Der weiße Riese

Einige Zeit hinter Oruro geht die bisher asphaltierte Straße in eine Schotterpiste nach Uyuni über. Wir wissen, daß wir in den nächsten Tagen eine sehr lange Dirt Road unterschiedlichster Beschaffenheit vor uns haben werden. Erst in Chile in rund 1.000 Kilometer Entfernung werden wir mit dem Paso Jama im Drei-Länder-Eck Bolivien-Chile-Argentinien wieder auf eine geteerte Straße treffen.

Uyuni bedeutet in der Aymara-Sprache „Platz der Lasttiere“, was auf seine Vergangenheit als Markt schließen lässt, und ist heute der Ausgangspunkt für Touren auf den Salar de Uyuni, den größen Salzsee der Welt.

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Es ist letztmöglicher Versorgungspunkt für die mehrtägigen Offroad-Fahrten über die Andenkette und die bolivianischen Lagunen nach Chile. Zwischen Uyuni und San Pedro de Atacama in Chile – wenn man die direkte Strecke ohne Umweg über den Salar und die Lagunen nimmt – gibt es auf 550 Kilometern weder Lebensmittelläden noch Tankstellen.

Die Fahrt auf der Piste ist staubig und ruppig, am weit entfernten Horizont spiegeln sich die Berge schon auf der hellen Oberfläche des Salzsees und immer wieder jagen kleine und große Staubteufel vor uns über die ebene Fläche.

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Die Stadt mit 20.000 Einwohnern liegt inmitten der bitterkalten, windigen und trostlosen Hochlandöde am östlichen Rand des Salars auf knapp 3.700 Metern und bietet Dank des Tourismus ein für Bolivien überraschend gepflegtes Bild, wenngleich das Angebot an Waren der entlegenen Lage entsprechend bescheiden ist. Wir decken uns so gut es geht mit Lebensmittelvorräten und reichlich Trinkwasser ein, so daß wir im Notfall über ausreichend Reserven verfügen, falls der Wagen unterwegs liegenbleiben sollte.

An einigen Straßenkreuzungen sind in dem Städtchen noch die Spuren des letzten „bloqueos“ in Form abgebrannter Autoreifen zu sehen.

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Mit diesen tage- oder wochenlangen Straßenblockaden versuchen die Aymara immer wieder, massiv ihre Wünsche durchzusetzen und legen mit Vorliebe die zentralen Verkehrsadern und somit Wirtschaft und Tourismus vollständig lahm. Mitunter werden auch Gringos auf der Durchreise „Opfer“: Der Wagen wird kurzerhand temporär „beschlagnahmt“ und man sitzt für die Dauer der Blockade fest. Wir hatten uns zuvor informiert und waren ziemlich sicher, daß keine Blockade bevorstand.

Ursprünglich gehörte der Salar zum großen Andenbinnenmeer. Als dieser Ursee vor Jahrmillionen austrocknete, blieben Altiplano-Seen wie der Titicaca-See und einige Salare zurück. Die riesige Salzpfanne von Uyuni ist ca. 160 km lang und 135 km breit. In der Trockenzeit verdunstet das Wasser und hinterlässt eine harte, befahrbare Kruste aus Salzkristallen. Nach den jährlichen Niederschlägen zwischen Dezember und April verwandelt sich die feste Salzdecke in einen Salzsumpf.

Auch in der Trockenzeit treten auf der Salarfläche sogenannte ojos („Augen“) auf, blubberndes Quellwasser von unterirdischen Wasserläufen und Gasen, die durch die Salzkruste brechen und für schwere Fahrzeuge wie unseren Unimog Einsackgefahr bedeuten. Also immer schön die Augen auf! Auch wenn immer einige Jeeps auf dem See unterwegs sind, die Entfernungen sind riesig und es kann dauern, bis man entdeckt wird und Hilfe kommt.

Im kleinen Ort Colchani am Rand des Salars wird Speisesalz gewonnen. Vermummte Männer schlagen auch heute noch mühsam mit Äxten Salzblöcke aus dem Boden, die dann in einer Salzmühle weiterverarbeitet, mit Jod versetzt und verpackt werden.

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Der eigentliche Reichtums des Salars liegt jedoch in tieferen Schichten und ist noch weitestgehend unausgebeutet. Wissenschaftler, u. a. auch deutsche Experten der Technischen Universität Freiburg, schätzen das Vorkommen an Lithium, das als Legierungszusatz für Batterien und in der Kerntechnik benötigt wird und auch in jedem Handy zu finden ist, auf 9 Millionen Tonnen. Das entspräche rund 75% des derzeit bekannten Weltvorkommens. Bolivien sitzt also, wie so viele andere sogenannte „arme Entwicklungsländer“, auf vielen vielen Dollars und einem Fast-Monopol.

Bevor wir auf den Salar fahren gönnen wir dem Unimog bei einer winzigen Waschstation eine Unterbodenwäsche mit Dieselöl, um ihn vor dem aggressiven Salz zu schützen. Wir fahren schnurgerade auf der blendend-weißen Salzkruste unter einem tiefblauen Himmel und legen einen ersten Stopp bei dem aus einem großen Salzblock gehauenen Denkmal der diesjährigen Ralley Paris – Dakar ein, welches die nördliche Wendemarke der zu bezwingenden Route war.

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Unterwegs sind wir auf der weißen, endlos scheinenden Fläche allein und gönnen uns ein wenig hemmungslosen Spaß:

Hugo kann nicht widerstehen und packt seinen Schirm aus:

Unser Tagesziel ist die Isla Incahuasi rund 80 km nordwestlich von Uyuni, die aus versteinerten Korallen besteht und völlig einsam im Salzmeer liegt. In der glasklaren Luft täuscht die Perspektive: Alles sieht unglaublich nah aus. Immer wieder denken wir, gleich sind wir da, und stellen dann fest, daß wir doch noch viele Kilometer fahren müssen. Viel wächst auf der kleinen Insel nicht, nur Grasbüschel und bis zu zehn Meter hohe stachelige Kakteen, die allerdings teilweise ein stolzes Alter von über 1.200 Jahren besitzen. Wir erklimmen trotz dünner Luft den höchsten Punkt der Insel, rund 100 Meter über dem Salar, und haben eine wunderbare Aussicht bis zu den schneebedeckten Vulkanen am Horizont.

Und wirklich, so wie man Korallenstöcke vom Tauchen oder Schnorcheln kennt, so liegen sie hier auf fast 4.000 Metern Höhe an der trockenen Luft, Millionen Jahre alt, vielleicht aus Gondwanas Zeiten.

Wir beschließen, die Nacht auf dem Salar zu verbringen. Ein eisiger Wind pfeift horizontal über die ansonsten lautlose Ebene und als die Sonne untergegangen ist, ist die Schwärze der Nacht so dick wie Teer. Für einen Moment habe ich das Gefühl, über mir macht jemand den Sargdeckel zu und ich kann die aufsteigenden Beklemmungen nur mit absoluter Konzentration auf ein anderes Thema bezwingen. Später dann werden wir mit einem unglaublichen, von jeglichem Lichtsmog ungetrübten Himmel belohnt: Millionen Sterne – zum Greifen nah.

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