Neues Jahr – Neues Land

Die Nacht des Jahreswechsels haben wir in einem Zauberwald außerhalb von Coyhaique verbracht, dicht umschlossen von Bäumen, deren Äste und Stämme mit langen Flechten, fein wie zerrissene Gaze, besetzt waren. Wir haben mit chilenischem „Champagner“ um 20.00 Uhr ins neue Jahr angestoßen, denn der Zeitunterschied zu Deutschland beträgt in der Winterzeit nur vier Stunden. Müde wie wir vom Tag waren, haben wir den chilenischen Wechsel dann verschlafen.

Nach drei Monaten ist es Zeit für uns, dieses wunderbare Land zu verlassen, zumindest vorübergehend, denn um nach Ushuaia zu gelangen müssen wir weiter südlich noch einmal ein Stück durch Chile. Über den Paso Huemules reisen wir mit einer Mischung aus Abschiedswehmut und viel Neugier auf Argentinien aus.

In dem kleinen Grenzort Balmaceda, der außer dem Flughafen Coyhaiques und der Zollstation nur eine Handvoll geduckter Häuschen vorzuweisen hat, möchten zwei kleine Jungs gerne unser Auto sehen. Kein Problem, nur als Cesar und Oliviero erst einmal drin sind, möchten sie nicht wieder aussteigen. Auf unsere leise Anmerkung, daß wir dann doch mal langsam gerne weiterfahren möchten, erklären die beiden Jungs selbstbewusst, wir könnten sie ja mitnehmen und versuchen uns mit einer sehr sauren Stachelbeere zu bestechen. Wir kontern nicht ganz fair, aber wirksam, mit einem Stück Kinderschokolade.

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Die chilenische Grenzstation ist winzig und nur drei orangefarbene Plastikhütchen auf dem Weg trennen chilenischen von argentinischem Grund und Boden. Wir begrüßen die Grenzbeamten mit einem „Feliz Ano Nuevo“ und werden daraufhin unversehens herzlich umarmt und auf die Wange geküsst. Stempel Stempel Stempel – und schwupps sind wir draußen. Ein paar Kilometer weiter ist die argentinische Grenze.

Die Grenzer sind ebenfalls freundlich, die Formalitäten für uns und das Auto schnell und ohne Lebensmittelkontrolle erledigt. Schon sind wir in Argentinien, dem Land des Fußballs (naja), des Tango (schööön) und der großen Steaks (Hugo freut sich schon ein Loch in den Bauch).

Damit erst gar keine Missverständnisse aufkommen wird man direkt an der Grenze großformatig belehrt, wem die Falklandinseln denn nun wirklich gehören:

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Hier am Grenzposten endet die asphaltierte Straße und eine zwar breite, aber knochenharte Piste beginnt, der Zubringer zur legendären Ruta 40, die ab Rio Mayo weiter nach Süden führt. Wir lassen unseren Bandscheiben zuliebe ein Viertel Luft aus den Reifen, was die Fahrerei etwas erträglicher, aber nicht komfortabel macht. Die Landschaft ändert sich fast schlagartig. Nach wenigen Kilometern haben wir das grüne, dicht bewachsene Berg- und Farmland des chilenischen Patagoniens hinter uns gelassen. Vor uns liegt die staubtrockene argentinische Pampa, bis zum Horizont ein endloses Meer aus gelbem Büschelgras und struppigen Sträuchern von einem knappen Meter Höhe. In der Distanz verlieren sich alle Konturen und soweit das Auge blicken kann reckt kein einziger Baum seine Äste in den Himmel. Die alles dominierende Farbe der Landschaft ist die der typischen bessergestellten Hamburgerin Anfang/Mitte 50: Ton-in-Ton Gutedelbeige, nur trägt die Pampa keine Goldknöpfchen und Perlenketten.

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Hier, im Regenschatten der Anden, liegen rechts und links der Piste die Weideflächen großer Estancias. Manche sind so groß, daß sie auf der Landkarte Argentiniens mit ihren Namen eingezeichnet sind und zwischen ihnen oder dem nächst erreichbaren Ort liegen durchaus mal eben einhundert Kilometer oder mehr. Das argentinische Patagonien ist das Land, wo in großem Maßstab Schafe gezüchtet werden. Zu Tausenden grasen sie vor und hinter den Zäunen, die die Ruta 40 begrenzen. An unseren Stellplätzen für die Nacht können wir bei Einschlafen durch die Fenster die Schäfchen zählen…

In starkem Kontrast zur Stille der Landschaft steht die Dynamik des Himmels, der mehr Dramatik kaum bieten könnte. Ein starker Wind fegt tief über uns gewaltige Wolkenberge über die Ebene, die sich vor dem strahlend blauen Hintergrund scharf abzeichnen.

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Irgendwo in der Antarktis und bislang unentdeckt muß es eine Wettermaschine geben, die pausenlos neue Wolken und Wind produziert und mit starkem, eiskaltem Atem nordwärts über die Pampa pustet. Ab und an stehen an der Straße Schilder, die die vorherrschende Windrichtung anzeigen.

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In Perito Moreno lassen wir einen Riss an unserem Auspuff schweißen und fahren dann die Petrobras-Tankstelle an, um das dortige Wi-Fi zu nutzen. Als wir aussteigen fährt ein großer Wagen mit brasilianischem Kennzeichen dicht neben uns und mir fast bis vor die Füße. Ich überlege noch, was „Du Spinner“ wohl auf Spanisch heißt, als ich im Cockpit Marinés und Enio aus Rio erkenne, die wir ganz am Anfang unserer Reise im April in Uruguay kennengelernt haben. Der Kontinent ist so groß und dann trifft man sich ganz unverhofft irgendwann wieder, in diesem Fall im wahrsten Sinne des Wortes in der Pampa. Nach einem gemeinsamen Kaffeeplausch trennen sich unsere Wege wieder. Das Routing der beiden symphatischen Brasilianer in den nächsten Wochen ist etwas anders ausgelegt als das unsrige, aber wir sind sicher, die beiden auf dem Weg nach Ushuaia nochmals zu treffen. So viele Wege führen schließlich nicht ans Ende der Welt.

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