Die Kinder von Llullaillaco

Wir besuchen das MAAM, das Museo de Arqueologia de Alta Montana in Salta, in welchem die in Europa fast unbekannten Ninos de Llullaillaco ausgestellt sind, die besterhaltenen Mumien der Welt. Erst 1999 wurden sie auf dem Gipfel des 400 km entfernt liegenden Vulkans Llullaillaco (6.739 m) an der Grenze zu Chile ausgegraben. Archäologen und Bergsteiger einer National Geographic Expedition bargen aus dem Boden drei tiefgefrorene, ca. 500 Jahre alte Kindermumien. Das Team arbeitete 13 Tage unter widrigen Umständen, wie Schneestürmen und Kälte bis -37 °C, und legte neben den Mumien zahlreiche aufschlussreiche Artefakte frei

Wir hatten über das Museum gelesen und waren zunächst skeptisch. Wollen wir uns wirklich einen argentinischen Ötzi anschauen?

Im Zentrum der Ausstellung steht ein Ritual der Inka, in welchem Kinder von „hoher Geburt“ aus den vier Landesteilen des Inka-Reiches nach Cusco entsandt und dort miteinander – und damit symbolisch mit den Göttern – „verheiratet“ wurden. Zweck dieses Rituals war eine Festigung des Inkareichs mit seinen gewaltigen Ausdehnungen. Anschließend kehrten die Kinder in ihre Heimat zurück und wurden dort geopfert. Das Erbringen von Menschenopfern war damals üblich und wurde capacocha genannt.

Das Museum stellt das Ritual in einen kulturhistorischen Kontext und beschönigt dabei nichts. Zu sehen sind neben Ausrüstungsgegenständen und Bekleidung der Expedition von 1999 auch gut erhaltene Grabbeigaben, Fotodokumente und vieles mehr. Höhepunkt des Besuches ist jedoch unzweifelhaft die Ausstellung je einer der drei gefundenen Kindermumien. Heute ist es „The Lightning Girl“, das kleine Mädchen. Die Museumsräume sind andächtig still, die Temperatur ist kühl. Gegen Ende des Rundganges erreicht man eine Art gläserne Kapsel mit dem kleinen, erst sechs Jahre alten Mädchen, den zerbrechlichen Körper eingehüllt in rostbraune Stoffbahnen, die Beine untergeschlagen. Ihre Gesichtszüge sind gut zu erkennen, der Mund ist leicht geöffnet, die Augen sind geschlossen. Trotzdem hat man das Gefühl, das Mädchen schaue einen anklagend an. Auf einer Gesichtshälfte ist eine Brandverletzung zu erkennen, die durch einen Blitzschlag nach dem Tod verursacht wurde.

P1240571 - Kopie

Im gleichen Grab wurden ein siebenjähriger Junge und ein ungefähr 15jähriges Mädchen gefunden. Ihr Zustand ist gleichfalls unversehrt. Die Mumien werden heute nach dem Verfahren der Cryopreservation konserviert.

P1240572

Videos berichten ausführlich über die bisherige Arbeit und die Ergebnisse der internationalen Wissenschaftler, die die Mumien seit dem spektakulären Fund untersucht haben. Zwischen den Zähnen der Ältesten fanden die Forscher Reste von Coca-Blättern; außerdem konnten sie Restspuren einer alkoholischen Substanz, vermutlich Chicha, Maisbier, nachweisen. Die Inka glaubten, daß Rauschzustände einen Zugang zur Welt der Geister ermöglichen. Bis kurz vor ihrem Tod bekamen die Kinder berauschende Substanzen verabreicht, vermutlich auch, um sie ruhig zu stellen.

Schrecklich, darüber nachzudenken, wie die kleinen Wesen vor einem halben Jahrtausend in eisiger Kälte auf fast 7.000 Metern Höhe gestorben sind. Wir verlassen das Museum nachdenklich und aufgewühlt und freuen uns einmal mehr, in diese heutige Welt hinein geboren worden zu sein, und dann noch auf der Sonnenseite.

P1240573

2 Gedanken zu „Die Kinder von Llullaillaco

  1. Dörte

    Hallo Ihr Lieben, den Bericht zum MAAM in Salta hat mich an meinen Besuch dort vor 1,5 Jahren erinnert. Mir ging es genauso wie Euch – faszinierende Darstellung, aber erschreckende Situation damals..kaum viestellbar!

    Ich hoffe, Ihr habt in Salta auch die leckeren Empanda Spezialitäten genossen!

    Liebe Grüße und danke für die tolle Reiseberichte, die mich immer aus dem Alltag reißen

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert