St. Moritz in Brasilien

In Uruguay lernen wir Emy und Franz kennen, Hotelbesitzer aus Gramado in der Serra Gaucha und deutschstämmige Brasilianer in der 2ten Generation. Sie schwärmen von der uns bis dahin völlig unbekannten Stadt in den Bergen und wir beschließen spontan einen Abstecher zu machen. Ihre Tochter Shanie, die das Hotel Das Hortensias heute führt, lädt uns nicht nur großzügig ein, auf dem Parkplatz unser Moppel-Quartier aufzuschlagen, sondern offeriert uns darüber hinaus auch jeden Morgen ein umfangreiches Frühstück. Die Gastfreundschaft, die wir bei dieser Familie erleben dürfen, ist grenzenlos und die deutschen Wurzeln sind unübersehbar: Die Räumlichkeiten des Hotels sind konsequent im voralpenländischen Stil gehalten, die Hauskatze hört auf den Namen „Mieze“und es gibt in der Lobby einen „Pipiroom“.

Gramado Hotel Das Hortensias Web

Bummelt man durch Gramado, reibt man sich unweigerlich die Augen. Der Ort ist mit seinen Fachwerkhäusern, zahlreichen Hotels, teuren Boutiquen und Schokoladenläden eine Mischung aus St. Moritz und Disneyland, und wirklich: Als wir nachmittags auf dem Weg nach Hause sind rollt ein Oldtimer-Cabrio an uns vorbei und im Fond sitzt … der Weihnachtsmann, original mit rotem Anzug und weißem Rauschebart. Zur Erinnerung: Am Wochenende vorher war Ostern.

Auch sonst ist hier jeder auf Winter eingestellt. Im Städtchen flaniert man bei fast 20 Grad mit modischer Steppjacke und pelzbesetzter Mütze und führt die neuesten Ugg-Boots aus, natürlich die mit Glitzersteinchen, und in der Hotellobby brennen große Holzscheite im Kamin … bei eingeschalteter Klimaanlage. Die betuchten Gäste wähnen sich in Europa und sind glücklich.

Mieze am Kamin

Mieze am Kamin

Auf der Suche nach einer Lupe für die brasilianischen Straßenkarten mit ihrer winzigen Beschriftung lernen wir in einer Papeleria Rolf kennen, einen weitgereisten Deutschen, der seit rund 30 Jahren in Brasilien lebt, teilweise in Bahia und Gramado. Minuten später sitzen wir bei Café und Cointreau zusammen und tauschen uns aus. Rolf ist historisch sehr gebildet und gibt uns einen umfassenden Abriß über die Geschichte Brasiliens von der Kolonialzeit über die Sklavenzeit bis zur gegenwärtigen Wirtschaftslage. Auch er warnt uns vor Kriminalität und Gewalt und rät uns, sehr vorsichtig zu sein. Es ist schon erstaunlich, wieviel Angst die Brasilianer in ihrem eigenen Land haben, aber bei rund 35.000 registrierten Morden pro Jahr bei knapp 200 Mio Einwohnern kein Wunder. Bei rund 20% aller Verbrechen ist die Polizei beteiligt, ebenfalls kein Wunder, denn ein Polizeibeamter verdient gerade einmal umgerechnet 800 Euro im Monat und ist dankbar für jede Gelegenheit, sein Gehalt aufzubessern, egal ob auf legalem oder illegalem Weg. Die Korruption verfolgt Brasilien nicht nur überall in kleinem Maßstab, sondern trotz massiver Antikorruptionskampagnen der Staatspräsidentin Dilma Vana Rousseff nach wie vor mit Beträgen in Milliardenhöhe bis in die hohe Politik. Aktuelles Beispiel: Der teilweise unsinnige Bau von Fußballstadien im Zuge der bevorstehenden WM in Städten, die noch nicht einmal über eine Mannschaft auf Liga-Ebene verfügen.

Nach ein paar Tagen verabschieden wir uns von Shanie und fahren durch die wildromantische Berglandschaft mit ihren geheimnisvollen Araukarienwäldern, die auch als Kulisse für „Herr der Ringe“ dienen könnten, weiter Richtung Küste.

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