Unterwegs im Seengebiet

Touristisch ist Chile in „Rutas“ aufgeteilt: Wir haben schon die Ruta del Desierto im Norden erlebt, die Ruta de las Estrellas (Route der Sterne) im Valle del Elqui, sind über die Ruta de los Rios (Route der Flüsse), Ruta de los Bosques (Rute der Wälder), Ruta del Mar (Routes des Meeres) gefahren. Jetzt haben wir die Ruta de los Lagos erreicht, die Route der Seen.

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Nach einem Bummel durch Osorno fahren wir, jetzt zu Dritt, noch am gleichen Tag ostwärts zum Lago Puyehue und weiter in den Parque Nacional Puyehue, einen der weniger bekannten aber nicht minder schönen des Seengebietes. International in die Schlagzeilen kam der Nationalpark 2011, als nach über fünfzig Jahren die Vulkankette Puyehue – Caulle erstmals wieder ausbrach. Von der explosionsartig austretenden Aschewolke war besonders das auf argentinischer Seite liegende Bariloche betroffen. Die Asche wurde über Australien und Südafrika einmal um die ganze Welt geweht, beeinträchtigte den Flugverkehr spürbar und traf nach zwei Wochen wieder in Chile ein. Bis 2013 grollte der 2.236 Meter hohe Vulkan Puyehue weiter, erst dann beruhigte er sich wieder.

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Wir fahren am dem grau-blauen, stillen See vorbei weiter bis zu den Thermen von Aguas Calientes. Immer wieder geben die dichten, bis direkt ans Seeufer reichenden Urwälder den Blick auf schneebedeckte Gipfel frei. Am nächsten Morgen geht es über eine Schotterpiste noch ein Stück weiter bis zum Refugio Antillanca zu Füßen des schneebedeckten Vulkans Casablanca auf 1.050 Metern. Im Winter werden hier mehrere kleine Skilifte betrieben, die ihre Gäste bis auf 1.500 Metern befördern. Jetzt, außerhalb der Saison, ist außer uns kaum jemand zu sehen und die Lifte stehen still, aber das kleine Restaurant vor Ort hat die Terrasse bei dem strahlend blauen Himmel geöffnet. Hugo nutzt die Gelegenheit für einen Flug und kann aus nächster Nähe einen Blick auf die weißbemützten Vulkane Casablanca, Osorno und Puyehue werfen.

DerNachbar und ich sind ein wenig neidisch…Den Abend und die Nacht verbringen wir auf einem Lavafeld unterhalb des Gipfels. Oliver darf Erdbeeren schnippeln, Hugo muß den Cabernet Sauvignon öffnen… Mit Bioschaffell, Fleecedecke und Daunenschlafsack bewaffnet zieht DerNachbar später in unseren Markisenluxusanbau um.

Nachdem wir Oliver am nächsten Morgen mit Kaffee wieder aufgetaut haben geht die Fahrt weiter zum Lago Llanquihue. Mit 86.000 Hektar ist der Lago Llanquihue nach dem Lago General Carrera der zweitgrößte See Chiles. An sonnigen, wolkenlosen Tagen spiegelt sich der vollkommen symmetrische Kegel des Vulkans Osorno auf seiner dunkelblauen Oberfläche. Heute ist der Himmel leider grau und bedeckt und so spiegelt sich, außer der Enttäuschung in unseren Augen, rein gar nichts wider. Trotzdem, für viele ist der 2.660 Meter hohe Vulkan mit dem Kragen aus Eis und Schnee der schönste Chiles.

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Auf dem Weg nach Puerto Octay am Nordufer des Sees kommen wir an etlichen sehr alten landwirtschaftlich geprägten Siedlungen vorbei. Den meisten aus Holz errichteten Häusern hat die raue Witterung gnadenlos zugesetzt, aber es gibt auch gut gepflegte Schmuckstücke, die noch vollständig mit alten Holzschindeln aus Alerce gedeckt sind.

Diese Region Chiles, eigentlich Mapuche-Territorium, wurde überwiegend von deutschen Einwanderen um 1850 besiedelt und vieles erinnert noch heute daran. In den Vorgärten der kleinen Häuser blühen Rosen und Fuchsienbüsche und in den Cafes gibt es „Kuchen“.

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Zahlreiche Orte hier tragen die Endung –hue, was in der Sprache der Mapuche „Ort“ bedeutet. Llanquihue bedeutet „tiefer Ort“. De facto liegt der See 70 Meter über dem Meeresspiegel und seine größte Tiefe beträgt 350 Meter. Abends finden wir direkt an seinem Ufer versteckt hinter hohen Büschen einen schönen ruhigen Stellplatz.

Am nächsten Morgen lädt der See zum Baden ein, aber nur Hugo hat Mumm genug, sich in die eisigen Fluten zu wagen. Sein Vergnügen – und unseres – dauert zwei Sekunden. Ich ziehe die Außendusche vor, die mangels Heizung aber auch nicht viel wärmer ist. Wir entscheiden uns, entlang des Ostufers über Puerto Fonck, Puerto Klocker und Ensenada weiterzufahren, machen einen Abstecher in das mitten in einem Naturwald gelegene Petrohue, kehren dort um und fahren südwärts über Ralún bis Cochamo. Dabei durchfahren wir einen schönen, weiß blühenden Ulmo-Wald mit knorrigen Bäumen. In Ralún erreichen wir den tief ins Landesinnere schneidenden Fjord Estero de Reloncavi. Über die Schotterpiste folgen wir dem Ostufer des Fjordes bis zum beschaulichen Cochamo. Die Holzschindelkirche in der Dorfmitte ist uralt. Abends bekommen wir an unserem Stellplatz überraschend berittenen Besuch.

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Der stolze Reiter mit den wunderbaren, den Chilenen ganz eigenen höflichen Umgangsformen, hält ein freundliches Schwätzchen mit uns, erklärt, daß die Ziegenfall-Leggins die Feuchtigkeit abhalten, die Steigbügel alt und aus Holz handgeschnitzt sind und daß er eine kleine Website betreibt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden habe, aber ja, es stimmt: Er bewirbt sein Ein-Mann-Unternehmen ganz professionell über das Internet. Er besitzt zehn Pferde und wer möchte, kann mit ihm mehrtägige Ausritte ins Valle Cochamo machen. Das tiefe, unzugängliche Tal mit uralten Wäldern ist unter Freeclimbern als spektakuläres Klettergebiet bekannt. Hier gibt es bis zu 1000 Meter hohe vertikale Granitwände, ähnlich denen im Yosemite-Park in den USA, aber im Gegensatz dazu ist diese Region nicht mit Freeclimbern überlaufen.

Der Unimog wird inzwischen souverän im Schichtbetrieb gefahren: Vormittags sitzt Oliver, nachmittags Hugo am Steuer.

Den gesamten Fjord entlang fahren wir bis Caleta Puelche, wo wir in einer halben Stunde mit einer kleinen Fähre übersetzen, und entlang der Bucht von Reloncavi weiter nach Puerto Montt fahren, welches in einem weitem Bogen von zwei Kilometern Ausdehnung die Bucht umspannt.

Deutsche Siedler erbauten die Stadt Mitte des 19ten Jahrhunderts und benannten sie nach dem damaligen chilenischen Präsidenten Manuel Montt, der die Einwanderung nach Chile befürwortete. Insgesamt bietet Puerto Montt außer einigen gut restaurierten Alerce-Schindelhäusern aus der Gründerzeit und dem Blick auf den schneebedeckten Vulkan Calbuco nur wenig Sehenswertes, sondern lebt von der Lachs- und Muschelzucht in den Fjorden und von ihrem Hafen.

Hier endet die gemeinsame Zeit mit Oliver und wir setzen ihn frühmorgens am kleinen Flughafen von Puerto Montt ab. Auf ihn warten die Atacama-Wüste im Norden und die geheimnisvollen steinernen Moai auf der Osterinsel, auf uns Patagonien und Tierra del Fuego, die Inselgruppe am südlichsten Zipfel des Kontinents.

5 Gedanken zu „Unterwegs im Seengebiet

    1. Daniela Rameil-Erdl Beitragsautor

      Dito. Wir haben trotz mehrerer Assessments noch keinen Ersatz für die Vormittagsschicht gefunden :-). Und danke nochmals für das deutsche Kulturgut, wir genießen es täglich!

      Antworten

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