Archiv für den Tag: 13. Juli 2015

Goldsucher

Unimoppel ist immer für ein Gespräch gut und bei der Suche nach einem Supermarkt lernen wir in La Cumbre Gloria und Bob kennen, beides Argentinier, die jedoch einige Monate im Jahr bei ihren schon erwachsenen Kindern in Kalifornien leben. Sie laden uns spontan und überschwänglich zu sich nach Hause ein. Wir schaffen es nicht, „nein“ zu sagen, und beschließen stillschweigend per Blickkontakt, einfach noch eine weitere Nacht hier zu bleiben. Warum auch nicht?

Das Haus ist Bobs Elternhaus, weit über einhundert Jahre alt und mit vielen schönen antiken Möbeln und Bildern geschmückt. Sogar der Holzfußboden ist noch original erhalten. Bei Tee und Sandwiches tauschen wir uns aus. Bob erzählt, daß er für einige Wochen im Jahr mit seinem 4×4 zum Goldwaschen in die Berge fährt und sich dort in der Einsamkeit „versteckt“. In einem Glasröhrchen zeigt er uns den Goldstaub, den er geduldig, aber erfolgreich aus dem Sand und Schlamm der Flüsse siebt. Seine Ausbeute kann sich jedenfalls sehen lassen. Dann schleppt er uns in den Garten, wo seine große, teils selbstkonstruierte Goldwaschanlage steht, die er unentwegt mit Leidenschaft verbessert. Wir sind sprachlos. Das Riesending schleppt er auf dem Pick-up in die Berge?!!!

Die beiden haben viele interessante Geschichten zu erzählen, es wird viel gelacht und gegessen, und der Tag ist im Nu verplaudert. Wie schon so oft auf der Reise denken wir: Ein schöner Platz zum Bleiben, schade, daß wir weiter müssen…

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Hangar 3

In La Cumbre hat der Schweizer Andy Hediger vor Jahren ein Aeroatelier mit eigenen Flugplatz eingerichtet, welches von Red Bull finanziell unterstützt wird. Wir statten dem ehemaligen Worldcupsieger im Gleitschirmfliegen einen Besuch ab und dürfen mit unserem Moppel auf dem schönen Gelände des Air Sports Center über Nacht bleiben.

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Im Hangar 3 steht alles, was ein Fliegerherz höher schlagen lässt: Von UL-Flugzeugen über Drachen, Trikes und Swifts bis hin zu den an der Wand hängenden Windsuits für Basejumper ist alles vorhanden. Nicht nur das: Alles ist topgepflegt und auch der Hallenboden ist blitzblank.

Auf den ersten Eindruck ein perfektes Fliegerparadies, denken wir. Bis uns Andy sein Herz ausschüttet und uns aller Illusionen beraubt, indem er unwissentlich in der Praxis bestätigt, was wir von dem Arztehepaar in La Cumbre zuvor erfahren haben: Investitionen in Argentinien werden so unattraktiv wie möglich gemacht. Möchte man 100.000 EUR in ein Unternehmen investieren, kassiert der Staat vorab ganz offiziell erst einmal 30% als Investitionssteuer. Vermutlich fließen diese ohne Umweg auf das Kirchner-Konto. Dazu kommen die Schmiergelder für die lokalen Politiker, wenn man eine Baugenehmigung oder ähnliches benötigt. So macht Unternehmertum nicht wirklich Spaß. Andy ist jedenfalls bis auf den Grund seiner Seele gewaltig vergrätzt und macht daraus auch keinen Hehl.

La Cumbre

Irgendwann haben wir es trotz der Wassermassen und aufgeweichten Straßen geschafft. Wir erreichen die hübsche kleine Stadt La Cumbre, auf rund 1.300 Meter in den Sierras gelegen und eines der Ausflugsziele für die in Cordoba lebenden Großstädter. Im Sommer, wenn es in der Ebene erdrückend heiß ist, weht hier in den Sierras immer noch ein erfrischendes Lüftchen, und so haben zahlreiche Familien hier einen Zweitwohnsitz. Der Baustil ihrer Häuser reicht von einfachem Holzhaus bis hin zur Villa im englischen Landhausstil; alles ist sehr gepflegt. Der kleine Ort strahlt Ruhe und Gelassenheit aus.

Wir legen einen Stopp am ehemaligen Bahnhof ein. Beim Bummel durch das Städtchen lernen wir ein Arztehepaar Anfang 60 aus Buenos Aires kennen. Nach dem üblichen Geplänkel woher, wohin, wie lange, wie gefällts kommen die beiden von sich aus auf die politisch und wirtschaftlich desolaten Zustand Argentiniens zu sprechen. Nur wenn wir so offen auf diese Themen angesprochen werden gehen wir darauf ein; ansonsten halten wir uns sehr bedeckt.

Die beiden Ärzte beklagen die marode Wirtschaft des Landes. Die Bevölkerung wird mit Regierungspropaganda überhäuft: „Hier entsteht die 210te neue Schule „Nestor Kirchner“… hier wird der 320te Fußballplatz „Nestor Kirchner“ errichtet …. überall entlang der Hauptstraßen ist das überdimensionale Konterfei Christina Kirchners mit „frohen Botschaften“ für das Volk unübersehbar präsent. Faktisch interveniert die Regierung in die Wirtschaft und unterbindet alle Anreize für unternehmerisches Engagement. In Folge bleiben dringend erforderlich Investitionen aus. Besonders der Energiesektor leidet stark darunter; Argentinien wird zunehmend abhängiger von Importen und die eigenen Wirtschaftspotenziale liegen brach.

Schattenhaushalte führen zu unkontrolliertem Wachstum der Staatsausgaben, das Gesetz wird ausgehebelt, liberale Bürgerrechte ausgehebelt, die Pressefreiheit zunehmend eingeschränkt, Korruption bei Politikern und Beamten bleibt meistens ungeahndet. Interessant: Seit 2003 der mittlerweise verstorbene Nestor Kirchner zum Präsidenten gewählt wurde hat sich innerhalb von nur sieben Jahren das Privatvermögen der Kirchners nachweislich von 1,8 Mio EURO auf 13,2 Mio Euro vermehrt. Rechenschaft darüber legt Christina Kirchner nicht ab; der Verdacht auf zwielichte Geschäfte liegt nahe.

Das Arztehepaar zeichnet ein düsteres Bild der argentinischen Wirtschaft und Demokratie, bleibt aber erstaunlich gelassen. Wir fragen, ob sie sich von den Wahlen im Oktober 2015 Änderungen versprechen. Sie zucken mit den Achseln und meinen nur: „Ach wissen Sie, wir Argentinier leben einfach damit. Mal geht es zehn Jahre rauf, dann mal zehn Jahre runter. Wir Leute von der Straße können es doch nicht beeinflussen“. Doch, könnt ihr!

Fünfzehn Kilometer außerhalb von La Cumbre liegt der Start- und Landeplatz für Gleitschirmflieger, nur 350 Meter höher als die Umgebung, aber der Ausblick ist gigantisch. Weit kann der Blick in die Ferne schweifen, durch das grüne Tal windet sich der Rio Pinto, vor unseren Augen kreisen zwei Kondore. Hugo kann einige schöne Flüge genießen; einmal kreist er in einem Abstand von nur fünf Metern mit einem Kondor in einem Thermikbart.

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Vor Anbruch der Dämmerung fahren wir eine enge Schotterpiste die Berge hinunter zum Rio Pinto, wo wir die Nacht verbringen wollen. Durch die Regenfälle der letzten Tage sind alle Bäche gut mit Wasser gefüllt und so liegen auf der kurzen Strecke ins Tal mehr als zehn holprige Wasserdurchfahrten.

Wir finden einen schönen Stellplatz im Gebüsch am Ufer des Flusses. In den Bäumen rundum leben kleine grüne Papageien und andere Vögel, und vor unseren Füßen hüpfen Microfrösche von einem Zentimeter Größe durch den Sand. Am nächsten Morgen sitzen wir noch vor dem Frühstück gemütlich im glasklaren Wasser des Rio Pinto und genießen die Abgeschiedenheit in der Natur. Außer den lärmenden Papageien ist niemand da, der uns stören könnte. Dumm nur, daß meine Flipflops von einer Welle erwischt und davon gespült werden.