Nasse Füße

Da wir Seitensprünge lieben biegen wir bei Puerto Tranquilo erneut von der Carretera auf eine Schotterpiste ab, die knapp 80 Kilometer nach Westen zur Bahia Exploradores führt. Die Route führt am nördlichen Rand des patagonischen Eisfeldes entlang, geschützt durch das 4.000 Meter hohe Massiv des Monte Valentin, durch das enge Valle Exploradores, welches erst 1930 von dem deutschen Forscher August Grosse entdeckt wurde. Die Fahrt durch das Tal ist eines der schönsten und beeindruckendsten Erlebnisse unserer Reise.

Das pazifisch-feuchte Klima lässt den Wald hier wuchern, das Dickicht aus Farnen, Nalca und Schlingpflanzen ist undurchdringlich, an den Steilhängen stürzen Wasserfälle Hunderte Meter hinab und der grün schimmernde Rio Bayo windet sich dicht entlang der Straße.

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Hoch über der Straße hängen die Zungen blau-weiß schimmernde Gletscher des Eisfeldes über, der größte von ihnen ist der Grosse-Gletscher, der sich als gigantische Schlange vom Eisschild herabschiebt.

Wo das Tal offener wird ist die Piste von dicken Büschen gelb blühender Lupinen gesäumt. Die Piste ist zum überwiegenden Teil aus Kies aufgeschoben, teilweise bis weit über einen Meter hoch, und ihre Seiten sind unbefestigt. Hier abzurutschen hätte üble Folgen.

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Dann endet sie nach knapp 80 Kilometern abrupt am Rio Exploradores. Eine Brücke auf die andere Seite ist seit Jahren in Planung, um einen direkten Zugang zur Bahia Exploradores zu schaffen, aber wann sie gebaut wird steht nicht fest. Vom vorläufigen Endpunkt aus kann man – vorausgesetzt, daß Wetter ist gut – mit kleinen Booten einen zwölf bis vierzehn Stunden dauernden und über den Estero Elefantes führenden Ausflug zum San Rafael Gletscher westlich des Eisschildes machen. Genau das ist unser Plan, aber das Wetter spielt nicht mit. Es ist viel zu windig, um mit einem Schlauchboot rauszufahren, und der Himmel ist eine geschlossene graue Wolkendecke, also müssen wir den Plan kippen. Allzu enttäuscht sind wir nicht: Es gibt in Patagonien ja zum Glück noch reichlich andere große Gletscher.

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Wir finden einen einsamen Nachtplatz auf einem Kiesbett des Rio Bayo. Über Nacht werden die Wolken zu schwer und laden ihre nasse Last ab; Regentropfen trommeln ihr Stakkato ohne Unterlaß laut auf unser Dach. Es kommt wie es kommen muß. Als wir am nächsten Morgen aus dem Fenster schauen staunen wir nicht schlecht: Wir stehen auf einer Insel und der Unimog mit den Füßen bereits im Wasser. Da es noch immer wie aus Kübeln gießt parken wir schleunigst den Wagen auf höheres Gelände am Ufer und widmen uns erst dann dem Frühstück. Zwei Stunden später ist die Kiesbank ganz verschwunden. Der Rio Bayo hat seine Größe mehr als verdoppelt und auch seine Fließgeschwindigkeit hat deutlich zugenommen. Der oft schon gelesene Satz „Der Fluß hatte sich über Nacht in einen reißenden Strom verwandelt“, hat hier für uns eine sehr konkrete Bedeutung erhalten.

Über Nacht sind Hunderte neuer Kaskaden hinzugekommen, die ihre rauschenden Wassermassen die Felsen hinab jetzt bis auf die Piste ergiessen, so daß unser Wagen ab und an unfreiwillig eine eiskalte Dusche erhält.

Die Piste selbst hat sich in braunen schmierigen Matsch verwandelt und die Fahrt kommt einer Schlammschlacht gleich. An den Seiten der Piste steht dort, wo gestern noch Wiesen waren, jetzt hoch das Wasser und die Piste liegt nur noch ein kleines Stück höher.

Kurz bevor wir wieder Puerto Tranquilo am Westufer des Lago General Carrera erreichen sehen wir einen typischen patagonischen Friedhof. Hier baut man den Verabschiedeten kleine Häuser mit Haustür und Fenstern aus Glas, die häufig sogar mit Gardinen ausgestattet werden.

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Hier am Westufer des Sees liegen die Capillas de Mármol, bizarre Felsformationen in Ufernähe, die mit kleinen Booten besichtigt werden können, aber wir verschieben die Tour auf den Rückweg, denn ein Blick in den Himmel verheißt nichts Gutes.

2 Gedanken zu „Nasse Füße

  1. DerNachbar

    Unglaublich – Großstadtmenschen in der Wildnis…

    Man kann übrigens auch dort ertrinken, wo es keine Tsunami-Warnschilder gibt! Paßt auf Euch auf und kommt heil zurück.

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    1. Daniela Rameil-Erdl Beitragsautor

      Jaaa, ich weiß, aber die meisten Menschen ertrinken beim Zähne putzen… Und Du kennst doch den Spruch: If you think adventure is dangerous, try routine, it is lethal.

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