Türme des blauen Himmels

Vor uns liegt ein Highlight unserer Reise, auf das wir uns sehr freuen, der Parque Nacional Torres del Paine. Wir entscheiden uns, über den südlichen Zugang nahe des Lago Toro in den Nationalpark zu fahren und ihn über den nordöstlichen zu verlassen, um dann in Cerro Castillo gleich nach Argentinien auszureisen. Von Villa Telhuelche aus führt die Fahrt über Schotterpiste an der Höhle eines Milodóns vorbei, eines urzeitlichen Riesenfaultiers mit 3,5 bis 4 Metern Größe. Da der Kleine aber nicht zuhause ist fahren wir weiter.

Die Landschaft ist atemberaubend. Hier trifft die patagonische Pampa auf die Gipfel der südchilenischen Anden, steil aufragende Berge mit spitzen Granittürmen. Der höchste Berg ist der Cerro Paine Grande mit 3.050 Metern, umgeben von den Spitzen des Paine Chico, der Torres del Paine und der Cuernos del Paine – den „Hörnern“. Die Landschaft erinnert uns von Ferne ein wenig an die Dolomiten, ausgestanzt und in die abgeernteten strohgelben Felder der holsteinischen Seenplatte gesetzt.

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Noch außerhalb des Parks finden wir weit abseits der Straße einen Stellplatz oberhalb des Lago Toro. Die Rumpelei durch den Wald und den Hang hinauf lohnt sich; das Panorama ist unbezahlbar.

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Auf der einen Seite der Blick über den türkisfarbenen See, den Wald und das Bergmassiv, auf der anderen Seite auf die karge Pampa, über der sich in der untergehenden Sonne Lentis bilden, die wie außerirdische Ufos über dem See zu schweben scheinen.

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An der Porteria Serrano fahren wir am nächsten Tag in den Nationalpark. Paine bedeutet in der Sprache der Telhuelche-Indianer „himmelblau“, Torres del Paine also „Türme des blauen Himmels“.

Weite Teile des Parks sind vergletschert. Im Westen schiebt der Tyndall Gletscher seine Zunge in den See gleichen Namens; im Lago Grey etwas weiter nordöstlich schickt der Grey Gletscher weiß-blaue Eisberge auf Reise. Wir wandern zu einem kleinen Aussichtpunkt mit Blick auf den Gletscher und den See, und wie schon beim O´Higgins Gletscher fegt hier der Wind von den Bergen über den Gletscher hinweg talwärts, lädt sich an den Eismassen mit Kälte auf und pustet uns fast um.

P1220045Vor langer Zeit war die gesamte Region unter Gletschern begraben; was wir heute noch sehen können sind nur die kümmerlichen Reste des ursprünglich riesigen patagonischen Eisfeldes. Der O´Higgins-Gletscher, den wir mit dem Boot besucht haben, hat allein im Zeitraum 1986 bis 2010 insgesamt 70 qkm seiner Fläche eingebüßt und sich um sechzehn Kilometer zurückgezogen, daß entspricht rund zehn Prozent seiner Fläche.

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Unterhalb des verschneiten Paine-Massivs liegen zahlreiche türkisfarbene Seen und Lagunen malerisch eingebettet in Wiesen, Moore und alte Wälder. Auch wenn dies hier die Luvseite der Anden ist, kann das Wetter innerhalb von Minutenschnelle umschlagen, unvermittelt von Sonnenschein zu Hagelschauer oder Kälteeinbrüchen wechseln. Wir haben Glück und erwischen einen der wenigen beständigen klaren Tage im Jahr mit viel Sonne, blauem Himmel und Windstille. Immer wieder halten wir an, um zu Staunen. Dann entdecken wir vor dem Weiß des Bergmassives einen schwarzen Punkt. Es ist ein Kondor, der hier mit gespreizten Schwingen seine Kreise zieht. So plump die Kondore sich am Boden bewegen, so majestätisch sind sie in der Luft.

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Durch den 242.000 Hektar großen Park führen Schotterpisten mit vielen Steigungen und blinden Kurven. Je weiter wir das Bergmassiv umfahren desto mehr öffnet sich der Ausblick auf die Torres und Cuernos. Die Waldbrandgefahr ist während der Sommerzeit immens hoch und an vielen Stellen trifft man auf Warntafeln. Immer wieder haben in der Vergangenheit Touristen durch Unachtsamkeit verheerende Brände verursacht, zuletzt zur Jahreswende 2011/12, als innerhalb von wenigen Tagen über 17.000 Hektar im zentralen Teil des Parks abbrannten. Das Gesetz ahndet das Anzünden von Feuer mit drei Jahren Haftstrafe und einer Geldbuße in Höhe von 4.000 USD. Verursacht man einen Waldbrand, droht eine Haftstrafe von fünf Jahren und zusätzlich eine Geldstrafe von 16.000 USD.

Abends finden wir einen Stellplatz in einem kleinen ausgetrockneten Wasserloch, Panoramablick auf die nadelspitzen Granittürme inklusive. Als wir am nächsten Morgen beim Frühstück sitzen hören wir draußen plötzlich wildes Getrappel, dann wird es vor den Fenstern staubig. Wir sind von einer großen Guanaco-Herde mit vielen Jungtieren umlagert und die rund fünfzig Tiere lassen sich ohne Scheu unmittelbar neben dem Wagen nieder, wälzen sich im Staub und beäugen uns interessiert.

Nach kurzer Zeit hält den Grzimek in mir nichts mehr … ich muß raus aus dem Wagen. Ich achte darauf, tunlichst nicht zwischen die Tiere zu geraten, was nicht so leicht ist, da viele zwischen dem Büschelgras liegen und mit ihrer hellbraunen Fellfärbung schlecht zu erkennen sind. Prompt kommen hinter mir plötzlich zwei Hengste in halsbrecherischem Galopp, mit dem Kopf auf dem langen Hals Schwung holend, angejagt. Es ist Brunftzeit und die Tiere sind außer Rand und Band, da komme ich ihnen lieber nicht in die Quere.

Das Wetter hält sich überraschend gut und wir würden in dieser wunderbaren Landschaft gerne noch länger verweilen, aber nach ein paar Tagen müssen wir weiter.

Auf dem Weg aus dem Park Richtung Cerro Castillo sehen wir wieder einige Kondore, zunächst in der Luft, dann später mit Jungvögeln auch am Boden, wo sie sich am Kadaver eines Guanacos gütlich halten, während sein Artgenosse zusieht.

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