Archiv für den Tag: 14. Juli 2015

Countdown

Irgendwann kommt das Unvermeidliche: Bis zuletzt haben wir diesen Zeitpunkt hinausgezögert, aber jetzt müssen wir zusammenpacken und nach Colonia del Sacramento, 180 Kilometer westlich von Montevideo, aufbrechen. Dort werden wir Unimoppel auf der Farm von Sandra – einer Deutschen – und ihrem urugayischen Mann Enrique bis zum nächsten Einsatz stehen lassen, gut betreut und im Kreis von rund fünfzehn anderen, ebenfalls temporär geparkten Overlandern aus aller Herren Ländern.

In Montevideo gibt es bei einem Zwischenstopp noch ein feines Babybeef in einer Parrilla in den Markthallen am Hafen. Genau dort haben wir mit Celi, Brigitte und einer Freundin der beiden zu Beginn unserer Reise gegessen. Für Menschen, die auf Paläodiät schwören, ein Paradies, für Vegetarier schlichtweg die Hölle. Bei einem kurzen Stadtbummel durch das historische Zentrum zeigt sich, daß Montevideo einst eine sehr wohlhabende Stadt gewesen sein muß. Heute sind einige Viertel schon arg mitgenommen und verfallen, aber die alte Pracht in der ciudad vieja, der Altstadt, läßt sich noch erahnen.

Colonia del Sacramento ist die älteste europäische Siedlung in Uruguay und wurde einst von den Portugiesen als Gegenpol zu Buenos Aires auf dem östlichen Ufer des Rio de la Plata gegründet. Das historische Zentrum mit seinen geduckten Kolonialbauten, dem holprigen Kopfsteinpflaster, den schmiedeeisernen Gittern und den verschwiegenen Plätzen mit viel Grün zählt heute zum UNESCO Weltkulturerbe. Die schlamm-braunen Fluten des Rio de la Plata, nicht der längste, aber der breiteste Fluß der Welt, münden hier in den blauen Atlantik. Der Fluß ist so breit, daß man die gegenüberliegende Seite und Buenos Aires nicht sehen kann. Man hat den Eindruck, an einem braunen Meer zu stehen.

Auf der Farm von Sandra und Enrique klären wir die Formalitäten und offenen Fragen, bevor wir an einen kleinen Strand zum Übernachten fahren. Außer vielen Vögeln und ein paar Fischern sind wir hier völlig allein.

Am nächsten Tag fahren wir zum Fähranleger in Colonia und kaufen zwei Tickets für die Schnellfähre nach Buenos Aires drei Tage später. Wenige Kilometer von der Farm entfernt können wir uns auf einem außerhalb der Saison fast völlig verwaisten Campingplatz mit hohen Bäumen und unzähligen Vögeln einrichten, um den Wagen zu überholen. Der Campingplatzbetreiber ist überaus zuvorkommend und stellt uns sogar seinen Hochdruckerreiniger zur Verfügung.

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Bevor wir den Wagen bei Sandra und Enrique abstellen ist eine Grundüberholung erforderlich: Der Sand und Schlamm muß abgespült, die Trinkwassertanks entleert und desinfiziert, Roststellen entfernt und überstrichen, etliche Dinge im Wagen umgeräumt und gesichert werden. Wir bauen immer mehr um den Wagen herum auf – Matratzen, Schlafsäcke, Werkzeugkisten, Ersatzteile, Schläuche, Kanister, Gummistiefel –, in kürzester Zeit ist unser gesamtes Hab und Gut verteilt und es sieht ziemlich chaotisch aus. Gut, daß niemand anderers da ist und wir viel Platz haben. Ich frage mich, ob wir bis zur Abreise alles wieder an den richtigen Platz schaffen.

Bei all dem wüsten Treiben haben wir zwei neugierige Besucher: Unter einer Holzpalette kommen um die Mittagszeit, wenn sie offensichtlich ausgeschlafen haben, zwei große Geckos von ungefähr 1,50 Metern Länge hervor und beäugen uns neugierig. Wir können uns ihnen bis auf ungefähr einen Meter nähern, bevor sie davon flitzen. Kekse mögen sie nicht, aber rohe Eier…

Dann ist es geschafft: Unimoppel ist blitzsauber und glänzt wie neu, na ja, fast jedenfalls. Wir fahren ein letztes Mal durch die Felder zu Sandra und Enrique.

Weißt du noch…?

Wir zockeln über die gut ausgebaute Costanera aus Montevideo hinaus mit dem Ziel Punta del Este und biegen dann auf die alte, den Strand entlang führende schmale Straße ab. In Maldonado, dem mondänen Vorort Puntas, besuchen wir für eine Nacht den „Weihnachtsmann“. Wir haben Glück, Franz und seine Frau sind in ihrem Feriendomizil auf dem Campingplatz zuhause und freuen sich über das Wiedersehen genauso sehr wie wir. Bei Wein und Käse bedanken wir uns für die vielen hilfreichen Tipps für Südbrasilien, die er uns vor einem Jahr gegeben hat, und seine großzügige Einladung nach Gramado, wo wir einige Tage bei seinem Hotel stehen durften und von Shanie, seiner Tochter, liebevoll mit dem schönsten Frühstück umsorgt wurden.

In Punta del Este fahren wir noch einmal die schönsten Stellen an der Küste ab, unterhalten uns mit vielen „weißt du noch?“ im Text und geben uns ein letztes Mal einer Sushi-Orgie hin. Wie schon im Jahr zuvor ist die Stadt recht ruhig, die weißen Sandstrände sind fast menschenleer. In „unserem“ Supermarkt kaufen wir noch ein paar Lebensmittel ein und auf der Strandpromenade in Piriapolis gönnen wir uns noch einmal ein großes Eis in „unserer“ Eisdiele… weißt du noch? Vor einem Jahr haben wir am gleichen Platz gesessen, auf das gleiche Meer geschaut, und plötzlich sind die alten Gefühle wieder da, dieses Nichtwissen, was während unserer Reise auf uns zukommt, diese angespannte, alles umfassende Vorfreude. Zwei glückselige Kinder am Abenteuerheiligabend.

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In den Dünen finden wir einen schönen Stellplatz mit Panoramablick. Die Sonne schenkt uns spektakuläre Auf- und Untergänge und in der Dämmerung hoppeln wilde Meerschweinchen um uns herum, sonst ist kaum jemand hier.

Hugo sammelt Treibholz und kurz darauf brennt ein romantisches Lagerfeuer.

Der Kreis schließt sich

Wir durchqueren die grüne, wenig abwechslungsreiche Landschaft von Entre Rios und erreichen das Ufer des Rio Uruguay, den „Fluß des bunten Vogels“, der die Grenze zu Uruguay bildet. Über eine steile Brücke geht es hinüber auf die andere Seite, dann erfolgt die unkomplizierte Aus-/Einreise beim Grenzübergang Fray Bentos.

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Hier, an diesem einfachen Grenzübergang, stauen sich lange Schlangen von LKW, die überwiegend mit landwirtschaftlichen Gütern und Holz beladen sind. In den Nischen zwischen den unzähligen, völlig eingestaubten Wagen floriert der heimliche Tauschhandel: Säckeweise finden hier Zwiebeln, Orangen, Mais und auch manches Handy einen neuen Besitzer. Die Offiziellen schauen weg oder mischen munter mit. Mit unserem Unimog sind wir schnell mit den Menschen in Gespräche verwickelt, werden in der Abfertigungsschlange zuvorkommend vorgewunken und sind schwupps dort, wo alles für uns begann.

Wir sind wieder in Uruguay und unser Reisekreis hat sich nach einem Jahr fast geschlossen. Wir erledigen die Grenzformalitäten mit erstaunlich wenig Papierkram, dann knallt der Gedanke an das bevorstehende Ende unserer Tour mit Wucht in unser Bewußtsein und nimmt uns für einem Moment die Luft. Ziemlich schweigsam verbringen wir die nächsten Stunden. Ist die Zeit unserer Reise wirklich und wahrhaftig schon um? Ja, fast. Ein paar Tage bleiben uns noch.

Vor uns liegen noch gut vierhundert Kilometer quer durch das Land bis nach Montevideo. Die Fahrt ist schön, die Ortschaften, die wir passieren, sind einfach und authentisch und tragen so schöne Namen wie Dolores, Mercedes oder Rosario. Uruguay hat uns am Anfang unserer Reise mit seiner Aufgeräumtheit, seiner Gelassenheit schon positiv überrascht und dieser erste Eindruck verstärkt sich jetzt noch.

Nach weiteren zwei Tagen durch sanft-hügelige Felder, Wiesen und Weiden liegen das Blau des Atlantik und das Häusermeer Montevideos vor uns.

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Wir fahren die doppelspurige Uferstraße entlang, vorbei am Hafen und dem großen Tor, durch das wir ein Jahr zuvor mit unserem Unimoppel nach 46 Tagen Atlantiküberfahrt von Bord der Grande San Paolo rollten, voller Spannung, voller Erwartungen, voller Neugier, was dieser Kontinent für uns bereit halten würde. Wie wird das Jahr wohl werden? Wird alles klappen? Alles gutgehen? Greenhorns, die wir damals waren, hatten wir bei unserer Ankunft in Südamerika nur ein kleines Vorgefühl, wie reich an schönen Erlebnissen wir ein Jahr später sein würden.

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Jetzt müssen wir uns entscheiden, wie und wo wir unsere letzten Tage verbringen möchten. Ein paar Tage Stadt mit Tango, Kultur, Nightlife und Sightseeing in Buenos Aires erleben oder die Reise doch lieber in der Abgeschiedenheit der Dünen entlang der Atlantikküste ausklingen lassen? Wir hören auf unsere innere Stimme und entscheiden uns spontan für letzteres. Stadtleben, überfüllte Straßen, ein pralles Konsumangebot und die damit verbundene Hektik werden wir in Deutschland wieder früh genug haben. Längst ist entschieden, daß Unimoppel hier in Uruguay bleibt für eine weitere Reise und so kann Buenos Aires locker warten bis zum nächsten Mal.

Traumhaus

In der Pampa Lechera gibt es offensichtlich auch lila Kühe. Zum Glück sind wir noch immer pappsatt, als wir an diesem „Traumhaus“ vorbei kommen. So schaffen wir es, ohne für Hüftspeck und Reisekasse verhängnisvollen Einkehrschwung daran vorbei zu gehen 🙂

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Wir schlendern den gemächlich dahinfließenden Fluß mit seinem von Sedimenten braun gefärbtem Wasser entlang und besuchen noch kurz die schöne Innenstadt von Paraná.

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Die Stadt ist aufgrund ihrer Lage im Binnenland vom internationalen Tourismus bisher verschont geblieben, aber – vielleicht auch gerade deswegen – absolut sehenswert und wir beschließen, „demnächst“ wieder her zu kommen.

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Big Fish

Es fällt uns schwer, diesen beschaulichen Ort mit seinen herzlichen Menschen zu verlassen, aber die Uhr tickt für uns jetzt unüberhörbar. Noch wollen wir es nicht wirklich wahrhaben und verdrängen es ganz oft, aber so langsam dringt das nahenden Ende unserer Reise jetzt mehr und mehr in unser Bewußtsein. Wir lassen La Calera hinter uns, umfahren Cordoba so gut es geht und nehmen Kurs auf die Provinz Entre Rios, auch Pampa Lechera genannt. „Entre Rios“, weil die Provinz zwischen den beiden großen Strömen Paraná und Uruguay liegt, „Milchpampa“, weil hier die Milchviehwirtschaft Argentiniens beheimatet ist.

Quer durch das Land geht es ostwärts, und je weiter wir uns von den Sierras entfernen desto grüner wird die Landschaft. Durch die starken Regenfälle nördlich von Cordoba vor einigen Tagen fließt das Wasser nur langsam ab. Auf einer Strecke von 300 km stehen bis kurz vor Santa Fe die Weiden noch in großen Teilen unter Wasser.

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Mit 370.000 Einwohnern und einer intensiven Landwirtschaft ist Santa Fe eine der wohlhabendsten Städte des Landes; schon von weitem sieht man die Wolkenkratzer der modernen Skyline in den Himmel ragen. Auch der große Flußhafen ist ein Motor der Wirtschaft: Bis hierher, weit vom Meer und dem Delta des Rio Plata bei Buenos Aires, wo sich die beiden Flüße vereinen, entfernt, können auf dem mächtigen Paraná sogar kleine Hochseeschiffe ihre Ladung befördern.

Wir unterqueren den breiten Fluß durch den Hernandarias-Tunnel und erreichen auf der gegenüberliegenden Seite die „Schwesterstadt“ Paraná, unwesentlich kleiner als Santa Fe, aber Provinzhauptstadt.

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Es ist sehr heiß und Zeit für eine Pause. Entlang des breiten Rio Paraná – der Rhein ist ein Rinnsal dagegen – mit seinen breiten Sandbänken verläuft eine wunderschön angelegte, baumbestandene Uferpromenade und lädt mit kleinen Restaurants zum Verweilen ein. Auf der Karte stehen zahlreiche lokale Gerichte mit Flußfischen, deren Namen ich nie zuvor gehört habe. Voller Appetit und Vertrauen bestelle ich blind und werde nicht enttäuscht. Hugo hat ein Steak mit Zwiebeln und Beilagen bestellt – das ist der hintere Eßteller auf dem Foto – und ich bekomme ein Flußmoster auf einem Teller von der Dimension eines Wagenrades serviert! Ultrafrisch, fein und weiß, auf den Punkt gegart, sehr sehr lecker, nur leider nicht zuschaffen. Wie sehr ich mich bemühe, das filettierte Monster Gabel für Gabel zu bezwingen, nach zwei Drittel ist Schluß.

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Alles Käse

Am nächsten Tag starten wir früh; unser Ziel ist ein Ort in der Peripherie von Cordoba. In Iquique, an der chilenischen Pazifikküste, hatten wir Monate zuvor Gustavo kennengelernt, der uns geradezu „genötigt“ hat, bei ihm vorbei zuschauen, wenn wir in der Gegend sind. „In der Gegend“ heißt in Argentinien im Umkreis von 500 Kilometern, also sind wir in der Gegend…  Wir rumpeln am Nachmittag in La Calera ein, fahren mal wieder eine Einbahnstraße in der falschen Richtung, da die Beschilderung fehtl – upps, macht aber nichts  –  und beziehen mit unserem Dicken im Garten von Gustavo Quartier.

Die Idylle könnte nicht größer sein: Ein altes Steinhaus mit dicken Wänden, umgeben von Schatten spendenden Bäumen mit ausladenden Kronen, im Garten zieht er Bio-Gemüse !!! selbst, hält sich Enten und ein Kaninchen, auf der Weide grasen seine Pferde und vier Hunde unterschiedlichster Couleur von ganz groß bis ganz klein bewachen seinen Hof. Hinter allem ragt sein eigener kleiner Flugberg in den argentinisch-blauen Himmel. Später treffen sich einige Flieger zum Plausch an der Clubhütte.

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Zu einem Flug reicht die Thermik dann doch nicht, aber ein kühles Bier kompensiert so manches. Marcelo hat Kräcker und Käse mitgebracht, der so gut schmeckt, daß wir ihn über den grünen Klee loben und reichlich zulangen. So richtig leckeren Käse haben wir in Südamerika nur sehr selten gefunden, meist schmeckte er ziemlich fade, aber dieser hier mit seinem herzhaften Parmesanaroma ist richtig gut.

Am nächsten Tag planen ein paar Piloten einen Ausflug ins fast drei Stunden entfernte Mina Clavero, einem international bekannten Fluggebiet. Hugo schließt sich ihnen an; ich nutze den Tag und befreie unser Haus vom Staub der letzten Wochen. Marcelo kommt mit seiner sehr hübschen und liebenswerten Frau Soledad vorbei und überreicht uns ein schwergewichtiges Geschenk: einen mindestens fünf Kilo schweren und fast kugelrunden Käselaib! Marcelo arbeitet im Vertrieb des Herstellers und hat unsere Käseversorgung für die kommenden Wochen in seine Hände genommen. Die Gastfreundschaft ist grenzenlos und wir sind wieder einmal überwältigt.

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