Rückblick Bolivien

Um es gleich vorweg zu nehmen: Bolivien hat einzigartige, tief beeindruckende Landschaften von ganz besonderer Schönheit, die einen Besuch dieses Landes immer rechtfertigen, aber das ist auch schon alles. Die Menschen hier zeichnen sich nicht durch die bei uns in Europa immer so hochgelobte Freundlichkeit der Andenvölker aus. Hugo und ich sind irritiert, als uns die Bolivianer immer wieder mürrisch, wortkarg und teilweise sehr abweisend begegnen. Wir fragen uns lange Zeit, was wir im Umgang mit ihnen falsch machen, ob wir etwas übersehen, ob wir in ihren Augen und ihrer Kultur eventuell taktlos sind, oder ob wir zu sehr „weißer Mann“ sind und unbewußt ein Kolonialherrengehabe an den Tag legen, aber das alles ist es nicht. Wir schauen genauer hin und stellen fest, daß ihr Umgang untereinander genauso harsch, kurz angebunden und ohne Herzlichkeit ist. Wir fragen daraufhin einen Schweiz-Bolivianer, der in La Paz geboren wurde und dort heute eine Werkstatt betreibt. Er nimmt kein Blatt vor den Mund. Nein, es liegt überhaupt nicht an uns, daß die Bolivianer, insbesondere die Aymara, uns so kalt und desinteressiert begegnen, sondern sie sind ein Volk der Neider und Egoisten. Der eine gönnt dem anderen nichts. Ein alltägliches Beispiel finden wir im Autoverkehr, wenn hunderte Autos mit rasender Geschwindigkeit auf einen engen Trichter zufahren und keiner bereit ist, die Geschwindigkeit zu drosseln. Niemand schaut nach rechts und links, sondern mit tief eingezogenem Kopf stur geradeaus, laut hupen ersetzt bremsen, und alle hoffen, daß es irgendwie gut geht.

Der Schweiz-Bolivianer berichtet uns von anderen Fällen, in denen diese ausgeprägte Haltung zur Missgunst regelrechte wirtschaftliche Schäden anrichtet. Ein Beispiel: Ein Bolivianer hatte gemeinsam mit seiner Frau in einer Ortschaft nahe des Sajama-Vulkanes eine kleine Firma zu Herstellung von Bio-Llamawolle gegründet. Mit der Zeit war diese Firma gewachsen, der Unternehmer hatte im Ort nach und nach drei kleine Lehmhäuser als Arbeitsstätten gekauft und bot zum Schluß etwa 25 Familien dieses Dorfes Arbeit. Als er eine weitere Produktionsstätte benötigte und zu diesem Zweck ein viertes, wohlgemerkt kleines Haus kaufen wollte, wurde ihm dies von der Dorfgemeinschaft mit der Begründung, der besäße ja bereits drei Häuser, untersagt und die bei ihm angestellten Arbeiter legten ihre Arbeit nieder. Die Verhandlungen zogen sich über einen Zeitraum von über einem Jahr hin, blieben für den Unternehmer letztlich aufgrund der Uneinsichtigkeit der Dorfgemeinschaft erfolglos und so sah er sich schlußendlich gezwungen, den Standort vom Dorf wegzuverlegen. 25 Familien verloren somit ihre Arbeit und damit ein gutes sicheres Einkommen und das Dorf fiel wieder in Tiefschlaf.

Wenn wir Europäer an Andenvölker denken, dann haben wir Bilder von bunt-bemützten Indios mit tiefbraunen, von der Sonne zerfurchten markanten Gesichtern vor den Augen und das Panflötengedudel vom Evergreen „El condor pasa“ in den Ohren, aber wir sollten uns frei machen von dem Gedanken, daß jeder Indio ein „edler Inka-Häuptling“ ist. Genauso wenig ist jeder der eine Milliarde Inder ein spirituell erleuchteter Sadhu. Die Realität in Bolivien ist, daß viele der Aymara in ihren Traditionen und Verhaltensweisen verharren, geradezu verknöchern und sich nicht weiterentwickeln. Am Fortschritt partizipieren – ja, ein TV, Auto und Handy haben wollen – ja, aber die Einsicht, daß man selbst dafür etwas tun, den Hintern hochbekommen muß, fehlt. Der Schweiz-Bolivianer gibt uns ein Beispiel gutgemeinter, aber aus diesem Grund fehlgeschlagener deutscher Entwicklungshilfe. Über einen Zeitraum von fünf langen Jahren wurde mit Entwicklungshilfegeldern und unter deutscher Betreuung eine Berufsausbildungsstätte für die Industrie in La Paz initiiert und erfolgreich geführt. Nach Abschluß der fünf Jahre wurde die Leitung des Projektes vertragsgemäß in bolivianische Hände gegeben, kein Jahr später war es bereits gescheitert und wurde, da sich niemand zuständig fühlte, eingestellt.

Bolivien verfügt über immense Rohstoffreserven und hat zur brasilianischen Grenze hin genug fruchtbares Land, um alle Einwohner ernähren zu können. Niemand muß hier hungern, aber trotzdem ist die Armut groß. Von Santa Cruz, der wohlhabenden Provinz im Osten des Landes, werden bereits seit Jahren Rufe nach Autonomie von der Zentralregierung in wirtschaftlicher und politischer Sicht laut, so wie sich Norditalien am liebsten vom Rest der Landes lossagen möchte, da man keine Lust mehr hat, zu schuften und den Rest „durchzufüttern“. In einem Referendum in 2008 stimmten über 85% der Bewohner von Santa Cruz für die Unabhängigkeit und gingen somit auf frontalen Kollisionskurs zum Projekt einer sozialistischen Gesellschaftsordnung, wie sie Evo Morales umsetzen möchte.

Dann der Punkt der Demokratie. Auf dem Papier ist sie laut bolivianischer Verfassung zwar verbürgt, de facto gibt es sie kaum noch, da Morales Kritiker und Opposition mit Erfolg mundtot gemacht oder aufgekauft hat. Reicht für letzteres das eigene Geld nicht, hilft der Bündnispartner im Geiste – Venezuela – aus. Viele politische Gegner sitzen ohne richterliche Entscheidung nur aufgrund von förmlichen Anklageerhebungen seit Jahren im Gefängnis und der Justizapparat wird korruptiv und erpresserisch missbraucht. Sicherlich ist die Demokratie nicht für jedes Land die ideale Staatsform, sondern setzt eine gewisse politische Reife voraus, und ob die parlamentarische Diskussionsfreudigkeit, mit der bei uns in Berlin oder Brüssel jeder Pups stundenlang und zuweilen vollends sinnentleert durchgekaut wird, der Weisheit letzter Schluß ist sei dahingestellt, aber eine Diktatur ist sicherlich nicht die Lösung, auch wenn oben genannter Schweiz-Bolivianer ganz lapidar meint, das Land benötige einen „temporären Pinochet“.

Ganz klar, alle diese Aussagen, alle diese Eindrücke haben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder Richtigkeit, sondern sind lediglich subjektive Momentaufnahmen, ganz persönliche snapshots von uns. Wie dem auch sei, wir wollen jedenfalls raus aus diesem wunderschönen, aber ungastlichen Land.

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