Der Grzimek ist los

Am nächsten Morgen bin ich schon vor sechs Uhr unterwegs, während Hugo noch im Koma liegt und sich vom Capivara-Trauma des Vorabends erholt. Der Himmel über der Fazenda ist malerisch gefärbt; ein Hauch von Nebel überzieht die Landschaft um diese Zeit noch mit einem zarten Schleier, den die Sonne in kurzer Zeit weggeschmolzen haben wird. Außer den Vögeln, die wie immer um diese Uhrzeit einen Mordsradau machen, ist noch alles still. Einer der Peones sattelt mit ruhigen Bewegungen und leise eine Melodie summend sein noch dösendes Pferd, um seine morgentliche Runde zu machen, zwei Stunden später wird er zurück sein.

Satteldecke Doc

Schon am Vortag hatte sich der Reichtum an Vögeln hier auf der Fazenda gezeigt. Jetzt, am frühen Morgen, bestätigt sich der erste Eindruck und der Grzimek in mir kennt kein Halten mehr. Schon als Kind zogen mich die Tierdokumentationen von Prof. Bernhard Grzimek im Fernsehen in ihren Bann und viele Jahre lang war es mein größter Berufswunsch (nach Verpackerin an der Käsetheke bei IFA, Försterin und Eiskunstläuferin), ihm später im Frankfurter Zoo zu assistieren. Clarence, der schielende Löwe, Flipper, der Freund aller Kinder und Skippy, das nuksende Buschkänguruh waren meine besten Freunde, im Kinderzimmer stapelten sich die Steifftiere, vom heimischen Eichhörnchen bis zur exotischen Giraffe. Während andere Mädchen eifrig Glanzbilder mit und ohne Glitzer für das Poesiealbum tauschten sammelte ich die Unterwasser-Klebebilder von Hans Hass, die es damals an den Esso-Tankstellen gab, wenn ich mich recht erinnere. Zu meinem Glück zeigten meine Eltern Verständnis für meine Leidenschaft und sponsorten großzügig ein Abonnement von „Der kleine Tierfreund“, so daß ich dafür nicht mein Taschengeld opfern musste.

Zwei kleine Grüne Doc

„Live“ drückte sich meine Tierliebe noch vehementer aus, da ich alles nach Hause schleppte, was auch nur im Entferntesten „hilfebedürftig“ aussah: Kleine Katzen, Maikäfer im Karton, Marienkäfer im Glas, Kaulquappen, Wellensittiche, Frösche. Im wahrsten Sinne „den Vogel abgeschossen“ hatte ich, als ich eines Tages nach der Schule eine in die Brust geschossene Taube anschleppte, an die ich dann zum Leidwesen meiner Mutter heimlich die Körner aus den in liebevoller Arbeit von ihr selbstgebastelten Trockenblumensträußen, die damals so modern waren, verfütterte. Die Taube hat es trotz meines Einsatzes leider nicht überlebt. Getoppt wurde das dann wohl noch durch die zwingend erforderliche „Rettung“ eines völlig verflohten Igels. Ich weiß es noch wie gestern: Um die Flöhe besser sehen zu können hatte ich den Igel in unserer Küche auf ein weißes Trockentuch mit dünnen roten Karos gesetzt und war gerade dabei, die stachelige Kugel mit dem Staubsauger hin und her zu rollen und von ihren Flöhen zu befreien, als meine Mutter herein kam. Der Igel durfte gnädigerweise noch bei uns im Keller überwintern, aber die Geduld meiner lieben Mutter war mit dieser Episode dann doch überstrapaziert. Meinen tierischen Rettungseinsätzen wurde jedenfalls vorläufig ein Ende gesetzt.

Roter Vogel Doc

Egal, hier auf der Fazenda Sao Joao jedenfalls kann ich meiner animalischen Leidenschaft hemmungslos und ohne schlechtes Gewissen frönen und so gehe ich auf Pirsch. Die Kaimane liegen reglos und mit halb geschlossenen Augen im seichten Wasser, zwei weiße Jabirus mit schwarzen Köpfen – die großen Störche und Wahrzeichen des Pantanal – stolzieren auf ihren langen Beinen erhaben durch das Gras, rund um unseren Stellplatz zetern lautstark die grünen Sittiche und kleinen Papageien. In den Baumkronen entdecke ich großen Gruppen von Gelbbrust-Aras mit ihren leuchtend-blauen Flügeln und einem roten Farbtupfer auf der gelben Brust, der aussieht wie ein kleines rotes Herz. Etwas entfernt davon sehe ich hellrote Aras Vermelhas im Tiefflug über die Landschaft jagen.

Bunter Großer Doc

Dann kneife ich die Augen zusammen, da ich nicht glauben kann was ich sehe: In einem fast gänzlich entlaubten Baum entdecke ich Hyazinth-Aras mit ihrem blauen, leicht ins Violette schimmernden Gefieder und dem markanten gelben Pinselstrich um die Augen! Ich hätte nie gedacht, jemals einen Ara Azul in seiner natürlichen Umgebung erleben zu können, und hier zähle ich gleich zwölf Tiere, die entspannt Früchte knabbern und dabei genüsslich vor sich hin krakelen. Sie beobachten mich genauso aufmerksam wie ich sie. Dann startet eine Gruppe von ihnen in vollendeter Formation zu einem Tiefflug über die Farm; ihre Größe und ihre langen Schwanzfedern sind beeindruckend. Nach einiger Zeit kommen sie zurück und kündigen ihre Landung schon von weitem lautstark an.

Hyazinth Aras 5 Doc

Hyazinth Aras 2 Doc

Mit über einem Meter Länge ist der Ara Azul der größte Papagei der Welt und in gewissen Kreisen leider ein Objekt der Begierde. Sammler zahlen bis zu 20.000 Euro, egal ob tot oder lebendig, was dazu geführt hat, daß der freilebende Bestand in ganz Südamerika auf geschätzte 3.000 Tiere geschrumpft ist. Was veranlaßt Menschen nur, diese Tiere besitzen zu wollen? Sie in viel zu kleine Käfige zu sperren oder ausgestopft in ihren Designer-Wohnzimmern zu präsentieren, wo ihr einzigartiges Gefieder allen Glanz verliert und Staub ansetzt, bis sie irgendwann herzlos entsorgt werden, weil ein neues „Objekt“ begehrt wird? Wer sind diese Menschen?

Hyazinth Arars 3 Doc

Als ich nach über zwei Stunden nach Hause zurückkomme, bin ich voll mit Eindrücken und Erlebnissen und texte den noch völlig verschlafenen Hugo regelrecht zu. Ergebnis: Wir beschließen, unseren Aufenthalt in diesem kleinen Paradies um einen Tag zu verlängern.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert