Vor uns liegen 1.200 Kilometer Wildnis. Viele sagen, die Carretera Austral ist die schönste Route in die Einsamkeit. Für uns ein Highlight unserer Reise und wir sind gespannt, was uns in den kommenden Wochen erwartet, ob unsere durch Literatur und Dokumentationen geschürten Erwartungen erfüllt oder enttäuscht werden. 1.200 Kilometer bis Villa O´Higgins am Ende der Carretera, und dann sind wir noch lange nicht am Ende dieses Kontinents. Südlich von Puerto Montt beginnt das chilenische Patagonien, das Gebiet der Gletscher, der kalten Regenwälder und des großen Inlandeises, des Campo de Hielo de San Valentin, des Campo de Hielo Norte und des Campo de Hielo Sur.
Erst während der Pinochet-Diktatur wurde diese abgeschiedene Region an das übrige Chile angebunden; davor lebten die wenigen indianischen Einheimischen autark, vom Fisch- und Robbenfang in den Fjorden und im Einklang mit der Natur. Die ersten Europäer kamen Mitte des 16ten Jahrhunderts, wobei das Interesse nur sporadisch war. Charles Darwin und sein Capitän Fitz Roy segelten mit der Beagle 1834 die patagonische Küste entlang, einige chilenische Expeditionen folgten, um das Land zu kartographieren und der Deutsche Hans Steffen erforschte von 1870 bis 1902 intensiv den Süden. Bis ins zwanzigste Jahrhundert kam die Region über kleine Handelsstationen für Holz und Robbenfelle nicht hinaus. Dann erhielt die Sociedad Industrial de Aysén 800.000 Hektar Land zwecks Erschließung, parzellierte dieses und verkaufte es wiederum an chilenische und argentinische Familien, die profitorientiert auf erfolgreiche Viehzucht spekulierten. Was folgte, war eine großflächige Abholzung der bis dahin unberührten Waldbestände. Chiles Regierung unterstützte diese Maßnahmen mit einem Gesetz, welches besagte, daß „ nur Land dann in endgültigen Besitz übergehe, das gänzlich vom Urwald befreit wurde“. Infolgedessen wurden mit Großfeuern allein in den 1940er Jahren Urwaldflächen von der Größe Nordrhein-Westfalens vernichtet.
Über weitere Jahrzehnte blieb die Region weitgehend isoliert, bis in den 1970er Jahren Augusto Pinochet aus überwiegend militärischen Gründen den Auftrag für die Ruta 7, die Carretera Longitudinal Austral Presidente Pinochet gab, kurz die Carretera Austral. Das Militär fräste eine Piste durch die Wildnis, die Berge in Serpentinen hinaufklettert, sich an Fjorden entlang schlängelt, durch den Urwald, Sumpfgebiete, Weideland und entlang Wildwasserflüßen führt. Auch wenn das Gebiet längst nicht mehr so abgeschieden wie vor einhundert Jahren ist, hier ist das Wetter immer noch der alles entscheidende Faktor. Verspätete Fähren, Überflutungen und die Piste blockierende Erdrutsche gehören zum Alltag.
Wir werden sehen, welche Überraschungen die Carretera Austral für uns bereit hält.

