Es ist früher Morgen, als wir mit der Don Baldo in Chaitén ankommen. Der Himmel auf dem Festland ist mit dicken grauen Wolken bedeckt, aber die weiße Rauchfahne des gleichnamigen Vulkans über dem Örtchen ist unübersehbar. Nonstop dampft und brodelt der Vulkan warnend vor sich hin.
Am 2ten Mai 2008 bebte um 0.30 Uhr die Erde, dann folgte eine gewaltige Explosion. Die Einwohner von Chaitén ahnten nicht, daß dies den sprichwörtlichen Anfang vom Ende ihrer kleinen Stadt markierte. Sie nahmen an, daß der Vulkan Michinmahuida in 35 Kilometer Entfernung ausgebrochen war. Kurz darauf stellte sich jedoch mit Schrecken heraus, daß der Vulkan Chaitén, nur 1.100 Meter hoch und in nur zehn Kilometer Entfernung vom Dorf gelegen, entgegen aller Prognosen ausgebrochen war. Bewohner wie Vulkanologen waren von der Wucht des Ausbruchs gleichermaßen völlig überrascht, denn der Kegel galt als seit Jahrtausenden erloschen, so wie Hunderte anderer Vulkane in Chile.
Zunächst wehte eine tödliche Gasblase in Schneisen talabwärts, so daß der Wald auf großen Flächen starb, dann schleuderte der Vulkan Asche in einer enormen Rauchsäule bis auf 20 Kilometer Höhe. Chaitén wurde binnen eines einzigen Tages von zwanzig Zentimetern Asche bedeckt, woraufhin die Regierung in einer Blitzaktion rund 7000 Einwohner im Umkreis von 50 Kilometern evakuierte. Tausende Tiere mussten auf den Weiden ihrem Schicksal überlassen werden und verendeten. Dann trat der Rio Blanco, der unterhalb des Vulkans entspringt, über die Ufer und überschwemmte das Gebiet mit einer dicken Decke aus Geröll und Schlamm. 40% der bebauten Fläche von Chaitén wurde vollständig zerstört.
Die Spuren der Verwüstung sieht man heute noch deutlich, aber man sieht auch, wie sich die Natur langsam erholt. Großblättrige Nalca-Pflanzen und Farne bedecken schon die dicke Ascheschicht auf dem Boden rund um die abgestorbenen, gespenstisch wirkenden Stämme der einstigen Urwaldbäume und bringen Grün in die graue Ödnis.
Trotz der latent stets drohenden Gefahr über ihren Köpfen haben sich die Bewohner schon nach wenigen Monaten entschlossen, ihr altes Chaitén wieder aufzubauen. Sie befreiten die Straßen von der Asche, setzen ihre Häuser in Stand, versorgten sich mit Strom aus dem Generator und versuchten, ihr Leben so gut es ging in die Normalität gleiten zu lassen. Es scheint zu funktionieren. Die Menschen, die vor dem Ausbruch hier lebten und jetzt wieder leben müssen entweder Fatalisten oder Meisterverdränger sein.
Wir sind von der kurzen Nacht auf der Fähre müde und schlafen erst einmal eine Runde, bevor wir in den Parque Nacional Pumalin weiterfahren. In der zweiten Nacht, die wir dann in der Einsamkeit des Parks verbringen, bebt die Erde. Ein leichtes Zittern, das vier, fünf mal unter dem Wagen durch den Boden läuft, nicht stark, aber doch so daß man davon aufwacht. In Chile hatten wir dies schon öfter erlebt und uns langsam damit „angefreundet“, aber es ist etwas völlig anderes, wenn man in stockfinsterer Nacht direkt zu Füßen eines sichtlich nervösen Vulkans nur sechshundert Meter über dem Kopf steht, auf vielen Kilometern keine Menschenseele weit und breit, keine Möglichkeit sich zu informieren. Für einen Moment überkommt einen ein beklemmendes Gefühl des Ausgeliefertseins. Jetzt am besten noch einen Krimi lesen, in dem ein blutrünstiger Axtmörder in Patagonien sein Unwesen treibt, und … gute Nacht.








