tafi del Valle fort, die wir bereits besucht haben. Es ist immer wieder das klare Licht, das die Fahrt durch die Anden zu einem besonderen Erlebnis macht, wenn die Schatten der Wolken über die Straßen und die mit Hartbüschelgras bewachsenen, weiten Ebenen wandern.

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