Archiv für den Tag: 8. März 2015

Wolkenspiel

So schön … und so böse…

Zu Gast bei der „Hübschen“

In den abgeschiedenen Hochtälern hat es uns ausnehmend gut gefallen, aber jetzt ist uns nach etwas städtischem Trubel und wir steuern Salta an, mit einer halben Million Einwohner die größte Stadt im Norden und die vielleicht schönste Kolonialstadt Argentiniens. Im Norden liegt nur ein paar Hundert Kilometer entfernt schon Bolivien, hinter der Andenkette die Atacama-Wüste.

Durch die dichten nebligen Wälder der Yungas stürzen wir uns also wieder Tausend Meter bergab in die Ebene und erreichen „La Linda“, die „Hübsche“, wie die Stadt auch genannt wird, am späten Nachmittag. Das Wolkenspiel am azurblauen Himmel ist gigantisch, Kilometer hoch türmen sich gewaltige Cumulonimbuswolken über der Stadt. Es ist wunderschön anzusehen, verheißt aber nichts Gutes und soll noch Spätfolgen haben, wie wir wenige Tage später erfahren werden.

Wir finden einen Platz im örtlichen Freibad, mal etwas ganz Neues, und über Nacht setzen wie erwartet Gewitter und Regen ein. Es blitzt und donnert nonstop.

Auch am nächsten Tag nieselt es noch leicht vor sich hin, aber wir nehmen ein Remis ins historische Stadtzentrum. Die Kolonialarchitektur rund um die mit hohen Palmen bestandene Plaza 9 Juglio ist auch bei Regen schön und sehr gut erhalten.

Wir besuchen die mächtige Kathedrale mit ihren hohen Bögen und gewaltigen Kronleuchtern. Ihr vergoldeter Altar gleicht einer Supernova.

Der Fußboden – eine aufwändige Verlegearbeit aus verschiedenfarbigem Stein – scheint wie von M. C. Escher entworfen zu sein. Bei zu langem und zu intensivem Daraufschauen verschwimmt das dreidimensional wirkende Muster und wird mir schwummerig.

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Auch unsere vierbeinigen Freunde, die vielen heimatlosen Straßenhunde, sind in der Kathedrale willkommen und schlummern friedlich zu Füßen der mächtigen Pfeiler.

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In einem umgestalteten kolonialen Prachtbau gibt die Stadt jungen lokalen Designern im Erdgeschoß eine Ausstellungsplattform, im Obergeschoß sind Meetingräume angesiedelt. Der Prunk alter Zeiten ist noch spürbar.


Die Iglesia San Francisco ein paar Straßenzüge entfernt wirkt mit ihrer bunten Farbgebung sehr fröhlich und ganz anders als die Kirchen, die wir bisher in Südamerika besucht haben. Leider ist sie geschlossen und wir müssen uns mit einem Blick durch den Zaun begnügen.

Als es Abend wird haben wir uns reichlich Appetit angelaufen und lassen uns in einem Restaurant unter den Arkaden an der plaza nieder. Je später es wird desto mehr Menschen strömen auf den Platz, die Kathedrale wird in stimmungsvolles rosa scheinendes Licht getaucht, Schuhputzer bieten uns an, das Leben unserer Schuhe zu retten. Ja, Salta ist hübsch.

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Quebrada de Cafayate

Zwischen Cafayate und Salta erstreckt sich entlang des Rio de las Conchas über rund achtzig Kilometer die Quebrada de Cafayate, eine orange-braune Landschaft, die ein bisschen an den Grand Canyon erinnert. Die Sandsteinfelsen sind hier ganz unterschiedlich aufgeschoben, mal diagonal, mal vertikal, bilden tiefe Schluchten und haben durch Erosion teilweise bizarre Formen angenommen. Wie ein Chamäleon wechselt die Landschaft ihr Gesicht und ihre Farben, und im Minutentakt verschlägt es uns die Sprache.

Durch das tiefe Tal des Rio de las Conchas zieht sich eine fruchtbare Oase wie ein grünes Band.

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Wir legen an besonders markanten Punkten Stopps ein, manchmal auch unfreiwillig, weil eine Ziegen- oder Eselherde gemächlich die Straße kreuzt. Selbst hier in der Abgeschiedenheit der Quebrada leben Menschen mit ihren Ziegen und Llamas in einfachsten Verhältnissen und verkaufen selbstgebackenes Brot.

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Cafayate

Wir haben Cafayate erreicht, das höchstgelegene Weinanbaugebiet der Welt, und fallen hungrig wie die Wölfe erst einmal in einem Restaurant an der von der großen Kathedrale bewachten plaza ein. Der Tag war lang und gespickt mit Erlebnissen, so daß wir Bauch und Hirn dringend mit neuer Energie versorgen müssen. Geschafft wie wir sind bekommen wir nicht mit, daß wir unseren Wagen im eigentlich unübersehbar gekennzeichneten Parkverbot abstellen. Die lokale Polizei weist uns charmant darauf hin und bittet uns freundlich, ihn um die Ecke zu parken. No worries – alles ganz entspannt hier.

Mit einem ordentlichen Steak auf dem Teller und eisgekühltem Rosé im Glas geht es uns dann gleich besser.

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Hier in Cafayate garantieren viele Sonnentage und das trockene Klima perfekte Bedingungen für den Weinbau; die Reblaus hat hier keine Chance. Gekeltert werden vorwiegend Malbecs und Cabernet-Sauvignons, aber auch Torrontes, ein strohgelber fruchtig-trockener Weißwein.
Auf der Straße kommen wir mit einem argentinischen Paar aus Santa Fe ins Gespräch, die schon mehrfach diese Weinregion bereist haben und die ansässigen bodegas gut zu kennen scheinen. Wir lassen uns von den beiden einige Empfehlungen geben und gehen dann Wein „shoppen“. Zwei Rote, zwei Weiße und zwei Rosés finden später ihren vorübergehenden Platz in unserer Bordbar.

Das Dorf mit rund 12.000 Einwohnern ist mit seiner flachen Bebauung aus getünchten Häusern und gut erhaltenen Resten von Kolonialarchitektur sehr hübsch, die mit viel Grün bepflanzten Straßen spenden Schatten und die plaza lädt mit kleinen Cafés und Restaurants unter Arkaden zum Verweilen ein. In einer Seitenstraße hat der Künstler Manuel Cruz sein Haus mit einer Hauswand, die man guten Gewissens als „tierisch“ bezeichnen darf.

Aber hier in Cafayate wird in den rund dreißig bodegas nicht nur Wein produziert, sondern es gibt auch eine ortsansässige cerveceria, eine Bierbrauerei. Prompt spricht uns am Unimog der Braumeister an, ein Deutscher, der seit dreißig Jahren hier lebt und arbeitet. Das Hallo ist groß, und in der nächsten Stunde wir viel gedeutschelt.

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Ruinas de Quilmes

Ein kulturhistorisches Highlight jagt an diesem Tag das andere: Auf dem Weg nach Cafayate legen wir trotz unerträglicher Mittagshitze einen Stopp bei den auf 5.000 Jahre alt geschätzten Ruinen von Quilmes ein.

Die ehemalige Befestigungsanlage vom Volk der Quilmes zählt zu den bedeutendsten Funden Argentiniens. Ursprünglich wurde sie zum Schutz vor den kriegerischen Übergriffen der Inkas errichtet und diente dann im 16ten und 17ten Jahrhundert bei den blutigen Auseinandersetzungen mit den Spaniern als Schutzanlage. Schlußendlich setzten die Spanier die Felder in Brand und hungerten die Quilmes aus, bis ihr Widerstand gebrochen war.

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Die Anlage bzw. das, was heute noch davon steht, zieht sich an einer mit riesigen Kakteen bewachsenen Bergflanke mit prächtigem Blick über das Tal hoch. Im Hintergrund winken die schneeweißen Gipfel der umliegenden Sechstausender.

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Museo Pachamama

Der Kunsthandwerker Hector Cruz, der mit dem Anfertigen von Teppichen und Wandteppichen ein Vermögen verdiente, nutzte dieses für den Bau des bedeutendsten Kulturmuseums dieser Region, das Museo Pachamama im kleinen Amaichá.

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Bevor wir das Museum besuchen recherchieren wir, was dieser auch heute noch in den indigenen Gemeinden tief verwurzelte Glaube eigentlich bedeutet. Von Bolivien bis Peru, im Norden Chiles und jetzt hier im andinen Argentinien: Immer wieder kamen wir während der Reise in Berührung mit dem Pachamama-Glauben. Wir finden im Internet eine, wie wir finden, recht gute und ausführliche Beschreibung unter www.missio-hilft.de. Für alle, die mehr wissen möchten, hier der Link:

https://www.missio-hilft.de/media/thema/theologie/thew/4/ThEW_4-5-3_Caero.pdf

Zusammengefaßt ist nach dem Verständnis der Andenvölker die Pachamama die Mutter aller universellen Existenz. Der Name Pachamama setzt sich aus zwei Begriffen zusammen, nämlich Pacha und Mama. Das Wort Pacha als Eigenname in den beiden Andensprachen
Quechua und Aymara drückt die Gesamtheit der Zeit und des Raums aus und steht für
die Allheit der Existenz des Lebens. Das Wort Mama als das bekannteste Wort verschiedener Sprachen und Völker bedeutet das Bewusstsein, Mutter zu sein. Zusammengenommen bedeutet also Pachamama , Mutter der Gesamtheit aller lebenden und universellen Existenz
zu sein.

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Hector Cruz errichtete das Museum mit viel Liebe zum Detail und verwendete neben den in der Region vorkommenden natürlichen Materialien wie Stein und Kaktusholz traditionelle Motive der indianischen Kultur. Das schön angelegte Museum mit Blick über das Tal nimmt in moderner Form die traditionelle Steinbauweise der Indianer auf und zeigt in thematisch abgegrenzten Räumen die geologische Evolution der Valles Calchaquies in den vergangenen 600 Millionen Jahren sowie Kunsthandwerk, Werkzeuge, Musikinstrumente und die nachhaltige Lebensweise der präkolumbianischer Völker dieser Region.

Die überdimensionalen Steinmännchen hätten Erich von Däniken bestimmt begeistert und zu neuen wilden Paläo-SETI-Hypothesen verführt…

Besonders die Vielfalt der ausgestellten Steine ist beeindruckend: Hier kann man die wasserlösliche Wüsten- oder Sandrose, Halbedelsteine und Mineralien wie grün schimmerndes Malachit und auch versteinerte Baustämme bestaunen.

In einer Art Puppenhaus wird das präkolumbianische Leben der hier beheimateten Andenvölker geradezu liebevoll dargestellt: Von der ergrauten Großmutter am Spinnrad über die webende Mutter mit Baby auf dem Rücken bis zu wollenen Bonsai-Llamas, es fehlt nichts.

In großen Vitrinen werden die Feldfrüchte und die Tiere der Region, darunter auch das Gürteltier, welches wir schon des öfteren gesehen haben, ausgestellt.

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Respekteinflößend ist auch der Knochenfund einer Säbelzahnkatze, die einst hier in Nordargentinien beheimatet war.

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Die Themenvielfalt und ihre Präsentation sind unterhaltsam und lehrreich – wir halten uns viel länger auf als erwartet – und das Museum selbst ist ein gelungenes Gesamtkunstwerk.

Amaichá del Valle

Irgendwann ist die Detour zu Ende und wir können unserem geplanten Routing wieder folgen. Bevor es nach Salta geht möchten wir die abgelegenen Valles Calchaquies besuchen, eine 300 Kilometer lange Kette zusammenhängender Hochtäler am Osthang der Anden. In Serpentinen geht es durch die Yungas, den nebelverhangenen Urwald mit tropischer Vegetation, nonstop 1.500 Meter bergan bis auf über 2.000 Meter. Viele Urwaldriesen tragen Röckchen“ aus Parasitenpflanzen oder ganze Vorhänge aus Lianen. Die spektakuläre Fahrt führt auf nur wenigen Kilometern durch vier Klimazonen und über eine tiefe Schlucht.

Dann öffnet sich vor uns ein weites Tal mit einem großen Stausee. Wir passieren Tafi del Valle, das Tor zu den Dörfern in den Hochtälern, anschließend steigt die Straße weitere tausend Meter an und wir erreichen auf dem Paso Infernillo die 3.000 Meter-Marke. Nach dem Scheitelpunkt schlängelt sich das Asphaltband in großen Schleifen wieder bergab und wir haben einen fantastischen Blick auf das vor uns liegende, mit großen Kakteen bewachsene Tal von Amaichá mit der gigantischen Andenkette im Hintergrund, der Cordillere.

Auch jetzt am Nachmittag bei sengender Sonne hat sich der Nebel an den Hängen noch nicht vollständig verflüchtigt.

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Aimaichá del Valle liegt auf knapp 2.000 Metern und ist eine Comunidad Indigena, eine Gemeinde von Ureinwohnern vom Stamm der Calchaquies. Das Land hier gehört der Gemeinde und darf weder an Privatpersonen noch an Unternehmen, weder an Ausländer noch an Einheimische verkauft werden, man kann es lediglich befristet pachten. Argentiniern und dauerhaft in Argentinien ansässigen Ausländer kann von der comunidad ein Bleiberecht auf Lebenszeit gewährt werden.

Der kleine Ort, dessen 5.000 Einwohner großflächig verteilt in einfachen, aber sehr gepflegten Häsuern leben, ist ruhig und idyllisch. Keine laute Musik, wenig Verkehr, keine Hektik. Wir parken direkt im Zentrum an der kleinen plaza und die Menschen begegnen uns gelassen, sehr freundlich und unaufgefordert hilfsbereit. Einer sagt uns, wo es das beste Brot zu kaufen gibt, der nächste empfiehlt uns einen Metzger für das beste Fleisch, wieder einer möchte uns zu einer bekannten Holzstatue führen, die hier anscheinend große Bedeutung besitzt. Wir werden hier, obwohl wir bestimmt ein unübersehbarer Fremdkörper sind, herzlich aufgenommen und fühlen uns sofort wohl. Die Menschen hier haben Zeit füreinander, und so komme ich beim Rundgang um die plaza mit einer älteren Indigena ins Gespräch. Sie erzählt von sich und ihrem Leben hier, daß Amaicha 350 Sonnentage im Jahr hat, aber im Winter kurzzeitig auch manchmal so viel Schnee fällt, daß die Busse ihren Betrieb einstellen müssen. Der Nebel reicht, um hier im Hochtal alles wachsen zu lassen, und so kann sich Amaichá weitestgehend vollständig selbst versorgen. Auf den ersten Blick wirkt die Landschaft trocken, aber unterirdisch gibt es viele Wasserquellen, mit denen die Felder bewirtschaftet werden. Die plaza ist rundum mit einfach getünchten und manchmal kreativ bemalten Häuschen bebaut. In einem davon erstehen wir einen kleinen Topf reinen Kaktusblütenhonig, süß-herb und von fast schwarzer Farbe. Er paßt wunderbar zum hausgemachten Ziegenkäse diese Region.

Auf einigen Gebäuden sind bunte Handabdrücke zu finden, die Ausdruck des hier noch stark gelebten indianischen Glaubens an Pachamama sind. Er besagt, daß die Arbeit, die Gedanken und die Weisheiten die Hände der Pachamama sind, der zu Ehren hier in Amaichá ein Museum errichtet wurde.

Ende Gelände

Unser Tagesziel haben wir schon fast erreicht, als unsere Weiterfahrt abrupt durch eine Straßenblockade aus Menschentrauben und brennenden Autoreifen beendet wird. Geduldig warten wir eine Weile, dann fragen wir nach, ob es eine Chance gibt, durchzukommen. Es gibt keine, und die Blockade dauert nun schon drei Wochen.

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Die Menschen hier in den Regionen Catamarca, Tucuman und La Rioja leben von der Landwirtschaft, die Böden sind fruchtbar, Obst, Getreide, Tabak und Gemüse gedeihen prächtig und überall entlang der Fernstraße sitzen große Agrarunternehmen mit modernen Bürogebäuden, großen Hallen und Silos. Trotzdem bleibt den Landarbeitern kaum Geld zum Leben übrig. Das Gefälle zwischen Arm und Reich ist groß in Argentinien, und hier, südlich von San Miguel de Tucuman, ist es besonders offensichtlich. Armselige Hütten, wie wir sie in Peru zuletzt gesehen haben, säumen die Straße. Mit der Blockade hoffen die Landarbeiter, in Buenos Aires höhere Löhne erringen zu können, nur: Welchen Politiker in der Hauptstadt interessiert es, wenn zwischen San Fernando de Catamarca und San Miguel de Tucuman die Ruta 60 blockiert wird?

Wir sind gezwungen, einen Umweg von über 70 Kilometern zu fahren, der in weiten Teilen über holprige Feldwege und durch Zuckerrohr- und Maisfelder führt. In der Nacht hatte es geregnet, und an manchen mit Wasser gefüllten Schlaglöchern sammeln sich Schwärme kleiner gelber Schmetterlinge. Von den Vibrationen des Unimogs aufgeschreckt fliegen sie auf und tanzen einen Moment wie Konfetti vor unserer Windschutzscheibe. Immer wieder huschen flinke Feldhamster panisch über die Piste und manchmal auch ein kleines Gürteltier mit seinem knöchernen Panzer, aus dem lange borstige Haare sprießen.

Auf den Karten von MapsWithMe hatten wir gesehen, daß wir den Rio Seco (Trockener Fluß) queren müssen. Als wir an die betreffende Stelle gelangen, ist von einer Brücke keine Spur zu sehen. Normalerweise könnten wir den Fluß mit dem Unimog einfach durchfahren, aber in den vergangenen Tagen hat es in der westlich gelegenen Sierra Aconouija heftige Regenfälle gegeben und der jetzt schnell fließende Fluß führt seinem Namen zum Trotz sehr viel Wasser und roten Schlamm. Da reicht auch die Unimog-Wattiefe von 1,30 Meter nicht aus. Für uns heißt es, zum zweiten Mal an diesem Tag, Ende Gelände und es geht viele Kilometer weiter über einsame Wege durch die Felder, in denen verstreut und abgelegen winzige Farmhäuser liegen, deren Bewohner in Shorts und Unterhemd draußen auf einem Plastikstuhl sitzen und die Zeit vorbeiziehen lassen.

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Archaeopteryx-Treffen

Wie muß man sich das Aufeinandertreffen zwei Flugsaurier vorstellen? Auf jeden Fall mit viel Fliegen, geradezu obszönen Mengen an rotem Fleisch und ebenso viel Bier. Wir lernen hier in La Rioja das argentinische Pendant zum deutschen Hugo kennen: Hugo Aguila, Drachen- und Gleitschirmpilot, Ausbilder, Weltmeisterschaftsteilnehmer und mit über dreißig Jahren aktiver Flugerfahrung ein ebensolcher Dino in der Szene wie Hugo.

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La Rioja ist eine untouristische Kleinstadt an den Ausläufern der Anden, unspektakulär, da sie keine großartigen Monumente oder andere kulturhistorische Highlights vorzuweisen hat, aber dafür umso authentischer. Sie zählt zu den ältesten Städten Argentiniens und ihre Gründungsstätte ist heute noch ihr Zentrum. Bei unserer Suche nach dem Landeplatz fahren wir durch auffallend schöne Wohngebiete. Geschmackvolle, weiß getünchte Villen im Fincastil mit lackierten Dachziegeln, die das Sonnenlicht reflektieren, oder puristische Designerhäuser aus Stein und Glas stehen auf großen, mit altem Baumbestand bewachsenen Grundstücken. Gärtner fegen Laub zusammen, sprengen den Rasen oder beschneiden die Bäume, ansonsten ist kaum jemand zu sehen, als wir durch die Straßen fahren. Später erfahren wir, daß hier Teile der politischen Oberschicht Buenos Aires einen Zweitwohnsitz haben.

Am nahegelegenen Landeplatz, dessen Gelände sich bereits seit vielen Jahren im Besitz des Aeroclubs befindet und dank der bevorzugten Lage bestimmt auch finanziell für den Club eine gute Investition ist, schlagen wir unser Quartier auf. Unsere einzigen Nachbarn sind Herr Esel und Frau Pferd.

Nach einigen Flügen mit dem Gleitschirm möchte Hugo sich endlich einmal wieder unter seinen alten Drachen hängen, den wir die ganze Zeit auf dem Dach spazieren fahren. Die thermischen Bedingungen passen gut, also wird das alte blaue Möfchen seit dem Flug über die große Sanddüne von Iquique in Chile das erste Mal auf dieser Reise wieder ausgepackt. Aus der Verpackung genommen entfaltet der Drachen vorsichtig wie ein aus seiner Verpuppung schlüpfender Schmetterling die Flügel. Trotz manch wilder Pistenrumpelei ist das Material unversehrt, Hugo stürzt sich vom Berg und kann einen schönen intensiven Flug in den Abendstunden genießen. Anschließend wechselt der alte Drachen spontan den Besitzer – er wandert von Hugo an Hugo. Für uns lohnt es nicht, den Drachen wieder zurück nach Europa zu transportieren, zumal zuhause der schnelle Atos ungeduldig wartet und geflogen werden will.

Abends lädt uns Hugo zusammen mit einer Handvoll argentinischer Piloten zur parrilla zu sich nach Hause um die Ecke ein. Ein Industriedesigner, ein Modedesigner, ein Elektroingenieur, ein Unternehmer ohne Unternehmen … die Runde ist bunt, das offene Feuer nach unseren europäischen Maßstäben gigantisch. Der asador, der Grillmaster, darf oben ohne am Feuer brutzeln; ihm in seine alle Hingabe und Konzentration fordernde Aufgabe hinein zu reden ein wäre ein unverzeihliches Sakrileg.

Vor 23.00 Uhr, bis die Gluthitze des Tages nachgelassen hat, wird hier nicht zu Abend gegessen. Als Vorspeise gibt es verschiedene Sorten Wurst, darunter morcilla, eine Art argentinische Flöns mit vielen Gewürzen, die beim Grillen fast zu Bröseln zerfällt und nach einem Hauch von Weihnachten schmeckt – sehr lecker. Als Hauptgang gibt es Unmengen an Fleisch, Fleisch und noch mal Fleisch… und zum Dessert … Fleisch. Dazu wird chimichurri gereicht, ein Dip aus Olivenöl, Knoblauch und Petersilie. Die Jungs trinken aus einem gut zwei Liter fassenden Becher eine gruselige Mischung aus Cola und Fernet Branca, ich bleibe lieber dem guten Malbec treu.

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Von irgendwoher zaubert plötzlich jemand eine Gitarre an den Tisch und die Jungs beginnen zu singen. Von Folksongs über Pop bis zu fetzigem argentinischem Rap reicht ihr Repertoire, alle haben eine tolle Stimme und scheinen auch textsicher zu sein. Respekt. Unsere Frage, ob sie in einer Band singen, wird verneint, und Perro Verde – warum er sich selbst Grüner Hund nennt bleibt auch in dieser Nacht sein Geheimnis – erklärt, daß in der Region Catamarca, aus der sie stammen, alle Menschen singen können und für die Musik leben. Irgendwann, es ist schon fast Morgen, fallen wir in unsere Koje.