Archiv für den Tag: 6. März 2015

Ischigualasto oder Ein Champignon in der Wüste

Wie eine langgezogene Oase zieht sich das grüne Valle Fertíl durch die ansonsten karge, jetzt im Sommer mit über 40 Grad bullenheiße Landschaft. Die Straße ist entgegen allen Informationen asphaltiert, ähnelt aber einer Berg- und Talbahn und bringt Unimoppel so richtig in Wallung. Die kleinen Dörfer sind für die betuchteren Einwohner des 250 Kilometer entfernten San Juans eine Art Sommerfrische, aber der Tourismus findet auf ganz kleinem Niveau statt und so haben die Orte ihre Beschaulichkeit, um nicht zu sagen verschlafene Verträumtheit, noch nicht eingebüßt.

Unser Ziel ist der Parque Provincial Ischigualasto, eine ausgedehnte Erosionslandschaft, ein Mekka der Dinojäger und ein Paradies für Fossiliensucher aus aller Welt. Vor 250 bis 199 Millionen Jahren, während der Trias, war hier Saurierland. Die Anden waren noch nicht aufgeschoben, so daß der vom Pazifik kommende Regen für üppige tropische Vegetation und Nahrung sorgte. Die Schichten der Trias liegen hier nicht viele Kilometer tief in der Erde, sondern offen und für das bloße Auge erkennbar. Hier entdeckten Paläontologen unter anderem den ältesten Dinosaurier der Welt, einen Eoraptor mit 228 Millionen Jahren, und auch heute noch gibt es jährlich neue spektakuläre Funde. Auch die kleinen bißwütigen Freunde mit den spitzen Zähnen, die in Jurassic Park die Küche zu einem so ungastlichen Ort machen, finden sich hier in großen Zahlen. Das kleine naturwissenschaftliche Museum am Parkeingang zeigt einige Saurierfunde und gibt Auskunft über die Entstehungsgeschichte dieser Landschaft.

Um die Einzigartigkeit der bizarren, aber sensiblen Landschaft nicht zu zerstören fährt man hier mit dem eigenen Fahrzeug im Konvoi einem ausgebildeten Parkführer hinterher, der an markanten Punkten sehr kenntnisreich über die geologische Evolution informiert. Er nimmt uns mit auf eine faszinierende Zeitreise; es geht viele Jahrmillionen in der Erdgeschichte zurück. Nur zehn Prozent des 630 Quadratkilometer großen Parks sind für die Öffentlichkeit zugänglich; über Sandpiste fahren wir in gut drei Stunden rund vierzig Kilometer. Der backofenheiße Wind bläst unentwegt und die Felsformationen scheinen in der Hitze zu regelrecht zu glühen. An manchen Tagen, wenn der sogenannte zonda mit über sechzig Grad und hoher Geschwindigkeit von den Anden herab durch die Landschaft fegt, muß der Park geschlossen werden, weil vor lauter Staub die Piste nicht mehr sichtbar ist.

Mit im Konvoi fährt eine „Motorradgang“, deren eigenwillig dekorierte Maschinen eher Kunstwerken gleichen.

Besonders markante Stellen im Park tragen Namen. Die Formation Los Rastros (= Die Spuren) zeigt anschaulich die verschiedenen Stufen der Evolution: Die sandigen Schichten zeugen von einem immer trockener gewordenen Klima, nachdem die Andenkette von den Erdkräften wie eine Klimabarriere aufgeschoben war; wohingegen die unteren Schichten mit ihren Fossilien und versteinerten Farnen Zeugen der vorangegangenen tropischen Zeit sind. Auch heftige Vulkanausbrüche, die sich vor Millionen Jahren ereignet haben, sind in Form von schwarzen Streifen auf ewig dokumentiert.

Giorgia O´Keeffe hätte an den skulpturenhaften Felsformationen ihre Freude gehabt. Auch wenn die Landschaft lebensfeindlich zu sein scheint ist sie Heimat einiger Tierarten, die mit wenig Wasser auskommen. Wir sehen Guanakos, die uns neugierig beäugen, und sogar einen Fuchs, dessen geschecktes Fell farblich mit den Pastelltönen der Umgebung zu verschmelzen scheint.

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Das Valle Pintado, das bemalte Tal, ist eine viele Kilometer lange polychrome Felsformation, deren Farben in der nachmittaglichen Sonne zu leuchten scheinen. Wir blicken in das weite Tal, aus dem die Stille wie Rauch aufzusteigen scheint.

Das Spiel der Farben im Licht ist so schön, daß selbst die beinharten Rocker, die „Verfluchten Ratten“, andächtig schauen und zu sprachlosen Softies mutieren.

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Im Flussbett des Rio Seco, des trockenen Flusses, findet man unzählige Felskugeln verschiedener Größe, die wie in die Ebene katapultierte eiserne Kanonenkugeln ausschauen. Die Gesteinsbrocken erhielten ihre kugelige Gestalt aufgrund ihrer besonderen Metallhaltigkeit. Werden sie in klaren Nächten vom Mondlicht angestrahlt, beginnen sie zu fluoreszieren.

Star des Parks aber ist ein Monolith, „El Hongo“, der wie ein riesiger Champignon in den blauen Himmel ragt und trotz der häufigen Erdbeben in dieser Region noch immer nicht umgefallen ist.

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Wir hoffen, er stürzt nicht gerade jetzt um, wo wir daneben stehen.

 

 

Difunta Correa

Entlang der Straßen in Argentinien, aber auch in Chile, haben wir immer wieder kleine Altärhäuschen gesehen, die von Hunderten oder gar Tausenden Plastikflaschen umgeben waren. Dachten wir anfangs noch an punktuelle Vermüllung und eine unverzeihliche Umweltsünde in den sonst recht sauberen Ländern, so wurde schnell klar, daß es sich dabei um einen religiösen Brauch handelt.

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Viele Argentinier und Chilenen glauben an den Schutz der Difunta Correa, der Schutzpatronin für Verkehr und Reisen. Von der katholischen Kirche ist sie nicht anerkannt, also auch keine Heilige, aber an jedem Busbahnhof steht sie in einer Vitrine und wird wie eine Heilige verehrt. Entlang der Fernstraßen haben Menschen kleine Altäre errichtet, vor denen Reisende, Brummifahrer, Motorradfahrer und Busfahrer gefüllte Wasserflaschen abstellen und um ihren Schutz beten.

65 Kilometer östlich von San Juan und fast unmittelbar an unserer Strecke liegt der Wallfahrtsfahrtsort der Difunta Correa. Nachdem wir so viel darüber gehört und so viele Straßenaltäre gesehen haben statten wir dem für unseren Geschmack etwas befremdlich anmutenden Ort einen Besuch ab.

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Und so geht die Geschichte: Maria Antonia Deolinda y Correa folgte mit ihrem Säugling auf dem Arm zu Zeiten des Bürgerkriegs 1841 ihrem von Soldaten verschleppten Mann. Nach 34 Kilometern Fußmarsch auf der Straße verdurstete sie hier in der Wüste. Tage später fanden Maultiertreiber ihre Leiche, aber wie durch ein Wunder lebte der Säugling noch und nuckelte an den nach wie vor Milch spendenden Brüsten der Verstorbenen. Ein Wunder, ohne Zweifel.

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Wer immer eine Reise oder längere Fahrt plant erbittet den Schutz der Difunta Correa, und wer immer von ihr aus einer gefährlichen Situation gerettet wurde stattet ihrem Grab zum Dank einen Besuch ab. Der Wallfahrtsort ist eine Anhäufung aus kleinen Hotels, Restaurants und verschiedenster Devotionalien. An kleinen Kiosken kann man gegen Bares neben bunt bemalten Gipsmodellen der liegenden Difunta Correa mit ihrem Säugling an der Brust rote Stoffbänder mit Vordruck erstehen: Beschütze meinen Honda oder Beschütze meinen Mercedes oder Beschütze meine Suzuki oder Beschütze meinen IVECO…

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Autofahrer hinterlassen an der Grabstätte ihre KFZ-Schilder, verbogene Felgen oder geplatzte Autoreifen, Straßenbauarbeiter ihre Helme oder Schuhe. Brummifahrer stellen Modelle ihrer LKW ab, die in einem eigenen Raum ausgestellt werden, oder hängen Fotos ihrer bei einem Unfall demolierten Wagen auf, denen sie Dank Difunta Correas Beistand heil entstiegen sind. Da auch die Ehe als lange Reise betrachtet wird geben Bräute ihre weißen Kleider nach der Vermählung sicherheitshalber auch ab. Und überall auf dem Gelände stehen Abertausende Plastikwasserflaschen. Im Schrein selbst liegt eine fast lebensgroße Statue der Difunta Correa.

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Vieles ist hart an der Grenze zum Kitsch und für uns befremdlich, trotzdem beeindruckt der unbeirrbare Glaube der Menschen auf seine Weise.

Mendoza

Unsere Fahrt führt zu Füßen der Andenkette zur Puente del Inca, einer 21 Meter langen schönen Naturbrücke aus schwefelhaltigem rot-gelbem Gestein, dann weiter durch eine polychrome Landschaft immer entlang des Rio Mendoza. Das kleine, auf knapp 1.800 Metern gelegene Uspallata überrascht mit üppigem Grün und unzähligen hohen Pappeln, die die Straßen beidseitig säumen. Hier in dieser Region der Anden wurden Teile der Außenaufnahmen des Filmes „Sieben Jahre Tibet“ mit Brad Pitt, der Heinrich Harrer darstellt, gedreht, und Kulissen des Filmes findet man heute noch im Cafe Tibet.

Dann erreichen wir Mendoza, die Hauptstadt des argentinischen Weines. Hier wird ungefähr ein Viertel aller argentinischen Weine produziert und kaum ein Quadratmeter wird nicht mit Weinstöcken bepflanzt. Die einst hier lebenden Indios hatten bereits in prähispanischen Zeiten ausgeklügelte Bewässerungskanäle von den Bergen in die Ebene angelegt, die vom Schmelzwasser der Anden gespeist wurden. Wie praktisch für die Kolonialherren, die hier ab Mitte des 16ten Jahrhunderts einfielen. Architektonische Zeugen aus dieser Zeit existieren heute nicht mehr, da ein Erdbeben im Jahr 1861 die Stadt dem Erdboden gleichmachte. Ein französischer Architekt wurde einbestellt, und er legte nach Pariser Vorbild die Grundsteine für das heutige Mendoza mit seinen breiten begrünten Avenidas, den großzügigen Plätzen und den zahlreichen Kühlung spendenden Brunnen.

Die Landschaft um Mendoza ist hügelig, steigt zur Andenkette hin an, wobei die Berge wie die Schuppen einer gepanzerten Echse aussehen.

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Die Weinreben reichen bis fast in die Stadt hinein, die auch ansonsten durch sehr viel Grün positiv auffällt. Die Bebauung ist flach, die meisten Häuser haben nur ein oder zwei Stockwerke, und die Straßen sind alleeartig mit großen schattenspendenden Platanen bepflanzt. Überall gibt es kleine belebte plazas, auf denen Brunnen plätschern und die Menschen Zeit für einen Plausch finden..

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Kein Licht ohne Schatten, so ist es auch in Mendoza. Obwohl die Stadt ruhig und sicher erscheint gibt es hier viel Einbruch- und Diebstahlkriminalität. Wir beschließen, kein Risiko einzugehen. Statt den Wagen im Zentrum zu parken gehen wir lieber auf einen Campingplatz etwas außerhalb der Stadt und für die Fahrten ins Zentrum rufen wir ein Taxi oder Remis. Eine doppelt gute Entscheidung, denn es stellt sich heraus, daß der noch junge Betreiber des schön angelegten Campings selbst Gleitschirmpilot ist und so gleich den Kontakt zur örtlichen Flugszene herstellen kann. Der Landeplatz ist nicht weit entfernt, hat sogar eine Bar mit eisgekühltem Landebier, die Sonne scheint vor dem gezackten Scherenschnitt der Anden, die Thermik stimmt auch, alles ist gut, aber kaum hat man das Gefühl, die ganze Welt in den Händen zu halten, beißt sie einen in den Finger: Der Campingplatz ist mückenverseucht und die Biester sind so winzig, daß sie selbst durch das enge Mesh der Moskitonetze schlüpfen. Nach der ersten Nacht zähle ich über achtzig Stiche, die besonders an den Füßen sehr schmerzhaft sind und sich in kürzester Zeit zu dicken Blasen entzünden.

Hugo verbringt Zeit in der Luft und wird sich noch lange an die schönen Flüge erinnern, aber nach ein paar Tagen heißt es für uns weiter Richtung Nordargentinien.

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Wiedersehen in Santiago

Wir verbringen noch einige sonnige Tage an der Küste, verabschieden uns dann – diesmal aber wirklich endgültig – vom Pazifik und fahren weiter in die chilenische Hauptstadt, um uns mit Brigitte und Celi vor ihrer Abreise nach Spanien noch zu treffen.

Die Birnchen unseres Abblendlichtes sind auf beiden Seiten durchgebrannt oder Opfer von Rappelpisten geworden, und da ein eingeschaltetes Abblendlicht in den südamerikanischen Staaten auch am Tag obligatorisch ist, fahren wir zunächst die Mercedes-Werkstatt an. Hier kennt man uns noch von unserem ersten Besuch; wir bekommen Ersatzbirnchen und man bietet uns eine kostenlose Wagenwäsche an, die wir sehr gerne in Anspruch nehmen. Zu zweit und mit großen Schrubbern bewaffnet bemüht man sich, die dicken Schichten patagonischen Luxusdrecks der letzten Wochen und Monate abzukratzen. Die Mühe lohnt sich: Der Wagen sieht danach aus wie mit Perwoll gewaschen.

Ein mit Brigitte und Celi befreundetes Ehepaar ist so freundlich, uns ihr wunderschönes Haus als Treffpunkt zur Verfügung zu stellen. Brigitte und Celi sehen blendend aus und freuen sich genauso über das Wiedersehen wie wir, unsere aus der Schweiz stammenden Gastgeber Beate und Guntram sind äußerst liebenswert, und so beschließen wir, den Abend gemeinsam in einem trendigen Restaurant zu verbringen. Die Fahrt dorthin führt vorbei an den modernen Hochhäusern, die wie illuminierte Reagenzgläser in den nächtlichen Himmel Santiagos ragen. Nach so viel „wildem Outdoor-Leben“ sind wir die städtische Schickeria gar nicht mehr gewohnt, aber das anfangs etwas befremdliche Gefühl gibt sich mit dem ersten Pisco Sour und wir genießen hemmungslos die maritimen Leckereien. Mit Meeresfrüchten gefüllte empanadas und Thunfischtartar als Vorspeise, danach mit Seespinne gefüllte Canelloni an cremiger Krebssauce – göttlicher geht nicht! Schon wenn ich daran denke läuft mir das Wasser im Mund zusammen…

Am nächsten Morgen heißt es für alle Abschied nehmen. Mit dem Versprechen, uns in Europa zu treffen, trennen sich unsere Wege. Für Brigitte und Celi geht es zurück nach Spanien, und wir brechen mit dem Ziel Mendoza Richtung chilenisch-argentinische Grenze auf.

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Östlich von Los Andes steigt die Ruta 60 zunächst in sanften Kurven, dann immer steiler an. In über dreißig atemberaubenden Serpentinen geht es den Berg hinauf; die LKW am Hang gegenüber sehen wie Spielzeugautos aus.

Kurz vor der Grenzstation erstreckt sich auf 2.800 Metern das Skigebiet Portillo, welches mit Abfahrten aller Schwierigkeitsgrade und einem Luxushotel angeblich zu den zehn besten der Welt zählt. Jetzt im Sommer ist alles geschlossen.

Auf 3.200 Metern Höhe führt ein drei Kilometer langer, zweispuriger und diffus beleuchteter Tunnel durch die Anden auf die argentinische Seite, wo alle Grenzformalitäten an einer gemeinsamen Station – eine Art Drive Through – mit Chile durchgeführt werden. Bisher hatten wir bei unseren Grenzüberquerungen nach Argentinien immer Glück, aber diesmal kassieren sie unsere frischen Lebensmittel ein.

Auf der Ostseite der Anden fällt die Straße dann über viele Kilometer sanft bergab. Ab und an blitzt die schneebedeckte Silhouette des Aconcagua im Hochgebirge auf, des mit 6.959 Metern höchsten Gipfel Südamerikas. Bis Mendoza liegen jetzt noch zweihundert Kilometer vor uns.

Beschwingt unterwegs

Auf unserem Weg nach Santiago liegt das Valle de Colchagua, aus welchem die meisten aller preisgekrönten chilenischen Tropfen stammen. Hier, nicht weit vom Meer entfernt, gibt es genügend Feuchtigkeit und im Sommer brennt die Sonne über Monate unbarmherzig. Ideale Bedingungen für feine Weine. Rund zwanzig Weingüter produzieren in dieser Region mit der Devise Klasse statt Masse vollmundige und samtige Rotweine aus den Rebsorten Cabernet-Sauvignon und Merlot und der in Europa durch die Weinpest Mitte des 19ten Jahrhunderts ausgestorbenen kräftigen Sorte Carmenère.

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Europäische Winzer wurden ob der wachsenden neuen Konkurrenz aus dem Land hinter den Anden hellhörig. Bevor man Anteile am Weltmarkt riskiert geht man doch lieber mit dem Feind ins Bett. Besonders französische Weingüter erkannten die Qualität und das große Potenzial der chilenischen Weine und kauften sich bei alteingesessenen Bodegas ein, wie zum Beispiel bei der Bodega Clos Apalta der Vina Lapostolle, die wir uns für eine Weinprobe ausgesucht haben und die mit dem Slogan wirbt „French in Essence, Chilean by Birth“. Cyril de Bournet und seine Frau Alexandra Marnier Lapostolle, die Nichte des Likör-Herstellers Alexandre Marnier Lapostolle (Grand Marnier), kauften 1994 eine alte bestehende Vina zweihundert Kilometer südlich von Santiago und führen diese seitdem unter streng biologischen und biodynamischen Gesichtspunkten. Der Zertifizierungsprozeß unter der Kontrolle eines deutschen Instituts dauerte allein sieben Jahre.

Die moderne Bodega auf altem Grund und mit alten Reben ist ein architektonisches Meisterwerk. Sie wurde in einen großen Granitfelsen hineingesprengt, ist mit sechs Etagen insgesamt 25 Meter tief und arbeitet ausschließlich mit Schwerkraft, so daß der Most ohne Pumpen in den Weinkeller gelangt. Dank ihrer besonderen Architektur überstand die Bodega bisher jedes noch so schwere Erdbeben. Umliegende Kellereien im klassischen Stil erlitten dagegen so schwere Schäden, daß sie bis zu einem Jahr Ausfallzeit überstehen mussten.

Von der höher gelegenen Bodega schaut man auf die Weinfelder. Die Trauben von Vina Lapostolle werden über einen Erntezeitraum von zwei Monaten Sorte für Sorte handgepflückt, dann von achtzig Frauen handverlesen und anschließend in große Behälter gegeben, die wiederum in voluminöse Eichenfässer gekippt werden. Allein durch ihr Eigengewicht und die Schwerkraft werden die Trauben entsaftet. Insgesamt wird auf diese Weise ein Rotwein produziert, der nicht in modernen Edelstahlbehältern reift, sondern in 450 Fässern aus französischer Eiche. Diese befinden sich tief im Fels auf Etage 3 und 4 und der Wein ruht hier zwei Jahre. Der abschließenden Qualitätskontrolle halten schlussendlich dann gerade einmal 250 Fässer stand, die dann als Spitzenwein Clos Apalta in den Handel kommen.

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Nach dem wir uns im „Felsenturm“ Etage für Etage heruntergeschraubt haben findet im fünften Stock die Weinverkostung statt. Als wir den stimmungsvoll illuminierten Raum betreten haben wir das Gefühl, in einem Planetarium zu sein. Die Decken sind aus gewölbtem Naturholz, ins Holz eingelassene kleine Lämpchen leuchten dezent wie ein Sternenhimmel und die schlichten Eichenfässer mit dem eingebrannten „Lapostolle“-Zeichen geben der Weinprobe einen wunderschönen Rahmen.

Wir verkosten drei Weine, die Proben sind üppig bemessen, und besonders der Clos Apalta ist merklich ein Schwergewicht. Hier beim Erzeuger kostet die Flasche USD 120. Auch bei dem stolzen Preis: Nur vom Clos Apalta allein kann die Vina Lapostolle nicht leben, daraus macht das Familienunternehmen auch keinen Hehl. Ganz offen erzählt man uns, daß der Gewinnbringer ein nahegelegenes, ebenfalls zum Unternehmen gehörendes Weingut ist, welches pro Jahr 2,5 Millionen Flaschen Rotwein mit dem Handelsnamen Cuvée Alexandre und einen Weißwein Casa Gran Reserva für den Massenmarkt produziert.

Im sechsten und letzten Stockwerk der Kellerei und über eine indirekt beleuchtete Treppe im Boden ist der ganz private Weinkeller der Marnier Lapostolles untergebracht. Hier ruhen einige besondere gustatorische Schätze, sehr alte Cabernets und Carmeneres. Für uns heißt es leider: Betreten verboten.

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Als wir nach der Besichtigung beschwingt die Vina verlassen wartet am Fuße des Weinberges eine Überraschung auf uns – die Polizei. Vorsätzliche Alkoholkontrolle, das hat als krönender Abschluß noch gefehlt. Ich lege mir schon auf Spanisch eine halbswegs glaubwürdige Erklärung für unsere kaum zu ignorierende Fahne zurecht, aber es kommt dann anders: Ein Wagen ist von der staubigen Straße abgekommen und mit Blechschaden im Graben gelandet. Die Polizei ist nur der Freund und Helfer … und wir fahren winkend und lächelnd vorbei.

Valdivia

Von Pucon rutschen wir quer durch Chile an die Pazifikküste bis Valdivia, welches wunderschön an dem Zusammenfluß zweier Flüsse liegt, die dann vereint als Rio Valdivia in den Ozean münden. 1960 wurde die Stadt durch ein Erdbeben mit der Stärke 8,9 zu achtzig Prozent zerstört und sackte um drei Meter ab, der Tsunami schleuderte Schiffe auf den Strand und veränderte die Landschaft bis weit ins Landesinnere nachhaltig. Am Ufer des Rio Valdivia liegen der kleine Flusshafen und der mercado fluvial, der Flußmarkt, auf dem es viele Arten von Fisch und Meeresfrüchten gibt, unter anderem auch ceviche, in Limettensaft gebeizter roher Fisch, und erizo, die frischen Seeigelzungen. Im Hintergrund der Fischhändler dösen gewichtige Seelöwen gemächlich auf Pontons im Fluß und kommen nur kurz in Schwung, wenn die Fischhändler beim Zerlegen der Fische Köpfe und Schwänze über ihre Schultern entsorgen.

An der kleinen Promenade entlang des Flusshafens entdecken wir einen hohen Turm aus Glas, der ein Foucaultsches Pendel beherbergt, welches hier seine ausschließlich durch die Erdrotation bewegten Kreise in feinem Sand zieht.

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Wir fahren weiter die Küste hinauf, aber aufgrund der sommerlichen Hochsaison bevölkern Menschenmassen die Strände und Ortschaften – Playa del Ingles auf chilenisch. Mit ein bisschen Sucherei und Rumpelei über Pisten finden wir dann doch noch ein paar einsame Stellplätze etwas außerhalb der touristischen Hochburgen und genießen Traumausblicke auf die Brandung des Pazifik.

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Jetzt, im Hochsommer, ist die Sonne stark genug, den über dem Meer liegenden Schleier aus Nebel in den Morgenstunden zu schmelzen.

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