Paramaribo, Mandalay, Jaipur, Isfahan … es gibt Orte auf unserer Welt, die so klangvolle, für uns manchmal kaum aussprechbare Namen tragen, daß das Herz eines Globetrotters unweigerlich in Schwingung versetzt und die Phantasie beflügelt wird. Städte, die man immer wieder im Atlas und Web nachgeschlagen hat, die das Fernweh wecken, die man einmal im Leben unbedingt besuchen möchte. Städte in fernen Ländern, deren Fremdheit und Exotik Träume auf die Reise schicken. Valparaiso ist auch so ein magischer Name mit enormer Anziehungskraft und wir sind auf dem Weg dorthin.
Von Combarbalá aus führt unser Weg über eine kurvenreiche Strecke und zwei Passhöhen mit eindruckvollem Ausblick auf die Kakteenwüste und die dahinter liegenden Anden. Hier in dieser Region haben die kleinen Chinchillas mit ihrem weichen Fell ihr letztes Refugium in Chile in einem eigens zu ihrem Schutz eingerichteten Reservat gefunden. Die putzigen nacht-aktiven Tiere wurden ihres Pelzes wegen, mit dem sich die „Dame von Welt“ im 19ten und 20ten Jahrhundert allzu gern schmückte, millionenfach bis fast zur Ausrottung gejagt,
Wieder an der Küste und auf der PanAm angekommen wird die Nähe des Großraums Santiago allmählich spürbar. An den schönen halbmondförmigen Buchten aus hellem und dunklem Sand und oberhalb der rauen Felsenküste haben sich viele Fischerdörfer mit der zunehmenden wirtschaftlichen Prosperität Chiles zu beliebten Sommerbadeorten entwickelt und – weniger schick als Vina del Mar oder La Serena – dabei ihren alten Charme noch nicht verloren. Die Ortschaften sind ein bunter Stilmix aus kleinen, in Pastellfarben gestrichenen Holzhäuschen, alpenländisch anmutendem Fachwerk und puristischen Villen aus Stein und Glas mit atemberaubender Lage auf den Kliffs und Ausblick auf den Pazifik. Jetzt, in der Vorsaison, sind die Häuser noch verwaist, die Vorhänge zugezogen. Ganze Straßenzüge stehen noch leer, was uns die Gelegenheit zum Betrachten in aller Ruhe gibt. Lediglich die Gärtner und Hausmädchen sind zu sehen, die für die Besitzer die Sommersaison vorbereiten.
Wir finden einen schönen Stellplatz direkt am Strand des verschlafenen Pichidangui. Auch hier ist der Frühling angekommen und selbst in den Felsspalten unmittelbar an der Brandung des Pazifiks blühen Pflanzen mit dickfleischigen Stengeln und Blättern in den leuchtendsten Farben. Trotz des Tourismus halten die Einheimischen an ihren alten Gewohnheiten fest und so können wir morgens einige Frauen mit großen Körben beobachten, die in gemächlichem Tempo zwischen den Felsen im Meer Muscheln sammeln und dabei ein Schwätzchen halten.
Wir fahren die Küste entlang südwärts bis wir Vina del Mar mit seinem langen, hellen Sandstrand, gepflegten Grünanlagen, von Palmen gesäumten Alleen, schicken Restaurants, Shopping Malls und Wohnpalästen erreichen. Das beliebteste Seebad Chiles ist noch jung: Die Stadt entstand erst vor rund 120 Jahren aus einem großen Weingut. Seit die Bahnlinie von Santiago nach Vina del Mar eröffnet und mit der Ruta 68 eine schnelle Anbindung per Auto geschaffen wurde strömen die santiaguinos an den Wochenenden und in den Ferien in ihre Stadt am Meer. In der Sommersaison von Dezember bis Februar verbringen über eine Millionen Feriengäste aus Chile, aber auch aus anderen Ländern Lateinamerikas, hier ihren Urlaub. Argentiniens wohlhabenden Weinregion liegt nur einen Katzensprung entfernt hinter den Bergen und die Küste Chiles ist deutlich näher und schneller zu erreichen als die eigene am Atlantik. Durch die gute Infrastruktur ist Vina del Mar inzwischen auch für viele Firmen attraktiv geworden, so daß heute rund 300.000 Menschen fest hier leben. An der Promenade, die sich viele Kilometer die Küste Richtung Norden entlang windet und den Strand begrenzt, stehen hohe, fast ausnahmslos sehr geschmackvolle Wohntürme neben gepflegten Anwesen in parkähnlichen Gärten. Selbstbewusste Architekten scheuen auch nicht davor zurück, die Apartmenthochhäuser direkt in die schwarzen Felsen im Wasser zu bauen. Mit dem weiter südlich gelegenen Valparaiso ist Vina del Mar inzwischen verwachsen und sowohl durch eine breite Straße als auch eine S-Bahn verbunden. Die leicht verlotterte, sich mit ihren unzähligen bunten Häuschen eng an die Hügel schmiegende Nachbarstadt bildet einen scharfen Kontrast zum modernen Vina.
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Valparaiso, die Stadt mit dem verheißungsvollen Namen „Paradiestal“, war einst der unange-fochtene Handelshafen für Schiffe, die Kap Hoorn umrundeten und den Pazifik befuhren. Viele Jahrtausende bereits von Chango-Indianern bewohnt, wurde der Ort mit dem fast mediterranen Klima 1536 vom Spanier Juan de Saavedra „entdeckt“, der dort im Namen der spanischen Krone einen kleinen improvisierten Hafen anlegte. Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Boom kam zu Beginn des 18ten Jahrhunderts mit den großen Frachtschiffen aus aller Welt, den Walfängern, die im Südpazifik ihre Beute jagten, und der Bedeutung als Chiles Umschlagplatz für Weizen, der von dort zur Zeit des Goldrausches nach Kalifornien verschifft wurde. Mitte des 19ten Jahrhunderts war Valparaiso zu einem der wichtigsten Häfen und Drehkreuz im internationalen Handel geworden und auch die Schiffe bedeutender Forscher wie zum Beispiel Charles Darwin´s „Beagle“ legten hier einen Stopp ein, um Proviant aufzunehmen, Korrespondenz zu erledigen, gesellschaftlichen Verpflichtungen nachzugehen oder sich nach Monaten auf See zu vergnügen. Renommierte Handelshäuser eröffneten in Valparaiso Niederlassungen, die deutsche Reederei Hamburg-Süd ließ sogar einen Schnelldampfer namens „Valparaiso“ bauen und in Thomas Manns „Buddenbrooks“ zieht ein Familienmitglied für einige Zeit in diese Stadt. Viele der prachtvollen, heute unter Denkmalschutz stehenden Bauten im Zentrum Valparaisos entstammen dieser Zeit.
Die goldene Ära sollte nur rund ein Jahrhundert andauern. Ein schweres Erdbeben mit über 6.000 Todesopfern verwüstete die Stadt 1906 fast völlig und der nächste Schlag mit schwer-wiegenden wirtschaftlichen Folgen war die Eröffnung des Panamakanals nur acht Jahre später. Mit einem Schlag war Valparaiso von den internationalen Routen abgeschnitten und verlor über Nacht seine strategische Bedeutung als Handels- und Finanzplatz. Erst seit die chilenische Wirtschaft seit den 80er Jahren auf einen relativ stabilen Wachstumskurs und Exportzuwächse blicken kann erholt sich die Hafenstadt allmählich und löst sich aus ihrem Schock. Mit ihrem besonderen, leicht verwahrlosten Charme ist Valparaiso heute auch für zahlungskräftige Touristen aus aller Welt attraktiv geworden: Allein über 120.000 Kreuzfahrtgäste besuchen pro Jahr die Stadt am Meer.
Wie alle ehemals bedeutenden Hafenstädte und einer betagten stolzen Dame nicht unähnlich besitzt Valparaiso unter der bröckelnden Fassade einen starken Charakter und ein großes Herz. Die Stadt lebt am Wasser, erstreckt sich auf wenigen parallelen Straßenzügen auf dem „plan“, dem schmalen, künstlich eingeebneten Uferstreifen zwischen den Bergen und dem Meer, und zieht sich dann mit ihren bunten, ineinander verschachtelten Häusern die Hügel hinauf. Insgesamt 42 dieser bewohnten Hügel gibt es heute, die alle über steile Gassen, gewundene Treppen, krumme Stiege und uralte Schrägaufzüge miteinander verbunden sind. Viele dieser pittoresken Stadtviertel und das Zentrum zählen mit Recht seit 2003 zum Weltkulturerbe und verdienen die Fördermittel, die die Weltbank in die Sanierung gesteckt hat.
Wir schlendern durch die Straßen, bummeln hinüber zur Iglesia La Matriz, von wo aus bis 1900 alle auslaufenden Schiffe gesegnet wurden, fahren mit dem Ascensor El Peral und dem Ascensor Concepción auf zwei Hügel, genießen den grandiosen Ausblick über den Hafen und die Stadt, bewundern die wie Schwalbennester an den unzugänglichsten Stellen klebenden Häuser. Viele bestehen nur aus einem abenteuerlichen Holzgerüst mit Lehmziegelwänden, wobei die Fassade und das Dach aus bunt angemaltem Wellblech sind. Kleine, auf den Betrachter marode wirkende Balkone mit Topfpflanzen lugen zwischen den Häusern hervor und zwischen den Wänden weht auf langen Leinen die Wäsche. Viele der schmalen Gassen beherbergen urige Kneipen und Restaurants oder winzige Boutiquen, die lokales Kunsthandwerk wie zum Beispiel Schmuck aus Kupfer verkaufen. In einem Hof spielt eine Gruppe junger Musiker soften Jazz, dessen Noten vom Wind über das ganze Viertel getragen werden. In der Nachmittagssonne liegt über allem eine leichte Melancholie, eine dösige Trägheit, die mich ein wenig an Lissabon und die portugische saudade erinnert.
Zeit und Zeitgeschehen, Naturgewalten und Wirtschaftskrisen haben dieser einstigen Hafen-schönheit arg zugesetzt, aber sie trotzt ihrem Schicksal beharrlich. Auch das Großfeuer, welches im April diesen Jahres 12 Menschen das Leben kostete, über 2.000 Häuser vernichtete und zehntausend Menschen vorübergehend in die Flucht trieb ist nur von temporärer Bedeutung. 1.300 Feuerwehrleute waren im Einsatz, 20 Hubschrauber und Flugzeuge bekämpften die Flammen aus der Luft. Das Feuer war nachmittags auf einer 30 Hektar großen Müllhalde ausgebrochen und in kürzester Zeit wurde die Flammenwand von anhaltenden Winden bis in die Wohnhügel getrieben. Als mögliche Auslöser des Infernos nannten Augenzeugen zwei Truthahngeier, die sich auf einer Hochspannungsleitung niederließen. Der Wind habe zwei Kabel aneinander gebracht, die Geier seien dabei verbrannt und die entstandenen Funken hätten die trockenen Blätter am Boden entzündet, berichtete das Nachrichtenportal Emol unter Berufung auf die Feuerwehr. Auch diesen Schlag wird die Stadt am Meer verkraften.
Valparaiso ist einzigartig, zeigt stolz seine Schönheit, aber versteckt auch die hässlichen, die armen, die menschlichen Seiten nicht. Der verheißungsvolle Name hält, was er verspricht.