Verliebt in Chile

Nach den wenig ersprießlichen Kontakten und überwiegend ernüchternden zwischenmenschlichen Erfahrungen mit den Einheimischen in Bolivien – Peru war deutlich besser – sind wir hier jetzt geradezu verliebt in Land und Leute. Sich mit Chileninnen und Chilenen zu unterhalten und Zeit zu verbringen macht einfach Spaß. Sie haben eine äußerst angenehme Art, auf Menschen zuzugehen und mit Menschen umzugehen. Dies bezieht sich nicht nur auf Fremde wie uns, sondern in gleichem Maße auf den Umgang unter ihresgleichen.

Ihre Umgangsformen sind vorbildlich in ihrer Höflichkeit und Eleganz, ohne aufgesetzt oder affektiert zu wirken. Bei einer Begegnung, egal, ob vor dem Supermarkt, am Strand oder in einem Restaurant, egal ob jung oder alt, gehört es zum guten Ton, sich mit dem Vornamen vorzustellen und die Hand zu reichen. Beim Händedruck werden die Hände nicht geschüttelt, wie häufig in Europa, sondern mit mäßig festem Druck ineinandergelegt und die Hand des Gegenüber wird für einen kurzen Moment länger gehalten als bei uns üblich. Es fühlt sich angenehm an, etwas persönlicher und verbindlicher, keineswegs aufdringlich. Beim Abschied gibt man sich erneut die Hand und manchmal legt der Chilene oder die Chilenin zusätzlich die freie Hand leicht aufs das Handgelenkt. Immer, selbst wenn wir nur in der panaderia ein Brot kaufen, wird uns ein von Herzen kommendes „Que le vaya bien“ mit auf den Weg gegeben.

Selbst eine Polizeikontrolle auf dem Land ist hier ein angenehmes Erlebnis, denn der Polizist in seiner schicken dunklen Uniform fragt mit beispielhafter Liebenswürdigkeit „Gestatten Sie, daß wir uns kurz Ihre Dokumente anschauen?“ Wir trauen unseren Ohren nicht.

Wir werden immer wieder auf eine nette Art angesprochen und die Menschen zeigen aufrichtiges Interesse an uns, unserem Fahrzeug, unserer Reise und der Familie in Deutschland, ohne dabei neugierig zu sein. Die meisten Chilenen haben europäische Wurzeln und je südlicher man im Land reist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, im Stammbaum der Familie Großeltern oder Urgroßeltern aus Italien, der Schweiz oder Deutschland anzutreffen. Von der Sprache ist meist nicht viel geblieben, aber viele Traditionen haben sich bis heute erhalten und werden mit Hingabe gepflegt. In den Bäckereien gibt es nach wie vor keinen spanischen Begriff für „Kuchen“, man hängt Blumenkästen vor die Fenster und tanzt Walzer.

Außerdem zeichnen sich die Chileninnen und Chilenen durch eine auffallend große Gastfreundschaft aus. Im Laufe der Gespräche haben wir immer wieder Einladungen zum Essen nach Hause erhalten, die ernst gemeint waren, da sie wiederholt und mit großem Nachdruck ausgesprochen wurden.

Wirft man einen Blick zurück in die Geschichte des Landes, dann werden enge Verflechtungen von Deutschland und Chile offensichtlich. Chile hat immer eine offene Einwanderungspolitik betrieben und die erste Welle deutscher Siedler, die sich überwiegend im Süden niederließen, setzte ab 1850 ein. Diese Siedler waren in Ackerbau und Viehzucht, aber auch in Handwerk und Brauereikunst sehr erfolgreich. Erste größere Unternehmen entstanden, das Militär wurde mit Hilfe von Deutschen geschult und organisiert und die Firma Krupp lieferte Waffen aus Essen. Die nachfolgenden Generationen standen fest hinter der aggressiven deutschen Außen- und Wirtschaftspolitik, und auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten gab es zunächst mehr Beifall als Kritik.

Das änderte sich, nachdem Chile auf Drängen der USA den Alliierten beitrat und deutsche Firmen auf die black list setzte. Nach dem Zusammenbruch des Hitler-Reiches hatten deutsche Namen in Chile keinen guten Klang mehr, und die deutschstämmigen Chilenen verleugneten häufig ihre Herkunft und betonten das Chilenentum zunehmend. Während des Nazi-Regimes retteten sich rund 13.000 Menschen, der überwiegende Teil Juden, nach Chile. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges flüchteten aber auch ehemalige Funktionäre auf der Suche nach einem Versteck erfolgreich in das Land hinter den Bergen, denn die chilenische Regierung lehnte eine Auslieferung nach Deutschland. Während der Pinochet-Diktatur setzte dann eine umkehrte Migration ein; mehrere Zehntausend Chilenen flohen vor den Repressalien und der Gewalt in die beiden deutschen Staaten und baten um Asyl, kehrten aber ab Mitte der 1980er Jahre weitestgehend mit ihren Familien in die Heimat zurück.

Prominenteste deutsche Einwanderin der jüngeren Vergangenheit ist Margot Honecker, die von ihrer Witwenrente in Höhe von rund 1.500 EUR nahe Santiago lebt.

Wer sich tiefgehender interessiert: Die chilenische Schriftstellerin Isabel Allende, die in Kalifornien lebende Nichte von Salvador Allende, hat in ihrem Buch „Mein erfundenes Land“ ein schönes und amüsantes Porträt ihrer Landsleute gezeichnet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert