Christmas on Ice

Wir haben auf den nun endgültig letzten Metern der Carretera Austral direkt am Anleger der Quetru übernachtet, da die Tour ins Eis frühmorgens startet; insgesamt wird sie zwölf Stunden dauern. Der Wind fegt in unverminderter Stärke wie ein eiskalter Föhn horizontal über den milchig-grünen langgezogenen Arm des Lago O´Higgins. Das kleine Schiff mit seinem spitzen hohen Bug macht einen robusten Eindruck und kämpft sich Stunde um Stunde wild hüpfend durch die Wellen.

P1190590

Außer der Besatzung sind rund zwanzig Personen an Bord; einige Touristen und ein paar Polizisten. In Candelario Mancilla setzen wir eine Handvoll Wanderer ab, die zu Fuß weiter nach El Chaitén zum Parque Nacional Los Glaciares in Argentinien gehen wollen, nehmen die vor Tagen gestrandeten und jetzt erleichtert aufatmenden Wanderer an Bord, und die mitgefahrenen Carabineros nehmen die Plätze ihrer Kollegen ein.

P1190560

Hinter einer großen Felsnase erreichen wir dann den offenen Teil des Lago O´Higgins und der Wind nimmt nochmals zu. Hier fegen die Winde mit ungebremster Geschwindigkeit vom südlichen Eisschild über die niedrigen Hügel und die Gletscher talwärts. Wütend peitschen sie über das Wasser, so als wollten sie Eindringlinge davon abhalten, tiefer in die Welt des Eises einzudringen. Trotz Wind und Kälte verlassen wir den schützenden Innenraum der Quetru und gehen an Deck, wo wir uns an der Reling gut festhalten müssen, um nicht umgepustet zu werden. Souverän steuert der Kapitän – schwarzer Sweater, Jeans, viele Lachfältchen um die wie blankpoliert wirkenden Augen, graues kurzes Haar – das Schiff in den etliche Kilometer breiten Arm, an dessen Ende sich die Front des O´Higgins Gletschers in den See schiebt.

Die ersten kleinen und größeren Eisberge tauchen vor uns auf. Von durchscheinendem Weiß-Blau und unbeschreiblich schön, treiben sie auf der Oberfläche, manche nur einfache Schollen, manche filigrane kleine Eispaläste mit bizarren Formen.

Vor uns können wir den Gletscher erkennen, der sich wie eine gewaltige weiße Schlange vom südlichen Eisschild in den See schiebt. Je weiter wir uns dem Gletscher nähern desto stärker wird der Wind. Er fällt in rasender Geschwindigkeit über den Gletscher hinab und bläst uns frontal so stark entgegen, daß man kaum Luft holen kann.

Die eiskalte Gischt spritzt an den Bordwänden der über die Wellen hüpfenden Quetru bis über die Reling empor. Meter um Meter kämpft sich der Kapitän gegen den Wind näher an die Gletscherwand. Immer wieder nimmt er sein Fernglas zur Hand und beobachtet sehr genau die sich vor uns auftürmende über drei Kilometer breite und siebzig Meter hohe Wand aus Eis. Er fährt bis in ihren Windschatten, wo das Wasser fast still ist und der Wind schlagartig verstummt, so als hätte jemand einen eisigen Fön abgeschaltet. Wir sind keine siebzig Meter von der Gletscherfront entfernt, blicken an ihr hoch, haben das Gefühl, nur den Arm ausstrecken zu müssen um sie zu berühren. Es ist unbeschreiblich.

Der Himmel ist bedeckt und grau, aber selbst das wenige Licht mindert nicht das weiß-blaue  Farbenspiel des Eises. Es sieht aus, als würde der Geltscher von innen beleuchtet werden.

Wir fahren über Stunden immer wieder die Front entlang, aber die Zeit fliegt. Dann steigen zwei Besatzungsmitglieder zwar mit Schwimmweste, aber ohne vor der Kälte schützenden Überlebensanzug in ein Zodiac, um von einem treibenden Eisberg einige Stückchen abzuschlagen und an Bord zu bringen.

P1190761 - Kopie

Ein fragwürdiges Unterfangen, da gefährlich, aber es ist Heiligabend … da passiert schon nichts.

Die viele tausend Jahre alten Eiswürfel bekommen wir dann mit einem üppigen Schluck Whisky serviert, bevor der Kapitän beidreht und die Rückfahrt beginnt.

Kaum sind wir aus dem Windschatten des Gletschers, geht der wilde Tanz auf den Wellen erneut los, aber wir sind zum Glück seefest. Wir sind randvoll mit unbeschreiblichen Eindrücken, die sich nicht in Worte fassen lassen. Spätestens jetzt ist klar, daß sich eine ganz große Patagonia Love Story anbahnt, die durch nichts mehr aufzuhalten ist. Es hat uns restlos gepackt.

P1190709

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert