Archiv für den Tag: 16. Januar 2015

Pamparitt oder Pampalapapp

Unser nächstes Etappenziel ist Puerto San Julian an der Atlantikküste und die Fahrt dorthin wird uns quer durch Argentinien über die zentrale Hochebene führen. Das erste Teilstück, die Ruta 40 bis Gobernador Gregores, hat einen guten Asphaltbelag und wir jagen mit schwindelerregenden 75 km/h über die Straße. Anschließend liegen rund 200 Kilometer Piste vor uns. Je tiefer wir ins Landesinnere vordringen desto einsamer und wüstenhafter wird die Landschaft. Winzige Ortschaften mit nicht mehr als einer Hand voll Häuser liegen einhundert Kilometer und mehr auseinander. Die Pampa in dieser Region östlich der Andenkette ist auf den ersten Blick zwar eintönig, aber noch nicht langweilig. Die Perspektive ändert sich von Moment zu Moment und aus der wüstenhaften Ebene erheben sich Tafelberge, die wie überdimensionale Ziegelsteine in der Sonne rostrot bis aubergine schimmern. Wir sehen die schneebedeckten Gipfel der Anden wie große, am Horizont treibende Eisberge gemächlich vorbeiziehen.

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Da sich die Landschaft vordergründig kaum verändert scheint es, als wäre ein Kulissenschieber am Werk. Es sind die gleichen Gipfel, auf deren regnerischer Pazifikseite wir schon bis zum Ende der Carretera Austral gefahren sind. Auf ihrer argentinischen Seite liegen der Monte Fitz Roy und, weiter im Süden, der Nationalpark Los Glaciares mit dem Gletscher Perito Moreno und der Nationalpark Torres Del Paine. Wir lassen diese Highlights zunächst rechts liegen und heben sie uns für die Rückfahrt auf.

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Während wir mit Höchstgeschwindigkeit über die Ruta 40 zu fliegen scheinen sehen wir immer wieder kleine und größere Herden von Guanakos, die zu Tausenden die Savanne bevölkern und auf der Suche nach Nahrung umherstreifen. Um diese Jahreszeit sind viele halbwüchsige Jungtiere dabei.

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Die ausgewachsenen Tiere mit den ausdrucksvollen dunklen Augen haben das Schultermaß eines kleinen Pferdes, aber einen deutlich schmaleren Körperbau. Auf dem steinigen Boden der Pampa gedeiht nicht viel, aber die Tiere sind sehr genügsam und das wenige Wasser, was sie benötigen, ziehen sie aus den Pflanzen.

Die zum Schutz der Autofahrer vor Wildunfällen beidseitig eingezäunte Ruta 40 führt durch ihr Weiderevier, aber die Zäune halten die Tiere mit ihren langen Beinen nicht vom Wechsel ab. Auch in der Pampa scheint das Gras auf der anderen Seite grüner zu sein…

Wir sehen Guanakos an der Straße, auf der Straße, vor dem Zaun, hinter dem Zaun und leider auch häufig über dem Zaun. Immer wieder geschieht es, daß Tiere beim Versuch, die hohen Zäune zu überspringen, mit ihren langen Hinterläufen am Draht hängenbleiben, nicht mehr freikommen und dann elendig verhungern oder sich zu Tode strampeln. Übrig bleiben nur die Knochen und das Fell.

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Lustig anzuschauen sind dagegen die Familien der flugunfähigen Nandus, die hier in Argentinien Rhea heißen. Mütter mit bis zu zwanzig Jungen picken seelenruhig am Straßenrand in den Gräsern, sprinten aber blitzartig los, sobald sie das Brummen des Unimogs hören oder seine Vibrationen spüren. Mit ihren langen, kräftigen Beinen sind sie sehr schnell und liefern sich ein regelrechtes Wettrennen mit uns.

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Gobernador Gregores entpuppt sich als staubiges Drecknest, das nicht zum Verweilen einlädt. Durch den ständigen Wind verteilt sich der Müll besonders effizient und die vielen dünnen Plastiktüten verteilen sich Kilometer weit in die Steppe hinein, bis sie an einem der niedrigen Büsche hängenbleiben und dort für Jahrzehnte wie rosa Fähnchen im Wind wehen. Bis Puerto San Julian liegen jetzt noch rund zweihundert Kilometer Piste vor uns, die zunehmend schlechter wird. Auf den letzten siebzig Kilometern bis zur ersehnten Atlantikküste wechselt Wellblech zu tiefen Spurrillen im groben Kies und betonhartem trockenen Schlamm. Dazu bläst unaufhörlich der Wind. Die Fahrerei ist mühsam; Spaß geht anders. Dazu hat die Landschaft auf 360 Grad die Farbe von aufgewärmter Erbsensuppe angenommen und ist an Monotonie kaum noch zu übertreffen. Wir haben nach Stunden den Eindruck, wie auf einem Simulator auf der Stelle gefahren und keinen Meter vorwärts gekommen zu sein. Auge und Geist sind irgendwann völlig erschöpft, das Gehirn hat sich im Leerlauf heiß gelaufen und wir haben jedes Gefühl für Zeit und Raum verloren. Die einzige Abwechslung ist eine große Herde wilder Pferde, die fast geisterhaft plötzlich aus dem braungelben Einerlei auftaucht, vor uns gelassen die Piste überquert, um dann galoppierend am Horizont zu verschwinden.

Wir sind froh, als wir am späten Nachmittag die weite Bucht von Puerto San Julian türkisfarben vor uns liegen sehen. Im März 1520 lief hier die Flotte Magellans zum Überwintern ein und in Erinnerung an diese Zeit liegt heute an der Uferpromenade eine Replik der Nao Victoria in Originalgröße. Mit 25 Metern Länge war der Segler nicht mehr als eine Nussschale, aber sie kehrte 1522 als einziges der fünf Schiffe mit knapper Not und wurmzerfressen von der ersten vollständigen Weltumsegelung nach Andalusien zurück. Ruhm und Opfer waren gleichermaßen groß: Von insgesamt 256 Seeleuten hatten nur 18 die Expedition überlebt.

Nach einem Bummel über die windumtoste Promenade setzen wir unsere Fahrt durch die Pampa mit dem nächsten Etappenziel Rio Gallegos in 350 Kilometern Entfernung fort. Wir sind wieder auf der Panamericana unterwegs, die wir bis zu ihrem letzten Meter bis Ushuaia fahren werden. Aber bevor wir mit der Fähre über die Magellanstraße nach Feuerland übersetzen gönnen wir uns noch einen Besuch bei den … Happy Feet.

Textaufgabe

Ein Unimog fährt am 2.1.2015 mit 75 km/h auf der argentinischen Ruta 40 von Nord nach Süd. Der Fahrer ist 54, die Beifahrerin 51 Jahre alt. Um exakt 18.56 Uhr beginnt eine Fahrbahn, die bis zum Horizont schnurgerade verläuft. Um exakt 19.18 Uhr kommt nach schnurgeradem Verlauf die erste Kurve.

Frage: Wie lang ist die zurückgelegte Strecke von 18.56 Uhr bis 19.18 Uhr?

Hilfestellung: Der Unimog ist dreißig Jahre alt, der Fahrer fliegt Gleitschirm und die Beifahrerin liebt Reeses Peanut Butter Cups.

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Dem ebenen Gelände angepasst führen die Straßen und Pisten durch die Pampa einfach immer geradeaus, machen nach zwanzig und mehr Kilometern vielleicht mal einen kleinen Knick, um danach wieder eine halbe Ewigkeit ohne auch nur die Andeutung einer Kurve weiter zu verlaufen. Ein Autopilot für den Unimog wäre nicht schlecht…

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Neues Jahr – Neues Land

Die Nacht des Jahreswechsels haben wir in einem Zauberwald außerhalb von Coyhaique verbracht, dicht umschlossen von Bäumen, deren Äste und Stämme mit langen Flechten, fein wie zerrissene Gaze, besetzt waren. Wir haben mit chilenischem „Champagner“ um 20.00 Uhr ins neue Jahr angestoßen, denn der Zeitunterschied zu Deutschland beträgt in der Winterzeit nur vier Stunden. Müde wie wir vom Tag waren, haben wir den chilenischen Wechsel dann verschlafen.

Nach drei Monaten ist es Zeit für uns, dieses wunderbare Land zu verlassen, zumindest vorübergehend, denn um nach Ushuaia zu gelangen müssen wir weiter südlich noch einmal ein Stück durch Chile. Über den Paso Huemules reisen wir mit einer Mischung aus Abschiedswehmut und viel Neugier auf Argentinien aus.

In dem kleinen Grenzort Balmaceda, der außer dem Flughafen Coyhaiques und der Zollstation nur eine Handvoll geduckter Häuschen vorzuweisen hat, möchten zwei kleine Jungs gerne unser Auto sehen. Kein Problem, nur als Cesar und Oliviero erst einmal drin sind, möchten sie nicht wieder aussteigen. Auf unsere leise Anmerkung, daß wir dann doch mal langsam gerne weiterfahren möchten, erklären die beiden Jungs selbstbewusst, wir könnten sie ja mitnehmen und versuchen uns mit einer sehr sauren Stachelbeere zu bestechen. Wir kontern nicht ganz fair, aber wirksam, mit einem Stück Kinderschokolade.

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Die chilenische Grenzstation ist winzig und nur drei orangefarbene Plastikhütchen auf dem Weg trennen chilenischen von argentinischem Grund und Boden. Wir begrüßen die Grenzbeamten mit einem „Feliz Ano Nuevo“ und werden daraufhin unversehens herzlich umarmt und auf die Wange geküsst. Stempel Stempel Stempel – und schwupps sind wir draußen. Ein paar Kilometer weiter ist die argentinische Grenze.

Die Grenzer sind ebenfalls freundlich, die Formalitäten für uns und das Auto schnell und ohne Lebensmittelkontrolle erledigt. Schon sind wir in Argentinien, dem Land des Fußballs (naja), des Tango (schööön) und der großen Steaks (Hugo freut sich schon ein Loch in den Bauch).

Damit erst gar keine Missverständnisse aufkommen wird man direkt an der Grenze großformatig belehrt, wem die Falklandinseln denn nun wirklich gehören:

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Hier am Grenzposten endet die asphaltierte Straße und eine zwar breite, aber knochenharte Piste beginnt, der Zubringer zur legendären Ruta 40, die ab Rio Mayo weiter nach Süden führt. Wir lassen unseren Bandscheiben zuliebe ein Viertel Luft aus den Reifen, was die Fahrerei etwas erträglicher, aber nicht komfortabel macht. Die Landschaft ändert sich fast schlagartig. Nach wenigen Kilometern haben wir das grüne, dicht bewachsene Berg- und Farmland des chilenischen Patagoniens hinter uns gelassen. Vor uns liegt die staubtrockene argentinische Pampa, bis zum Horizont ein endloses Meer aus gelbem Büschelgras und struppigen Sträuchern von einem knappen Meter Höhe. In der Distanz verlieren sich alle Konturen und soweit das Auge blicken kann reckt kein einziger Baum seine Äste in den Himmel. Die alles dominierende Farbe der Landschaft ist die der typischen bessergestellten Hamburgerin Anfang/Mitte 50: Ton-in-Ton Gutedelbeige, nur trägt die Pampa keine Goldknöpfchen und Perlenketten.

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Hier, im Regenschatten der Anden, liegen rechts und links der Piste die Weideflächen großer Estancias. Manche sind so groß, daß sie auf der Landkarte Argentiniens mit ihren Namen eingezeichnet sind und zwischen ihnen oder dem nächst erreichbaren Ort liegen durchaus mal eben einhundert Kilometer oder mehr. Das argentinische Patagonien ist das Land, wo in großem Maßstab Schafe gezüchtet werden. Zu Tausenden grasen sie vor und hinter den Zäunen, die die Ruta 40 begrenzen. An unseren Stellplätzen für die Nacht können wir bei Einschlafen durch die Fenster die Schäfchen zählen…

In starkem Kontrast zur Stille der Landschaft steht die Dynamik des Himmels, der mehr Dramatik kaum bieten könnte. Ein starker Wind fegt tief über uns gewaltige Wolkenberge über die Ebene, die sich vor dem strahlend blauen Hintergrund scharf abzeichnen.

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Irgendwo in der Antarktis und bislang unentdeckt muß es eine Wettermaschine geben, die pausenlos neue Wolken und Wind produziert und mit starkem, eiskaltem Atem nordwärts über die Pampa pustet. Ab und an stehen an der Straße Schilder, die die vorherrschende Windrichtung anzeigen.

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In Perito Moreno lassen wir einen Riss an unserem Auspuff schweißen und fahren dann die Petrobras-Tankstelle an, um das dortige Wi-Fi zu nutzen. Als wir aussteigen fährt ein großer Wagen mit brasilianischem Kennzeichen dicht neben uns und mir fast bis vor die Füße. Ich überlege noch, was „Du Spinner“ wohl auf Spanisch heißt, als ich im Cockpit Marinés und Enio aus Rio erkenne, die wir ganz am Anfang unserer Reise im April in Uruguay kennengelernt haben. Der Kontinent ist so groß und dann trifft man sich ganz unverhofft irgendwann wieder, in diesem Fall im wahrsten Sinne des Wortes in der Pampa. Nach einem gemeinsamen Kaffeeplausch trennen sich unsere Wege wieder. Das Routing der beiden symphatischen Brasilianer in den nächsten Wochen ist etwas anders ausgelegt als das unsrige, aber wir sind sicher, die beiden auf dem Weg nach Ushuaia nochmals zu treffen. So viele Wege führen schließlich nicht ans Ende der Welt.

Kann man einen Traum fahren?

Man kann. Wir haben uns einen Traum erfüllt und sind die Carretera Austral bis zum letzten Meter gefahren, rund 1.200 Kilometer von Nord nach Süd und dazu ein paar Hundert Kilometer rechts und links in die Seitentäler. Jeder Einzelne hat sich gelohnt und wir möchten die Erfahrungen nicht missen.

Wir haben die Schönheit des immergrünen kalten Regenwaldes und die Faszination alter weiß-blauer Gletscher erlebt, das türkisfarbene Leuchten der großen Ströme Patagonies, einen vollendeten Regenbogen über dem Lago Carrera, die Farbenpracht von Lupinenfeldern, rauschende Wasserfälle und verschwiegene Strände.

Sind wir jetzt traumlos? Im Gegenteil, wir haben uns Appetit geholt, das Erlebte macht Lust auf mehr, viel mehr, zum Beispiel auf einen Flug über die patagonischen Eisfelder.

Wir werden wiederkommen, soviel steht fest.

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Chile Chico

Unsere Freude ist groß, als wir von Mercedes Kaufmann in Coyhaique die Nachricht erhalten, daß unsere Ersatzteile für die Heizung angekommen sind. Die Chance, noch in diesem Jahr einmal heiß duschen zu können, steigt.

Die weitere Fahrt führt uns entlang des steilen Südufers des langgezogenen Lago General Carrera. Die rund 120 Kilometer lange mässig gute Piste bis Chile Chico entpuppt sich als abenteuerliche, kurvenreiche Strecke mit traumhaften Ausblicken auf den See, seine malerischen Buchten und die schneebedeckten Gipfel im Hintergrund. Allmählich ändert sich die Landschaft, vom dichten patagonischen Regenwald gibt es schon bald keine Spur mehr, es wird trockener und karger. Im Osten flachen die Hügel ab und man kann schon die Ebene der argentinischen Pampa erahnen.

Von Chile Chico aus, nur fünf Kilometer von der argentinischen Grenze entfernt, wollen wir die Fähre über den Lago Carrera nach Puerto Ibanez nehmen. Als wir am Abend vor der Überfahrt durch den mit breiten Straßen großzügig angelegten Ort cruisen und an der plaza halten, um mal wieder staatlich gesponsortes Wi-Fi abzuzapfen, klopft es plötzlich an der Tür: „Do you have friends Anette and Klaus?“ Jaaaa, haben wir und wir jagen gerade hinter ihnen her, aber woher weiß die charmante blonde Dame das??? Wir sind perplex, kramen in unserem Gedächtnis, aber weder Hugo noch mir kommt ihr Gesicht oder das ihres Begleiters bekannt vor.

Im Gespräch stellt sich dann heraus, daß die Dame aus Belgien stammt, ebenfalls auf Reisen ist und Anette sie und ihren Begleiter in der Lodge in Caleta Tortel kennengelernt hat.

Beim Abschied hat Anette sie wohl gebeten, uns zu grüßen, sollten wir uns zufällig irgendwo begegnen und prompt laufen wir uns in Chile Chico über den Weg. Grund für ein gemeinsames Bier in unserem Wohnzimmer !

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Am nächsten Morgen müssten wir eigentlich schon um 7.00 Uhr im Hafen sein, da dann für eine Stunde das Ticketbüro der Reederei öffnet. Die einzige Fähre nach Puerto Ibanez an diesem Tag legt bereits um 8.00 Uhr ab und da es der erste Werktag nach den Weihnachtsfeiertagen ist und noch dazu die touristische Hochsaison begonnen hat gehen wir von einem ziemlichen Andrang aus. Prompt verschlafen wir und werden erst um 7.20 Uhr wach. Frühstück fällt aus, wir fliegen in unsere Klamotten und jagen zum Hafen. Mit einem Parkplatz sieht es eng aus, noch dazu schieben die carabinieros Wache und so sprinte ich ins Ticketbüro, während Hugo draußen mit dem Unimog Kreise zieht. Die Schlange am Ticketschalter ist tatsächlich lang und ich sehe uns schon tagelang in Chico Chile auf die nächste Fähre warten. Aber das Personal arbeitet äußerst effizient, Kreditkarte ist kein Problem, das System funktioniert sogar im ersten Anlauf und um 7.50 Uhr habe ich Tickets für die 8.00 Uhr-Fähre, die bereits am Pier angelegt und mit dem Verladen der Fahrzeuge begonnen hat. Jetzt müssen wir nur noch samt Unimog an Bord kommen, aber wir werden überraschend vorgewunken und unversehens stehen wir hinter einem Viehtransport auf dem Schiff.

Die gut zweistündige Überfahrt über den spiegelglatten See mit seinen schönen Ausblicken ist wie eine kleine Kreuzfahrt. Beim Blick in das türkisfarbene Wasser fühlt man sich ein bisschen wie in die Karibik versetzt, nur weht dort der Wind nicht so kalt. Ab und an fallen ein paar Tropfen Regen und so kann das Schiff vor der Ankunft sogar durch einen bunten Regenbogen fahren.

In Puerto Ibanez angekommen geht es auf schnellstem Weg weiter nach Coyhaique. Dort holen wir die Ersatzteile bei Mercedes Kaufmann ab und Hugo baut den Brenner und die Steuerung noch am gleichen Tag in die Heizung ein. Beim Anlassen drücken wir fest die Daumen – sie funktioniert auf Anhieb! In kurzer Zeit sind zehn Liter Wasser auf eine Temperatur von sechzig Grad gebracht und wir gönnen uns nach über zwei Monaten die erste heiße Dusche! Ein unvorstellbarer Luxus! Besser kann das alte Jahr nicht enden…

Capillas de Marmol

Vroni und Ignacio haben wir in Cochrane abgesetzt; sie wollen von hier zur argentinischen Grenze. Unser Ziel heißt zunächst Puerto Tranquilo, wo wir die Capillas de Marmol besichtigen möchten, die wir auf der Fahrt nach Süden aufgrund schlechten Wetters haben ausfallen lassen. In Puerto Tranquilo angekommen schrauben wir uns mit dem Unimog einen dicht mit rosa blühenden Heckenrosen bewachsenen Steilhang hinunter und übernachten am Ufer des Lago Carrera unter haushohen Weidenbäumen.

Am nächsten Morgen sind uns die Wettergötter hold und wir fahren mit einem kleinen Boot zu den „Marmorkapellen“. Die bizarren Felsgebilde nahe des Ufers reflektieren den türkisfarbenen See und das Sonnenlicht. Mit viel Geschick manövriert uns der Bootsführer direkt in die Felshöhlen aus hellem, vielschichtigem Marmor hinein. In den Grotten leuchtet der See fast noch stärker. Die Oberfläche des Stein sieht aus wie dezent farbige Rochenhaut.

Die großen Felsbrocken sind vor vielen tausend Jahren von der gigantischen Wand aus Marmor abgebrochen, die sich am Ufer über uns erhebt. Das Seewasser hat sie im Laufe der Zeit unterspült und ausgehöhlt. Einige der dicken Brocken stehen heute nur noch auf filigranen Stelzen.

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PST

Die drei Buchstaben stehen für „Patagonia sin Tompkins“ und wir haben unterwegs auf Autos, Schildern, Häuserwänden oder auch Rucksäcken von jungen Travellern häufiger Aufkleber mit diesem Claim gesehen. Wir fragen nach, was es damit auf sich hat.

Es geht mal wieder um Douglas Tompkins. Genau, den Gutmenschen, der den Parque Pumalin eingerichtet und das Gebiet unter Naturschutz gestellt hat und auch gegenwärtig mit seiner Frau dabei ist, rund um Pumalin weiteres Land in Chile und Argentinien aufzukaufen. Und was ist daran so verwerflich, daß man Patagonien zur Tompkins-freien Zone erklären möchte? Neueste Gerüchte besagen, daß er das ganze Land kauft, um einen neuen Staat Israel zu errichten. Und wie kommt man zu dieser Annahme??? In den letzten Jahren seien auffallend viele Backpacker aus Israel in dieser Region gesehen worden… Soso, das Gerüchtesüppchen köchelt.

Flowerpower

Dorf ohne Straßen

Am ersten Weihnachtstag verlassen wir Villa O´Higgins über den gleichen Weg, den wir gekommen sind; es gibt nur diesen einen. Mit der kleinen Bedarfsfähre, die zu unserem Erstaunen sogar an diesem Feiertag im Einsatz ist, überqueren wir den Rio Bravo, biegen dann hinter Puerto Yungay nach gut zwanzig Kilometern auf eine Schotterpiste nach Westen ab und folgen dem Lauf des Rio Baker bis fast zu dessen Mündung bei Caleta Tortel.

Die Piste endet oberhalb des Dorfes, welches malerisch an einem Meeresarm liegt. Wir lassen den Wagen stehen und gehen zu Fuß weiter, denn im Dorf gibt es keine Straßen, sondern nur Stege und Treppen aus widerstandsfähigem Zypressenholz, das Wind, Wetter und Salz trotzt. Es geht kreuz und quer treppauf und treppab, auch am Ufer entlang führt ein Kilometer langer Steg bis zum Strand. In der ehemals völlig isolierten Holzfällersiedlung ohne Zuwegung über Land steht alles auf Stelzen, auch die holzverschindelten Wohnhäuser, die Plazas, der Kindergarten, das Kulturzentrum und das Gebäude der Feuerwehr.

Wir bummeln durch den Ort, lassen die Beschaulichkeit und Ruhe auf uns wirken, bestaunen die vielen hier blühenden Pflanzen und entdecken am Strand ein farbenfrohes Open-Air-Fitness-Studio.

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Wie überall an Chiles Küsten sind die Fluchtwege bei Tsunamis auch hier in Tortel gut sichtbar ausgeschildert. Der Fjord, an dem der Ort liegt, ist zwar tief und das offene Meer noch weit entfernt, trotzdem ist die Gefahr einer blitzartigen Überflutung latent immer gegeben.

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Zurück am Parkplatz werden wir von Vroni aus Deutschland und ihrem Freund Ignacio aus Santiago angesprochen. Die beiden Studenten touren mit leichtem Gepäck durch Südamerika und suchen eine Mitfahrgelegenheit nach Norden. Ob am Weihnachtstag der Bus fährt und wenn ja wann weiß niemand hier so genau. Wir verfrachten die beiden kurzerhand in die Kabine und nehmen sie bis Cochrane mit.

Wir sind übrigens zu spät in Tortel: Auf facebook erfahren wir, daß Anette und Klaus Tortel inzwischen verlassen haben und in Puerto Guadal sind.