Archiv für den Monat: November 2014

Isla Negra

„Companeros, enterradme en Isla Negra, frente al mar que conozco, a cada area rugosa de piedras, y de olas que mis ojos no volveran a ver…“

„Freunde, begrabt mich in Isla Negra, gegenüber dem Meer, das ich kenne, an jenem rauen, steinigen Ort mit den Wellen, die meine verlorenen Augen nicht wiedersehen werden.“

Wir verlassen die Großstadt nach Westen und stoßen bei Algarrobo wieder an die Küste. Nördlich des Ortes erstreckt sich mit San Alfonso del Mar ein Hotelkomplex mit Guiness-Rekord: Eine künstlich angelegte Meerwasser-Lagune stellt mit 1.013 Metern Länge das längste Schwimmbad der Welt. Auch sonst ist die Gegend unübersehbar touristisch geprägt:

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Wir fahren weiter nach Isla Negra, rund 80 km südlich von Valparaiso gelegen. Isla Negra ist nicht, wie der Name vermuten lässt, eine schwarze Insel vor der chilenischen Küste, sondern eines der drei Häuser des Schriftstellers Pablo Neruda, sein Lieblingshaus und zugleich seine Grabstätte. Auf die Felsen oberhalb des Pazifiks gebaut spiegelt es die überbordende Phantasie des Dichters und seine lebenslange Leidenschaft für das Meer wieder. Er kaufte das Grundstück mit einem kleinen Steinhäuschen 1938 einem spanischen Seemann ab und nahm im Laufe der Jahre zusammen mit seinen Freunden, den Architekten German Rodriguez Arias und Sergio Soza, zahlreiche Änderungen und Erweiterungen vor. Überwiegend wurden dabei Holz und Naturstein aus der Gegend verwendet. Mit der Zeit entstand ein organisch anmutendes Gebilde, teils Wohnhaus, teils Arbeitsstätte, teils Museum.

Das Haus ist im Originalzustand erhalten und beherbergt Nerudas sagenhaftes Sammelsurium an über 3.500 Gegenständen, die er weltweit auf Flohmärkten selbst zusammentrug. Alte, aus Holz geschnitzte Galionsfiguren, die einst den Bug von Walfängern schmückten, zieren heute Wohn- und Esszimmer, die Bar im Garten ist mit einer großen Anzahl skurriler Glasflaschen ausgestattet, Buddelschiffe sind so an den Fenstern angebracht, daß sie für den Betrachter auf dem Ozean zu schwimmen scheinen, der Durchgang zum Anbau ist mit asiatischen Masken geschmückt, im Arbeitszimmer finden sich eine Sammlung von Pfeifen, Schmetterlingen, Käfern und Walzähnen und im von Neruda so genannten „Sala del Caballo“ steht ein lebensgroßes künstliches Pferd, welches er nach einem Brand „rettete“. Besonders gut hat uns seine sehenswerte Muschelsammlung aus aller Welt gefallen, die in einem separaten Raum perfekt ausgeleuchtet in Szene gesetzt ist. Jedes Teil seiner Sammlung hat eine eigene Geschichte, zu jedem hatte er eine persönliche Beziehung. In seinen Memoiren schreibt Neruda:„In Isla Negra habe ich kleine und große Spielzeuge zusammengetragen, ohne die ich nicht leben kann“.

Pablo Neruda liebte seine Heimat und das Meer sehr, wenngleich er sich auf Schiffen nicht wohl fühlte und Seefahrten wenn möglich zu vermeiden suchte. Sein von zwei Seiten sonnendurchflutetes Schlafzimmer liegt im obersten Stock des Haupthauses und vom Bett aus blickt man durch ein großes Panoramafenster direkt auf die Pazifikwellen, die sich an den Felsen brechen. Auf seinem Nachtschränkchen hatte Neruda ein Fernrohr liegen, um die vorbei fahrenden Schiffe zu betrachten.

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Neruda war Dichter, Konsul, Senator, Freund Salvador Allendes, leidenschaftlicher Antifaschist, Präsidentschaftskandidat, Literaturnobelpreisträger. Die internationale Auszeichnung erhielt er „Für eine Poesie, die mit der Wirkung einer Naturkraft Schicksal und Träume eines Kontinents lebendig macht.“ 1973, 12 Tage nach dem Putschversuch gegen seine Unidad-Popular-Regierung, setzte Nerudas Herz aus. General Augusto Pinchet ordnete heuchlerisch eine dreitägige Staatstrauer an, während seine Truppen die Häuser Nerudas in Valparaiso, Isla Negra und Santiago verwüsteten.

Heute sind der Dichter und seine dritte Frau, Matilde Urrutia, im Garten von Isla Negra beigesetzt, der Grabstein schaut auf das Meer und die Wellen, die er so sehr liebte.

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Einen umfassenden Überblick über sein buntes Leben als Künstler und Politiker geben seine Autobiographie „Ich bekenne, ich habe gelebt“ und seine Biographie von Volodia Teitelboim.

Santiago de Chile

Wir sind auf dem Weg in die Hauptstadt Chiles, die weitläufige Metropole mit über vier Millionen Einwohnern, das uneingeschränkte wirtschaftliche und intellektuelle Zentrum des Landes, ein Häusermeer mit glitzernden Bürotürmen vor der Kulisse der schneebedeckten Andengipfel. Rund fünfzig Kilometer vor Santiago wird die Landschaft fast auf einen Schlag grün. Schöne, teilweise sehr alte, denkmalgeschützte Weingüter und üppige Obstgärten wechseln sich entlang der PanAm, die hier vierspurig ausgebaut ist, ab. Nachdem wir über Monate fast nur Wüstenlandschaften mit wenig bis keiner Vegetation gesehen haben tut uns das satte Grün in den Augen fast weh.

Unterwegs lernen wir an einer Tankstelle ein liebenswertes, chilenisches Paar kennen, die uns nach einem kleinen Plausch prompt zu sich nach Algarroba an der Küste westlich von Santiago einladen. Die Einladung wird zweifach ausgesprochen, ist also ernst gemeint, und wir würden sie auch wahrnehmen, haben aber bereits einige feste Termine in der Hauptstadt.

Wir erwarten Besuch aus Deutschland: DerNachbar kommt und wir holen ihn am Flughafen nordwestlich des Stadtzentrums ab. Unimoppel dürfte keinen Zentimeter höher sein; er passt so eben unter der Parkplatzschranke durch. Die Maschine aus Madrid ist überpünktlich gelandet, aber das Gepäck lässt auf sich warten. Wir erwarten DerNachbar sehnsüchtig, denn er bringt neben einigen Ersatzteilen für den Wagen etwas Unverzichtbares mit: ein Glas Schokoschmiere – Handelsname NUTELLA!

Die Freude ist groß, als DerNachbar endlich in den Massen aus Passagieren, wartenden Angehörigen, Freunden und Taxifahrern mit Namensschildern auftaucht. Nach einem kurzen Stopp im zentral gelegenen Hotel fahren wir gemeinsam ins Stadtviertel Bellavista und mit der Funicular, der Seilbahn, hoch auf den Cerro Cristobal, den Stadtpark von Santiago mit einer phantastischen Aussicht auf „Sanhattan“ mit seinen spiegelnden Glaspalästen. Der Gran Torre Santiago ist komplett verglast und mit 303 Metern das höchste Gebäude Lateinamerikas. Noch ist der Sommer mit seiner brütenden Hitze nicht da und der Dunstschleier über der Stadt ist kaum wahrnehmbar.

Am Sonntagabend bummeln wir durch die verkehrsberuhigte Innenstadt, wo unzählige fliegende Händler ihre Waren auf Tüchern ausgebreitet anpreisen und bei nahender Polizei in Windeseile das Weite suchen. Straßenmusikanten, Puppenspieler und Akrobaten unterhalten die Passanten, Schuhputzer bieten im Vorübergehen ihre Dienste an.

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Für den Montag haben wir von unterwegs zwei Durchcheck-Termine vereinbart: Wir sind bei Mercedes angekündigt, wo wir den Unimog nach den vielen Achterbahnfahrten an seinen neuralgischen Punkten fachmännisch prüfen lassen wollen, bevor wir nach Patagonien aufbrechen. Die Verkehrsführung ist mörderisch und wir benötigen fast 1 ½ Stunden, bis wir die Mercedes-Vertretung gefunden haben. Die große Werkstatt liegt an einer Straße, die sich intelligenterweise beidseitig !!! der Autobahn über unzählige Blocks kilometerweit entlang zieht und immer wieder von der Stadtautobahn unterbrochen wird. Die Hausnummer liegt in den 16.000ern !!!, kann aber von keinem unserer drei Navigationssysteme angesteuert werden und die Karten sind ohnehin obsolet. Es geht also nur mit systematischer Sucherei. Wir fahren Block für Block ab, kreuzen die Autobahnen immer wieder, müssen zwangsweise U-Turns nehmen, fahren über unzählige Überführungen und durch Unterführungen und haben es dann kurz vor dem Verzweifeln irgendwann geschafft. Bei Mercedes begrüßt man uns mit der gewohnten chilenischen Liebenswürdigkeit und legt sofort fachmännisch mit Motor- und Getriebeölwechsel, Bremsprüfung und abschließender Autowäsche los. Der Geschäftstellenleiter mit deutschen Großeltern lädt uns mittags in die Betriebskantine ein und verabschiedet uns mit einer großen Tüte Walnüsse aus eigenem Garten.

Ich selbst bin nachmittags in der Clinica Alemana im Stadtteil Vitacura zu einem Routinecheck angemeldet und staune nicht schlecht. Ich hatte eine kleine Klinik vermutet, aber stattdessen erwartet mich eine topmoderne Klinik mit über 1.000 Ärzten. Für Expats und Reisende gibt es einen separaten Check-in, und nachdem die Formalitäten und die Bezahlung geklärt sind wird mir ein „Runner“ zur Seite gestellt, der mich auf meinen weiteren Wegen durch die Klinik begleitet. Was für ein Service! Da ich etwas zu früh bin und warten muß bietet mir der Runner an, mich ein wenig in den Klinikgebäuden herumzuführen. Er ist 19 Jahre alt, studiert Philosophie und Psychologie, jobbt nebenbei in der Klinik, spricht passables Englisch und hat Spaß daran, die Sprache mit Expats oder Reisenden zu üben. Nachdem wir über ein wenig über Freud´sche Traumdeutung und unsichtbare Gorillas geplänkelt haben nimmt er mich mit in das oberste Stockwerk des Gebäudes und zeigt mir von dort die Stadtteile Vitacura und El Golf, die teuersten Viertel der Hauptstadt. Was ich sehe, lässt mich staunen, denn mit dem gewohnten Klischee südamerikanischer Städte hat dies nichts mehr gemeinsam. Ich blicke auf elegante Villen mit englischem Rasen, Designerboutiquen mit wunderbar dekorierten Schaufenstern, riesige Multiplex-Kinos, verspiegelte Fassaden von großen Konsumtempeln, geschmackvoll gestaltete Ladengalerien und erlesene Restaurants. Ich könnte mich auch in Beverly Hills befinden. Recherchen ergeben; daß die Quadratmeterpreise in Vitacura und El Golf auf dem Niveau der Preise von Hamburg und München liegen. Auch den Deutschen Club, der hier sein gut bewachtes Domizil hinter hohen Mauern aufgeschlagen hat, kann ich in unmittelbarer Nähe der Klinik entdecken.

Mein Check wird von Luigi durchgeführt, einem älteren Arzt mit italienischen Vorfahren, der in den USA Medizin studiert hat und mit seiner Frau Europa intensiv bereist hat. Er teilt meine Begeisterung für Chile, findet aber, das Land läge leider zu sehr „hinter den Bergen“ und sei zu weit weg vom Weltgeschehen. Ich finde, das kann auch Vorteile haben… Der Check ist okay und ich fahre zurück zu Mercedes, wo mich Hugo und ein frisch gewaschener, blendend-weißer Unimoppel erwarten. Der Dampfstrahler hat Schmutz und Wüstenstaub der vergangenen Wochen entfernt und der Wagen ist jetzt stadtfein. Abends treffen wir uns mit DerNachbar zum Essen und verabschieden uns dann vorläufig. DerNachbar fliegt nach Puerto Montt vor und wir werden uns in einigen Tagen in Osorno wiedersehen, um gemeinsam von dort das Seengebiet zu bereisen.

Ganz schön schräg

Valparaiso verfügt über ein ganz besonders originelles Transportmittel und einzigartige Attraktion: In der Blütezeit der Stadt Mitte des 19ten Jahrhunderts verband man etliche Hügel mit Schrägaufzügen. Insgesamt gab es dreißig solcher Aufzüge, von denen heute noch sieben funktionieren und von Einheimischen wie Touristen benutzt werden. Die kleinen Mahagoni-Kabinen für vier bis sechs Personen wurden per Wasserkraft über die schwarzen, schräg am Hang verlaufenden Schienen bewegt. Die talwärts fahrende Kabine zog dabei mit ihrem Gewicht die bergauffahrende Kabine an einem Drahtseil, welches in der oberen Station über ein großes Führungsrad lief. Wenn die Kabine nicht mit ausreichend „Lebendgewicht“ besetzt war, wurden einfach große Tanks am Boden der Kabine mit Wasser gefüllt, und schon funktionierte die Schwerkraft. Später wurden die Aufzüge dann mit Dampfmaschinen betrieben und ab 1906 mit Elektromotoren, deren erster aus Deutschland kam.

Valparaiso

Paramaribo, Mandalay, Jaipur, Isfahan … es gibt Orte auf unserer Welt, die so klangvolle, für uns manchmal kaum aussprechbare Namen tragen, daß das Herz eines Globetrotters unweigerlich in Schwingung versetzt und die Phantasie beflügelt wird. Städte, die man immer wieder im Atlas und Web nachgeschlagen hat, die das Fernweh wecken, die man einmal im Leben unbedingt besuchen möchte. Städte in fernen Ländern, deren Fremdheit und Exotik Träume auf die Reise schicken. Valparaiso ist auch so ein magischer Name mit enormer Anziehungskraft und wir sind auf dem Weg dorthin.

Von Combarbalá aus führt unser Weg über eine kurvenreiche Strecke und zwei Passhöhen mit eindruckvollem Ausblick auf die Kakteenwüste und die dahinter liegenden Anden. Hier in dieser Region haben die kleinen Chinchillas mit ihrem weichen Fell ihr letztes Refugium in Chile in einem eigens zu ihrem Schutz eingerichteten Reservat gefunden. Die putzigen nacht-aktiven Tiere wurden ihres Pelzes wegen, mit dem sich die „Dame von Welt“ im 19ten und 20ten Jahrhundert allzu gern schmückte, millionenfach bis fast zur Ausrottung gejagt,

Wieder an der Küste und auf der PanAm angekommen wird die Nähe des Großraums Santiago allmählich spürbar. An den schönen halbmondförmigen Buchten aus hellem und dunklem Sand und oberhalb der rauen Felsenküste haben sich viele Fischerdörfer mit der zunehmenden wirtschaftlichen Prosperität Chiles zu beliebten Sommerbadeorten entwickelt und – weniger schick als Vina del Mar oder La Serena – dabei ihren alten Charme noch nicht verloren. Die Ortschaften sind ein bunter Stilmix aus kleinen, in Pastellfarben gestrichenen Holzhäuschen, alpenländisch anmutendem Fachwerk und puristischen Villen aus Stein und Glas mit atemberaubender Lage auf den Kliffs und Ausblick auf den Pazifik. Jetzt, in der Vorsaison, sind die Häuser noch verwaist, die Vorhänge zugezogen. Ganze Straßenzüge stehen noch leer, was uns die Gelegenheit zum Betrachten in aller Ruhe gibt. Lediglich die Gärtner und Hausmädchen sind zu sehen, die für die Besitzer die Sommersaison vorbereiten.

Wir finden einen schönen Stellplatz direkt am Strand des verschlafenen Pichidangui. Auch hier ist der Frühling angekommen und selbst in den Felsspalten unmittelbar an der Brandung des Pazifiks blühen Pflanzen mit dickfleischigen Stengeln und Blättern in den leuchtendsten Farben. Trotz des Tourismus halten die Einheimischen an ihren alten Gewohnheiten fest und so können wir morgens einige Frauen mit großen Körben beobachten, die in gemächlichem Tempo zwischen den Felsen im Meer Muscheln sammeln und dabei ein Schwätzchen halten.

Wir fahren die Küste entlang südwärts bis wir Vina del Mar mit seinem langen, hellen Sandstrand, gepflegten Grünanlagen, von Palmen gesäumten Alleen, schicken Restaurants, Shopping Malls und Wohnpalästen erreichen. Das beliebteste Seebad Chiles ist noch jung: Die Stadt entstand erst vor rund 120 Jahren aus einem großen Weingut. Seit die Bahnlinie von Santiago nach Vina del Mar eröffnet und mit der Ruta 68 eine schnelle Anbindung per Auto geschaffen wurde strömen die santiaguinos an den Wochenenden und in den Ferien in ihre Stadt am Meer. In der Sommersaison von Dezember bis Februar verbringen über eine Millionen Feriengäste aus Chile, aber auch aus anderen Ländern Lateinamerikas, hier ihren Urlaub. Argentiniens wohlhabenden Weinregion liegt nur einen Katzensprung entfernt hinter den Bergen und die Küste Chiles ist deutlich näher und schneller zu erreichen als die eigene am Atlantik. Durch die gute Infrastruktur ist Vina del Mar inzwischen auch für viele Firmen attraktiv geworden, so daß heute rund 300.000 Menschen fest hier leben. An der Promenade, die sich viele Kilometer die Küste Richtung Norden entlang windet und den Strand begrenzt, stehen hohe, fast ausnahmslos sehr geschmackvolle Wohntürme neben gepflegten Anwesen in parkähnlichen Gärten. Selbstbewusste Architekten scheuen auch nicht davor zurück, die Apartmenthochhäuser direkt in die schwarzen Felsen im Wasser zu bauen. Mit dem weiter südlich gelegenen Valparaiso ist Vina del Mar inzwischen verwachsen und sowohl durch eine breite Straße als auch eine S-Bahn verbunden. Die leicht verlotterte, sich mit ihren unzähligen bunten Häuschen eng an die Hügel schmiegende Nachbarstadt bildet einen scharfen Kontrast zum modernen Vina.

Valparaiso, die Stadt mit dem verheißungsvollen Namen „Paradiestal“, war einst der unange-fochtene Handelshafen für Schiffe, die Kap Hoorn umrundeten und den Pazifik befuhren. Viele Jahrtausende bereits von Chango-Indianern bewohnt, wurde der Ort mit dem fast mediterranen Klima 1536 vom Spanier Juan de Saavedra „entdeckt“, der dort im Namen der spanischen Krone einen kleinen improvisierten Hafen anlegte. Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Boom kam zu Beginn des 18ten Jahrhunderts mit den großen Frachtschiffen aus aller Welt, den Walfängern, die im Südpazifik ihre Beute jagten, und der Bedeutung als Chiles Umschlagplatz für Weizen, der von dort zur Zeit des Goldrausches nach Kalifornien verschifft wurde. Mitte des 19ten Jahrhunderts war Valparaiso zu einem der wichtigsten Häfen und Drehkreuz im internationalen Handel geworden und auch die Schiffe bedeutender Forscher wie zum Beispiel Charles Darwin´s „Beagle“ legten hier einen Stopp ein, um Proviant aufzunehmen, Korrespondenz zu erledigen, gesellschaftlichen Verpflichtungen nachzugehen oder sich nach Monaten auf See zu vergnügen. Renommierte Handelshäuser eröffneten in Valparaiso Niederlassungen, die deutsche Reederei Hamburg-Süd ließ sogar einen Schnelldampfer namens „Valparaiso“ bauen und in Thomas Manns „Buddenbrooks“ zieht ein Familienmitglied für einige Zeit in diese Stadt. Viele der prachtvollen, heute unter Denkmalschutz stehenden Bauten im Zentrum Valparaisos entstammen dieser Zeit.

Die goldene Ära sollte nur rund ein Jahrhundert andauern. Ein schweres Erdbeben mit über 6.000 Todesopfern verwüstete die Stadt 1906 fast völlig und der nächste Schlag mit schwer-wiegenden wirtschaftlichen Folgen war die Eröffnung des Panamakanals nur acht Jahre später. Mit einem Schlag war Valparaiso von den internationalen Routen abgeschnitten und verlor über Nacht seine strategische Bedeutung als Handels- und Finanzplatz. Erst seit die chilenische Wirtschaft seit den 80er Jahren auf einen relativ stabilen Wachstumskurs und Exportzuwächse blicken kann erholt sich die Hafenstadt allmählich und löst sich aus ihrem Schock. Mit ihrem besonderen, leicht verwahrlosten Charme ist Valparaiso heute auch für zahlungskräftige Touristen aus aller Welt attraktiv geworden: Allein über 120.000 Kreuzfahrtgäste besuchen pro Jahr die Stadt am Meer.

Wie alle ehemals bedeutenden Hafenstädte und einer betagten stolzen Dame nicht unähnlich besitzt Valparaiso unter der bröckelnden Fassade einen starken Charakter und ein großes Herz. Die Stadt lebt am Wasser, erstreckt sich auf wenigen parallelen Straßenzügen auf dem „plan“, dem schmalen, künstlich eingeebneten Uferstreifen zwischen den Bergen und dem Meer, und zieht sich dann mit ihren bunten, ineinander verschachtelten Häusern die Hügel hinauf. Insgesamt 42 dieser bewohnten Hügel gibt es heute, die alle über steile Gassen, gewundene Treppen, krumme Stiege und uralte Schrägaufzüge miteinander verbunden sind. Viele dieser pittoresken Stadtviertel und das Zentrum zählen mit Recht seit 2003 zum Weltkulturerbe und verdienen die Fördermittel, die die Weltbank in die Sanierung gesteckt hat.

Wir schlendern durch die Straßen, bummeln hinüber zur Iglesia La Matriz, von wo aus bis 1900 alle auslaufenden Schiffe gesegnet wurden, fahren mit dem Ascensor El Peral und dem Ascensor Concepción auf zwei Hügel, genießen den grandiosen Ausblick über den Hafen und die Stadt, bewundern die wie Schwalbennester an den unzugänglichsten Stellen klebenden Häuser. Viele bestehen nur aus einem abenteuerlichen Holzgerüst mit Lehmziegelwänden, wobei die Fassade und das Dach aus bunt angemaltem Wellblech sind. Kleine, auf den Betrachter marode wirkende Balkone mit Topfpflanzen lugen zwischen den Häusern hervor und zwischen den Wänden weht auf langen Leinen die Wäsche. Viele der schmalen Gassen beherbergen urige Kneipen und Restaurants oder winzige Boutiquen, die lokales Kunsthandwerk wie zum Beispiel Schmuck aus Kupfer verkaufen. In einem Hof spielt eine Gruppe junger Musiker soften Jazz, dessen Noten vom Wind über das ganze Viertel getragen werden. In der Nachmittagssonne liegt über allem eine leichte Melancholie, eine dösige Trägheit, die mich ein wenig an Lissabon und die portugische saudade erinnert.

Zeit und Zeitgeschehen, Naturgewalten und Wirtschaftskrisen haben dieser einstigen Hafen-schönheit arg zugesetzt, aber sie trotzt ihrem Schicksal beharrlich. Auch das Großfeuer, welches im April diesen Jahres 12 Menschen das Leben kostete, über 2.000 Häuser vernichtete und zehntausend Menschen vorübergehend in die Flucht trieb ist nur von temporärer Bedeutung. 1.300 Feuerwehrleute waren im Einsatz, 20 Hubschrauber und Flugzeuge bekämpften die Flammen aus der Luft. Das Feuer war nachmittags auf einer 30 Hektar großen Müllhalde ausgebrochen und in kürzester Zeit wurde die Flammenwand von anhaltenden Winden bis in die Wohnhügel getrieben. Als mögliche Auslöser des Infernos nannten Augenzeugen zwei Truthahngeier, die sich auf einer Hochspannungsleitung niederließen. Der Wind habe zwei Kabel aneinander gebracht, die Geier seien dabei verbrannt und die entstandenen Funken hätten die trockenen Blätter am Boden entzündet, berichtete das Nachrichtenportal Emol unter Berufung auf die Feuerwehr. Auch diesen Schlag wird die Stadt am Meer verkraften.

Valparaiso ist einzigartig, zeigt stolz seine Schönheit, aber versteckt auch die hässlichen, die armen, die menschlichen Seiten nicht. Der verheißungsvolle Name hält, was er verspricht.

Shoot for the moon…

… even if you miss, you land among the stars.

Wir sind inmitten der Sterne gelandet, zumindest für einen winzig kleinen Moment, gemessen an den Dimensionen unseres Universums. Im dritten Anlauf hat sich endlich unser Wunsch erfüllt und wir haben Tickets für eine nächtliche Besichtigung des Observatoriums Cruz del Sur erstanden, welches zum Planetarium der Universität von Chile gehört und 2007 eingeweiht wurde.

Es ist ein touristisches Observatorium drei Kilometer außerhalb von Combarbalá auf der Kuppe des Cerro Peralito und das einzige, wo Besucher mit vier 14- und 16-Zoll-Teleskopen selbst die Planeten und Sterne beobachten können. Alle anderen Observatorien ermöglichen nur einen Second-Hand-Blick per Computer-Bildschirm. Hinzu kommt, daß auch der Vollmond bei der hier angewandten Technik nicht stört. Ein Filter wird über das Teleskop gelegt und wir sehen den Mond zum Greifen nah, in aller Klarheit seine Ränder, den Verlauf des Kopernikuskrater.

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Sirius ist in der heutigen Nacht der hellste Stern am Firmament und um diese Jahreszeit können wir von den Planeten den Mars am Himmel der Südhalbkugel erkennen. Wir dürfen einen Blick zurück in der Zeit werfen, ein paar Milliarden Jahre, Richtung Urknall. Wir sehen unter anderem einen großen Sternenhaufen, der ausschaut wie leuchtende Diamanten auf einem samtschwarzen Tuch. Dann schauen wir uns den Orion-Nebel und anschließend den Tarantula-Nebel an, eines der größten bekannten Gebiete, wo fortwährend Sterne „geboren“ werden. Er liegt 179.000 Lichtjahre von unserem Sonnensystem entfernt; der wissenschaftliche Mitarbeiter erklärt uns, daß der Tarantula-Nebel ein Viertel des sichtbaren Himmels einnähme, würde man ihn auf die geringere Entfernung des Orion-Nebels zur Erde heranholen, der von unserem Sonnensystem „nur“ 1.350 Lichtjahre entfernt ist.

Plan B

Mitte November sind wir mit DerNachbar aus Düsseldorf in Santiago de Chile verabredet und wir wollen die Zeit bis dahin nutzen, ein oder auch zwei Gläschen argentinischen Rotwein zu trinken. Unser Plan ist, von Vicuna im Valle del Elqui dem Lauf des Rio Tubio nach Osten zu folgen, um nach 170 Kilometern auf einer Schotterpiste den Paso Agua Negra zu erreichen. Er ist mit 4.775 Metern der höchste befahrbare Grenzpaß zwischen Argentinien und Chile und einer der höchsten Pässe weltweit. Von dort möchten wir in einigen Bodegas rund um Mendoza das argentinische Herz des Weines erkunden, zur auch hier in Chile in kleinen Straßenaltären als Schutzpatronin aller Reisenden hochverehrten Difunta Correa fahren und dann über den Paso Cristo Redentor am Cerro Aconcagua vorbei wieder nach Chile einzureisen. Wir finden, daß das ein sehr schöner Plan ist, aber, wie sich herausstellt, leider nur in der Theorie… Zum Glück fällt uns in Vicuna noch rechtzeitig vor unserem Aufbruch ein, bei der Polizeistation nachzufragen, ob der Paso Agua Negra überhaupt um diese Jahreszeit schon geöffnet ist. Der Polizist schmunzelt unverholen, denn solche Fragen können wohl nur Gringos stellen. Der Paß ist, vorausgesetzt das Wetter zeigt sich freundlich, im Januar und Februar geöffnet, keinesfalls ist aber mit einer Öffnung vor Ende November/Anfang Dezember zu rechnen…

Wir basteln uns einen Plan B, der die weiter westlich verlaufende PanAm meidet und stattdessen über einsame Pisten von Vicuna aus durch das Tal des Rio Hurtado südwärts über Ovalle, Monte Patria, Combarbala und Illapel bis Los Vilos am Meer führt.

Mit Haarnadelkurven, die so eng sind, das wir rangieren müssen, und enormen Steigungen ist die Strecke anstrengend und anspruchsvoll zu fahren. Alle Bandscheiben bedanken sich einzeln und der Begriff „durchgesessen“ erhält eine neue, sehr plastische Bedeutung. Auf vielen Kilometern ist die steile Erdpiste ausgesetzt und über schwindelerregenden Abhängen gerade einmal so breit wie der Unimog. Mein Mantra auf dieser Strecke ist: „Es kommt uns niemand entgegen…Es kommt uns niemand entgegen…“

Alan Parson´s Project haben es seinerzeit so schön besungen:

What goes up…

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… must come down.

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So wie es bergauf geht, geht es auch bergab, aber wir schaffen es.

Dieses Land ist Saurierland. Archäologen entdeckten hier neben versteinerten Araukarienstämmen aus der Zeit, als hier noch Wälder wuchsen, auch über 10.000 Jahre alte Wandmalereien und Knochen verschiedener Saurier, u. a. des T-Rex, der mit knapp sieben Tonnen fast soviel wog wie unser Unimoppel. Die großen Tiere und Wälder sind verschwunden, geblieben ist eine Landschaft mit kargen Kakteenhügeln, den Anden im Hintergrund und Flußtälern, die sich der Mensch mehr und mehr versucht wirtschaftlich zu Nutze zu machen.

Die grünen Täler in der Halbwüste mit ihren kleinen Ortschaften geben einen schönen Eindruck in das traditionelle Leben der Bauern. Zumeist bestehen sie aus einer kleinen Ansiedlung pastellfarben gestrichener Adobehäuschen, einer Schule, einer Kirche, einer baumbestandenen Plaza mit Sitzbänken als Treffpunkt von Alt und Jung, einigen Obst- und Gemüsekiosken und einer Dorfschänke.

Während des Sommers finden an Samstagen und Sonntagen in einer halbmondförmigen Arena Rodeos statt, bei denen es darum geht, die größtmögliche Geschicklichkeit mit seinem Pferd zu beweisen. Ansonsten ist das Leben hier ruhig und richtet sich nach den Saat- und Erntezeiten. Uns gefällt besonders Combarbalá gut, die sich eigentlich durch nichts Besonderes auszeichnet oder von den anderen Dörfern der Umgebung abhebt, wenn da nicht, ja wenn da nicht … das Observatorio Astronómico Cruz del Sur wäre.

Happy Birthday…

… to you, happy birthday to you, happy birthday lieber Georg, happy birthday to you!!!

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Alles Liebe und Gute vom Unimoppel-Team, noch rund 3.000 km vom Ende der Welt entfernt! Du bist und bleibst der beste Papa der Welt und wir haben für Dich ein paar Kerzchen angezündet!

Papa und ich mit Tannenbaum - Kopie

Valle del Elqui

Das sonnige Tal des Rio Elqui östlich von La Serena birgt inmitten der Wüste mit ihren fast kahlen Bergen eine subtropische Oase. Auf den Terrassen des Flusses und an den eigentlich kargen, kakteenbestandenen Berghängen rund um die Städtchen Vicuna, Pisco Elqui und Horcon gedeihen hier durch das besondere Mikroklima unter anderem Papayas, Mangos, Chirimoyas, Lucumas, Pfirsiche, Erdbeeren, Spargel und die Trauben, die für einen guten Pisco, den chilenischen Traubenschnaps, erforderlich sind.

Die klimatischen Bedingungen und die mineralhaltigen Böden im Valle del Elqui bringen sehr süße und säurearme Muskatellertrauben hervor, die in genossenschaftlich organisierten Brennereien und Privatdestillerien zu Pisco mit 30 – 50%igem Alkoholgehalt verarbeitet werden. Der Pisco wird durch Hinzufügen von Limettensaft, Puderzucker und geschlagenem Eiweiß zum weit über die Landesgrenzen hinaus bekannten Nationalgetränk Pisco Sour veredelt, wobei auch Peru den Anspruch auf die Erfindung des Pisco erhebt und der Streit nach wie vor auf kleiner Flamme weiterköchelt.

Wir hatten den Pisco Sour schon mit Guadelupe und Paul in Tacna mehrfach getestet – sehr lecker – , aber für die Zukunft beschlossen, daß aufgrund der hohen Umdrehungen zwei Gläser mehr als genug sind.

Das Valle del Elqui und seine Nachbartäler sind auch Heimat unserer gefiederten Freunde, die wir seit dem bolivianischen Teil des Pantanals nicht mehr in freier Natur gesehen haben. Wir entdecken eine etwas kleinere, aber nicht minder lautstarke Art von Papageien mit khakigrünem Gefieder, wobei der Bauch gelb-orange leuchtet. Ein ganzer Schwarm zieht kreischend über uns hinweg, als wir im bis auf einen kümmerlichen Tümpel fast völlig ausgetrockneten Stausee von Vicuna campieren, und auch später entdecken wir die bunten Vögel bis hinauf in 1.500 Metern.

Wir erfahren, daß es in dieser Region seit fünf Jahren nicht mehr geregnet hat und der Wassermangel zunehmend prekärer wird, da der wirtschaftliche Erfolg dieser Region unmittelbar von der Versorgung der Anbauflächen mit Wasser abhängt. Jeder Quadratmeter im Tal wird bereits landwirtschaftlich genutzt und die Weinreben ziehen sich die ansonsten kargen Hänge hoch. Die Bewässerung erfolgt durch Hochpumpen des Wassers aus dem Rio Elqui und des Grundwassers. Die Folgen sind jetzt schon sichtbar: Der Rio Elqui ist nur noch ein dünnes Rinnsal.

Eine weitere Attraktion in dieser Gegend ist die Vielzahl an Observatorien, die wie gestrandete Ufos in der Sonne glitzernd auf den Kuppen der Berge thronen.

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Der Himmel über der Wüste ist hier besonders klar, da die Inversionsschicht des Küstennebels alle Staubpartikel, die sonst die Lichtdurchlässigkeit der Atmosphäre stören würden, auf rund 1.000 Höhenmetern in der Luft bindet. An 350 Tagen bzw. vielmehr Nächten im Jahr ist der Himmel hier zwischen Küste und Andenkette wolkenlos und staubfrei. Im Observatorium Cerro Paranal hatten wir kein Glück, aber wir können uns im Büro des Observatoriums del Pangue, rund 17 Kilometer südlich von Vicuna, für eine Besichtigung anmelden. Unsere Freude währt jedoch nur kurz, denn am späten Nachmittag ziehen Wolken auf, die sich zunehmend verdichten. Erst wird die Tour von 21.00 Uhr auf 23.00 Uhr verschoben, dann ganz abgesagt. Als Ausgleich bescheren uns die Himmelgötter einen unvergleichlich schönen Sonnenuntergang. Zuerst färben sich die von der Abendsonne angestrahlten Berge in zartem Rosaorange, dann zieht von der Küste eine dichte, dreidimensionale Wolkendecke über das Tal und taucht die Landschaft in dramatisches Orange-Violett. Christkindchen backt…auch hier in Chile.

Wir verbringen die Nacht vor den Toren des Observatoriums und hoffen inständig, daß sich bis zum nächsten Tag die Wolken verzogen haben und die Tour nachgeholt werden kann. Der Himmel am Tag darauf ist auch von strahlendem Blau und kristallklar, aber wir freuen uns zu früh. Es geht auf Vollmond zu, und weil viel Mondlicht die Sichtbarkeit anderer Objekte am Himmel zu sehr trübt, gibt es in den nächsten Tagen keine Führungen. Wir geben auf – vorläufig.

La Serena

Wir sind in La Serena angekommen und haben das Gefühl, an der Adriaküste oder der Costa Brava zu sein. Die Stadt hat sich, zusammen mit der Nachbarstadt Coquimbo, in den vergangenen Jahren zu einem angesagten Sommerresort der wohlhabenderen Chilenen entwickelt. La Serena liegt in einer weitläufigen halbmondförmigen Bucht und ist mit Coquimbo durch einen breiten, gut acht Kilometer langen Sandstrand verbunden, der von der Avenida del Mar gesäumt wird. An der waterfront reiht sich ein moderner, zum Glück meistens sehr geschmackvoller, Wohnkomplex an den nächsten, nur unterbrochen von einigen Restaurants und Cafes. Wir sind noch außerhalb der Saison da und teilen uns den Strand mit nur wenigen anderen Menschen. In den mäßig hohen, eiskalten Wellen tummeln sich hartgesottene Surfer und Seevögel, ein Handvoll Angler fischt vom Strand aus, Spaziergänger bummeln durch den Sand und auf der Promenade sind Jogger und Radfahrer in trendigen Outfits unterwegs.

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Wir fahren die Küste noch dreißig Kilometer weiter südlich von Coquimbo und spekulieren auf einen schönen Platz für die Nacht an einem der kleineren Strände, aber wir geben irgendwann resigniert die Suche auf und kehren um. Jedes schöne Fleckchen am Meer ist umzäunt und als Privatgelände gekennzeichnet; kein Durchschlupf ist hier zu finden, schon gar nicht mit unserem weißen Elefanten. Wie so oft an den schönen Orten auf dieser Welt ist der Kuchen auch hier vergeben, und zwar zu einhundert Prozent. Zurück in La Serena bleiben wir auf einem Platz an der Strandpromenade, sicherlich nicht schlecht, aber wir sind inzwischen etwas verwöhnt.

Bei einem Ausflug auf den Cerro Grande können wir die gesamte Bucht von La Serena bis hinüber nach Coquimbo überblicken. Ähnlich wie Iquique liegt La Serena langgezogen auf einem schmalen Streifen zwischen dem Pazifik und den Bergen. Am Fuße des Cerro Grande liegen zahlreiche gated communities neueren Datums und die dort stehenden Villen könnten auch durchaus in Hollywood stehen:

Coquimbo präsentiert sich weniger prätentiös. Der Name bedeutet in der Sprache der Diaguita-Indianer, die hier früher lebten, „ruhiges Wasser“. Heute leben in der quirligen Hafenstadt rund 200.000 Menschen. Schon aus großer Entfernung ist das Wahrzeichen Coquimbos sichtbar: Auf dem höchsten Punkt der Stadt wurde zum 2000ten Jahrestag von Christi Geburt aus Beton das 63 Meter hohe Cruz del Tercer Milenio errichtet. Über Geschmack lässt sich doch streiten…

Angezapft

Wichtigstes Exportprodukt Chiles ist mit rund 50% der Erlöse nach wie vor Kupfer, obwohl die Kupferadern immer schwerer zugänglich sind und der Metallgehalt im Gestein sinkt. Aber selbst bei nur 0,8% Kupfergehalt lohnt sich die Förderung, daher werden immer weitere Förderstätten erschlossen. Selbst in den entlegendsten Winkeln fallen uns die Minen auf, jeder Berg hier scheint auf der Suche nach dem roten Gold zumindest angezapft.

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Stimmt der Weltmarktpreis wie zum Beispiel in 2011, dann fährt das exportierte Kupfer für Chile rund 44 Milliarden US-Dollar ein. Vor Peru mit 8% und China mit ebenfalls 8% ist Chile mit 32% der Weltproduktion mit deutlichem Abstand der größte Kupferproduzent und nutzt diese Spitzenposition inzwischen sehr klug für sich: Drohen die Preise für Kupfer auf dem Weltmarkt zu verfallen, dann versuchen die chilenischen Kupferkonzerne nicht, die Verluste durch höhere Exportvolumina auszugleichen, sondern drosseln ganz einfach die Produktion und stützen somit den Preis für das rote Gold.

Chiles ertragsreichste Kupfermine neben Escondida ist Chuquicamata bei Calama in der Atacama-Wüste. Sie ist die weltweit größte Kupfermine im Tagebau, ein riesiges Loch von 5 km x 3 km, in welchem tagtäglich in Terrassen bis zu 1.000 Meter Tiefe Gestein gesprengt, abgetragen, auf überdimensional große Kipper – die Reifen sind allein vier Meter hoch – verladen, hochgekarrt, zertrümmert, ausgewaschen und geschmolzen wird. Pro Jahr erzielt die Mine ca. 500.000 Tonnen reinen Kupfers (99,6%) und als Nebenprodukte einige andere wertvolle Mineralien wie Gold und Silber. Allein die Kupferreserven von Chuquicamata reichen bei gleichbleibender Produktion geschätzt noch zwei bis drei Jahrzehnte. In der Nachbarschaft hat man mit der Mine Radomiro Tomic eine weitere Kupferader erschlossen, die heute rund 300.000 Tonnen des roten Metalls erwirtschaftet, in Escondida rund 800.000 Tonnen. Überall versteckt in den Bergen gibt es Minen, und wir haben in der Einöde der Halbwüste auch mehrfach Ein-Mann-Minen gesehen, die aus einem simplen Bretterverschlag, Wasserbehälter, Generator und einem Loch im Boden bestehen. Diese Männer graben völlig allein und ohne großartige Hilfsmittel in der Hoffnung, auf den einen Fund, der ihr Leben verändert.

Die angestellten Minenarbeiter, zum Beispiel in Chuquicamata, verdienen nicht schlecht, mit rund 2.000 EUR pro Monat zählen sie zweifellos zu den Besserverdienern in Chile. Die Arbeiter wohnen zudem mietfrei und das Krankenhaus der Mine zählt zu den bestausgestatteten des Landes. Das Wort eines mineros hat Gewicht: Im Rahmen der Tarifverhandlungen 2012 erhielten alle Arbeiter Boni in Höhe von umgerechnet EUR 30.000. Leitende Angestellte erhalten Freitickets für Urlaubsreisen und die Firma trägt auch die Studiengebühren ihrer Kinder, wobei der Begriff „geldwerter Vorteil“, mit welchem die deutschen Finanzämter es schaffen, jede Belohnung und Anerkennung seitens eines Arbeitgebers kräftig zu versalzen, hier in Chile unbekannt ist.

There´s no free lunch. Die Kehrseite ist ein Arbeitsplatz, der mit einem enorm hohen Risiko für Leib und Leben verbunden ist. Wir alle erinnern uns an die wochenlange Berichterstattung in den Medien, als im August 2010 ein Bergsturz 33 Minenarbeiter in der 120 Jahre alten Kupfer- und Goldmine San José bei Copiapó verschüttete. Niemand wusste zunächst, ob die mineros, die man in 700 Metern Tiefe vermutete, noch lebten. Auf dem Minengelände wurde für die Angehörigen, aber auch für die Flut von internationalen Journalisten, das Camp Esperanza errichtet. Fortan konnte, wer wollte, zum Beispiel auf n-tv nonstop live dabei sein und die reality show in real time verfolgen. Ein Medienspektakel ohnegleichen setzte über Wochen ein und Chile sicherte sich ungewollt einen täglichen Spitzenplatz bei der internationalen Berichterstattung.

Es dauerte die Ewigkeit von 17 Tagen, bis zwei Sondierungsbohrungen in den Schacht vordringen konnten, in dem die Bergleute vermutet wurden. Ein Bohrkopf brachte schließlich die überraschende Nachricht auf einem Zettel nach oben „Estamos bien en el refugio – los 33“ (Uns 33 geht es im Schutzraum gut). Die Kumpels hatten im Schacht nicht nur überlebt, sondern ihre Gruppe klug und überlegt organisiert. Alle 48 Stunden gab es einen Löffel Fisch aus der Dose, eine halbe Tasse Milch und einen halben Keks, getrunken wurde das Kühlwasser aus den Fahrzeugen. Der Überlebenswille, ganz besonders aber die Disziplin dieser Männer muß überragend gewesen sein, denn die Luftfeuchtigkeit dort unten betrug 80%, die Frischluftzufuhr war minimal und die Aussicht auf Rettung … fast illusorisch.

Eine notdürftige Versorgung der Bergleute mit Lebensmitteln konnte über die Sondierungsbohrungen zwar gewährleistet werden, aber es war eine enorme technische Herausforderung, ein ausreichend großes Bohrloch zur Bergung zu legen. Ein Wettlauf gegen die Zeit setzte ein – vor den Augen der Weltbevölkerung. Drei unterschiedliche Großbohröpfe wurden mit drei unterschiedlichen Techniken eingesetzt – ein deutsches Gerät vom Typ Schramm T-130 schaffte den Durchbruch als erstes. Am 13. Oktober, 69 Tage nach dem Grubensturz, konnten die 33 Bergleute einer nach dem anderen mit der eigens konstruierten Rettungskapsel Phoenix 2 ans Tageslicht geholt werden. Präsident Pineira begrüßte jeden einzelnen der 33 Helden per Handschlag, 1.700 Journalisten vor Ort dokumentierten das Wunder mit Wort und Bild und Millionen von Fernsehzuschauern rund um den Erdball jubelten über das Happy End dieses unglaublichen Dramas.

Hat dieses Unglück das Verantwortungsbewußtsein der Minenbetreiber erhöht und die Sicherheitsstandards verbessert? Wohl nicht. In den sechs Monaten nach dem „Wunder von San José“ starben allein in Chile elf Minenarbeiter bei Grubenunglücken.

Neben dem primären Risiko unter Tage ist das sekundäre Risiko oftmals nicht unmittelbar sichtbar: die Belastungen im Rauch der Verhüttungsanlagen, die giftigen Chemikalien, die beim Reinigen des Rohkupfers benutzt oder auch freigesetzt werden, z. B. Schwefelsäure und Arsen. Nicht nur die Arbeiter sind von den Vergiftungen betroffen, sondern alle in der Umgebung der Mine lebenden Menschen und die Spätfolgen sind oft erst viele Jahre später erkennbar.