Wir sind auf dem Weg in die Hauptstadt Chiles, die weitläufige Metropole mit über vier Millionen Einwohnern, das uneingeschränkte wirtschaftliche und intellektuelle Zentrum des Landes, ein Häusermeer mit glitzernden Bürotürmen vor der Kulisse der schneebedeckten Andengipfel. Rund fünfzig Kilometer vor Santiago wird die Landschaft fast auf einen Schlag grün. Schöne, teilweise sehr alte, denkmalgeschützte Weingüter und üppige Obstgärten wechseln sich entlang der PanAm, die hier vierspurig ausgebaut ist, ab. Nachdem wir über Monate fast nur Wüstenlandschaften mit wenig bis keiner Vegetation gesehen haben tut uns das satte Grün in den Augen fast weh.
Unterwegs lernen wir an einer Tankstelle ein liebenswertes, chilenisches Paar kennen, die uns nach einem kleinen Plausch prompt zu sich nach Algarroba an der Küste westlich von Santiago einladen. Die Einladung wird zweifach ausgesprochen, ist also ernst gemeint, und wir würden sie auch wahrnehmen, haben aber bereits einige feste Termine in der Hauptstadt.
Wir erwarten Besuch aus Deutschland: DerNachbar kommt und wir holen ihn am Flughafen nordwestlich des Stadtzentrums ab. Unimoppel dürfte keinen Zentimeter höher sein; er passt so eben unter der Parkplatzschranke durch. Die Maschine aus Madrid ist überpünktlich gelandet, aber das Gepäck lässt auf sich warten. Wir erwarten DerNachbar sehnsüchtig, denn er bringt neben einigen Ersatzteilen für den Wagen etwas Unverzichtbares mit: ein Glas Schokoschmiere – Handelsname NUTELLA!
Die Freude ist groß, als DerNachbar endlich in den Massen aus Passagieren, wartenden Angehörigen, Freunden und Taxifahrern mit Namensschildern auftaucht. Nach einem kurzen Stopp im zentral gelegenen Hotel fahren wir gemeinsam ins Stadtviertel Bellavista und mit der Funicular, der Seilbahn, hoch auf den Cerro Cristobal, den Stadtpark von Santiago mit einer phantastischen Aussicht auf „Sanhattan“ mit seinen spiegelnden Glaspalästen. Der Gran Torre Santiago ist komplett verglast und mit 303 Metern das höchste Gebäude Lateinamerikas. Noch ist der Sommer mit seiner brütenden Hitze nicht da und der Dunstschleier über der Stadt ist kaum wahrnehmbar.
Am Sonntagabend bummeln wir durch die verkehrsberuhigte Innenstadt, wo unzählige fliegende Händler ihre Waren auf Tüchern ausgebreitet anpreisen und bei nahender Polizei in Windeseile das Weite suchen. Straßenmusikanten, Puppenspieler und Akrobaten unterhalten die Passanten, Schuhputzer bieten im Vorübergehen ihre Dienste an.
Für den Montag haben wir von unterwegs zwei Durchcheck-Termine vereinbart: Wir sind bei Mercedes angekündigt, wo wir den Unimog nach den vielen Achterbahnfahrten an seinen neuralgischen Punkten fachmännisch prüfen lassen wollen, bevor wir nach Patagonien aufbrechen. Die Verkehrsführung ist mörderisch und wir benötigen fast 1 ½ Stunden, bis wir die Mercedes-Vertretung gefunden haben. Die große Werkstatt liegt an einer Straße, die sich intelligenterweise beidseitig !!! der Autobahn über unzählige Blocks kilometerweit entlang zieht und immer wieder von der Stadtautobahn unterbrochen wird. Die Hausnummer liegt in den 16.000ern !!!, kann aber von keinem unserer drei Navigationssysteme angesteuert werden und die Karten sind ohnehin obsolet. Es geht also nur mit systematischer Sucherei. Wir fahren Block für Block ab, kreuzen die Autobahnen immer wieder, müssen zwangsweise U-Turns nehmen, fahren über unzählige Überführungen und durch Unterführungen und haben es dann kurz vor dem Verzweifeln irgendwann geschafft. Bei Mercedes begrüßt man uns mit der gewohnten chilenischen Liebenswürdigkeit und legt sofort fachmännisch mit Motor- und Getriebeölwechsel, Bremsprüfung und abschließender Autowäsche los. Der Geschäftstellenleiter mit deutschen Großeltern lädt uns mittags in die Betriebskantine ein und verabschiedet uns mit einer großen Tüte Walnüsse aus eigenem Garten.
Ich selbst bin nachmittags in der Clinica Alemana im Stadtteil Vitacura zu einem Routinecheck angemeldet und staune nicht schlecht. Ich hatte eine kleine Klinik vermutet, aber stattdessen erwartet mich eine topmoderne Klinik mit über 1.000 Ärzten. Für Expats und Reisende gibt es einen separaten Check-in, und nachdem die Formalitäten und die Bezahlung geklärt sind wird mir ein „Runner“ zur Seite gestellt, der mich auf meinen weiteren Wegen durch die Klinik begleitet. Was für ein Service! Da ich etwas zu früh bin und warten muß bietet mir der Runner an, mich ein wenig in den Klinikgebäuden herumzuführen. Er ist 19 Jahre alt, studiert Philosophie und Psychologie, jobbt nebenbei in der Klinik, spricht passables Englisch und hat Spaß daran, die Sprache mit Expats oder Reisenden zu üben. Nachdem wir über ein wenig über Freud´sche Traumdeutung und unsichtbare Gorillas geplänkelt haben nimmt er mich mit in das oberste Stockwerk des Gebäudes und zeigt mir von dort die Stadtteile Vitacura und El Golf, die teuersten Viertel der Hauptstadt. Was ich sehe, lässt mich staunen, denn mit dem gewohnten Klischee südamerikanischer Städte hat dies nichts mehr gemeinsam. Ich blicke auf elegante Villen mit englischem Rasen, Designerboutiquen mit wunderbar dekorierten Schaufenstern, riesige Multiplex-Kinos, verspiegelte Fassaden von großen Konsumtempeln, geschmackvoll gestaltete Ladengalerien und erlesene Restaurants. Ich könnte mich auch in Beverly Hills befinden. Recherchen ergeben; daß die Quadratmeterpreise in Vitacura und El Golf auf dem Niveau der Preise von Hamburg und München liegen. Auch den Deutschen Club, der hier sein gut bewachtes Domizil hinter hohen Mauern aufgeschlagen hat, kann ich in unmittelbarer Nähe der Klinik entdecken.
Mein Check wird von Luigi durchgeführt, einem älteren Arzt mit italienischen Vorfahren, der in den USA Medizin studiert hat und mit seiner Frau Europa intensiv bereist hat. Er teilt meine Begeisterung für Chile, findet aber, das Land läge leider zu sehr „hinter den Bergen“ und sei zu weit weg vom Weltgeschehen. Ich finde, das kann auch Vorteile haben… Der Check ist okay und ich fahre zurück zu Mercedes, wo mich Hugo und ein frisch gewaschener, blendend-weißer Unimoppel erwarten. Der Dampfstrahler hat Schmutz und Wüstenstaub der vergangenen Wochen entfernt und der Wagen ist jetzt stadtfein. Abends treffen wir uns mit DerNachbar zum Essen und verabschieden uns dann vorläufig. DerNachbar fliegt nach Puerto Montt vor und wir werden uns in einigen Tagen in Osorno wiedersehen, um gemeinsam von dort das Seengebiet zu bereisen.











Wie ich inzwischen herausgefunden habe, entsprach das ÜBERGROSSE Nutella-Glas gerade dem Wochenbedarf der Rameils…