Auf dem Altiplano

Unser nächstes Etappenziel auf dem Weg nach La Paz ist Oruro. Die Ruta 4 schraubt und windet sich entlang steiler Felswände unaufhörlich die Ostflanke der Anden hinauf. Leitplanken gibt es nur selten, was die Fahrer von LKW, Bussen und Autos aber nicht von waghalsigen Überholmanövern abhält.

Die Pässe sind gesäumt mit unzähligen kleinen Giebelhäuschen geschmückt mit Blumenkränzen, filigranen Metallkreuzen oder kleinen weißen Engeln aus Marmor zum Gedenken der Unfallopfer, die hier ihr Leben im bodenlosen Abgrund neben der Fahrbahn ließen. Manchmal stehen in Kurven acht, neun Häuschen nebeneinander, auf einigen Tafeln stehen bis zu zwanzig Namen. Ganze Familien, ganze Reisebusse, die hier in die Tiefe stürzten. Auf glatten Felswänden sehen wir immer wieder fromme Sprüche in weißer Farbe gepinselt: „Herr Jesus Christus, wir legen unser Leben in Deine Hände, bitte beschütze uns“. Wie wäre es denn einfach mal mit langsamer fahren? Aber es ist ja so viel leichter, die Verantwortung für das Leben an irgendeinen Gott abzugeben.

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Nachdem wir den La Cumbre-Paß mit knapp 4.500 Metern überwunden haben erreichen wieder das waldlose und trockene Hochlandbecken des Altiplano zwischen West- und Ostkordilleren. Unterwegs sehen wir die ersten Llamas.

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Der Altiplano erstreckt sich auf einer Höhe von 3.600 – 4.200 Metern auf einer Fläche von 700 km Länge und 200 km Breite. Das heißt: Einmal auf dieser Höhe kommt man so schnell nicht wieder hinunter. Trotz der Höhenlage und Trockenheit ist der Altiplano das Siedlungsgebiet Boliviens; rund 80% der Bevölkerung lebt hier, überwiegend noch in den traditionellen, mit Stroh oder Wellblech gedeckten winzigen Lehmhäusern. Aber die Moderne hat auch hier Einzug gehalten, wenngleich noch nicht wirklich spürbar, aber auf jeden Fall unübersehbar. Das Mobilfunkunternehmen tigo hat offensichtlich einen Trupp die Ruta 4 entlang gejagt mit der Aufgabe, möglichst viele Bauern dazu zu bewegen, ihr Häuschen vollständig tigo-blau streichen zu lassen. So ist der Weg entlang der Ruta 4 jetzt blaugetupft.

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Vermutlich haben die Bewohner als Gegenleistung dafür eine Handvoll Bolivianos, ein Huhn oder einen Sack Reis erhalten. Das auf die Häuserwände gepinselte großspurige Versprechen, auf der gesamten Ruta 4 eine dauerhafte gute Internetverbindung zu gewährleisten, kann tigo allerdings nicht halten.

Die Sonne brennt unbarmherzig von einem wolkenlosen Himmel, auf dem gesamten Altiplano gibt es nicht einen Baum oder Strauch, der Schatten wirft und wir fahren Stunde um Stunde bei gleißendem Licht auf gleichbleibender Höhe. Staub dringt durch alle Öffnungen, die Nase verstopft, der Rachen fühlt sich wie Sandpapier an, obwohl Hugo und ich – Entschuldigung – schon Wasser saufen wie die Ponies. Wie war das Leben hier ohne Telefon? Ohne Fernsehen? Ohne Internet? Für die Bewohner muß die Einführung dieser Medien einen Quantensprung bedeutet haben, oftmals vielleicht der einzige Zugang zu aktuellen Informationen und Bildung.

Wir erreichen die Peripherie von Oruro (250.000 Einwohner) und sind entsetzt. Nach einer Fahrt durch die Stadt erhärtet sich unser erster apokalyptischer Eindruck und wir beschließen, ein Stück außerhalb zu nächtigen. Die Vermüllung mit Plastik und Schrott ist grenzenlos, darüber hinaus wurden überall planlos private und gewerbliche Baumaßnahmen begonnen und offensichtlich aus Geldmangel wieder abgebrochen. Wildwuchs und Bauruinen en masse beherrschen das Bild. Wir bezweifeln, daß es hier so etwas wie Kommunalpolitik oder Stadtverwaltung gibt. Oder, wahrscheinlicher, es gibt alle paar Monate eine neue.

Wir verlassen Oruro über die Ruta 1 und wundern uns wieder einmal über ein Großprojekt. Die Ruta 1 soll auf einer Strecke von 230 km von Oruro bis La Paz zu einer vierspurigen „Autobahn“ ausgebaut werden. Der eher mäßige Verkehr mit 90% LKW rechtfertigt dies nicht wirklich. Besser hätte man auf dieser planen Geradeaus-Fläche eine Bahnlinie für den Güter- und Personenverkehr angelegt. Noch verwunderlicher ist, daß über endlose Kilometer auf beiden Seiten der Fahrbahn zigtausende Bäume in aufwändiger Weise angepflanzt werden.

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Erste Frage: Welche Bäume sollen hier, in der dürren, salzhaltigen Erde, wo nur das trockene Büschelgras ichu überlebt, wachsen? Zweite Frage: Wofür überhaupt? Jeder Baum am Straßenrand, wenn er denn wider Erwarten überhaupt gedeihen sollte, stellt bei der bolivianischen Fahrweise ein zusätzliches Sicherheitsrisiko dar. Dann sehen wir in einer der Baustellen ein überdimensionales Plakat zu dem Straßenprojekt, von welchem uns Herr Morales mit Blumenkette anlächelt, und uns wird alles klar: Er möchte bestimmt eine repräsentative Präsidentenavenida anlegen! Ein paar Kilometer weiter steht dann in der Mitte der Fahrbahn eine deutlich kleinere Projekttafel und es erschließt sich uns, wie er sein Projekt finanziert: Die Europäische Union greift mal wieder tief in die Tasche. Tun sie/wir das aus Nächstenliebe? Oder Berechnung? Bolivien ist immens reich an Bodenschätzen, die in Zukunft auch für uns immer mehr an Bedeutung gewinnen werden. Wie dem auch sein, hier wird jedenfalls viel Geld in den Sand bzw. das Salz  gesetzt.

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