Archiv für den Tag: 8. Dezember 2014

Unterwegs im Seengebiet

Touristisch ist Chile in „Rutas“ aufgeteilt: Wir haben schon die Ruta del Desierto im Norden erlebt, die Ruta de las Estrellas (Route der Sterne) im Valle del Elqui, sind über die Ruta de los Rios (Route der Flüsse), Ruta de los Bosques (Rute der Wälder), Ruta del Mar (Routes des Meeres) gefahren. Jetzt haben wir die Ruta de los Lagos erreicht, die Route der Seen.

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Nach einem Bummel durch Osorno fahren wir, jetzt zu Dritt, noch am gleichen Tag ostwärts zum Lago Puyehue und weiter in den Parque Nacional Puyehue, einen der weniger bekannten aber nicht minder schönen des Seengebietes. International in die Schlagzeilen kam der Nationalpark 2011, als nach über fünfzig Jahren die Vulkankette Puyehue – Caulle erstmals wieder ausbrach. Von der explosionsartig austretenden Aschewolke war besonders das auf argentinischer Seite liegende Bariloche betroffen. Die Asche wurde über Australien und Südafrika einmal um die ganze Welt geweht, beeinträchtigte den Flugverkehr spürbar und traf nach zwei Wochen wieder in Chile ein. Bis 2013 grollte der 2.236 Meter hohe Vulkan Puyehue weiter, erst dann beruhigte er sich wieder.

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Wir fahren am dem grau-blauen, stillen See vorbei weiter bis zu den Thermen von Aguas Calientes. Immer wieder geben die dichten, bis direkt ans Seeufer reichenden Urwälder den Blick auf schneebedeckte Gipfel frei. Am nächsten Morgen geht es über eine Schotterpiste noch ein Stück weiter bis zum Refugio Antillanca zu Füßen des schneebedeckten Vulkans Casablanca auf 1.050 Metern. Im Winter werden hier mehrere kleine Skilifte betrieben, die ihre Gäste bis auf 1.500 Metern befördern. Jetzt, außerhalb der Saison, ist außer uns kaum jemand zu sehen und die Lifte stehen still, aber das kleine Restaurant vor Ort hat die Terrasse bei dem strahlend blauen Himmel geöffnet. Hugo nutzt die Gelegenheit für einen Flug und kann aus nächster Nähe einen Blick auf die weißbemützten Vulkane Casablanca, Osorno und Puyehue werfen.

DerNachbar und ich sind ein wenig neidisch…Den Abend und die Nacht verbringen wir auf einem Lavafeld unterhalb des Gipfels. Oliver darf Erdbeeren schnippeln, Hugo muß den Cabernet Sauvignon öffnen… Mit Bioschaffell, Fleecedecke und Daunenschlafsack bewaffnet zieht DerNachbar später in unseren Markisenluxusanbau um.

Nachdem wir Oliver am nächsten Morgen mit Kaffee wieder aufgetaut haben geht die Fahrt weiter zum Lago Llanquihue. Mit 86.000 Hektar ist der Lago Llanquihue nach dem Lago General Carrera der zweitgrößte See Chiles. An sonnigen, wolkenlosen Tagen spiegelt sich der vollkommen symmetrische Kegel des Vulkans Osorno auf seiner dunkelblauen Oberfläche. Heute ist der Himmel leider grau und bedeckt und so spiegelt sich, außer der Enttäuschung in unseren Augen, rein gar nichts wider. Trotzdem, für viele ist der 2.660 Meter hohe Vulkan mit dem Kragen aus Eis und Schnee der schönste Chiles.

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Auf dem Weg nach Puerto Octay am Nordufer des Sees kommen wir an etlichen sehr alten landwirtschaftlich geprägten Siedlungen vorbei. Den meisten aus Holz errichteten Häusern hat die raue Witterung gnadenlos zugesetzt, aber es gibt auch gut gepflegte Schmuckstücke, die noch vollständig mit alten Holzschindeln aus Alerce gedeckt sind.

Diese Region Chiles, eigentlich Mapuche-Territorium, wurde überwiegend von deutschen Einwanderen um 1850 besiedelt und vieles erinnert noch heute daran. In den Vorgärten der kleinen Häuser blühen Rosen und Fuchsienbüsche und in den Cafes gibt es „Kuchen“.

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Zahlreiche Orte hier tragen die Endung –hue, was in der Sprache der Mapuche „Ort“ bedeutet. Llanquihue bedeutet „tiefer Ort“. De facto liegt der See 70 Meter über dem Meeresspiegel und seine größte Tiefe beträgt 350 Meter. Abends finden wir direkt an seinem Ufer versteckt hinter hohen Büschen einen schönen ruhigen Stellplatz.

Am nächsten Morgen lädt der See zum Baden ein, aber nur Hugo hat Mumm genug, sich in die eisigen Fluten zu wagen. Sein Vergnügen – und unseres – dauert zwei Sekunden. Ich ziehe die Außendusche vor, die mangels Heizung aber auch nicht viel wärmer ist. Wir entscheiden uns, entlang des Ostufers über Puerto Fonck, Puerto Klocker und Ensenada weiterzufahren, machen einen Abstecher in das mitten in einem Naturwald gelegene Petrohue, kehren dort um und fahren südwärts über Ralún bis Cochamo. Dabei durchfahren wir einen schönen, weiß blühenden Ulmo-Wald mit knorrigen Bäumen. In Ralún erreichen wir den tief ins Landesinnere schneidenden Fjord Estero de Reloncavi. Über die Schotterpiste folgen wir dem Ostufer des Fjordes bis zum beschaulichen Cochamo. Die Holzschindelkirche in der Dorfmitte ist uralt. Abends bekommen wir an unserem Stellplatz überraschend berittenen Besuch.

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Der stolze Reiter mit den wunderbaren, den Chilenen ganz eigenen höflichen Umgangsformen, hält ein freundliches Schwätzchen mit uns, erklärt, daß die Ziegenfall-Leggins die Feuchtigkeit abhalten, die Steigbügel alt und aus Holz handgeschnitzt sind und daß er eine kleine Website betreibt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden habe, aber ja, es stimmt: Er bewirbt sein Ein-Mann-Unternehmen ganz professionell über das Internet. Er besitzt zehn Pferde und wer möchte, kann mit ihm mehrtägige Ausritte ins Valle Cochamo machen. Das tiefe, unzugängliche Tal mit uralten Wäldern ist unter Freeclimbern als spektakuläres Klettergebiet bekannt. Hier gibt es bis zu 1000 Meter hohe vertikale Granitwände, ähnlich denen im Yosemite-Park in den USA, aber im Gegensatz dazu ist diese Region nicht mit Freeclimbern überlaufen.

Der Unimog wird inzwischen souverän im Schichtbetrieb gefahren: Vormittags sitzt Oliver, nachmittags Hugo am Steuer.

Den gesamten Fjord entlang fahren wir bis Caleta Puelche, wo wir in einer halben Stunde mit einer kleinen Fähre übersetzen, und entlang der Bucht von Reloncavi weiter nach Puerto Montt fahren, welches in einem weitem Bogen von zwei Kilometern Ausdehnung die Bucht umspannt.

Deutsche Siedler erbauten die Stadt Mitte des 19ten Jahrhunderts und benannten sie nach dem damaligen chilenischen Präsidenten Manuel Montt, der die Einwanderung nach Chile befürwortete. Insgesamt bietet Puerto Montt außer einigen gut restaurierten Alerce-Schindelhäusern aus der Gründerzeit und dem Blick auf den schneebedeckten Vulkan Calbuco nur wenig Sehenswertes, sondern lebt von der Lachs- und Muschelzucht in den Fjorden und von ihrem Hafen.

Hier endet die gemeinsame Zeit mit Oliver und wir setzen ihn frühmorgens am kleinen Flughafen von Puerto Montt ab. Auf ihn warten die Atacama-Wüste im Norden und die geheimnisvollen steinernen Moai auf der Osterinsel, auf uns Patagonien und Tierra del Fuego, die Inselgruppe am südlichsten Zipfel des Kontinents.

Wir geben Gas

Von Isla Negra geht es die Küste entlang weiter, den größten Teil über asphaltierte Wege, manchmal über Piste. San Antonio mit seinen großen Verladekränen hat in Bezug auf den Warenumschlag Valparaiso den Rang angelaufen und ist inzwischen der größte Hafen Chiles.

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Der noble Ort Rocas de Santo Domingo südlich von San Antonio könnte mit seiner Ruhe ausstrahlenden Exklusivität und dem Golfplatz genauso gut in Kalifornien liegen und richtig, wie wir im Copec Guide später nachlesen, die Architekten Smith Solar & Smith Miller haben den Badeort nach dem Modell von Palos Verdes, CA, geplant. Auf den dunklen Felsen oberhalb des Meeres stehen wunderschöne Anwesen auf großen gepflegten Grundstücken mit altem Baumbestand, die von den örtlichen Gärtnern auch außerhalb der Saison bestens gepflegt werden. Ansonsten wirkt der Ort ausgestorben.

Mit Pichilemu erreichen wir das einstige Seebad des chilenischen Landadels. Der palmenbestandene Parque Agustin Ross Edwards und das Spielcasino zeugen noch von der aristokratischen Vergangenheit des Ortes Ende des 19ten Jahrhundert. Heute steht jedoch ein anderer Ortsteil im Zentrum der nationalen und internationalen Aufmerksamkeit. Punta de Lobos ist eine kakteenbewachsene Felsnase, die wenige Kilometer südlich des Küstenstädtchens ins Meer ragt und ein Treffpunkt der Surfelite ist. Die Pazifikwellen hier gelten als die besten Südamerikas. Da Punta de Lobos fast auf dem Weg liegt fahren wir am späten Nachmittag auf einen Sprung zum Zuschauen hin. Nachdem sich die surfistas in ihren dicken Neoprenanzügen mit ihren boards durch weißschäumendes Wasser zunächst bis zu einer scharfkantigen Felsinsel durchgekämpft haben stürzen sie sich in die bis zu zehn Meter hohen Röhrenwellen. Für die Könner unter ihnen lohnen sich die Mühe und das Risiko, denn die Wellen sind lang, bilden schöne Tunnel und legen einen weiten Weg zurück, bis sie am breiten Strand mit Getöse brechen. Viele Ausländer haben sich aufgrund der buena onda, der guten Welle, und der sorglosen Stimmung hier im Surf-Mekka Chiles inzwischen fest oder mit einem zweiten Wohnsitz niedergelassen.

Knapp zwanzig Kilometer weiter südlich dagegen wird in Cahuil noch ganz archaisch Salz per Hand gewonnen. Entlang der großen, von Ebbe und Flut geprägten Lagune wird auf Verdunstungsfeldern dem Wasser das Salz entzogen, welches dann von den gegerbten Arbeitern in große Säcke geschaufelt wird.

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Unsere Fahrt führt uns zunächst weiter durch einige winzige Fischerdörfer wie Bucalemu und Boyeruca, wo die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, und dann über Piste durch große kommerzielle Kiefernplantagen, die die ursprüngliche Vegetation der Küstenkordillere hier ersetzt haben. Die Wellblechpiste ist so hart, daß Hugo Luft aus den Reifen lässt; mit 25% weniger Druck fährt es sich deutlich angenehmer.

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In der blühenden Landschaft stehen gewaltige Forst- und Holzverarbeitungsbetriebe, die von schwerbeladenen LKW mit frisch geschlagenen Stämmen im Halbstundentakt beliefert werden. Immer wieder sehen wir große Werbeplakate für ein deutsches Produkt: Stihl Kettensägen. Bei unserem Versuch, den Weg über Ziehwege in den dichtbewachsenen Plantagen abzukürzen, verfransen wir uns kurz vor Einsetzen der Dämmerung beinahe hoffnungslos. Weder Karten noch Navi-Software geben in den tief eingeschnittenen Tälern mit den hochwachsenden Bäumen auch nur annährend eine Orientierungshilfe. Bevor es zu dunkel wird entscheiden wir uns, umzukehren und die „vernünftige“ Strecke zum Lago Vichuquén zu nehmen. Zeit zu verbummeln können wir uns nicht leisten, denn wir sind am 15ten in Osorno mit DerNachbar verabredet und müssen uns gewaltig sputen, um die Strecke bis dorthin noch zeitig zu schaffen.

Von Vichuquén aus ist das Meer über die Piste schnell erreicht. Hier sind an den langen, flachen Stränden, ganz besonders in Lloca und Caleta Duao, noch immer die Spuren des Tsunamis im Februar 2010 zu sehen und es wird noch eine Weile dauern, bis sich dieser Küstenabschnitt ganz erholt hat. Die Zeit scheint hier langsamer zu laufen und wir bekommen einen schönen Einblick in das ländliche, geruhsamere Chile. Die Fischer und Bauern transportieren hier teilweise ihre Waren wie zum Beispiel handgemachten Käse, Papayas oder Erdbeeren noch mit Ochsenkarren.

Bei Pelluhue mit seinem langen, schwarzsandigen Strand nördlich der Industrie- und Kohlestadt Concepción schlagen wir einen Haken landeinwärts und fahren bei Parral, das ein bisschen anmutet wie eine Westernstadt, wieder auf die vierspurige mautpflichtige Panamericana, die hier mittig von Nord nach Süd durch Chile verläuft. Hier gibt es nur zwei Richtungen:

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Je weiter nach Süden wir kommen desto grüner wird die Landschaft. Neben Weizenfeldern und Obstplantagen fahren wir auch entlang großer bewässerter Reisfelder. Wenn wir links aus dem Fenster blicken reiht sich wie auf einer Perlenkette ein schneebedeckter Vulkangipfel an den anderen, das Panorama vor dem blauen Himmel ist wunderschön.

Siebzig Kilometer südlich von Chillán unternehmen wir einen kleinen Abstecher zum Salto del Laja, den größten Wasserfällen Chiles. Kein Vergleich mit Iguacu, aber die Wasserwand, die sich fünfzig Meter tief in eine enge Schlucht stürzt, ist immerhin einhundert Meter breit und durchaus beeindruckend.

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Irgendwann unterwegs stellen wir fest, daß unsere Truma-Heizung in der Kabine nicht mehr funktioniert. Zu dumm, denn sie bereitet auch zehn Liter 60 Grad warmes Wasser für die Dusche auf. Alle Versuche, den Fehler zu finden und zu beheben, bleiben ergebnislos. Die Fehlermeldung in Form eines Strichcodes lässt siebzig !!! verschiedene Fehlermöglichkeiten zu, aber die Heizung kann nur maximal 15mal neu gestartet werden. Wir wenden uns an den Hersteller in Deutschland und nach einigen Telefonaten lassen wir uns einen neuen Brenner und eine neue Steuerung nach Coyhaique an der Carretera Austral schicken.

Die letzten vierhundert Kilometer bis Osorno geben wir mit Maximalgeschwindigkeit von 75 kmh auf der PanAm Gas und erreichen die Plaza de Armas im Stadtzentrum pünktlich am Samstag Nachmittag um 15.00 Uhr. DerNachbar, der die Tage auf Chiloé verbracht hat, sitzt im Schatten großer Bäume entspannt auf einer Bank. Perfektes Timing.