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Mendoza

Unsere Fahrt führt zu Füßen der Andenkette zur Puente del Inca, einer 21 Meter langen schönen Naturbrücke aus schwefelhaltigem rot-gelbem Gestein, dann weiter durch eine polychrome Landschaft immer entlang des Rio Mendoza. Das kleine, auf knapp 1.800 Metern gelegene Uspallata überrascht mit üppigem Grün und unzähligen hohen Pappeln, die die Straßen beidseitig säumen. Hier in dieser Region der Anden wurden Teile der Außenaufnahmen des Filmes „Sieben Jahre Tibet“ mit Brad Pitt, der Heinrich Harrer darstellt, gedreht, und Kulissen des Filmes findet man heute noch im Cafe Tibet.

Dann erreichen wir Mendoza, die Hauptstadt des argentinischen Weines. Hier wird ungefähr ein Viertel aller argentinischen Weine produziert und kaum ein Quadratmeter wird nicht mit Weinstöcken bepflanzt. Die einst hier lebenden Indios hatten bereits in prähispanischen Zeiten ausgeklügelte Bewässerungskanäle von den Bergen in die Ebene angelegt, die vom Schmelzwasser der Anden gespeist wurden. Wie praktisch für die Kolonialherren, die hier ab Mitte des 16ten Jahrhunderts einfielen. Architektonische Zeugen aus dieser Zeit existieren heute nicht mehr, da ein Erdbeben im Jahr 1861 die Stadt dem Erdboden gleichmachte. Ein französischer Architekt wurde einbestellt, und er legte nach Pariser Vorbild die Grundsteine für das heutige Mendoza mit seinen breiten begrünten Avenidas, den großzügigen Plätzen und den zahlreichen Kühlung spendenden Brunnen.

Die Landschaft um Mendoza ist hügelig, steigt zur Andenkette hin an, wobei die Berge wie die Schuppen einer gepanzerten Echse aussehen.

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Die Weinreben reichen bis fast in die Stadt hinein, die auch ansonsten durch sehr viel Grün positiv auffällt. Die Bebauung ist flach, die meisten Häuser haben nur ein oder zwei Stockwerke, und die Straßen sind alleeartig mit großen schattenspendenden Platanen bepflanzt. Überall gibt es kleine belebte plazas, auf denen Brunnen plätschern und die Menschen Zeit für einen Plausch finden..

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Kein Licht ohne Schatten, so ist es auch in Mendoza. Obwohl die Stadt ruhig und sicher erscheint gibt es hier viel Einbruch- und Diebstahlkriminalität. Wir beschließen, kein Risiko einzugehen. Statt den Wagen im Zentrum zu parken gehen wir lieber auf einen Campingplatz etwas außerhalb der Stadt und für die Fahrten ins Zentrum rufen wir ein Taxi oder Remis. Eine doppelt gute Entscheidung, denn es stellt sich heraus, daß der noch junge Betreiber des schön angelegten Campings selbst Gleitschirmpilot ist und so gleich den Kontakt zur örtlichen Flugszene herstellen kann. Der Landeplatz ist nicht weit entfernt, hat sogar eine Bar mit eisgekühltem Landebier, die Sonne scheint vor dem gezackten Scherenschnitt der Anden, die Thermik stimmt auch, alles ist gut, aber kaum hat man das Gefühl, die ganze Welt in den Händen zu halten, beißt sie einen in den Finger: Der Campingplatz ist mückenverseucht und die Biester sind so winzig, daß sie selbst durch das enge Mesh der Moskitonetze schlüpfen. Nach der ersten Nacht zähle ich über achtzig Stiche, die besonders an den Füßen sehr schmerzhaft sind und sich in kürzester Zeit zu dicken Blasen entzünden.

Hugo verbringt Zeit in der Luft und wird sich noch lange an die schönen Flüge erinnern, aber nach ein paar Tagen heißt es für uns weiter Richtung Nordargentinien.

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Wiedersehen in Santiago

Wir verbringen noch einige sonnige Tage an der Küste, verabschieden uns dann – diesmal aber wirklich endgültig – vom Pazifik und fahren weiter in die chilenische Hauptstadt, um uns mit Brigitte und Celi vor ihrer Abreise nach Spanien noch zu treffen.

Die Birnchen unseres Abblendlichtes sind auf beiden Seiten durchgebrannt oder Opfer von Rappelpisten geworden, und da ein eingeschaltetes Abblendlicht in den südamerikanischen Staaten auch am Tag obligatorisch ist, fahren wir zunächst die Mercedes-Werkstatt an. Hier kennt man uns noch von unserem ersten Besuch; wir bekommen Ersatzbirnchen und man bietet uns eine kostenlose Wagenwäsche an, die wir sehr gerne in Anspruch nehmen. Zu zweit und mit großen Schrubbern bewaffnet bemüht man sich, die dicken Schichten patagonischen Luxusdrecks der letzten Wochen und Monate abzukratzen. Die Mühe lohnt sich: Der Wagen sieht danach aus wie mit Perwoll gewaschen.

Ein mit Brigitte und Celi befreundetes Ehepaar ist so freundlich, uns ihr wunderschönes Haus als Treffpunkt zur Verfügung zu stellen. Brigitte und Celi sehen blendend aus und freuen sich genauso über das Wiedersehen wie wir, unsere aus der Schweiz stammenden Gastgeber Beate und Guntram sind äußerst liebenswert, und so beschließen wir, den Abend gemeinsam in einem trendigen Restaurant zu verbringen. Die Fahrt dorthin führt vorbei an den modernen Hochhäusern, die wie illuminierte Reagenzgläser in den nächtlichen Himmel Santiagos ragen. Nach so viel „wildem Outdoor-Leben“ sind wir die städtische Schickeria gar nicht mehr gewohnt, aber das anfangs etwas befremdliche Gefühl gibt sich mit dem ersten Pisco Sour und wir genießen hemmungslos die maritimen Leckereien. Mit Meeresfrüchten gefüllte empanadas und Thunfischtartar als Vorspeise, danach mit Seespinne gefüllte Canelloni an cremiger Krebssauce – göttlicher geht nicht! Schon wenn ich daran denke läuft mir das Wasser im Mund zusammen…

Am nächsten Morgen heißt es für alle Abschied nehmen. Mit dem Versprechen, uns in Europa zu treffen, trennen sich unsere Wege. Für Brigitte und Celi geht es zurück nach Spanien, und wir brechen mit dem Ziel Mendoza Richtung chilenisch-argentinische Grenze auf.

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Östlich von Los Andes steigt die Ruta 60 zunächst in sanften Kurven, dann immer steiler an. In über dreißig atemberaubenden Serpentinen geht es den Berg hinauf; die LKW am Hang gegenüber sehen wie Spielzeugautos aus.

Kurz vor der Grenzstation erstreckt sich auf 2.800 Metern das Skigebiet Portillo, welches mit Abfahrten aller Schwierigkeitsgrade und einem Luxushotel angeblich zu den zehn besten der Welt zählt. Jetzt im Sommer ist alles geschlossen.

Auf 3.200 Metern Höhe führt ein drei Kilometer langer, zweispuriger und diffus beleuchteter Tunnel durch die Anden auf die argentinische Seite, wo alle Grenzformalitäten an einer gemeinsamen Station – eine Art Drive Through – mit Chile durchgeführt werden. Bisher hatten wir bei unseren Grenzüberquerungen nach Argentinien immer Glück, aber diesmal kassieren sie unsere frischen Lebensmittel ein.

Auf der Ostseite der Anden fällt die Straße dann über viele Kilometer sanft bergab. Ab und an blitzt die schneebedeckte Silhouette des Aconcagua im Hochgebirge auf, des mit 6.959 Metern höchsten Gipfel Südamerikas. Bis Mendoza liegen jetzt noch zweihundert Kilometer vor uns.

Beschwingt unterwegs

Auf unserem Weg nach Santiago liegt das Valle de Colchagua, aus welchem die meisten aller preisgekrönten chilenischen Tropfen stammen. Hier, nicht weit vom Meer entfernt, gibt es genügend Feuchtigkeit und im Sommer brennt die Sonne über Monate unbarmherzig. Ideale Bedingungen für feine Weine. Rund zwanzig Weingüter produzieren in dieser Region mit der Devise Klasse statt Masse vollmundige und samtige Rotweine aus den Rebsorten Cabernet-Sauvignon und Merlot und der in Europa durch die Weinpest Mitte des 19ten Jahrhunderts ausgestorbenen kräftigen Sorte Carmenère.

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Europäische Winzer wurden ob der wachsenden neuen Konkurrenz aus dem Land hinter den Anden hellhörig. Bevor man Anteile am Weltmarkt riskiert geht man doch lieber mit dem Feind ins Bett. Besonders französische Weingüter erkannten die Qualität und das große Potenzial der chilenischen Weine und kauften sich bei alteingesessenen Bodegas ein, wie zum Beispiel bei der Bodega Clos Apalta der Vina Lapostolle, die wir uns für eine Weinprobe ausgesucht haben und die mit dem Slogan wirbt „French in Essence, Chilean by Birth“. Cyril de Bournet und seine Frau Alexandra Marnier Lapostolle, die Nichte des Likör-Herstellers Alexandre Marnier Lapostolle (Grand Marnier), kauften 1994 eine alte bestehende Vina zweihundert Kilometer südlich von Santiago und führen diese seitdem unter streng biologischen und biodynamischen Gesichtspunkten. Der Zertifizierungsprozeß unter der Kontrolle eines deutschen Instituts dauerte allein sieben Jahre.

Die moderne Bodega auf altem Grund und mit alten Reben ist ein architektonisches Meisterwerk. Sie wurde in einen großen Granitfelsen hineingesprengt, ist mit sechs Etagen insgesamt 25 Meter tief und arbeitet ausschließlich mit Schwerkraft, so daß der Most ohne Pumpen in den Weinkeller gelangt. Dank ihrer besonderen Architektur überstand die Bodega bisher jedes noch so schwere Erdbeben. Umliegende Kellereien im klassischen Stil erlitten dagegen so schwere Schäden, daß sie bis zu einem Jahr Ausfallzeit überstehen mussten.

Von der höher gelegenen Bodega schaut man auf die Weinfelder. Die Trauben von Vina Lapostolle werden über einen Erntezeitraum von zwei Monaten Sorte für Sorte handgepflückt, dann von achtzig Frauen handverlesen und anschließend in große Behälter gegeben, die wiederum in voluminöse Eichenfässer gekippt werden. Allein durch ihr Eigengewicht und die Schwerkraft werden die Trauben entsaftet. Insgesamt wird auf diese Weise ein Rotwein produziert, der nicht in modernen Edelstahlbehältern reift, sondern in 450 Fässern aus französischer Eiche. Diese befinden sich tief im Fels auf Etage 3 und 4 und der Wein ruht hier zwei Jahre. Der abschließenden Qualitätskontrolle halten schlussendlich dann gerade einmal 250 Fässer stand, die dann als Spitzenwein Clos Apalta in den Handel kommen.

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Nach dem wir uns im „Felsenturm“ Etage für Etage heruntergeschraubt haben findet im fünften Stock die Weinverkostung statt. Als wir den stimmungsvoll illuminierten Raum betreten haben wir das Gefühl, in einem Planetarium zu sein. Die Decken sind aus gewölbtem Naturholz, ins Holz eingelassene kleine Lämpchen leuchten dezent wie ein Sternenhimmel und die schlichten Eichenfässer mit dem eingebrannten „Lapostolle“-Zeichen geben der Weinprobe einen wunderschönen Rahmen.

Wir verkosten drei Weine, die Proben sind üppig bemessen, und besonders der Clos Apalta ist merklich ein Schwergewicht. Hier beim Erzeuger kostet die Flasche USD 120. Auch bei dem stolzen Preis: Nur vom Clos Apalta allein kann die Vina Lapostolle nicht leben, daraus macht das Familienunternehmen auch keinen Hehl. Ganz offen erzählt man uns, daß der Gewinnbringer ein nahegelegenes, ebenfalls zum Unternehmen gehörendes Weingut ist, welches pro Jahr 2,5 Millionen Flaschen Rotwein mit dem Handelsnamen Cuvée Alexandre und einen Weißwein Casa Gran Reserva für den Massenmarkt produziert.

Im sechsten und letzten Stockwerk der Kellerei und über eine indirekt beleuchtete Treppe im Boden ist der ganz private Weinkeller der Marnier Lapostolles untergebracht. Hier ruhen einige besondere gustatorische Schätze, sehr alte Cabernets und Carmeneres. Für uns heißt es leider: Betreten verboten.

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Als wir nach der Besichtigung beschwingt die Vina verlassen wartet am Fuße des Weinberges eine Überraschung auf uns – die Polizei. Vorsätzliche Alkoholkontrolle, das hat als krönender Abschluß noch gefehlt. Ich lege mir schon auf Spanisch eine halbswegs glaubwürdige Erklärung für unsere kaum zu ignorierende Fahne zurecht, aber es kommt dann anders: Ein Wagen ist von der staubigen Straße abgekommen und mit Blechschaden im Graben gelandet. Die Polizei ist nur der Freund und Helfer … und wir fahren winkend und lächelnd vorbei.

Valdivia

Von Pucon rutschen wir quer durch Chile an die Pazifikküste bis Valdivia, welches wunderschön an dem Zusammenfluß zweier Flüsse liegt, die dann vereint als Rio Valdivia in den Ozean münden. 1960 wurde die Stadt durch ein Erdbeben mit der Stärke 8,9 zu achtzig Prozent zerstört und sackte um drei Meter ab, der Tsunami schleuderte Schiffe auf den Strand und veränderte die Landschaft bis weit ins Landesinnere nachhaltig. Am Ufer des Rio Valdivia liegen der kleine Flusshafen und der mercado fluvial, der Flußmarkt, auf dem es viele Arten von Fisch und Meeresfrüchten gibt, unter anderem auch ceviche, in Limettensaft gebeizter roher Fisch, und erizo, die frischen Seeigelzungen. Im Hintergrund der Fischhändler dösen gewichtige Seelöwen gemächlich auf Pontons im Fluß und kommen nur kurz in Schwung, wenn die Fischhändler beim Zerlegen der Fische Köpfe und Schwänze über ihre Schultern entsorgen.

An der kleinen Promenade entlang des Flusshafens entdecken wir einen hohen Turm aus Glas, der ein Foucaultsches Pendel beherbergt, welches hier seine ausschließlich durch die Erdrotation bewegten Kreise in feinem Sand zieht.

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Wir fahren weiter die Küste hinauf, aber aufgrund der sommerlichen Hochsaison bevölkern Menschenmassen die Strände und Ortschaften – Playa del Ingles auf chilenisch. Mit ein bisschen Sucherei und Rumpelei über Pisten finden wir dann doch noch ein paar einsame Stellplätze etwas außerhalb der touristischen Hochburgen und genießen Traumausblicke auf die Brandung des Pazifik.

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Jetzt, im Hochsommer, ist die Sonne stark genug, den über dem Meer liegenden Schleier aus Nebel in den Morgenstunden zu schmelzen.

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Nacht auf dem Vulkan

Um den schönsten Vulkan Chiles und seine ihn umgebenden Wälder zu schützen wurde bereits 1940 der über 60.000 Hektar große Parque Nacional Villarica eingerichtet. Der Vulkan, an dessen Flanke auch ein Skigebiet samt Liftanlage liegt, ist 2.840 Meter hoch; die Baumgrenze liegt bei 1.500 Metern. Hier findet sich der nördlichste Bosque Valdiviano, der kalte, immergrüne Regenwald Südchiles.

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Wir vertrauen der Vulkanampel im Ort, die die seismischen Aktivitäten des Villarica misst und auf grün steht, und wollen die Nacht auf dem Vulkan verbringen. Nicht etwa, weil wir den Nervenkitzel glühender und blubbernder Magma und die latente Gefahr eines Ausbruchs als Kick benötigen, sondern weil wir eine spektakuläre Aussicht von dort oben erwarten. Wir fahren bis zur Bergstation des Skiliftes, erst ist die Straße ein Stück asphaltiert, aber die letzten acht Kilometer bestehen aus wüster Piste durch Wald und graue Lavafelder.

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Wir haben uns nicht getäuscht, der Panoramablick ist atemberaubend. Im Tal tief unter uns der große, kristallklare See, umgeben vom Grün der Wälder, in den verblassenden Strahlen der untergehenden Sonne leuchtet in der Ferne der schneebedeckte Gipfel eines weiteren Vulkans, des 3.125 Meter hohen Llaima.

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Die Nacht ist ruhig und sternenklar, und auch am nächsten Morgen pustet der Villarica gelassen seine weißen Rauchkringel in den ungetrübt blauen Himmel über unseren Köpfen.

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Deutschtümelei

Wir überqueren die Grenze am Paso Mamuil Malal ganz unkompliziert und schwupps sind wir wieder in Chile. Zum sechsten oder siebten Mal? Das  ist doch nun wirklich egal, oder?

Nächstes Ziel sind Pucón und Villarica am gleichnamigen See und Vulkan. Die Fahrt dorthin führt durch kleine hübsche Ortschaften mit bunten Häuschen und einladend ausschauenden Restaurants. Als uns am frühen Nachmittag im Vorbeifahren plötzlich das Wort Apfelkuchen anspringt ist unser Widerstand gebrochen und wir legen einen spontanen Genußstopp ein. Der Besitzer des Cafés bedient uns mit der gewohnten Herzlichkeit der Chilenen und bringt uns zwei pizzagroße Stücke herrlichen Apfelkuchens. Bei einem Schnack erfahren wir, daß die Großeltern seiner Frau aus Deutschland stammen und der Kuchen nach uraltem Familienrezept gebacken wird.

Gestärkt fahren wir weiter nach Pucón zu Füßen des aktiven Vulkans Villarica, der mit seinen symmetrischen Flanken, dem weißen Schneekragen und dem ewigen Rauchwölkchen von ebenmäßiger Schönheit ist und eine faszinierende Kulisse bildet.

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Pucón mit seinen rund 13.000 Einwohnern liegt am Ostufer des Lago Villarica und ist eine touristische Hochburg für Trekking, Bergsteigen, Rafting und Skifahren, ist aber im Vergleich zu dem argentinischen Bariloche oder benachbarten Villarica ein Nest. Dank strenger Bau- und Werbevorschriften – Geschäfte dürfen nur mit Holzschildern werben – wirkt das Stadtbild harmonisch. Im Zentrum haben sich zahlreiche Restaurants angesiedelt, so auch der Biergarten von Elke und Ulli aus Deutschland, die hier seit fünf Jahren ansässig sind.

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Da wir heute offenbar unseren nostalgischen Tag haben fallen wir dort ein und als wir dann auf der Speisekarte neben selbstgebrautem Weizenbier auch noch Currywurst mit Pommes entdecken gibt es kann Halten mehr. Die erste Currywurst – um ehrlich zu sein, es sind gleich zwei – nach über einem Jahr schmeckt herrlich und auf das erste Bier folgt ein weiteres.

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Wir kommen mit Elke, die stilecht im weiß-blauen Dirndl serviert, ins Gespräch. Ihre Klagen unterscheiden sich nicht wesentlich von denen eines Gastwirtes in Deutschland: Die Angestellten sind unzuverlässig, nicht mehr so belastbar, die Leute geben nicht mehr so viel Geld wie früher aus… Egal, wir genießen unseren Tag Heimaturlaub vom Reisen, deutschtümeln von Herzen und futtern uns rund.

Parque Nacional Lanin

Unsere weitere Fahrt führt uns ein Stück durch den schönen und abwechslungsreichen Nationalpark zu Füßen des erloschenen Vulkans Lanín. Hier wachsen noch zahlreiche Exemplare der fast ausgestorbenen Araukarie, der Andentanne, die wegen ihres Wuchses auch als Regenschirmtanne bezeichnet wird. Die Bäume mit den starken Nadeln werden so streng geschützt, daß Straßen um sie herum gebaut werden.

In den kugeligen weiblichen Blütenzapfen reifen vier bis fünf Zentimeter lange Pinienkerne, die verzehrt werden können.

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Über allem thront der knapp 3.800 Meter hohe Lanín mit seinem perfekten Schneekegel vor wolkenlos blauem Himmel, der schönste Vulkan Argentiniens, und gibt uns das Gefühl, durch eine fast schon kitschige Postkartenidylle zu fahren.

Argentinische Schweiz

Mit der wenig verlockenden Aussicht auf einige kulinarisch eher karge Tage schlemmen wir in El Chaltén ein letztes butterweiches, perfekt Englisch gegrilltes bife de lomo mit Malbec, schaffen danach noch frisch gebackene Waffeln mit lila Calafate-Eis und kehren dann dem Fitz-Roy-Massiv mit dem Versprechen wiederzukommen den Rücken zu. Bis El Bolsón, unserem nächsten Ziel, liegen 1.300 Kilometer einsame Pampa vor uns. Der Name Pampa stammt aus der Quechua-Sprache und bedeutet „baumlose Ebene“ und wirklich, während der nächsten drei Tage wirft kein Baum oder Strauch seinen Schatten. Die Sonne brennt erbarmungslos den ganzen Tag vor dem azurblauen argentinischen Himmel, aber ein kalter Wind fegt von Nord nach Süd über die ungeschützte Ebene. Trifft er in voller Stärke frontal auf den Unimog, verlieren wir in dem flachen Gelände bis zu fünfzehn kmh an Geschwindigkeit.

Die Pampa trägt in dieser Gegend bezeichnende Namen: Meseta la Siberia, Pampa Asador (Bratspieß) oder Meseta da la Muerte (Todesebene). Letztere heißt vermutlich so, weil man hier vor Langeweile umkommt. Hier gibt es nicht einmal mehr Guanacos, die etwas Bewegung in das sonst statische Bild der Landschaft bringen und mit ihren umherstreifenden Herden für den Moment des Vorbeifahrens den ermüdeten Sinnen eine willkommene Abwechslung bieten.

Wir fahren Stunde um Stunde, Kilometer um Kilometer, ohne daß sich die Landschaft ändert; bis zum Horizont liegt in alle Richtungen eine endlose einheitsbraune Fläche unter einem endlosen einheitsblauen Himmel. Außer dem Wind ist kein Laut zu hören. Täglich grüßt das Murmeltier … wir fahren und fahren und haben trotzdem das Gefühl, uns nicht von der Stelle zu bewegen. Kaum ein anderes Auto ist hier unterwegs und Ortschaften, die etwas Abwechslung in den Tag bringen würden, gibt es auf Hunderten von Kilometern keine. Wenn der Abend naht versuchen wir, für die Nacht einen halbwegs geschützten Platz zu finden und den Mog aus dem Wind zu nehmen. Jeder noch so kleine Geröllhaufen wäre uns recht, aber die Suche ist vergeblich und so bleiben wir irgendwann einfach mitten in der Pampa abseits der Piste stehen.

Zur Stärkung von Moral und Sitzmuskel gibt es morgens eine doppelte Portion Apfelpfannkuchen, die Synapsen werden mit starkem Kaffee in Schwung gebracht, dann wird aufgesessen und der Ritt durch die gelb-braune Wüste geht weiter. Kurz bevor die Monotonie beginnt, Geist und Hirn zu zersetzen, tauchen schemenhaft die ersten Berge auf. Rund fünfzehn Kilometer vor El Bolsón biegen wir zum türkisfarbenen Lago Puelo im gleichnamigen Nationalpark ab und spekulieren auf einen verschwiegenen Stellplatz am dicht bewaldeten Seeufer. Unserem Optimismus wird durch die Massen an Menschen und Autos abrupt Einhalt geboten. Es ist Hauptferienzeit in Argentinien und dem nahen, nur durch den Andenkamm getrennten Chile. Uns sind es zu viele Menschen auf einmal, wir sind diesen Trubel nicht mehr gewohnt, daher fällt uns die Entscheidung zur Weiterfahrt nach El Bolsón nicht schwer. Nach einer kurzen Orientierungsfahrt durch das 30.000 Einwohner zählende Örtchen finden wir bei Anbruch der Dunkelheit einen ruhigen Platz an der Pferderennbahn. Erst am nächsten Morgen entdecken wir, daß wir mit unserem Gerümpel auf dem Dach um Haaresbreite die Stromversorgung der Anlage gekappt hätten.

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Die Gegend um El Bolsón hat ein warmes Mikroklima, welches Obst und Gemüse besonders gut gedeihen lässt. Es ist Erntezeit, und überall an kleinen Straßenständen gibt es in großen Mengen und bester Qualität Erdbeeren, Himbeeren, Birnen, Kirschen und Äpfel oder auch hausgemachte Marmelade und frischgepreßte Säfte zu kaufen. Auch Hopfen gedeiht hier gut, so daß sich im Laufe der Jahre ein Zentrum der Bierbrauerei herausgebildet hat. Zahlreiche Restaurants betreiben Microbrauereien und überraschen mit einer kreativen Vielfalt an guten Biersorten.

Für Paraglider ist El Bolsón ein Hot Spot und wir ziehen mit samt dem Wagen zum Landeplatz oberhalb des Städtchens um. Hier weiden einige Pferde mit ihren Fohlen und eine Herde von Schafen, die von einem schwarz-weißen Border Collie gehütet wird, der über unbegrenzte Energien zu verfügen scheint und ganz offensichtlich Spaß daran hat, neben seinem Job mit seiner Schnauze große runde Steine über die Wiese zu kullern. Die Thermik passt und Hugo genießt schöne Flüge bis spät in die Abendstunden.

Dann sehen wir im Süden plötzlich dunkle Rauchwolken aufsteigen. Wir erfahren, daß am dicht bewaldeten Lago Puelo ein Feuer ausgebrochen ist. Unablässig fliegen vier kleine, mit Wassertanks ausgestattete Maschinen vom kleinen Flughafen in El Bolsón tagelang Einsätze. Die Sommer hier sind trocken und sehr heiß, und durch Leichtsinn und Unachtsamkeit kommt es in jedem Jahr zu Waldbränden, obwohl mit großformatigen Plakaten überall unübersehbar auf die große Gefahr hingewiesen wird. Selbst wenn ein Brand oberflächlich vollständig gelöscht ist kann es passieren, daß sich das Feuer über das Wurzelwerk in der staubtrockenen Erde fortsetzt und nach Stunden oder Tagen erneut entflammt. Allerdings wird unter den Einheimischen auch gemunkelt, mancher Brand sei von der Berufsfeuerwehr bewusst gelegt, da die Feuerwehrleute bei einem Brandeinsatz zusätzlich zum Gehalt Prämien in Höhe eines Monatseinkommens erhalten.

Neben Gleitschirmfliegen, Marmeladeneinkäufen und dem Genuß gastronomischer Leckerlies haben wir noch einen anderen Grund, in El Bolsón zu sein: Wir statten Klaus und seiner Frau, die mit ihren beiden Kindern seit etlichen Jahren ein paar Kilometer außerhalb der Stadt auf einer Farm in einem wunderschönen Tal mit eigenem Fluß leben, einen kurzen Besuch ab. Klaus ist unser „Unimog-Versicherungsmakler“ für Südamerika und wir holen uns nach einem Jahr dann doch mal unsere Papiere im Original ab. Zu bewegten Zielen lässt sich schlecht Post schicken, daher sind wir bisher nur mit Farbausdrucken gereist, die wir aber nur bei den polizeilichen Checks in Bolivien vorzeigen mußten. Bei einem Schwatz in Klaus´ Wohnzimmer tauschen wir Erfahrungen aus, decken uns mit hausgemachtem Apfelsaft und Himbeermarmelade ein und setzen anschließend unsere Fahrt nach Norden zum Parque Nacional Nahuel Huapi , dem ältesten Nationalparks Argentiniens, fort.

Mit San Carlos de Bariloche am Südostufer des Lago Nahuel Huapi erreichen wir das Tor zur sogenannten Argentinischen Schweiz und wirklich, Landschaft und Baustile der 130.000 Einwohner zählenden Stadt mit ihren großen Chalets und Hotelburgen ähneln denen des Originals sehr. Der direkt am kobaltblauen See gelegene Ort ist von einem Kranz aus Berggipfeln umgeben und mit bis zu zwei Meter Schneehöhe der bedeutendste Wintersportort des Landes. Die Besucherzahl überschreitet die Millionenmarke und auch jetzt zur Sommerferienzeit droht er aus allen Nähten zu platzen. Leider kommt der Ort auch in einem anderen, wenig schönen Punkt auf die Top 10 Liste der Superlative: Kriminalität – Bariloche ist bekannt für Einbrüche und Autodiebstähle, und so quartieren wir uns ausnahmsweise auf einem fünfzehn Kilometer außerhalb der Stadt gelegenen Campingplatz am See ein. Es ist unglaublich heiß und schwül, auch das nächtliche Gewitter bringt kaum Abkühlung.

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Bei einer Runde über den landschaftlich schönen, entlang des südwestlichen Seeufers führenden Circuito Chico entdecken wir den Ort Colonia Suiza, und – über den Punkt echter Verwunderung sind wir längst hinaus – an einem Aussichtspunkt einen waschechten Bernhardiner inklusive Fässchen um den Hals. Für umgerechnet 10 Euro kann man Che als molliges Model für Fotoshots buchen, wobei man die Auswahl zwischen verschiedenen Posen mit oder ohne Basecap und/oder Sonnenbrille hat. Eine Geschäftsidee, die zu funktionieren scheint: Trotz des hohen Preises stehen die argentinischen und chilenischen Urlauber Schlange und schwitzen geduldig in der Sonne. Vielleicht sollte ich mich mal mit einem Llama namens Dieter an die Kö stellen… Das Pärchen, welches an der Reihe ist, als wir zuschauen, entscheidet sich für die Variante Sitzbank + Pfötchen auf Schulter + Sonnenbrille auf Hundenase. Che scheint es nicht zu gefallen, er streckt dem Fotografen die Zunge raus. Der arme Hund.

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Wir verlassen das überlaufene Bariloche und fahren nach Villa Angostura, einem ruhigeren und historisch interessanten Ort am Nordufer des Sees, den jeder Argentinier kennt. Nach dem Staatsstreich der Militärs, die sie ihres Amtes enthoben, lebte Isabel Perón – nicht Evita, sondern die zweite Frau Juan Peróns – hier ab 1976 in Schutzhaft in einem Herrenhaus. Von hier aus nehmen wir die rund einhundert Kilometer lange Ruta de los Siete Lagos, die „Straße der Sieben Seen“, die uns nach San Martin de los Andes bringt. Die kurvenreiche Fahrt führt durch wildromantische Berglandschaften mit dichtem Urwald und vorbei an stillen tiefdunkelblauen Seen. Die Straße ist wider Erwarten geteert und windet sich wie eine Schlange aus Asphalt durch die ansonsten unberührte Natur. Wir empfinden sie als Fremdkörper im Urwald, aber kaum haben wir den Gedanken ausgesprochen, da endet der Asphaltbelag und es geht über Schotterpiste weiter.

Das von dichten Wäldern und Bergen umgebene San Martin de los Andes an der östlichen Spitze des Lago Lacar ist neben Bariloche das zweite renommierte Wintersportzentrum des Landes. Es wirkt mit seinen eleganten Chalets etwas aufgeräumter als der Nachbarort mit seinen unübersehbaren Bausünden, aber wir halten uns nicht auf, sondern starten durch. Wir wollen in das rund tausend Kilometer nördlich gelegene Mendoza, eines der bedeutendsten Weinanbaugebiete Südamerikas. Da die Region auf der argentinischen Seite der Anden auf dieser Strecke wenig Attraktives bietet beschließen wir, doch noch einmal nach Chile zu wechseln und dabei noch einen kleinen Abstecher ans Meer zu machen. Schöne Nebenwirkung dieser Entscheidung ist, daß eine gute Chance auf ein Treffen mit Celi und seiner Frau Brigitte in Santiago besteht, bevor die beiden zurück nach Spanien fliegen. Mit Celi verbindet uns ein gemeinsames Schicksal: Er war mit uns an Bord der Grande San Paolo während der sechswöchigen Reise von Hamburg nach Montevideo und wir haben Freud und Leid der Überfahrt geteilt.

Zauberwald

Wir fahren von unserem Stellplatz im Wald bei El Chaltén die Schotterpiste zum Lago del Desierto, bis sie nach rund vierzig Kilometern am See endet. Eine Tour zum kleinen Gletscher Huemul führt uns durch einen märchenhaften Laubwald, der – wie auch der Gletscher selbst – Teil des Nationalparks und somit geschützt, aber in Privatbesitz ist. Offensichtlich kann man sich auch einfach einen Gletscher kaufen.

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Der Weg ist uneben, Bäume und Steine sind dick mit Moos und Flechten besetzt, Äste und Wurzeln sind ineinander verschlungen.Die Baumkronen mit den kleinen hellgrünen Blättern leuchten im Sonnenlicht.

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Entlang des Pfades fließt rauschend ein Bach, der vom Gletscher gespeist wird.

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Nach einer Stunde Kletterei erreichen wir ein kleines Plateau, welches oberhalb eines türkis leuchtenden See und dem Gletscher direkt gegenüber liegt.

Fitz Roy

Nördlich von El Calafate, aber ebenfalls Teil des Parque Nacional Los Glaciares, liegt der kleine beschauliche Ort El Chaltén mit seinen zwanglosen rustikalen Mischung aus Adobe-Bauweise und Western Style. Der Grundstein für den Ort wurde erst 1985 gelegt und nicht aus touristischen, sondern einzig militärischen Gründen, da Argentinien meinte, seinen territorialen Anspruch gegenüber Chile durch bewaffnete Präsenz zu demonstrieren. Bis heute ist der Grenzverlauf in der gesamten Region rund um das Fitz-Roy-Massiv nicht final geklärt und auf allen Karten und Navis somit auch nicht eingezeichnet.

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Lange Zeit ein Geheimtipp, hat sich das Gebiet rund um die mächtigen, mehr als dreitausend Meter hohen steinernen Nadeln im Laufe der Jahre zu einem Traumziel für Wanderer und Alpinisten aus aller Welt gemausert. Von Lago O´Higgins in Chile, dort, wo wir an Heiligabend den O´Higgins-Gletscher per Boot besucht haben, gibt es seit einigen Jahren einen leicht begehbaren, legalen Wanderweg über die Berge, der über Candelario Manzilla zur argentinischen Laguna Del Desierto bei El Chaltén führt. Die Grenzquerung zu Fuß oder per Mountainbike ist problemlos machbar: Erst fährt man per Boot über den Lago O´Higgins, dann wandert man ein Stück und auf den letzten vierzig der insgesamt 130 Kilometer wird ein Bus eingesetzt

Bei unserer Anfahrt aus der baumlosen Pampa nach El Chaltén zeichnet sich die Silhouette der gewaltigen Berglandschaft mit den markanten Zacken schon weithin sichtbar in der Ebene ab.

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Wer hier unterwegs ist und das Panorama genießen möchte, MUSS wandern, und so nehmen wir uns ein paar Tage Zeit, die Landschaft rund um die Granitobelisken zu Fuß zu erkunden. Das Fitz-Roy-Massiv ist durch die Nähe des südpatagonischen Eisfeldes als unberechenbar und launisch bekannt, oft verbirgt es sein Gesicht hinter dichten Wolkenbergen. Tagelang bekommt man die bizarren Felsnadeln nicht zu Gesicht, im schlimmsten Fall halten Regen und Sturm wochenlang an. Wir haben unverschämtes Glück, das gute Wetter mit blauem Himmel und wenigen weißen Wolken hält konstant und wir haben fast immer freie Sicht auf die Gipfel. Die mitunter anstrengende Kraxelei durch lichte Wälder, andine Tundra und entlang kristallklarer Bäche oder türkisfarbener Lagunen wird mit spektakulären Ausblicken belohnt.

Wir lernen ein französisches Paar kennen, beide gestandene Alpinisten mit viel Erfahrung und Kondition, die mit Spikes und Schneeschuhen in sechs Tagen die große Umrundung des Fitz-Roy-Massivs gemacht haben. Sie berichten uns begeistert von ihren Erlebnissen. Ein besonders anstrengender Tag führt über acht Stunden lang in Schneeschuhen über die windumtosten Gletscher des Eisfeldes, rundherum nur blendendes Weiß. Übernachtet wird in einem kleinen Zelt, Lebensmittel für die gesamte Zeit – mindestens zehn Tage – werden im Rucksack mitgenommen. Wir lassen uns von der Begeisterung anstecken und schon ist ein neuer Traum geboren.

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Parque Nacional Los Glaciares

Wir verlassen Chile über die kleine Grenzstation Cerro Castillo und fahren dem nächsten Juwel entgegen, um es unserer Reiseschmuckschatulle hinzuzufügen, in der schon reichlich kostbare Beute ruht. Das südliche Tor zum Parque Nacional Los Glaciares, seit 1982 von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt, ist El Calafate, benannt nach dem hier wachsenden Calafate-Strauch mit seinen blauen, herb-süßen Beeren, die zu Likör, Marmelade oder Eis verarbeitet werden.

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Die Fahrt führt östlich der Anden wieder einmal durch unendlich einsame, leicht hügelige Pampa.

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Viele der patagonischen Gletscher sind hier rund um den milchig-blauen Lago Argentino und den Lago Viedma zu finden: der Viedma-Gletscher, der Huemul-Gletscher, der Spegazzini-Gletscher, die Gletscher Marconi, Onelli, Agassiz und Bolado und natürlich die beiden bekanntesten Gletscher, der Perito Moreno und der Uppsala.

Als wir uns El Calafate nähern werden wir von einer Gruppe australischer Oldtimer überholt, die wie kleine bunte Käfer fröhlich über den Asphalt flitzen.

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Ehemals ein staubiges Handels- und Versorgungszentrum für die umliegenden Schaffarmen ist El Calafate heute mit 250.000 Besuchern pro Jahr ein touristisches Mekka. Innerhalb von zehn Jahren nach Eröffnung des kleinen Flughafens hat sich die Einwohnerzahl des Ortes mehr als verdreifacht, trotzdem wirkt er lange nicht so überfüllt wie wir in der Hochsaison erwartet haben. Die Infrastruktur stimmt: Viele Geschäfte mit hochwertiger Outdoor-Bekleidung und sehr gute Restaurants mit kulinarischen Spezialitäten der Region säumen die Hauptflaniermeile Libertador. Wir genießen eine in Malbec und mit Pflaumen geschmorte Lammkeule und haben pro Person mindestens ein halbes Kilo zartes Fleisch auf dem Teller. Köstlich!

Der unbestrittene Star unter den Gletschern ist der Perito Moreno, rund sechzig Kilometer von El Calafate entfernt und eine der vielen blau-weißen Zungen des südlichen patagonischen Eisfeldes, welches sich über fünfhundert Kilometer entlang der Grenze von Chile und Argentinien erstreckt. Dieses Inlandeis mit einer Fläche von 13.000 Quadratkilometern speist über fünfzig Gletscher, von denen dreizehn auf der Ostflanke der Anden in argentinische Seen münden. Der Perito Moreno ist nicht nur von atemberaubender Schönheit, sondern einer der wenigen Gletscher weltweit, die entgegen dem Trend des Gletschersterbens derzeit an Masse zulegen.

Attraktiv macht ihn auch seine leichte Erreichbarkeit. Von den Holz- und Stahlstegen gegenüber der Zunge kann man das Eis fast berühren. Von der untersten Plattform lässt sich die Abbruchkante der fünf Kilometer breiten und über sechzig Meter hohen Gletscherzunge sehr schön und ohne Risiko beobachten.

Große Tafel warnen vor dem Überklettern der Absperrung: Immer wieder kommt es zu tödlichen Unfällen durch die spektakulär mit viel Getöse herabstürzende Eisbrocken, teilweise von der Größe eines Hauses. In zwanzig Jahren haben durch Leichtsinn auf diese Weise 32 Menschen ihr Leben verloren.

Das Eis des Perito Moreno ist makellos, da es kaum schmutzig-graue Spuren von Moränen gibt. An Stellen, wo das Eis alt und extrem komprimiert ist, schimmert es in einem unwirklich leuchtenden Blau, als ob es von innen heraus angestrahlt würde. Die Oberfläche des Gletschers sieht mit ihren weißen Spitzen wie die Eischneedecke eines lime pie aus.

Der Tag unter dem strahlend blauen Himmel ist mehr als perfekt, als dann noch ein Kondor über dem Gletscher majestätisch seine Kreise zieht.

Auch wenn der Perito Moreno derzeit noch wächst: Das heutige Sterben der Gletscher in einem nie dagewesenen Tempo ist verstörend und beängstigend. Der studierte Geomorphologe James Balog, der lange Zeit selbst nicht richtig an das Gletschersterben durch Klimawandel glauben konnte und daher der Frage wissenschaftlich auf den Grund ging, hat  Belege des Massensterbens gesammelt und in seinem Film- und Fotoprojekt Chasing Ice eindrucksvoll dokumentiert. Seine Zeitrafferaufnahmen von Gletschern in aller Welt machen den Klimawandel sichtbar und unstrittig. Der Film überzeugt und macht betroffen. Vielleicht sind Gletscher in naher Zukunft nur noch kalte Erinnerungen.

Mehr Informationen zum Film unter http://www.zeit.de/kultur/film/2013-11/film-doku-chasing-ice-james-balog

Türme des blauen Himmels

Vor uns liegt ein Highlight unserer Reise, auf das wir uns sehr freuen, der Parque Nacional Torres del Paine. Wir entscheiden uns, über den südlichen Zugang nahe des Lago Toro in den Nationalpark zu fahren und ihn über den nordöstlichen zu verlassen, um dann in Cerro Castillo gleich nach Argentinien auszureisen. Von Villa Telhuelche aus führt die Fahrt über Schotterpiste an der Höhle eines Milodóns vorbei, eines urzeitlichen Riesenfaultiers mit 3,5 bis 4 Metern Größe. Da der Kleine aber nicht zuhause ist fahren wir weiter.

Die Landschaft ist atemberaubend. Hier trifft die patagonische Pampa auf die Gipfel der südchilenischen Anden, steil aufragende Berge mit spitzen Granittürmen. Der höchste Berg ist der Cerro Paine Grande mit 3.050 Metern, umgeben von den Spitzen des Paine Chico, der Torres del Paine und der Cuernos del Paine – den „Hörnern“. Die Landschaft erinnert uns von Ferne ein wenig an die Dolomiten, ausgestanzt und in die abgeernteten strohgelben Felder der holsteinischen Seenplatte gesetzt.

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Noch außerhalb des Parks finden wir weit abseits der Straße einen Stellplatz oberhalb des Lago Toro. Die Rumpelei durch den Wald und den Hang hinauf lohnt sich; das Panorama ist unbezahlbar.

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Auf der einen Seite der Blick über den türkisfarbenen See, den Wald und das Bergmassiv, auf der anderen Seite auf die karge Pampa, über der sich in der untergehenden Sonne Lentis bilden, die wie außerirdische Ufos über dem See zu schweben scheinen.

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An der Porteria Serrano fahren wir am nächsten Tag in den Nationalpark. Paine bedeutet in der Sprache der Telhuelche-Indianer „himmelblau“, Torres del Paine also „Türme des blauen Himmels“.

Weite Teile des Parks sind vergletschert. Im Westen schiebt der Tyndall Gletscher seine Zunge in den See gleichen Namens; im Lago Grey etwas weiter nordöstlich schickt der Grey Gletscher weiß-blaue Eisberge auf Reise. Wir wandern zu einem kleinen Aussichtpunkt mit Blick auf den Gletscher und den See, und wie schon beim O´Higgins Gletscher fegt hier der Wind von den Bergen über den Gletscher hinweg talwärts, lädt sich an den Eismassen mit Kälte auf und pustet uns fast um.

P1220045Vor langer Zeit war die gesamte Region unter Gletschern begraben; was wir heute noch sehen können sind nur die kümmerlichen Reste des ursprünglich riesigen patagonischen Eisfeldes. Der O´Higgins-Gletscher, den wir mit dem Boot besucht haben, hat allein im Zeitraum 1986 bis 2010 insgesamt 70 qkm seiner Fläche eingebüßt und sich um sechzehn Kilometer zurückgezogen, daß entspricht rund zehn Prozent seiner Fläche.

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Unterhalb des verschneiten Paine-Massivs liegen zahlreiche türkisfarbene Seen und Lagunen malerisch eingebettet in Wiesen, Moore und alte Wälder. Auch wenn dies hier die Luvseite der Anden ist, kann das Wetter innerhalb von Minutenschnelle umschlagen, unvermittelt von Sonnenschein zu Hagelschauer oder Kälteeinbrüchen wechseln. Wir haben Glück und erwischen einen der wenigen beständigen klaren Tage im Jahr mit viel Sonne, blauem Himmel und Windstille. Immer wieder halten wir an, um zu Staunen. Dann entdecken wir vor dem Weiß des Bergmassives einen schwarzen Punkt. Es ist ein Kondor, der hier mit gespreizten Schwingen seine Kreise zieht. So plump die Kondore sich am Boden bewegen, so majestätisch sind sie in der Luft.

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Durch den 242.000 Hektar großen Park führen Schotterpisten mit vielen Steigungen und blinden Kurven. Je weiter wir das Bergmassiv umfahren desto mehr öffnet sich der Ausblick auf die Torres und Cuernos. Die Waldbrandgefahr ist während der Sommerzeit immens hoch und an vielen Stellen trifft man auf Warntafeln. Immer wieder haben in der Vergangenheit Touristen durch Unachtsamkeit verheerende Brände verursacht, zuletzt zur Jahreswende 2011/12, als innerhalb von wenigen Tagen über 17.000 Hektar im zentralen Teil des Parks abbrannten. Das Gesetz ahndet das Anzünden von Feuer mit drei Jahren Haftstrafe und einer Geldbuße in Höhe von 4.000 USD. Verursacht man einen Waldbrand, droht eine Haftstrafe von fünf Jahren und zusätzlich eine Geldstrafe von 16.000 USD.

Abends finden wir einen Stellplatz in einem kleinen ausgetrockneten Wasserloch, Panoramablick auf die nadelspitzen Granittürme inklusive. Als wir am nächsten Morgen beim Frühstück sitzen hören wir draußen plötzlich wildes Getrappel, dann wird es vor den Fenstern staubig. Wir sind von einer großen Guanaco-Herde mit vielen Jungtieren umlagert und die rund fünfzig Tiere lassen sich ohne Scheu unmittelbar neben dem Wagen nieder, wälzen sich im Staub und beäugen uns interessiert.

Nach kurzer Zeit hält den Grzimek in mir nichts mehr … ich muß raus aus dem Wagen. Ich achte darauf, tunlichst nicht zwischen die Tiere zu geraten, was nicht so leicht ist, da viele zwischen dem Büschelgras liegen und mit ihrer hellbraunen Fellfärbung schlecht zu erkennen sind. Prompt kommen hinter mir plötzlich zwei Hengste in halsbrecherischem Galopp, mit dem Kopf auf dem langen Hals Schwung holend, angejagt. Es ist Brunftzeit und die Tiere sind außer Rand und Band, da komme ich ihnen lieber nicht in die Quere.

Das Wetter hält sich überraschend gut und wir würden in dieser wunderbaren Landschaft gerne noch länger verweilen, aber nach ein paar Tagen müssen wir weiter.

Auf dem Weg aus dem Park Richtung Cerro Castillo sehen wir wieder einige Kondore, zunächst in der Luft, dann später mit Jungvögeln auch am Boden, wo sie sich am Kadaver eines Guanacos gütlich halten, während sein Artgenosse zusieht.

Volksfest

Zufällig passieren wir an einem Wochenende das kleine Dorf Villa Tehuelches an der Ruta 9. Schon von weitem sehen wir, daß die Straßen mit Bussen und Autos zugeparkt sind. Rauchfahnen hängen über dem Ort und verbreiten ein Aroma, welches uns augenblicklich das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Wir halten an, bugsieren den Mog über hohe Bordsteinkanten auf eine freie Grasfläche und mischen uns unter die Menge.

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Die nächsten Stunden verbringen wir mit Rodeo, bei dem es nicht gerade zimperlich zugeht, und musikalischen Vorführungen mit Tanz. Eine eigenwillige Mischung aus Tony Marshall und Ricky Martin, in einen glänzenden, für seine runde Körpermitte viel zu engen Anzug mit Kummerbund geschossen, unterhält lautstark und erfolgreich die Massen. Auch ein Schafscheerwettbewerb steht auf dem Programm, wobei die Schafe anschließend nicht unbedingt hübscher aussehen.

Überall stehen kleine und große Grills, auf denen Lamm oder auch ein ganzes Rind gebraten werden. Definitiv kein Ort für Vegetarier.

Punta Arenas

Wir verlassen den spitzen Zipfel Südamerikas und fahren mit den Ziel Punta Arenas zurück über die PanAm Richtung Norden. In Rio Grande, der, wie wir jetzt wissen, Welthauptstadt der Forelle, füllen wir Tanks und Kühlschrank auf und lernen im Supermarkt Jamie kennen, einen sehr sympathischen Briten, der in Schleswig-Holstein lebt und für ein belgisches Unternehmen unter anderem in Südamerika Unterwasser-Pipelines verlegt. Global Business. Sechs Wochen Arbeit, dann sechs Wochen Urlaub in der Heimat. Die Bezahlung ist Spitze, die Unterbringung im besten Hotel der Stadt ebenfalls gut, nur mit der Arbeitsmoral der Argentinier hapert es ziemlich, so klagt er uns sein Leid. Fehlt bei der Lunch-Versorgung mal ein Tütchen Mayonnaise, dann wird unerbittlich drei Tage gestreikt.

Wir übernachten am Grenzübergang San Sebastian neben den Zollhäuschen und rutschen am nächsten Tag rüber nach Chile. Hier endet der Asphalt und die Straße geht bis Porvenir in eine Schotterpiste über, die entlang der bahia inutil, der unnützen Bucht, bis an die Küste der Magellanstraße führt. Der ewige Wind Feuerlands fegt wie immer ungebremst über die lichte, fast gänzlich unbesiedelte Steppenlandschaft. Unsere Helden sind die Radfahrer, denen wir hier auf Feuerland immer mal wieder begegnen. Manche fahren nur eine kleine, aber nicht weniger anstrengende Teilstrecke, andere befahren die gesamte Strecke von Prudhoe Bay bis Ushuaia. Mit Minimalgepäck und eiserner Disziplin trotzen sie dem Wetter und erkämpfen sich Kilometer für Kilometer. Chapeau!

Die Kleinstadt Porvenir mit heute rund 5.000 Einwohnern wurde während des kurzen Goldrausches von in der Mehrheit kroatischen Einwanderern um 1880 errichtet. Wir planen, am nächsten Tag die einmal täglich verkehrende Fähre nach Punta Arenas zu nehmen, vorausgesetzt, sie fährt, denn bei zu starken Winden wird der Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt und es heißt abwarten.

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Wir finden einen schönen Stellplatz am kleinen Leuchtturm oberhalb der bahia chilote, aber in der Nacht frischt der Wind nochmals auf und der Unimog bekommt ordentlich was auf den Popo. Er schwankt wie eine Hamburger Hafenbarkasse bei Sturmflut und unsere Nacht ist entsprechend unruhig, aber wir heben nicht ab. Am nächsten Tag erfahren wir, daß die Windgeschwindigkeit 80 Knoten betrug, also Orkanstärke. Bis zum frühen Nachmittag ist der Wind soweit abgeflaut, daß die Fähre starten kann. Die wellengeschüttelte Überfahrt dauert zweieinhalb Stunden, aber wir werden mit Walfontänen und Delphinen belohnt, die vor dem Bug gutgelaunt ihre Kunststückchen vorführen.

Punta Arenas, die Hauptstadt der Region Magellanes und südlichste Kontinentalstadt der Welt, präsentiert sich mit einem sehr gepflegten Stadtzentrum, einer hübschen plaza, die zum Verweilen einlädt und einem sehenswerten Friedhof. Die Stadt wurde Mitte des 19ten Jahrhunderts als Militärstützpunkt und Strafkolonie gegründet. Ihre Blütezeit als Handels- und Hafenmetropole reichte bis zu Eröffnung des Panamakanals, dann ereilte sie das gleiche Schicksal wie so viele andere Hafenstädte auf der Route: Die Stadt wurde für die Schifffahrt redundant. Die wirtschaftliche Flaute sollte aber nur vorübergehend sein: Schnell entdeckte man, daß sich die Region bestens für die Schafzucht und Wollproduktion eignete. Mit dem Boom kam der Wohlstand und viele Siedler und Geschäftsleute aus Europa.

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Auf der Plaza de Armas steht eine beeindruckende Bronzeskulptur mit Magellan als zentraler Figur. An zwei gegenüber liegenden Seiten sitzen zwei bronzene Indianer, welche die später ausgerotteten Stämme der Ona und Aonikenk darstellen. Küßt man den großen, schon blanken Zeh eines der Indianer, dann kehrt man nach Patagonien zurück. Die gutgebaute Meerjungfrau besitzt gleich zwei Schwänze, die den atlantischen und den pazifischen Ozean symbolisieren sollen, welche von der Magellanstraße verbunden werden.

Viele Schafbarone der umliegenden estancias bauten sich in Punta Arenas repräsentative Stadtvillen, wobei Tapeten, Möbel, Polster, Teppiche, Waschtische, Kamine und selbst das Parkett für die Böden über den Atlantik aus Europa herbeigeschifft wurden. Auf dem Rückweg transportierten die Schiffe tonnenweise Schafwolle.

Der Friedhof der Stadt ist ein Kleinod und wurde zum chilenischen Nationaldenkmal erklärt, was offensichtlich ein sattes Eintrittgeld von den Lebenden rechtfertigt.

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In Form gestutzte Zypressen säumen die Alleen, an denen sich die Gräber und Mausoleen aneinander reihen. Der verflossene Ruhm der Gründerzeit ist unübersehbar. Manche Grabstätten sind verschnörkelt und verspielt, manche puristisch schlicht gehalten.

Viele Gräber tragen kroatische, italienische, polnische und schweizerische Namen. Auch zahlreiche deutsche Einwanderer sind hier bestattet und es gibt sogar eine gemeinsame Grabstätte unter einem Kreuz der „Deutschen Kranken Kasse“.

Ende der Kultur

Die ersten menschlichen Spuren auf Feuerland werden datiert auf 10.400 v. Chr. und die Wissenschaftler vermuten, daß diese Menschen während der letzten Eiszeit über die zugefrorene Magellanstraße von Norden kommend einwanderten. Charles Darwin, der 1834 mit der Beagle auch nach Feuerland kam und dafür bekannt ist, in der Regel vorurteilsfrei auf Menschen zuzugehen, hatte für die dortigen Ureinwohner überraschenderweise nur verächtliche Worte übrig. Er nannte sie „Untermenschen ohne geistiges Leben“, sicherlich Ausdruck des damaligen Zeitgeistes. Die europäische Öffentlichkeit stellte sie auf eine Stufe mit Tieren, und manch Eingeborener wurde gefangen genommen, per Schiff nach Europa befördert und dort auf Aufstellungen als „exotisches südamerikanisches Tier“ präsentiert.

Dabei hatten sich die Ureinwohner perfekt an die harten Lebensumstände an der Südspitze des Kontinentes angepasst. Die Selknam im Norden der Hauptinsel lebten als Fußjäger überwiegend von Guanakos, aber auch von Wasservögeln und Muscheln. Die Wassernomaden Yamana ganz im Süden in der Region des Beagle-Kanals zogen mit ihren Kanus, die aus mit Walsehnen vernähten Baumrinden gefertigt wurden, durch die Kanäle zwischen den feuerländischen Inseln und über das küstennahe Meer. Die Männer fertigten aus Walknochen Harpunen und jagten die nahrhaften und fettreichen Seelöwen, die Frauen tauchten im Meer nach proteinhaltigen Krebsen und Muscheln. Ihren nackten Körper schützten die Menschen vor Kälte und Regen einzig durch dickes Einreiben mit Seelöwenfett.

Ihr Leben verlief ruhig und störungsfrei, bis die Europäer und ihre Missionare die Bühne betraten. Besonders die Prediger der South American Mission Society richteten mit ihrer überzogenen Prüderie immensen Schaden an. Sie zwängten die Ureinwohner in Kleidungsstücke, zumeist alte, abgelegte Lumpen, die im feuchten Klima Feuerlands nie richtig trockneten. Lungenentzündung und Tuberkulose grassierten; viele Yamana erkrankten und starben. Die Landnahme, protegiert durch eine skrupellose Siedlungspolitik, war ebenfalls brutal: Für jeden getöteten ureinwohner wurde ein Kopfgeld bis zu einem Pfund Sterling bezahlt. Hinzu kamen die vielen, von den ab 1860 zunehmenden Siedlern eingeführten Krankheiten wie Pocken, Röteln und Masern, denen die Yamana, Selknam und Manekenk schutzlos ausgeliefert waren. Von den ursprünglich gezählten über 10.000 Yamana lebten 1883 gerade einmal noch 3.000, 1910 nur noch 350. In nur fünfzig Jahren hatten die Weißen es geschafft, die Ureinwohner bis auf einige wenige auszurotten. Heute leben noch eine Handvoll Nachfahren östlich von Puerto Williams auf der Isla Navarino; eine einzige Person beherrscht noch die Sprache Yaghan, die Reverend Thomas Bridges in seinem Wörterbuch auf der Estancia Haberton verewigte. Ein trauriges Schicksal, welches viele Urvölker dieser Welt teilen.

Estancia Haberton

Bevor wir uns vom Ende der Welt verabschieden statten wir der Estancia Haberton noch einen Besuch ab. Von Ushuaia fahren wir über eine Piste 75 Kilometer durch Urwald und entlang großer Weideflächen nach Osten. Unterwegs bieten sich wunderschöne Ausblicke auf die Bergkette der chilenischen Isla Navarino und Puerto Williams. Vereinzelt stehende zerzauste Bäume zeigen unmissverständlich die vorherrschende Windrichtung an.

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Die älteste estancia im argentinischen Teil Feuerlands liegt in einer wunderschönen Bucht des Beagle-Kanals und wurde 1999 zum Nationaldenkmal erklärt. Gegründet wurde sie 1886 von dem britischen Missionar Reverend Thomas Bridges, ein britisches Waisenkind, der das Land von Präsident Roca geschenkt bekam. Wie kommt man zu einem so üppigen Geschenk? Thomas Bridges war als Missionar bereits auf den Falklandinseln tätig gewesen und hatte dort die Sprache der Yámana, der Ureinwohner, – Yaghan – erlernt. 1870 gründete er die anglikanische Mission in Ushuaia und begann, sich noch stärker für die Kultur und Sprache der Ureinwohner zu interessieren. Im Verlauf seiner Forschung erstellte er ein Wörterbuch der Yaghan-Begriffe, welches insgesamt 32.000 Einträge umfasst. Bridges verdanken wir das umfangreiche Wissen über die Ureinwohner, die einstmals die Kanäle mit ihren Kanus befuhren und heute ausgestorben sind. Als Dank für sein Lebenswerk schenkte ihm Präsident Roca das grasbewachsene, sanft-hügelige Land an der windgeschützten Bucht. Ein recht großzügiges Dankeschön, denn der Besitz ist immerhin 20.000 Hektar groß.

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Bridges benannte das Land nach dem englischen Städtchen Haberton, aus welchem seine Frau stammte. Die Kirche mit ihrem großen Portemonnaie und wie immer nicht kleinlich, wenn es um den Fang neuer Seelen geht, finanzierte den Bau eines Wohnhauses, welches in England erst errichtet, dann wieder abgebaut, mit einem Segelschiff nach Südamerika verschifft und dort wieder neu zusammengesetzt wurde.

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Die Ureinwohner, Yámana und Mannekenk, waren auf der estancia immer willkommen und auch etliche Wissenschafter, Goldsucher und Schiffbrüchige fanden hier ein vorübergehendes Zuhause. Aufgrund des regen Betriebes entstand hier der erste Gemischtwarenlanden Feuerlands, der die Menschen mit Fleisch und Gemüse, aber auch mit Importwaren versorgte. Heute kann man den botanischen Garten, die Werkstatt, den Schafscherschuppen, das Bootshaus und einige renovierte Holzgebäude besichtigen. Im historischen Haupthaus leben die Nachfahren von Bridges, die Familie Goodall, daher ist dort der Zutritt nur für die sogenannte „Teestube“ mit ihrer kleinen Ausstellung zu den Yámana möglich. Auch besagtes umfangreiches Wörterbuch liegt dort aus und man kann darin blättern. Nachdem ein strenger Winter die ehemals 9.000 Schafe der estancia auf 1.000 dezimiert hatte wurde die Schafzucht vor einigen Jahren ganz eingestellt.

Wir finden auf dem Rückweg an einem Fluß einen schönen Nachtplatz und sehen am nächsten Morgen einen Schwarm der kleinen, grün-rot gefiederten patagonischen Smaragd-Papageien, die genauso lärmend wie ihre brasilianische Verwandschaft durch den Wald ziehen.