Archiv für den Tag: 12. Dezember 2014

Entlang des Rio Futaleufú

Im kleinen Markt Puma Verde, der zum Parque Pumalin gehört, machen wir noch einige Einkäufe und staunen nicht schlecht, als wir in den vergleichsweise gut sortierten Holzregalen neben frischem Gemüse abgepacktes deutsches Pumpernickel und Brot mit Sonnenblumenkernen entdecken! Der halbe Bestand wandert gleich in den Einkaufskorb, denn mit dem Brot ist das hier in Südamerika so eine Sache. Man kennt kein Vollkornmehl und dementsprechend schmeckt alles Brot schlicht nach nichts. Ein Brötchen von der Größe einer Grapefruit kann man in der Faust widerstandslos auf die eines Zwei-Euro-Stücks zusammendrücken und für den Rest seines Brötchenlebens bleibt es dann auch so. Ein Regencape im Format eines Zirkuszeltes wird im mercado ebenfalls eingepackt und dann geht es weiter in südlicher Richtung.

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Unsere Ziele sind Futaleufú und Palena, die östlich der Carretera in Richtung der argentinischen Grenze liegen. Wer nur die Carretera im Eiltempo hinunter- oder hinaufhuscht sieht zwar auch schon eine Menge, aber die wirklichen Naturschönheiten in den verschwiegenen Tälern bleiben ihm verborgen. Wir haben Zeit und lassen sie uns, denn unsere Ersatzteile für die Heizung sind noch unterwegs nach Coyhaique.

Die rund achtzig Kilometer lange Strecke windet sich als Piste durch ein langes Tal und führt uns am stillen Gletschersee Lago Yelcho vorbei, der sich zu Füßen einer dicht bewaldeten Bergkette über 35 km erstreckt, und dann entlang des malerischen, blau-grün schimmernden Rio Futaleufú, der mit seiner Vielzahl an wild schäumenden Stromschnellen ein Rafting-Paradies ist.

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Einige Klein- und Kleinstfarmen mit Gebäuden aus Holz, die seit vielen Generationen nicht verändert wurden bewirtschaften das vor langer Zeit gerodete Land. Verkohlte Reste großer Baumstümpfe liegen verstreut auf den mit gelben Butterblumen übersäten Wiesen. Vor den kleinen Fenstern hängen Spitzengardinen.

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Die Zäune dienen hier lediglich der Dokumentation von Eigentum, nicht dem Schutz der Nutztiere. Rinder mit ihren Kälbern, Ziegenherden, Hühner, Pferde und jede Menge Schafe halten sich genauso oft vor dem Zaun wie dahinter auf und liegen auch gerne mal quer auf der Piste. Wenn wir mit dem Unimog ganz vorsichtig im Schneckentempo angebrummt kommen sind die Reaktionen unterschiedlich:

– Schafe, eben noch die schwarzen Köpfe schafsnasig und mit höchster Konzentration fressend im hohen Gras versenkt, galoppieren beim allerersten Geräusch des Mogs mit wippenden Lämmerschwänzen wie angestochen los, soweit weg von uns wie möglich, und bleiben erst stehen, wenn die Zunge aus dem Hals hängt. Eine erfolgreiche Fluchtstrategie, denn beim Fotografieren erwische ich von Weitem meist nur noch den wollenen Hintern.

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– Pferde, besonders die jüngeren Tiere, werden nervös bis hysterisch, zappeln rum, steigen mit den Vorderbeinen, rollen wild mit den Augen, legen die Ohren an, wissen nicht, ob sie besser vorwärts oder rückwärts ausbrechen. Bis sie sich entschieden haben sind wir vorbei und alles ist gut. Keine gute Strategie, finden wir, denn wenn wir vorbei sind, sind meist nicht nur die Pferde fix und foxi, sondern ich auch. Ein PS mehr würde dem Mog zwar nicht schaden, aber bitte unter der Motorhaube und nicht darauf.

– Rinder, egal ob Bulle oder Kuh, nehmen uns nicht wirklich ernst, was dem Selbstbewusstsein des Moppels sehr zusetzt. Ausgewachsene Tiere sind von Natur aus phlegmatisch, aber hier scheinen sie zusätzlich Tranquilizer im Gras zu haben. Sie schauen uns entsetzlich gelangweilt und gleichzeitig beleidigt an und bequemen sich erst dann schwerfällig im Zeitlupentempo aus ihrer Liegendposition, wenn wir bereits vorbei oder um sie herum gefahren sind. Fliegende Kühe, wie wir sie auf Indiens Autobahnen erlebt haben, die sogar Leitplanken aus dem Stand überspringen können. gibt es hier nicht. Kleine Kälber verhalten sich allerdings ganz anders; sie rennen völlig kopflos in ihrer Panik schlichtweg alles über den Haufen, vorzugsweise andere Kälber oder ihre am Boden und im Weg liegenden Mütter.

Neben dem enormen Dieselverbrauch ist die Dezibelzahl des Unimogs der einzige weitere Kritikpunkt, den man eventuell haben könnte. Hier im einsamen stillen Patagonien rechnen wir fest damit, irgendwann von Mutter Natur wegen Ruhestörung eine Strafanzeige zu erhalten. Dann kommt noch das mysteriöse Sirenenphänomen dazu: In Städten und auf Straßen mit vielen parkenden Autos auf den Seitenstreifen löst das Brummen des Mogs leider sehr häufig die Alarmanlagen aus, die der Reihe nach losgehen, wenn wir vorbei fahren. Sehr seltsam…Wie dem auch sein, wir können es nicht ändern und irgendwie ist es ja auch lustig.

Unseren Stellplatz für die Nacht finden wir im Kiesbett am Rio Futaleufú, umgeben von Lupinen.

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An der Strecke liegt kurz vor Futaleufú der der Lago Lonconao, wo dann durchaus auch mal eine solche Villa im Blockhausstil zu sehen ist, Llamas als Haustiere im Garten inklusive.

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Viele der Flüsse werden von Gletschern gespeist und ihr Wasser schimmert in einem milchig-grünen Weiß. Wir drehen eine kleine Runde in dem idyllischen 2000-Seelen-Dorf Futaleufú und fahren dann in eine weiteres Tal, das Valle California ein gutes Stück hinter Palena. Hier erinnert die Landschaft mit etwas Phantasie an Südtirol und durch ein besonders mildes Mikroklima gedeihen hier sogar Zitrusfrüchte.

Wir finden einen abgeschiedenen Nachtplatz ein einem kleinen See mitten im Wald und genießen die wunderbare Abendstimmung und das Spiegelbild der Berge auf dem Wasser, als die Sonne untergeht.

Wege oder Pisten zurück zur Carretera gibt es nur einen, und den sind wir schon gekommen. Wir haben wenig Lust, die Strecke zweifach zufahren, könnten alternativ eine schlechte Piste über Argentinien nehmen, aber die zweifachen Grenzformalitäten haben wir noch weniger Lust. Vielleicht gibt es ja doch irgendeinen Weg, eine Abkürzung. Selbst wenn die Piste schlecht ist, mit Unimoppel sollte es kein Problem sein. Wir entdecken tatsächlich eine kleine Piste, die Richtung Süden führt, aber dann kommt ein locker verschlossenes Tor mit einem Schild „Recinto Privado“ undsoweiterundsofort. Also war´s das, umdrehen. Dann lese ich das Schild mal richtig und ja, handelt sich um Privatbesitz, aber „Betreten erlaubt!“ Wir brechen weiter durchs Gebüsch, bis wir plötzlich feststellen, daß uns ein Pick-up folgt. Also doch falsch verstanden? Nein, alles ist okay. Ein junger Chilene stellt sich als Verwalter des Parks vor und klärt uns auf: Es handelt sich um ein privates Naturreservat, welches von Chilenen und Ausländern vor nicht allzu langer Zeit gegründet wurde. Während der Sommermonate Dezember bis März soll das Reservat für Besucher offen stehen und eine kleine touristische Infrastruktur wie im Parque Pumalin ist im Entstehen. Wir schwatzen noch ein bisschen über Dies und Das und was prompt folgt ist eine Einladung zum Lunch.

Vom Fleece-Pulli zum eigenen Nationalpark

Chile hat eine große Zahl an Naturschutzzonen zu bieten: Insgesamt 36 Nationalparks, 49 Reservate und 15 Naturmonumente stehen unter dem Schutz der Forstbehörde Conaf. In Summe ergibt dies eine Fläche von 15 Millionen Hektar, was ungefähr 20% der gesamten Staatsfläche ausmacht. Bis Ende des zwanzigsten Jahrhunderts spielte Umweltschutz im Denken und Handeln der Chilenen keine nennenswerte Rolle. Im Gegenteil, der hemmungslose Raubbau fand völlig ohne Kontrolle oder Regulierung im gesamten Land statt. Die Fischbestände im Pazifik wurden mit industriellen Methoden abgefischt und nach Asien exportiert, Erze und Metalle aus den Minen der Atacama gegraben, die Rückstände des Bergbaus unkontrolliert in Flüsse, Seen und Böden geleitet. Ganze Wälder mit uralten Baumbeständen wurden niedergebrannt oder zu Holzchips verarbeitet und durch schnellwachsende Kiefern- und Eukalyptusplantagen ersetzt. Dem Profitdenken fielen leider auch viele prächtige, nur langsam wachsende Baumriesen zum Opfer, wie zum Beispiel die Alercen, die bis zu 3.000 Jahre alt und deren Stämme vier Meter dick wurden, oder die Araukarien, die ebenfalls ein biblisches Alter von 1.000 Jahren überschreiten konnten. Inzwischen ist der „grüne Gedanke“ auch in weiten Kreisen von Chile zunehmend populär geworden und bewegt Wirtschaft, Politik und die Breite der Bevölkerung zum Umdenken.

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Aber es gibt auch Institutionen und Privatpersonen im In- und Ausland, die sich für den Naturschutz nicht nur mit salbungsvollen Worten vor der Kamera in Pose bringen, um für positive Schlagzeilen zu sorgen, sondern die sich aktiv stark machen und auch finanziell engagieren, allen voran Douglas Tompkins und seine Frau. Mit Fleece-Pullovern legte der 1947 in New York geborene Unternehmer den Grundstein für sein Outdoor-Imperium „The North Face“, später war er Anteilseigner der Modefirma Esprit.

Einen Teil seiner Anteile verkaufte er 1990, gründete die Stiftung Deep Ecology mit Sitz in San Francisco und widmet sich seitdem ökologischen Initiativen. Nach und nach kaufte er in Chile – und später auch in Argentinien – große zusammenhängende Urwaldgebiete auf, was problemlos möglich ist, da die chilenischen Gesetze den Landerwerb durch Ausländer erlauben. Heute ist sein Landbesitz in Nordpatagonien 550.000 Hektar groß.

Kritiker und Widersacher fanden sich schnell und in Windeseile verbreiteten sich böse Gerüchte, daß er Festlandchile spalten und eine Art Enklave innerhalb des Landes schaffen wolle. Tompkins ließ sich nicht beirren, verfolgte konsequent sein Naturschutzprojekt und schuf den Parque Pumalin mit Modellcharakter für nachhaltigen Umweltschutz in Patagonien. Um weiteren Gerüchten und scharfen Attacken seiner Gegner für alle Zeit einen Riegel vorzuschieben gründete er eine Stiftung, die den Park heute schon verwaltet und später als Eigentümerin zu 100% übernehmen soll. Territoriale Ansprüche der wenigen Siedlerfamilien, die seit langer Zeit im Park lebten, hat Tompkins vollständig anerkannt, auch wenn keine Rechtstitel vorlagen. Heute zählt der Parque Pumalin zu den schönsten Naturparks Chile und hat Vorbildcharakter in puncto Infrastruktur und sozial-verträglichem Umweltschutz.

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Ganz klar, Tompkins als erfahrener Geschäftsmann hat sicherlich nicht nur aus altruistischen Beweggründen gehandelt. In den Shopping Malls der großen chilenischen Städte war uns aufgefallen, daß neben den eigenen chilenischen Modemarken auch – als eine von höchstens einer Handvoll ausländischer Marken – das vergleichsweise hochpreisige Sortiment von Esprit geführt wurde. Dito gilt für The North Face in den Outdoor-Geschäften. Mit seinem Invest hat er für seine Marken den Marktzugang gekauft. Na und? Wir finden, das ist nicht nur legitim, sondern ganz einfach clever.

Wir fahren auf der Carretera Austral, die den Park durchschneidet. Kaum ein Fahrzeug begegnet uns. Die einsame Schotterpiste ist von dichtem Regenwald umgeben und Riesefarne sowie die großblättrigen Nalca-Pflanzen, eine Rhabarberart, säumen den Weg und reichen vielerorts bis weit in die Piste hinein. Ab und an fällt etwas Regen und die Wolkenfetzen hängen tief in den grünen Bergen; wenn dann die Sonne wieder durchkommt dampft der Urwald und man kann schöne Regenbogen entdecken.