Sintflut

Wir verlassen, dieses Mal endgültig, die Valles Calchaquiés und stürzen uns fast zweitausend Meter tief in Serpentinen durch die dicht bewaldeten Yungas bis in die fruchtbare und dicht besiedelte Ebene von Tucumán. Hier erstreckt sich die einzige nicht wüstenhafte Region des argentinischen Nordwestens.

Ab hier liegt eine lange Strecke über asphaltierte Fernstraßen durch ländliche Gebiete vor uns. Die Straßen sind relativ frei von Schlaglöchern, aber dafür voller Zentimeter tiefer Spurrillen, die die schweren LKW in den von der Sonne angeschmolzenen Asphalt gegraben haben. Wir fahren an Soja-, Bohnen-, Mais- und Zuckerrohrfeldern vorbei, die schon fast die Ausmaße der Plantagen in Brasilien haben. Jardín del país, Garten des Landes, nennen die Argentinier dieses Stückchen Erde.

In den Hochtälern zwischen der Kordillere und dem Andenhauptkamm brannte die Sonne, hier dagegen ist der Himmel über uns von großen grauen Wolken bedeckt, die von der Andenkordillere am Weiterziehen gehindert werden und sich an ihrer Ostflanke stauen. Die ersten Vorboten der Schlechtwetterfront hatten wir schon in Salta gesehen, jetzt entladen sich die himmlischen Wasserspeicher und es regnet fast nonstop. Die Salinas Grandes und Salinas de Ambargasta nördlich von Cordoba stehen bereits unter Wasser, als wir zwischen ihnen hindurch fahren.

Am frühen Abend erreichen wir die nördliche Peripherie des Großraums Cordoba. Es regnet noch immer. Wir haben vor, noch rund siebzig Kilometer weiter nach La Cumbre zu fahren, um dort die nächsten Tage in den Sierras zu fliegen, aber die Anfahrt gestaltet sich als schwierig bis unmöglich. Unser erster Versuch scheitert, weil alle Straßen östlich der Sierras von der Polizei bereits gesperrt sind. Flüsse sind über die Ufer getreten und führen roten, aufgewühlten Schlamm in ihren Fluten, Felder und Wiesen stehen komplett unter Wasser, die Pisten sind zu Matsch aufgeweicht und in den Bergen drohen Erdrutsche, Schlammlawinen und Steinschlag. Wir fahren zurück und suchen eine weiträumige Umgehung.

Als die Sonne fast untergegangen ist färbt sich der Himmel in einem bedrohlichen Grün-Schwarz. Minuten später ist die Gewitterfront mit voller Wucht da. Vor uns am Horizont zuckt ein gewaltiger Blitz aus den Wolken, steht wie ein glühender Pfeil in der Luft und teilt den Himmel sekundenlang in zwei Hälften, bevor er in den Boden einschlägt. Der Strahl aus purer Energie muß mehrere Meter breit gewesen sein und der Donnerschlag, der darauf folgt, ist ohrenbetäubend laut.

Wir versuchen, trotz des vielen Wassers von oben, uns unserem Ziel La Cumbre irgendwie zu nähern, aber der Umweg erweist sich ebenfalls als nicht fahrbar, auch nicht mit 4×4 oder Unimog. Die Polizisten an den neuralgischen Verkehrspunkten haben die Straßen in die Richtung komplett abgeriegelt und raten uns zu einer anderen, noch weiträumigeren Umfahrung von Cordoba, um auf die andere, die westliche Seite der Sierras zu gelangen. Von dort könnten wir dann von Süden her La Cumbre ansteuern. Weiträumig bedeutet einen Umweg von mindestens 150 bis 200 Kilometern… Inzwischen ist es stockfinster, und so beschließen wir, die Nacht an der Tanke zu verbringen und abzuwarten, was der neue Tag bringt. Über Nacht setzt sich der Regen in unverminderter Stärke fort und trommelt in lautem Stakkato auf unser Kabinendach. Als ich am nächsten Morgen aus dem Kabinenfenster schaue traue ich meinen Augen nicht: Wo gestern noch die Straße war … schwimmt heute eine Ente! Ohne Quatsch. Die Fernstraße hat sich in einen braunen Fluß verwandelt, der Schlamm, Äste und Gestrüpp mit sich führt. Der potenzielle Umweg ist somit auch verbaut, wir sitzen vorläufig fest. Einige andere Wagen hat das gleiche Schicksal ereilt.

Bei einem Kaffee an der Tankstelle tauscht man sich aus, alle sind unaufgeregt und nehmen die Situation mit Gelassenheit. Von der Polizei, die eine „Einsatzzentrale“ direkt an der Tankstelle eingerichtet hat, erfahren wir, daß die Überschwemmungen bisher ungekannte Ausmaße angenommen haben. Die gesamten Provinzen Santiago del Estero, Salta, Tucuman, Santa Fe und Cordoba sind von der Katastrophe betroffen, ganze Straßenabschnitte wurden weggespült, Brücken sind eingestürzt, das Handynetz ist ausgefallen, WiFi geht nicht mehr… Bei den Einsatztruppen herrscht höchste Alarmbereitschaft.

Beim Frühstück stellen wir Überlegungen an, wie wir den Unimog am geschicktesten zu einer Arche Noah umbauen. Am besten fällen wir mit unserer Axt und Säge ein paar der umstehenden großen Bäume, schnallen den Wagen einfach auf das improvisierte Floß und sammeln dann paarweise die Tiere: zwei Llamas, zwei Esel, zwei Schafe, zwei Gürteltiere, zwei Papageien, zwei Schlangen…

Es ist leicht, zu frotzeln, wenn man wie wir sicher und im Trockenen sitzt. Wenn wir an die Menschen und ihre einfachen Behausungen auf dem Land entlang der gefahrenen Strecke denken, wird uns ganz anders zumute. Tausende bringen sich vor den Fluten in Sicherheit, zwölf Menschen verlieren ihr Leben. Tage später schickt uns DerNachbar einen Link; auch in Deutschland wurde über die Katastrophe berichtet:

http://www.spiegel.de/fotostrecke/argentinien-hochwasserkatastrophe-in-cordoba-fotostrecke-124490.html

Im Laufe des Tages lässt der Regen nach und das Wasser beginnt abzulaufen. Gegen 18.00 Uhr gibt die Polizei Teilentwarnung. Auch wenn die Straßen noch unter Wasser stehen: PKW müssen weiterhin warten, aber LKW mit großen Reifen dürfen fahren, und so starten wir den Motor in der Hoffnung, heute La Cumbre zu erreichen.

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