Endspurt nach La Paz

Wir haben in dem kleinen Ort Caracollo übernachtet und als wir am nächsten Morgen wach werden stellen wir fest, es ist Sonntagsmarkt. Von überall her rollen Taxis, Motorräder, LKW, Reisebusse und sonstige fahrbare Untersätze an, aus denen Unmengen an Menschen purzeln.

P1120741

Wir lassen uns die Gelegenheit nicht entgehen und bummeln im Ort umher. Bunter kann ein Markt nicht sein: Von Gemüse bis zu Coca-Blättern, von Autoersatzteilen bis zu Lamas und Schafen, von gekochten Hühnerherzen bis zu bunten Spitzenröcken, von Waschmitteln bis zu medizinischen Heilkräutern, hier gibt es alles zu kaufen. Es geht beschaulich zu, das Verkaufsgespräch ist nicht beschränkt auf den Tausch von Geld gegen Ware, sondern man nimmt sich viel Zeit für einen ausgiebigen Plausch. Wie in alten Zeiten ersetzt der Markt hier noch immer die Zeitung und erhält die Gemeinschaft.

Schafe liegen an Vorder- und Hinterbeinen gebunden blökend auf dem Boden, nur die Lämmchen dürfen frei umherlaufen, bewegen sich aber nicht von ihrer Mutter weg. Lammfromm halt.

P1120767

Nach erfolgreichen Verhandlungen nimmt der Käufer die Schafe rechts und links am Seil zwischen den Beinen wie zwei Einkaufstaschen und schleppt sie kopfüber fort. Sie werden entweder auf einen robusten Anhänger geladen, auf die Rückbank eines Taxis gestopft oder aber – die abenteuerlichste Version, die wir sehen – neben die Gepäckstücke auf dem Dach eines so schon völlig überladenen Overlanders geschnallt. Ein Herz für Tiere kennt man hier nicht.

Caracollo ist kein touristischer Ort und dementsprechend begegnen uns die Menschen. Nicht unfreundlich, aber misstrauisch und verschlossen, manchmal abweisend. Ein offenes Lächeln und ein freundlicher Blick werden nicht unbedingt erwidert. Wir sind hier Fremdlinge und fühlen uns auch so.

Über die fast schnurgerade Straße geht die Fahrt über das Hochplateau weiter Richtung La Paz. Die Landschaft ist wie am Vortag eine eintönige Halbwüste, trockene Weiden und einige weiße Salzflächen säumen die Fahrbahn rechts und links bis hin zu den sanften beige-braunen Hügeln am Horizont.

P1120779

Dann, wie eine Fata Morgana, wie ein gestrandeter Eisberg, wie ein weißer Baiser aus Eischaum und Puderzucker, schiebt sich auf der rechten Seite zwischen zwei Hügeln die schneeweiße Kuppe des Illimani (6.439 m) in den Blick.

P1120800

In der glasklaren Luft scheint er zum Greifen nah. Wenige Kilometer weiter wird auf der linken Seite dann auch der Vulkankegel des Sajama (6.542 m), 240 Kilometern entfernt an der Grenze zu Chile und höchster Berg Boliviens, sichtbar.

P1120781

Und dann ist der Moment da, in dem am Horizont vor unseren Augen die Cordillera Real, die Königskordillere, plötzlich mit ihren eisgepanzerten Gipfeln im klaren Licht des Nachmittages wie eine übergroße Fototapete sichtbar wird. Wir fahren im rechten Winkel direkt auf die Bergkette zu, zu deren Füßen tief im Talkessel La Paz liegt, und halten den Atem an. Die europäischen Alpen sind beeindruckend, die Rocky Mountains im Westen Nordamerikas auch, aber dieses Panorama ist schlichtweg atemberaubend und treibt uns für einen Moment die Tränen in die Augen. Vor uns liegen die schneebedeckten Gipfel in ihrer ganzen königlichen Pracht: Die Grupo Condoriri (5.648 m), der Huayna Potosi (6.088 m), der berühmte Chacaltaya (5.395 m) mit seinem inzwischen geschmolzenen Gletscher, der Mururata (5.858 m),der Illimani (6.439 m) und unzählige weitere Gipfel mit über 5.000 Metern.

P1120820

Nachdem wir den Kontrollpunkt der Militärpolizei passiert haben führt unsere Route durch die auf dem Rand des Altiplano gelegene sozial schwache Zwillingsstadt von La Paz, El Alto. Da Garmin zur Zeit noch keine Bolivien Software anbietet haben wir uns eine bolivianische Freeware auf das Handy geladen und folgen nun ihren Anweisungen, kombiniert mit dem bewährten Richtungsfahren. Wir wollen zum Hotel Oberland, dem Treffpunkt der Globetrotter in La Paz im Stadtteil Mallasa nahe dem Valle de la Luna. Nach etlichen Kilometern auf schnurgerader Straße durch El Alto weist uns das Navi an, rechts abzubiegen. Die Richtung stimmt, also folgen wir und stürzen uns mit dem Unimog auf einer Schotterpiste fast 1.000 Meter talwärts durch bizarre Stein- und Erdtürme, Säulenpyramiden, und Felsnadeln, geformt durch Erosion und klimatische Gegensätze.

Keine Frage, die Richtung stimmt noch immer, es ist das Valle de la Luna, aber wir bezweifeln, daß es der offizielle Weg nach Mallasa ist. Minuten später bekommen wir eine blinkende Nachricht auf unser Handy: „Thank you very much for improving our software. You receive 24 bonus points.“ Ob der Weg eine Verbesserung ist sei mal dahin gestellt. Wir haben eher die Befürchtung, daß jetzt zukünftig alle armen Teufel diesen Steilhang hinuntergejagt werden.

Nach Wochen ohne eine einzige Begegnung mit anderen Travellern treffen wir jetzt im Hof des Hotels gleich auf drei Wagen aus Deutschland (2x Bamberg, 1x Berlin) und einen aus UK. Das „Hallo“ ist immer groß bei solchen Treffen, es folgt der übliche Austausch bei Bier und Wein und für den nächsten Abend wird gemeinsames Grillen verabredet. In der Nacht gesellt sich noch ein Pärchen aus der Schweiz dazu und damit ist der Hof zugeparkt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert