Archiv für den Tag: 1. Februar 2015

Kap Hoorn

Wer möchte und über das erforderliche Kleingeld verfügt kann von Ushuaia aus die südlichste Insel Amerikas, das Ende der Welt, wo Atlantik und Pazifik mit bis zu zwanzig Meter hohen Wellenbergen aufeinander prallen, überfliegen. Mit einem gecharterten Helikopter ist sogar eine Landung möglich, vorausgesetzt, das unberechenbare Wetter spielt mit.

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Auf der Insel gibt es eine kleine chilenische Marinebasis und auf einer Anhöhe ein Denkmal, welches zum Gedenken an die Seeleute erbaut wurde, die bei der Umrundung Kap Hoorns ihr Leben ließen. Es ist eine rautenförmige Metallplatte mit dem Umriß eines Albatros, Symbolvogel aller Kap Hoorniers, und eine Marmortafel mit einem Gedicht der chilenischen Poetin Sara Vial:

Ich bin der Albatros, der auf dich wartet
am Ende der Welt.
Bin die vergessene Seele der toten Seeleute,
die Kap Hoorn umsegelten,
von allen Meeren der Erde.
Aber sie sind nicht gestorben
in den tobenden Wellen.
Heute fliegen sie auf meinen Schwingen
in die Ewigkeit,
im letzten Wellental der antarktischen Winde.

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Heute eines der Once in a lifetime-Traumziele aller Segler und Kreuzfahrer war Kap Hoorn einst der Schrecken aller Seeleute. Die Passage konnte Tage und Wochen dauern, manchmal scheiterte sie ganz. Rund 800 Schiffe zerschellten an den Felsküsten und unterseeischen Riffen der Costa de los Naufragios, der Isla de los Estados oder an einer der Inseln im Wollaston-Archipel. Über 10.000 Seeleute fanden hier ihr kaltes, nasses Grab. Nicht immer waren die eisigen Stürme und hohen Wellen Schuld; manche Reederei, die ihre Flotte und Ladung sehr gut versichert hatte, ließ das ein oder andere Schiff mit Absicht untergehen und sanierte sich damit.

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Im Gefängnis

Das heutige Museo Maritimo erzählt von den Anfängen und der Vergangenheit Ushuaias als Strafkolonie. Ende des 19ten Jahrhunderts wurden Hunderte der übelsten Kriminellen Argentiniens, aber auch politische Gefangene oder sozial Unerwünschte kurzerhand ans Ende der Welt deportiert. Zu seinen Boomzeiten beherberte das Gefängnis 600 Strafgefangene in 380 Zellen, darunter psychopatische Massenmörder und Anarchisten.

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Ein nicht renovierter Flügel veranschaulicht das damalige Knastleben in beklemmender Weise. Die Zellen waren winzig, düster und nicht beheizt; pro Trakt gab es lediglich zwei Öfen in den Gängen, die auch nur tagsüber beheizt wurden. Zu lebenslanger Haftstrafe verurteilte Mörder wurden in strikter Einzelhaft gehalten, erhielten pro Mahlzeit nur die halbe Ration und hatten keinen Zugang zu Büchern. Die wenigsten Häftlinge haben das Gefängnis lebend verlassen, denn sie mussten trotz der miserablen Bedingungen harte Arbeit verrichten: Holz fällen, Piers bauen und eine Zugtrasse für die Häftlingseisenbahn, deren Lokomotive heute vor dem Museum steht. Sie trugen damit nicht unwesentlich zum wirtschaftlichen Aufschwung Ushuaias bei.

In den besucherfreundlich grün-weiß renovierten Flügeln des Gefängnisses sind heute Artefakte und Dokumentationen über Ushuaias maritime Vergangenheit ausgestellt. Es ist ein wildes, aber interessantes thematisches Sammelsurium: Das Spektrum reicht von Schiffsmodellen wie Magellans Trinidad, Darwins Beagle und Amundsen Fram über alte Seekarten, Zeichnungen der antarktischen Tierwelt und Schriftstücken der Pioniere der geographischen Erforschung der Region bis hin zu ausgestopften Pinguinen und Seevögeln.

Trotzdem, wir sind froh, als wir wieder entlassen und draußen sind :-)!

Ushuaia

Es wird Abend und wir haben schon fast das Ende der „Straße zum Ende der Welt“ erreicht. Wir möchten ausgeruht in Ushuaia ankommen und suchen uns einen ruhigen Stellplatz im Wald einige Kilometer oberhalb der Stadt. Über Nacht fällt Schnee und am Morgen sind nur wenige Hundert Meter über uns die Bergflanken weiß gepudert.

Wir fahren die letzten Kilometer, vorbei an den südlichsten Skipisten und Liftanlagen der Welt, dann liegt die 65.000 Einwohner zählende Stadt traumhaft schön in der großen Bucht am Beagle-Kanal unterhalb der frisch verschneiten Gipfel der Sierra Alvear und des Cordón Vinciguerra vor uns.

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Ursprünglich als eine Mischung aus Missionsstation, Staatsgefängnis und Versorungsposten von Goldsuchern und Schafzüchtern gegründet, erlebte Ushuaia einen regelrechten Boom während der Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983, als die Landesregierung willige Siedler mit Vergünstigungen lockten. Hintergrund waren ewige Grenzquerelen mit dem Nachbarn Chile in Südpatagonien und zunehmendes – auch internationales – Interesse an der Antarktis. Es hieß Präsenz zu zeigen. Heute hat sich die Stadt aufgrund ihrer Lage zu einem Touristenmagneten mit über 300.000 Besuchern pro Jahr aus aller Welt und zum Tor zur Antarktis entwickelt. Rund 40 Prozent der internationalen Gäste sind Kreuzfahrer, die meist nur ein bis zwei Tage im Ort bleiben und wenig Gelegenheit haben, die landschaftliche Schönheit kennen zu lernen.

Hoch über der Playa Larga, einem langen Strand, finden wir einen Stellplatz mit Blick auf die Stadt, die zu Chile zählende Isla Navarino im Süden und den weiten Arm des Beagle-Kanals, dessen spiegelglatte Wasseroberfläche wie poliertes Silber glänzt.

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Wir haben Glück mit dem Wetter; keine Spur von Sturmböen, die die Nähe zur Antarktis spüren lassen, oder Regenschauern, welche in ihrer Heftigkeit die Tropfen horizontal treiben. Wir frösteln nicht einmal. Es ist fast windstill, und ab und an bricht die Sonne sogar für längere Zeit durch die Wolkendecke. Auch die Thermik stimmt und so nutzt Hugo die sich hier sehr selten ergebende Chance für einen Flug mit dem Gleitschirm.

Verlaufen kann man sich in Ushuaia nicht: Wie in fast allen Städten Argentiniens – und auch Chiles – ist das überschaubare Zentrum in Blocks aufgeteilt und die wichtigen Straßen verlaufen parallel zum Ufer. Wir bringen unsere Wäsche in die lavanderia, auch hier zum praktischen Kilopreis, bummeln durch die Stadt und entlang der Uferpromenade, genießen in einer uralten, ganz mit Holz getäfelten Konditorei am Hafen einen submarino, wie hier eine heiße Schokolade genannt wird.

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Im Segelhafen liegen einige Yachten, die die furious fifties, screaming sixties und die stürmische Umrundung Kap Hoorns bereits überstanden haben oder sich darauf vorbereiten. Alte, bunt bemalte Holzhäuschen und Bauten aus der Gründerzeit stehen einträchtig neben Cafés in trendigem Design, wie man es auch in Mailand, New York oder Berlin findet. Es gibt viele Outdoor-Ausstatter und Touranbieter, die Ausflüge in die Umgebung, zu Pinguin-Kolonien, Segeltörns auf dem Beagle-Kanal oder Reisen in die Antarktis anbieten. Die Touren sind immer dieselben, die Preise auch. Die Restaurants, in deren Schaufenstern ganze Lämmer über offenem Feuer gegrillt werden, lassen uns im Vorbeigehen das Wasser im Mund zusammenlaufen.

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Die Atmosphäre ist lebhaft und modern, ohne bei all der touristischen Prosperität an Beschaulichkeit eingebüßt zu haben. Ushuaia macht auf uns alles andere als einen verstaubten oder vergessenen Eindruck, es gefällt uns gut hier in der südlichsten Stadt der Welt, die diesen Namen eigentlich zu Unrecht trägt, denn das chilenische Puerto Williams auf der gegenüber liegenden Isla Navarino liegt noch südlicher. Aber man hat einen Kompromiß gefunden, zumindest vorläufig: Ushuaia darf, da deutlich größer, den Titel „Südlichste Stadt der Welt“ tragen, Puerto Williams mit seinen gerade einmal 2.000 Einwohnern den Titel „Südlichster Ort der Welt“. Auch am Ende der Welt werden Haare gespalten.

Nachdem wir uns Appetit erlaufen haben dürfen wir auch hemmungslos der lokalen Kulinarik frönen. Hugo gönnt sich ein immens großes, butterzartes Steak und ich freue mich auf die feuerländische Spezialität, frische centolla.

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Die roten Königskrabben, auch Meeresspinnen genannt, sind mit ihrer Spannweite von fast einem Meter riesig. Anders als bei anderen Krebsarten kann man die langen dünnen Beine und Scheren beim Essen ignorieren. Das Fleisch wird aus dem Körper gezupft, bis zu 300 Gramm pro Krabbe, und schmeckt fantastisch. Die Portion bereits ausgelösten Fleisches, die mir zusammen mit geschmolzener Butter und mehreren Dips serviert wird, ist mehr als reichlich.

Feuer. Land.

Fernando de Magallanes, der Portugiese, der mit dem Auftrag des spanischen Königs Karl V. um die Welt segelte, einen westlichen Seeweg nach Indien und zu den Gewürzinseln zu finden, war der erste Europäer, der den schiffbaren Kanal zwischen der Inselgruppe und dem Kontinent entdeckte und 1520 seinen Fuß auf Feuerland setzte. Francis Drake war rund sechzig Jahre später auch nur an der zeitsparenden Passage und weniger an dem kargen, stets windigen Land interessiert. Zwei holländische Kapitäne, Willem Cornelisz Schouten und Jacob Le Maire aus Kap Hoorn, entdeckten dann 1615, daß Feuerland kein mit dem Südpol verbundenes Festland ist, wie man bis dahin glaubte, sondern eine Inselgruppe. Sie gaben dem südlichsten Punkt den Namen ihres holländischen Heimathafens. Kapitän Fitz Roy, Kommandant der Beagle, mit der Charles Darwin um die Welt reiste, entdeckte dann 1834 den nach seinem Schiff benannten Beagle-Kanal, der nördlich von Kap Hoorn zwischen der Hauptinsel und der Isla Navarino verläuft und einen Weg in geschützte, vergleichsweise ruhige Gewässer eröffnete.

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Aber es war ein Deutscher, der Flugpionier Günther Plüschow, der den Archipel erstmals aus der Luft sah. Am 3ten Dezember 1928 brachte er mit seiner offenen, einmotorigen Doppeldecker-Maschine vom Typ Heinkel He 24 W mit der Kennung „Tsingtau D 1313“ die erste Luftpost von Punta Arenas nach Ushuaia. Drei Jahre später verunglückte er zusammen mit seinem Bordmechaniker Ernst Dreblow nahe des Perito-Moreno-Gletschers am Fitz- Roy-Massiv tödlich, als das Flugzeug in den Rio Brazo stürzte. Noch heute wird Plüschow auf Feuerland sehr verehrt; Straßen tragen häufig seinen Namen, in Museen findet man umfangreiche Dokumentationen über ihn und auf dem Gelände des Aeroclub von Ushuaia ist seit 2011 eine originalgetreue Replik seines Doppeldeckers ausgestellt, der leider beim letzten Sturm eine der Tragflächen abgebrochen ist. Seine Eindrücke hat Plüschow in seinem abenteuerlichen Reisebericht „Silberkondor über Feuerland: Mit Segelkutter und Flugzeug ins Reich meiner Träume“ dokumentiert, ein auch heute noch sehr lesenswertes und faszinierendes Buch. Die ersten bewegten Bilder aus der Luft von der überwältigenden Schönheit Südpatagoniens und Feuerlands zeigte sein gleichnamiger Film.

Wie kam Feuerland zu seinem Namen? Der Chronist Magellans, Pigafetta, behauptet, bei der Ankunft seien schon aus großer Entfernung überall entlang der Küste die lodernden Feuer der einheimischen Völker zu sehen gewesen. Andere wiederum sagen, die Inseln tragen den Namen aufgrund des sich im Herbst leuchtend-rot verfärbenden Waldes. Wir sagen, wer Feuerland einmal erlebt hat, ist „Feuer und Flamme“, so wie wir. Vielleicht sind es aber auch die spektakulären Sonnenuntergänge, die die Kulisse majestätischer schneebedeckter Berge an langen Sommerabenden in sanftes, geradezu magisches Licht tauchen, die der Inselgruppe den Namen geben.

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Der Norden Feuerlands besteht aus flachem Tafelland mit kargem Bewuchs, der Süden hingegen erinnert uns stark an das bergige chilenische Patagonien mit undurchdringlichen Wäldern, welches wir schon kennen. Hier finden sich die letzten Ausläufer der Anden-Kordillere mit vergletscherten Gipfeln bis zu 2.500 Metern Höhe.

Kilometer um Kilometer fahren wir auf der Ruta 3, der Panamericana, weiter in den sich immer mehr verjüngenden Zipfel dieser Wundertüte namens Südamerika. Wir haben die Landkarte des riesigen Kontinents vor unserem geistigen Auge und das Gefühl, über die immer schmaler werdende Landmasse zu rutschen und in die eisigen antarktischen Fluten zu stürzen, wenn wir Unimoppel nicht rechtzeitig zum Stehen bringen.