Archiv der Kategorie: Argentinien

Textaufgabe

Ein Unimog fährt am 2.1.2015 mit 75 km/h auf der argentinischen Ruta 40 von Nord nach Süd. Der Fahrer ist 54, die Beifahrerin 51 Jahre alt. Um exakt 18.56 Uhr beginnt eine Fahrbahn, die bis zum Horizont schnurgerade verläuft. Um exakt 19.18 Uhr kommt nach schnurgeradem Verlauf die erste Kurve.

Frage: Wie lang ist die zurückgelegte Strecke von 18.56 Uhr bis 19.18 Uhr?

Hilfestellung: Der Unimog ist dreißig Jahre alt, der Fahrer fliegt Gleitschirm und die Beifahrerin liebt Reeses Peanut Butter Cups.

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Dem ebenen Gelände angepasst führen die Straßen und Pisten durch die Pampa einfach immer geradeaus, machen nach zwanzig und mehr Kilometern vielleicht mal einen kleinen Knick, um danach wieder eine halbe Ewigkeit ohne auch nur die Andeutung einer Kurve weiter zu verlaufen. Ein Autopilot für den Unimog wäre nicht schlecht…

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Neues Jahr – Neues Land

Die Nacht des Jahreswechsels haben wir in einem Zauberwald außerhalb von Coyhaique verbracht, dicht umschlossen von Bäumen, deren Äste und Stämme mit langen Flechten, fein wie zerrissene Gaze, besetzt waren. Wir haben mit chilenischem „Champagner“ um 20.00 Uhr ins neue Jahr angestoßen, denn der Zeitunterschied zu Deutschland beträgt in der Winterzeit nur vier Stunden. Müde wie wir vom Tag waren, haben wir den chilenischen Wechsel dann verschlafen.

Nach drei Monaten ist es Zeit für uns, dieses wunderbare Land zu verlassen, zumindest vorübergehend, denn um nach Ushuaia zu gelangen müssen wir weiter südlich noch einmal ein Stück durch Chile. Über den Paso Huemules reisen wir mit einer Mischung aus Abschiedswehmut und viel Neugier auf Argentinien aus.

In dem kleinen Grenzort Balmaceda, der außer dem Flughafen Coyhaiques und der Zollstation nur eine Handvoll geduckter Häuschen vorzuweisen hat, möchten zwei kleine Jungs gerne unser Auto sehen. Kein Problem, nur als Cesar und Oliviero erst einmal drin sind, möchten sie nicht wieder aussteigen. Auf unsere leise Anmerkung, daß wir dann doch mal langsam gerne weiterfahren möchten, erklären die beiden Jungs selbstbewusst, wir könnten sie ja mitnehmen und versuchen uns mit einer sehr sauren Stachelbeere zu bestechen. Wir kontern nicht ganz fair, aber wirksam, mit einem Stück Kinderschokolade.

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Die chilenische Grenzstation ist winzig und nur drei orangefarbene Plastikhütchen auf dem Weg trennen chilenischen von argentinischem Grund und Boden. Wir begrüßen die Grenzbeamten mit einem „Feliz Ano Nuevo“ und werden daraufhin unversehens herzlich umarmt und auf die Wange geküsst. Stempel Stempel Stempel – und schwupps sind wir draußen. Ein paar Kilometer weiter ist die argentinische Grenze.

Die Grenzer sind ebenfalls freundlich, die Formalitäten für uns und das Auto schnell und ohne Lebensmittelkontrolle erledigt. Schon sind wir in Argentinien, dem Land des Fußballs (naja), des Tango (schööön) und der großen Steaks (Hugo freut sich schon ein Loch in den Bauch).

Damit erst gar keine Missverständnisse aufkommen wird man direkt an der Grenze großformatig belehrt, wem die Falklandinseln denn nun wirklich gehören:

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Hier am Grenzposten endet die asphaltierte Straße und eine zwar breite, aber knochenharte Piste beginnt, der Zubringer zur legendären Ruta 40, die ab Rio Mayo weiter nach Süden führt. Wir lassen unseren Bandscheiben zuliebe ein Viertel Luft aus den Reifen, was die Fahrerei etwas erträglicher, aber nicht komfortabel macht. Die Landschaft ändert sich fast schlagartig. Nach wenigen Kilometern haben wir das grüne, dicht bewachsene Berg- und Farmland des chilenischen Patagoniens hinter uns gelassen. Vor uns liegt die staubtrockene argentinische Pampa, bis zum Horizont ein endloses Meer aus gelbem Büschelgras und struppigen Sträuchern von einem knappen Meter Höhe. In der Distanz verlieren sich alle Konturen und soweit das Auge blicken kann reckt kein einziger Baum seine Äste in den Himmel. Die alles dominierende Farbe der Landschaft ist die der typischen bessergestellten Hamburgerin Anfang/Mitte 50: Ton-in-Ton Gutedelbeige, nur trägt die Pampa keine Goldknöpfchen und Perlenketten.

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Hier, im Regenschatten der Anden, liegen rechts und links der Piste die Weideflächen großer Estancias. Manche sind so groß, daß sie auf der Landkarte Argentiniens mit ihren Namen eingezeichnet sind und zwischen ihnen oder dem nächst erreichbaren Ort liegen durchaus mal eben einhundert Kilometer oder mehr. Das argentinische Patagonien ist das Land, wo in großem Maßstab Schafe gezüchtet werden. Zu Tausenden grasen sie vor und hinter den Zäunen, die die Ruta 40 begrenzen. An unseren Stellplätzen für die Nacht können wir bei Einschlafen durch die Fenster die Schäfchen zählen…

In starkem Kontrast zur Stille der Landschaft steht die Dynamik des Himmels, der mehr Dramatik kaum bieten könnte. Ein starker Wind fegt tief über uns gewaltige Wolkenberge über die Ebene, die sich vor dem strahlend blauen Hintergrund scharf abzeichnen.

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Irgendwo in der Antarktis und bislang unentdeckt muß es eine Wettermaschine geben, die pausenlos neue Wolken und Wind produziert und mit starkem, eiskaltem Atem nordwärts über die Pampa pustet. Ab und an stehen an der Straße Schilder, die die vorherrschende Windrichtung anzeigen.

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In Perito Moreno lassen wir einen Riss an unserem Auspuff schweißen und fahren dann die Petrobras-Tankstelle an, um das dortige Wi-Fi zu nutzen. Als wir aussteigen fährt ein großer Wagen mit brasilianischem Kennzeichen dicht neben uns und mir fast bis vor die Füße. Ich überlege noch, was „Du Spinner“ wohl auf Spanisch heißt, als ich im Cockpit Marinés und Enio aus Rio erkenne, die wir ganz am Anfang unserer Reise im April in Uruguay kennengelernt haben. Der Kontinent ist so groß und dann trifft man sich ganz unverhofft irgendwann wieder, in diesem Fall im wahrsten Sinne des Wortes in der Pampa. Nach einem gemeinsamen Kaffeeplausch trennen sich unsere Wege wieder. Das Routing der beiden symphatischen Brasilianer in den nächsten Wochen ist etwas anders ausgelegt als das unsrige, aber wir sind sicher, die beiden auf dem Weg nach Ushuaia nochmals zu treffen. So viele Wege führen schließlich nicht ans Ende der Welt.

Das große Wasser

In Foz de Iguacu im Dreiländereck Brasilien, Argentinien und Paraguay angekommen finden wir einen Platz auf einem sehr schönen Camp Ground nur wenige Kilometer von den Wasserfällen entfernt. Außer uns ist nur eine französische Familie da, die mit drei Kindern zwischen drei und sieben Jahren Südamerika bereist. Im Gegensatz zu Deutschland ist es in Frankreich überhaupt kein Problem, ein Kind für ein Jahr aus der Schule zu nehmen, solange man ihm selbst den Lernstoff halbwegs vermitteln kann, was während der Grundschulzeit nicht schwierig sein sollte. Vernünftige Einstellung; Kinder werden durch Reisen bestimmt nicht dümmer…

Wir fahren zunächst über die Grenze auf die argentinische Seite. Ein Fußweg führt etwas über einen halben Kilometer durch den Nationalpark, bevor der Blick auf die Wasserfälle von der dichten Vegetation freigegeben wird. Da es die Tage vorher stark geregnet und gewittert hat führen die Fälle viel Wasser.

Wir steigen hinunter zu einem Anleger und registrieren uns für eine Bootstour. Bevor es losgeht erhalten alle Teilnehmer einen wasserdichten Sack für ihre Taschen, Kameras usw. Noch wundern wir uns und halten die Maßnahme für leicht übertrieben: Auch wenn die Luft voll feinstem Sprühnebel ist – so schlimm kann es doch nicht werden. Außerdem scheint die Sonne.

Das Schlauchboot legt ab, der Bootsführer dreht den Motor voll auf und dann geht es nicht etwa bis vor die Fälle auf der brasilianischen Seite, sondern mitten hinein, und zwar bis ans Limit! Ich habe das Gefühl, daß ich in den unglaublichen Wassermassen rundherum für einen Moment keine Luft mehr bekomme, aber dann sind wir auch schon wieder draußen – klatschnaß trotz großem Regencape mit Kapuze. Bevor wir richtig Luft holen können dreht der Bootsführer mit hoher Geschwindigkeit eine enge Linkskurve … ich sitze auf der linken Seite unmittelbar an der Bordwand, die sich entsprechend tief neigt und ein Riesenschwall Wasser ergießt sich über meine untere, bis dahin noch fast trockene Hälfte. Jetzt bin ich endgültig durch und Hugo ebenfalls. Und weil es so schön war, wiederholt der Bootsführer die gesamte Aktion noch einmal. Es geht wieder hinein in die gewaltige Naturdusche, dann eine enge Kurve für alle, die auf der rechten Seite sitzen. Hugo und ich sind zwar naß bis auf die Knochen, haben aber Spaß ohne Ende. Mit unverminderter Geschwindigkeit donnert der Bootsführer dann zur argentinischen Seite, wo die Fälle nicht weniger Wasser führen. Da inzwischen ohnehin alle zappelnaß sind, geht es auch hier noch zweimal „satt unter die Dusche“. Dann ist der Spaß vorbei und zum oberflächlichen Antrocknen fahren wir noch eine kleine Weile gemütlich auf dem unteren Rio Iguacu spazieren.

Iguacu BR6

Iguacu BR6

Beim anschließenden Fußmarsch durch den Wald und einer Fahrt mit der kleinen Parkbahn zur Garganta del Diablo trocknen wir in der Sonne kurzzeitig gut durch, bevor uns der Sprühnebel über den Wasserfällen erneut einweicht. Ein Weg aus Stegen über den oberen Rio Iguacu führt rund einen Kilometer weit direkt bis an den Rand der Fälle zum „Teufelsschlund“. Abhängig von der jahreszeitlich schwankenden Wassermenge stürzen dort 1500 m³/s bis über 7000 m³/s mit ohrenbetäubender Wucht hinunter. Der Grund bzw. der untere Iguacu ist durch die Gischt für uns nicht mehr zu erkennen.

Für alle Interessierten hier ein paar Fakten:

  • 20 größere und 255 kleineren Wasserfälle
  • gesamte Ausdehnung rund 2,7 Kilometer
  • Höhe zwischen 64 und 82 Meter.

Im Vergleich zu anderen Wasserfällen:

Victoria Falls in Zimbabwe:                    61 m hoch    1.100 Kubimeter pro Sekunde

Niagara in Kanada:                                51 m hoch    7.000 Kubikmeter pro Sekunde

Sete Quedas in Brasilien/Paraguay:     40 m hoch   13.300 Kubikmeter pro Sekunde

Wir sind beeindruckt und können uns von dem Naturschauspiel kaum losreißen. Aus jeder Perspektive erscheinen die Wasserfälle vor der Kulisse des immergrünen Regenwaldes wieder anders und überall schimmern Regenbogen. Niemand hat die Macht, auf einen Knopf zu drücken und die Wasserfälle „abzustellen“. Gut so.

Auf dem Fußweg zurück begegnen wir vielen großen Schmetterlingen in den schönsten Edelsteinfarben, die sich nicht scheuen, auf dem Arm oder der Schulter zu landen und eine Weile mitzureisen.

Iguacu Schmetterlinge 7

Iguacu Schmetterlinge 7

An den öffentlichen Plätzen plündern Unmengen von Nasenbären die Abfallbehälter und drangsalieren dreist bis aggressiv Besucher, die den Fehler machen, Lebensmittel zu verzehren oder die Tiere anzulocken. Dabei gehen die eigentlich possierlichen Tierchen sogar soweit, völlig hemmungslos die Hosenbeine hochzukrabbeln. Das wäre alles ganz niedlich, wären da nicht die langen Zähne und die Gefahr von ganz üblen Bißwunden und noch übleren Infektionen bis hin zu Tollwut. Auch wenn wir gut geimpft sind, wir halten lieber gebührenden Abstand.

Iguacu Nasenbären 3

Iguacu Nasenbären 3

Der Name Iguazú hat seinen Ursprung aus den guaranischen Wörtern y für Wasser und guasu für groß. Ende der achziger Jahre wurde der Nationalpark auf die UNESCO-Weltnaturerbe-Liste gesetzt, um die Artenvielfalt des atlantischen Regenwaldes zu schützen. Leider etwas zu spät, da einige Tiere wie beispielsweise der Riesenotter hier schon ausgestorben sind, aber besser als gar nicht. So haben Tapir, Jaguar & Co noch eine gute Chance. Wie wir erfahren gibt es bis heute noch Interessenkonflikte, weil Anwohner der Region eine bei der Einrichtung des Parks geschlossene Straße ungesetzlich wiedereröffneten. Die 17,5 km lange Straße teilt den Park von Nord nach Süd in zwei Häften und erspart den Anwohnern einen Umweg von 130 km. Inzwischen ist die Straße per Bundesgerichtsentscheid wieder gesperrt, aber der Unmut geblieben.

Überwältig von den Eindrücken des Tages fahren wir nach Hause und können nachts prompt nicht schlafen. Im Kopf sind zu viele Bilder.

Ein paar Tage später fahren wir mit den Mountain Bikes zur brasilianischen Seite des Parks. Auch dort ist alles top durchorganisiert. Mit einem Bus geht es vom Eingang aus etwa 9 km  bis zu den Wasserfällen. Die meisten Kaskaden liegen auf argentinischer Seite, daher ist von Brasilien aus der Panoramablick noch imposanter. Beide Seiten sind durch mehre Inseln und Halbinseln voneinander getrennt.

Hier auf der brasilianischen Seite von Iguacu empfinden wir die Wasserfälle anders,  unmittelbarer, physisch noch deutlicher spürbar als auf der argentinischen Seite. Man kommt näher heran, teilweise kann man den Arm in das herabtosende Wasser strecken. In der Gischt entstehen wunderbare Regenbogen, vereinzelt sogar Doppelbögen. Ein Catwalk führt in weniger als 1m Höhe über eine der großen wasserumspülten Felsterrassen zu einer kleinen Plattform in den Fällen und in kürzester Zeit sind wir trotz Regencape wieder „sanft geduscht“, können uns aber von dem Anblick nicht losreißen. Was folgt kennen wir ja schon: eine schlaflose Nacht. Diagnose: Akute Reizüberflutung.

Iguacu BR14

Iguacu BR14